Finde ich einen sehr schönen Post, Ireland, der sehr feinsinnig die Unterschiede aufweist. Ich schliesse mich da mal an, wenn Du erlaubst:
Ich kann nur zu gut verstehen, daß man bei einem Verlust eines geliebten Menschen Zeichen sucht.
Ich persönlich kann das zwar sehr gut verstehen, aber würde es niemals tun. Ich habe keinesfalls die Vorstellung oder auch den Wunsch, daß jemand, der sein Leben beendet hat, mit mir Kontakt aufnimmt. Und mich stösst auch die Vorstellung von einer dieser Welt gleichen oder ähnlichen Parallelwelt in Form eines irdischen Totenreiches sehr ab. Es ist eine Glaubenssache, daß ich den Toten und auch mir ein Weggehen von dieser Erde wünsche, und zwar ein vollkommenes.
Vor 11 Jahren starb mein Vater (zu früh und "unnötig").
Ich hab ihn unendlich gliebt und habe das Gefühl, die Trauer hat sich in den ganzen 11 Jahren nicht wirklich vermindert.
Ich denke jeden Tag an ihn.
Am Anfang habe ich Zeichen gesucht - in einem Baum über seinem Grab, im Rauschen der Bäume im Garten, in seinem Zimmer - überall.
Ich habe das Buch "Leben nach dem Tod" gekauft ... ich konnte es einfach nicht ertragen.
Als meine zweite Tochter zwei Jahre nach seinem Tod geboren wurde ähnelte sie ihrem Opa (als Baby) sehr.
Auch das war für mich ein Zeichen.
Mein Vater war ein sehr bodenständiger Mensch, nicht religiös o.ä. und für ihn war klar, daß nach dem Tod nichts mehr kommt (das teilte er gern und oft jedem mit).
Nur zum Schluß (er war sehr krank und wollte sterben) vertraute er mir an, er kommuniziere mit seinem Vater (den er als 10jähriger verloren hat und darüber nie hinweggekommen ist).
Das habe ich belächelt - es hat ihm geholfen und das war gut so (er wollte doch immer nur seinen Vater oder zu seinem Vater, auch wenn er das, als er jünger war, "weggeredet" hat).
Da geht es mir ähnlich. Ich habe meinen Vater auch sehr früh verloren, ich war noch ein Kind. Und so wie Du deinen Vater in Deinen Kindern wiedergefunden hast, so sehe ich in mir, wenn ich in den Spiegel gucke, meinen Vater. Und daher weiß ich: mein Vater lebt. Warum? Weil er mich gezeugt hat. Er lebt in mir tatsächlich weiter. Ich bin zu einem nicht geringen Teil ziemlich genau wie er.
Dann gabe es eine Zeit im Leben - etwa 25 Jahre nach seinem Tod, in der ich sehr intensiv die Trauer nachgeholt habe, die ich als Kind zu tätigen nicht vermochte. Es wurde mir nicht gezeigt, wie man trauert. Es wurde mir keine Erklärung gegeben ausser dem "Himmel", wo der Papa jetzt ist. Und so hatte ich bis zu dieser Zeit auch keine Möglichkeit, meinen Vater nicht nur im Spiegel, sondern auch in meinem Geist zu erkennen. Als eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme.
Diese Möglichkeit kann ich natürlich in das Aussen projizieren. Alles, was man sieht, kann mit einer Botschaft - sei es die Kaffeedose, die leerer ist, weil der Kaffee feiner gemahlen wird, oder sei es die Amsel oder die Spinne - belegen. Aus all diesen Beobachtungen nimmt der Schamane Informationen aus der Zwischenwelt. Da mein damaliger Partner eine Ausbildung zum Schamanen gemacht hat, habe ich mich intensiv damit beschäftigt, wie Informationen aus der Zwischenwelt in mein Bewusstsein dringen können. Dafür muß ich eine Offenheit haben, einen sogenannten Glauben.
Nun bin ich persönlich aber eher ein kognitiver Typ als ein Träumer (das Träumen ist eine "disziplin" im Schamanismus, die ich durchaus beherrsche und auch ausübe, die aber nicht meine primäre Veranlagung ist). Ich bin also verstandesgesteuert und höre einen grossen Teil meiner inneren psychischen Worte mit Distanz. Auch meine Wahrnehmungen beobachte ich von einer Position aus, die über meiner eigenen Position gelegen ist. Ich bin also im Grunde mein eigener Beobachter, statt Ich zu sein. Daß es so ist war die Reaktion auf das unerträgliche Leid eines Kindes, das seinen Vater verliert.
Heute habe ich in mir Frage und Antwort, so wie Du. Ich unterhalte mich mit "meinem Vater". Der Weg, diese Stimme in mir wieder hören zu können, ging übrigens über Gott, genauer über Jesus Christus und über den "inneren Meister". Ein Vater nimmt ja eine ähnliche Funktion für einen Jungen ein, besonders wenn er Lehrer ist. Und auf diese innere Stimme zu hören, bedeutet zu einem grossen Teil, auch auf mich selber zu hören. Insofern vertraue ich meinem Vater und insofern lebt er also auch geistig in mir weiter. Und geistig - das will ich noch hinzufügen - ist er mir viel näher, als wenn ich Informationen aus einem Zwischenreich entnehme und sie ihm zuordne. Denn dies ist für mich letztlich ein kognitives Spiel, während ich die Stimme selber bin.
Und insofern kann niemand sterben, den man liebt. Es kann jemand seine Hülle verlassen, ja. Aber sterben kann nur, wer vergessen wird. Und wer nicht vergessen wird, der lebt.
Irgendwann war mir klar, es gibt einfach keine Zeichen, aber eine überaus wertvolle, liebevolle Erinnerung.
Ja. Aber ich habe oben beschrieben bzw. nochmal versucht auseinander zu klamüsern, wie sich die Botschaft unterscheidet: das "Zeichen", z.B. via ein Geschehnis oder via die Natur, kommt aus einem Zwischenreich im Bewusstsein, das wir selber als Trauernde generieren. Wenn wir aber dann wahrlich trauern, dann kehrt sich das Blick und das Gehör nach innen. Dann werden wir still, weil wir traurig sind. Und dann beginnt der Tod und der Tote in uns selber zu wirken und wir gehen einen Weg, der endet im Ich bin Er.
Und dieser Weg - das möchte ich noch hinzufügen - ist nicht für Jeden offen.
Ireland schrieb:
Das Abstandnehmen von den Zeichen passierte bei mir so: wenn mein Papa im Tod die Gelgenheit hätte, mir etwas mitzuteilen, hätte er es so gemacht, daß ich es eindeutig verstanden hätte.
Ich will Dir berichten, was mein kindliches Bewusstsein erlebt hat. Denn es hat ein solches eindeutiges Zeichen bekommen. Heute weiß ich natürlich bzw. erkläre ich es mir aus psychologischem Wissen heraus, daß es eine Reaktion auf das Trauma ist, was ich wahrnahm. (Ui, da läuft gerade eine dicke Spinne, die ich mal gerade aus dem Haus entferne - Spinnen tauchen immer auf - oder Falter - wenn ich mich so beschäftige wie jetzt hier schreibend, aber das ist kein Zeichen meines Vaters, sondern das Universum macht es so.)
Ich habe es schon oft aufgeschrieben, daher macht es nichts, wenn ich es wiederhole:
Ich lag im Bett und wusste: heute Nacht wird wohl das Telefon klingen. Das Krankenhaus wird mitteilen, daß Papa gestorben ist. Ich war sieben Jahre alt. Das Telefon klingelte. Ich hörte die Mutter die Treppe heruntergehen und den Hörer abheben. "Ja". "Ja". Und ein Verzagen in der Stimme. "Danke". Und dann ging die Mutter in die Küche. Ich hörte dann noch, wie die Großmutter, die zu Besuch gekommen war, aus dem Keller die Treppe hochschlich, um uns nicht zu wecken und wie Beide in der Küche verschwanden.
Ich weiß es wie heute: ich schloß die Augen. Und ich sah einen hellen Punkt. Aus diesem Punkt kam ein Gesicht näher - es war das Gesicht meines Vaters. Nicht vom Krebs gezeichnet, sondern hell, strahlend, glücklich, mir in das innere Auge blickend. Er strahlte mich an. Ich blickte zurück. Und verstand und sagte zu ihm innerlich: "Du bist jetzt tot". (Das hat übrigens einen Priester, dem ich's erzählte, mal kurz vor den Herzinfarkt getrieben.)
Dann blickten wir uns noch eine Weile an, bis das Gesicht schließlich im Hintergrund verschwand. Kurz danach öffnete sich rechts oben in der Periphere meiner bis dahin existierenden bewussten Wahrnehmung ein Fenster. Das Fenster war hell erleuchtet und es war ein Fensterkreuz in das Fenster eingelassen. Das Fenster wurde geöffnet, und obwohl ich noch immer geradeaus blickte im inneren Bild, nahm ich nun das Fenster oben rechts als Blickmittelpunkt meines inneren Visus' wahr. Es erschien eine weisse Gestalt, leuchtend, deren Licht von dort oben auf mich herabfiel. Und ich wußte und dachte: "Da oben bist Du jetzt, Papa."
Was ich damit sagen will, ist: traumatische Ereignisse lenken den Blick vom "geradeaus" in unserem Leben ab. Sie
ermöglichen uns den Blick in eine Parallelwelt, die nicht im Fokus unserer eigentlichen Wahrnehmung als gesunder, heiler Mensch liegen. Insofern ist Trauma = Chance, aber auch ein Abkommen vom Weg, der ohne das Trauma gewesen wäre. Trauer ist nun derjenige Prozess, der uns letztendlich dahin führt, mit unserem Blick in die andere Welt, den wir erworben haben, förderlich umzugehen und trotzdem in unserem realen Leben als Hinterbliebene uns selbst zu manifestieren. Um das zu können, müssen wir den oder die loslassen, der oder die gegangen ist oder sind.
Er hätte niemals mit meinen Emotionen/ meiner unendlichen Trauer "gespielt" oder sich in Andeutungen ergangen. Bevor er mich so leiden lassen würde würde er bestimmt eher gar nichts tun (da bin ich sicher).
Ich teile meinem Vater täglich in Gedanken mit, daß ich ihn liebe, ich erzähle meinen Kindern von ihm (es fällt immer noch schwer), ich halte stumm "Zwiesprache" mit ihm (Papa, was hättest Du getan/ gesagt/ gedacht) und ich hoffe - insgeheim - immer, daß das nicht alles war.
Bei den Zeichen ging es nur um mich und darum, daß ich es überhaupt ertragen konnte - jetzt geht es um ihn und um die liebevolle Erhaltung der Erinnerung.
Mein Vater hätte es genauso gewünscht und ich wünsche mir - wenn ich einmal sterbe, daß meine Kinder mich auch in so einer Erinnerung behalten.
Ich behalte auch die liebevolle Erinnerung an seinen Vater, den ich nie gekannt habe ... .
Ich kann das gut verstehen. Und habe trotzdem ein "Aber" in mir, Ireland. Ich will versuchen, das "Aber" zu erklären.
Nach der durchlebten Trauer fühle ich persönlich den Zustand des Trauernden in mir noch immer. Aber: der Trauernde in mir hat keine Trauer mehr übrig. Er ist auch 34 Jahre später noch vorhanden. Er trauert auch noch, z.B. im Rahmen von Ritualen - auf das Foto gucken und an ihn denken zum Beispiel. Aber weil mein Vater ja in mir drin ist, suche ich ihn nicht im Aussen.
Ganz anders sieht das aber aus, wenn es sich nicht um einen Vater handelt, der gestorben ist, oder um eine Mutter. Sondern wenn es um den Lebensgefährten oder um ein eigenes Kind geht, das zu betrauern ist. Diese Verstorbenen können nicht integriert werden, denn sie sind ja niemals Teil von einem gewesen, bzw. waren sie nicht Schöpfer des eigenen Seins, sondern man selbst war ihr Schöpfer. Und da finde ich es - mittlerweile nach intensivem Nachdenken und -fühlen - nicht mehr "falsch" oder "abstossend" (so wie früher), wenn der Tote oder der Vorstorbene in das alltägliche Leben und die Wahrnehmung des alltäglichen Lebens integriert wird. Denn: nach Innen
kann er/sie nicht integriert werden.
Daher finde ich es (heute) total schön - und normal auch - wenn ich mir vorstelle, einmal im Alter auf einer Bank zu sitzen und in mir Wege zu finden, dort nicht alleine zu sitzen, sondern von meinen Verstorbenen umgeben zu sein. Und wie ich das schaffe, das dann so zu empfinden und mich vorzubereiten auf das Wiedersehen - das kann ich heute noch nicht wissen. Was ich aber auf keinen Fall kann, das ist verurteilen, wie es heute jemand macht, den es betrifft.
Hm. Ich denke das waren offene und kluge Worte zugleich. Und klicke daher auf Abschicken und grüsse Euch alle hier, und wünsche Euch weiterhin Eure "Zeichen".
LG!