Ich bin zum Beispiel ein Mantra-Kind. Ich komme aus einer Musikerfamilie und hatte 2 ältere Geschwister. Das heißt bei uns war ununterbrochen Musik. Meine Mutter hat mit mir im Bauch das Weihnachtsoratorium gesungen, das hör ich heute noch. Und ich wurde viel in Kirchen mitgenommen, um bei Proben oder Konzerten zuzuhören oder auch den Beischmückungen des Chores zu Gottesdiensten. Überhaupt sang meine Mutter mehr oder minder stets und immer, selbst wenn sie sich über den Kinderwagen beugte, dann sprach sie mich nicht an, sondern sie sang mich an - gefühlt.
Aus diesem ganzen Gedudel um mich herum wurde Gedudel in mir drin. Ich sang ununterbrochen innendrin vor mich hin, phasenweise mit Text. Lauter Musik, die ich frei erfand, ebenso die Texte. Und manchmal hing mein Geist fest an diversen Stellen dieser Lieder, so daß ich immer wieder die gleiche Stelle wiederholen mußte. Das quälte mich, zumehmend. Ich weinte deshalb manchmal, weil ich meinen Geist nicht zur Ruhe bringen und das Gedudel nicht abschalten konnte.
Ich war dann wohl so sechs, sieben, nehme ich an, als ich ein Mittel dagegen fand: das vorgestellte Wort. Ich lernte gerade in der Schule das Schreiben und stellte mir im Geist vor, wie die Schreibschrift entsteht. Ich wunderte mich über die geschlungenen Linien im Geist und das Gekrakel, das dagegen meine Hand ausgab. (Heute weiß ich, daß ich in einer Kultur, in der den Kindern Kaligraphie beigebracht wird, auch schön Schreiben hätte lernen können. Hier gibt's das so nicht, leider.) Vor allem fiel mir aber damals neu auf, daß ich Wort im Geist hatte. Nicht nur bewortete Musik, sondern auch Wort allein. Ich erkannte, daß ich dachte und antwortete meiner Mutter, die durch das Haus rief und fragte, was ich gerade machte "ich denke".
Es dauerte nicht sehr lange, vielleict 2,3 Jahre, bis ich das Denken sehr satt hatte. Hätte ich einen Meditationslehrer gehabt, mit dem ich über das Denken hätte sprechen können: Ja, dann wäre es mir sicherlich besser ergangen. So aber lag ich jeden Abend im Bett, ging zur Schule oder saß auf dem Klo und litt unter meinem Gedankenfluß. Ich half mir, indem ich Mantren sang, ohne davon zu wissen daß ich es tat. Das beruhigte meinen Geist, neben dem Musizieren und dem Sport. Aber letztlich hinbekommen habe ich es, indem ich rückwärts denken und sprechen lernte. Wenn Du vorwärts und rückwärts kannst, kannst Du auch stillstehen im Moment des Wechselns. So easy. Problem gelöst.
Ich bin mir sicher: mit entsprechender Begleitung wäre es mir deutlich besser ergangen. Ich litt wirklich phasenweise sehr in mir drin, weil da diese Welt war, die ich nicht mitteilen konnte. Ich schämte mich dafür - sicherlich unnützerweise. Wäre ich zum Beispiel als Großneffe von Geshe Brahmaputra in seinem tibetischen Klosterdingens aufgewachsen, hätte ich gewusst, was ich da erlebe. Und hätte den Geist zu gebrauchen erlernt. (Hier im Westen ist mir keine Lehre bekannt, die den Geist so intensiv betrachtet wie die fernöstlichen Lehren, daher nehme ich mal ein buddhistisches Vorbild.)