Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Stils ist die Beschäftigung mit Religion. Mithilfe des Verfahrens der "Religionsbricolage" (Helsper) verarbeiten die Grufties Elemente christlicher, und der Religion anderer Ethnien und okkulte Traditionen. Letztgenannte sind für die Grufties deshalb attraktiv, weil sie mit einer anderen Zeit, d.h. mit einer anderen Zivilisationsstufe verbunden sind. Eine von anderen Gesellschaftsteilen als irrational abgestempelte Symbolik kann die Unzufriedenheit mit der Institution Kirche und der durchrationalisierten modernen Zivilisation ausdrücken.
Die reflexive Auseinandersetzung mit religiösen und okkulten Traditionen mündet nicht in eine okkulte Gruftie-Religion. Das Gegenteil ist der Fall: Es wäre widersprüchlich, wenn sich die Grufties nach ihrem stilistischen Ausbruch aus der dörflich- religiösen Eingleisigkeit wieder freiwillig in ein sie einengendes, geschlossenes System begeben würden. "Hauptglaubensinhalt" ist nicht, wie von den Medien behauptet, der Glaube an den Satan oder einen Gott - man kann die Grufties eher als atheistisch bezeichnen - sondern an den Tod als eine übergeordnete Macht, der sich kein Mensch entziehen kann. Die Religionsbricolage schafft eine Art privater Todesreligion, die an den Tod erinnert, aber keine tröstende, das Individuum entlastende Funktion hat.
Bausteine schwarzen Stils
Der Gruftie- Stil erstreckt sich bei seinen exponierten Vertretern auf das gesamte Lebensumfeld: Zimmer, Kleidung, Frisur, Musik, Tanz, Orte, Räume, Medien (Fanzines -Zeitschriften-, Internet). Das WorldWideWeb versetzt die Grufties in die Lage Musik und Bilder von den verehrten Bands wie Sisters of Mercy, Cure, Alien Sex Fiend, Ann Clarke, Skinny Puppy, Fields of the Nephilim, Christian Death, Current 93... von Generation zu Generation weiterzutransportieren.
Das Epizentrum des Stils ist wie bei allen Subkulturen, die Musik. Aus allen Bereichen der Independent Musik werden die Beispiele mit traurigen oder finsteren Texten bzw. musikalischen Strukturen herausgefiltert, die mit dem melancholischen Lebensgefühl übereinstimmen. Neben Punk und Electronic Body Music-Elemente treten Klangcollagen aus Alltagsgeräuschen, Zitaten aus religiösen Zusammenhängen (Gregorianische Gesänge oder Instrumente wie Kirchenorgeln), Cembaloklängen und selbstgebaute Musikinstrumente aus Knochen.
Die Beschäftigung mit Texten, die um unerfüllte Liebe, Tod, Religion kreisen, dient als Ventil, um existenzgefährdende Depressionen unschädlich zu machen. Eine Gruppe wie Joy Division gilt als besonders authentisch, weil sich die depressive Grundstimmung des Sängers Ian Curtis, der aus unglücklicher Liebe Selbstmord beging, in Texten und Musik niedergeschlagen hat.
Der absolut passive Anti-Tanz der Grufties ist eine meditative Konzentration der Energien auf das eigene Innere, ein Rückzug ins innere Exil. Die autistische Tanzform, sie erinnert an Bewegungen Frankensteins, wird von Spöttern auch Nord-Süd-Kurs genannt. Sie besteht in monotonem taumelnden Hin- und Hergehen auf einer imaginären Linie, ohne Rücksicht auf den Takt der Musik. Mit einer körperlichen Aktivität, einem Ausleben von Energien und Aggressionen, wie beim Pogo der Punks, oder einer Selbsterfahrung des Körpers, wie bei den Hippies, haben die Körperbewegungen nichts zu tun.
Vampire, Mönche und Hexen: Schwarze Outfits
Die Zimmer der "Schwarzen" sind besonders gestaltet, z.B. durch kleine Altäre, auf denen Accessoires wie Grabschleifen, Kreuze, Grableuchten, Kerzen, Schädel arrangiert werden.
Stiftetuis in Sargform sollen als benutzbare Alltagsgegenstände Tod symbolisieren, um sich der eigenen Vergänglichkeit bewußt zu sein. Schwarz ausgeschlagene Höhlen mit Grabstein-Wänden, sind für die Szene schon extrem und werden teils belächelt, teils bewundert. Dagegen wird man, entgegen anders lautender Medienberichte, Särge als Betten oder die Leiche vermissen. Das Zimmer soll die finstere, todesnahe Atmosphäre des Friedhofs nachstellen oder eine schutzspendende Höhle vor einer bedrohlichen Außenwelt sein. Die Accessoires zeugen auch vom Spaß am Umgang mit Dingen, die bei anderen Menschen ein unbehagliches Gefühl verursachen.
Sehr außergewöhnlich und aus dem heutigen, vielseitigen Modespektrum hervorstechend, ist die sehr homogen gestaltete Kleidung der "Schwarzen", die an Figuren aus vergangenen Jahrhunderten erinnert. Der Kleidungsstil der Grufties entspricht nicht dem "Confrontation Dress" des Punk, das provozieren soll. Er schockiert natürlich trotzdem, eine Auseinandersetzung ist aber unbeabsichtigt.
Die Distanzierung der Grufties ist erfolgreich: Die den Stil dominierende Farbe Schwarz ist primär mit Alter, Tod, Verlust und Trauer verknüpft. Zu einer Zeit, wo der Punk für die Kleidung alle Farben - wie z.B. die Neonfarben - möglich gemacht hat, wird bewußt eine bedeutungsbeladene Farbe als Abgrenzung von einem sorglosen, durch Oberflächlichkeit und Konsum geprägten Leben, gewählt.
Die Grufties bündeln die ihnen vertrauten, unterschiedlichen kulturellen Bedeutungsstränge der Farbe. Schwarz ist für sie der Ausdruck eines Gefühls von Leere und Sinnlosigkeit und ein Symbol für Verzweiflung und Resignation. Weitergehend drückt es Trauer über den möglichen Untergang der Menschheit aus, gegen den die Grufties als Individuen machtlos sind. Die Farbe verweist außerdem auf die selbst gewählte asketische Weltabgeschiedenheit der Mönche.
Der zentrale Bedeutungsstrang des Schwarz steckt für die Grufties in der Symbolisierung des unabwendbaren Todes. Die "Schwarzen", wie sie sich bezeichnenderweise selbst nennen, befördern neben der nekrophilen Komponente der Farbe auch die traditionelle Symbolisierung des Bösen und Negativen, die zu positiv besetzen Idealen werden.
Die Grufties stellen das Schwarz, das eigentlich für die zeitlich begrenzte, rituelle Lebensphase der Trauer gedacht ist - also eine Sonderstellung unter den Farben einnimmt - in ihren alltäglichen Kontext. Es ist zeitlich, örtlich und situativ vom bestimmten Zweck entbunden und erfährt als entscheidendes Stilmerkmal eine Generalisierung auf alle Lebenssituationen.
Den Kontrast zum Schwarz bildet die silberne Farbe von Metallbeschlägen bzw.- Verzierungen, antiquisierenden Ornamenten und floralen Motiven wie der Rose oder von Todessymbolen wie dem Schädel. Sie tritt in Accessoires und an der Kleidung auf, wie an den spitzen, schmalen "mittelalterlichen" Schnabelschuhen, die mit silbernen Totenkopf- oder Fledermausschnallen bestückt sind.
Der Gruftie-Stil ist akkumulativ, Gürtel, Armbänder, Ohrringe, Schnallen treten nie in einfacher Form auf. Die Kleidung ist außeralltäglich und das Gegenteil davon, was man sich unter bequemer Alltagskluft vorstellt. Außerdem zeigt sie eine distanzierte Haltung zum eigenen Körper an. Kleidungsstücke wie weite Umhänge, Überwürfe, Schals, Draculacapes, Mönchskutten und Priestergewänder, türkische Hosen bei den Männern erlauben keinen Rückschluß auf den verhüllten Körper. Seine sonst gesellschaftlich so bedeutenden sexuellen Merkmale stehen nicht im Mittelpunkt des Stils, da das Erotische leidenschaftlich auf den Tod bezogen wird.
Der Stil bringt keine aggressive Körperbezogenheit zum Ausdruck. Die auf dem Prinzip des Risses bzw. der Häßlichkeit aufbauende Punk-Ästhetik hat hier keine Bedeutung. Eine poetische Inszenierung bringt männliche und weibliche "schöne" Todesengel nach romantischen Idealen des 19.Jahrhunderts hervor. Die bevorzugten Materialien für Kleidung und Accessoires sind traditionelle, "natürliche" Stoffe wie Spitze, Samt oder Seide, seltener Leder, Lack oder Gummi, die für eine harte Sexualität stehen.
Die in vier Grundformen auftretende Haartracht ist ein wesentliches Erkennungszeichen der Grufties. Die markanteste Frisur ist der "Teller", (auch Tellermine oder Tellerschädel genannt). Die Grufties sprechen davon "sich den Teller zu machen": Die Deckhaare werden mit Unterstützung von Unmengen von Haarspray zu einem tellerartigen, flachen Gebilde geformt. Eine andere Frisur ist vom Irokesenschnitt der Punks abgeleitet, die Haare sind meist länger und werden hochtoupiert. Man findet auch die Waverfrisur, mit hoch stehendem oberen Deckhaar und seitlich und hinten sehr kurzen oder wegrasierten Haaren. Diese Formen werden eher von den männlichen Grufties getragen.
Frauen bevorzugen schwarze, lange, strubbelige "Hexen"-Haare, die extrem toupiert sind. Im Internet kann man im Gegensatz zu den Fanzines, auch praktische Tipps finden, wie man das Haar "gothicmäßig" toupiert und schwarz färbt oder sich "Tot malt", indem man schwarzen Kajal, Lippenstift und Nagellack gegen ein kalkweißes Gesicht setzt. Diese "tote" Schminkweise oder das "Totrumlaufen", wie es Grufties beiderlei Geschlecht betreiben, ergibt das symbolische Gesamtbild von Toten mit lebendigem Körper oder von Vampiren, also von Gestalten, die nicht von dieser Welt sind. Die Schminkweise nimmt das Schicksal des zukünftig Toten vorweg und soll die Solidarität zu den Toten ausdrücken.
Alltagskleidung und Schminke der Grufties repräsentieren aufgrund der verwendeten Materialien, Farben und der Kleidungsschnitte die permanente Feier des Todes und der Trauer.
Schwarze Kunst : Ankh, Fledermaus und Ruine
Schmuckmotive und Symbole stammen im wesentlichen aus drei eng miteinander verknüpften Bereichen: Tod und Vergänglichkeit des Körpers, christlichen bzw. Religionen aus anderen Kulturkreisen, Magie.
Da die Grufties alles fasziniert, was mit dem Tod zusammenhängt, sind folglich ihre liebsten Schmuckmotive Totenschädel, Skelette, Knochen. Letztgenannte werden, wenn sie als realer Gegenstand an der Kleidung auftreten, zum materialisierten memento mori, zur persönlichen Reliquie.
Die verwendete religiöse Symbolik umfaßt wenige Accessoires wie Kreuze, Davidstern, Ankh (ägyptisches Zeichen) oder das Pentagramm. Das provokanteste Symbol ist das umgedrehte Kreuz, kulturhistorisches Zeichen für Satanismus, der Rituale des Christentums in ihr Gegenteil verkehrt. Hier dient es als Unterscheidungsmerkmal vom normalen christlichen Symbol, ist gleichzeitig Provokation und diffuse Kritik an Religion und Kirche.