Lotusz schrieb:
Hallo Gibsy
Ich kenne mich mit Knastarbeit bestens aus. Wenn Du negative Gefühle bei so manchem Insassen empfindest, dann hat das NICHTS mit den Inhaftierten zu tun, sondern etwas mit deinem Weltbild.
Glaubst Du wirklich, dass diejenigen, die nicht inhaftiert sind, bessere Menschen sind? Ich möchte noch einmal deutlicher werden. Glaubst Du, dass Du ein besserer Mensch bist, als die, die in Haft sind?
Ich glaube, niemand sollte sich anmassen, auf irgendjemanden mit dem Finger zu zeigen oder über ihn die Nase rümpfen. Diese Menschen unterscheiden sich vom sogenannten Normalbürger kaum.
Viele sind einfach in eine dumme Situation geraten, z.B. die Trennung vom Lebenspartner, der sie nicht gewachsen waren und die sie zu Mördern hat werden lassen. Ich habe auch ein gewisses Verständnis dafür, wenn Leute den Unterschied von arm und reich, den sie als ungerecht empfinden, nicht mehr länger akzeptieren wollen. Ja, mir liegen die Rebellen und Leute wie Robin Hood.
Und nebenbei gesagt, habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht. Ich habe viele Jahre, oft und ausführlich mit vielen Haftinsassen gesprochen. Es gibt nur eine ganz kleine Anzahl von Menschen, die wirklich gefährlich sind und vor denen man die Gesellschaft schützen muss. Die gehören eigentlich in die Psychiatrie. Aber schau dir doch einmal die geschlossenen psychiatrischen Anstalten von innen an. Es ist einfach menschenverachtend.
Und man sollte sich auch darüber im Klaren sein, dass der Knast viele Insassen kaputt macht. Die vegetieren dann nach der Haftentlassung irgendwo als Alkoholiker dahin oder kommen hasserfüllt aus dem Knast und sind sehr gefähliche Zeitbomben, die jederzeit zu allem fähig sind. Und Weisse-Kragen-Kriminelle wirst Du kaum im Knast antreffen.
Ich habe Menschen kaputt gehen sehen, die waren so grossartig. Hätte man denen geholfen und sie nicht so lieblos behandelt, so wäre das eine Bereicherung für unsere Gesellschaft gewesen.
Diese Lieblosigkeit, diese Bevormundung, die gnadenlosen Kälte der Richter, die nie einen Knast von innen gesehen haben und die absolute Dummheit mancher Medien, die nichts anderes zu tun haben, als diese Menschen als Monster und Bestien hinzustellen, ist einfach unverantwortlich.
Gypsy, gehe einfach davon aus, dass die meisten Menschen, die in Haft sind, ganz genau solche Menschen sind wie Du und ich. Menschen mit Herz und Gefühl, die vielleicht unsere Hilfe, unser Verständnis brauchen und nicht unsere Verachtung. Wir haben vielleicht einfach nur das Glück gehabt, dass uns in unserem Leben solche Situationen erspart blieben, wie sie die Gefangenen erlebten.
Alles Liebe. Gerrit
Das ist nun schon wieder sehr zum Nachdenken. Nein, ich denke nicht, dass ich ein besserer Mensch bin, ich versuche nur, so zu leben, wie ich es mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Ich hoffe jedenfalls, dass ich nie im Leben in die Versuchung komme, jemand anderem etwas anzutun.
Ich möchte mal erzählen, dass ich auch sehr, sehr nette Insassen habe, mit denen ich mich bestens verstehe. Ferner habe ich mich schon in so manchem getäuscht. Kürzlich z. B. hatte ich einen Insassen bekommen, der durch seinen eigenen Leichtsinn in den Knast gekommen ist (Bewährung, ist umgezogen und hat sich nicht beim Gericht gemeldet), der Mann war völlig am Ende, hat geweint bei der Aufnahme. Raus kam, dass ihm ein Mitinsasse (10 Jahre Knasterfahrung) Angst ohne Ende gemacht hat. Ich habe mich sofort um eine Verlegung bemüht, in eine andere Zelle, aber ging aus Platzgründen nicht. Später mußte ich noch einmal in den Raum, in dem die beiden noch sassen, und siehe da, der mit 10 Jahren Hafterfahrung tröstete den anderen, der immer noch weinte. Da ging mir schon irgendwie das Herz auf.
Oft widersetze ich mich auch den Anordnungen meines Chefs, dem ohne Aktenvermerk niemals einfallen würde, etwas zu tun, wenn es z. B. um psychische Probleme bei Insassen geht. Das gab schon des öfteren kleineren Streit, was mir aber egal ist. Ich höre da auf meine Intuition, die es mir sagt, ob es richtig ist, was zu machen, was in meinem Ermessungsrahmen ist.
Am schwersten fällt mir der Umgang mit Pädophilen. Weil das einfach eine Sache ist, für die ich nicht im geringsten Verständnis aufbringen kann. Das gebe ich offen und ehrlich zu, und diese Leute behandle ich zwar höflich, aber mit dem nötigen Abstand.
Oft habe ich auch Leute, die auffallend häufig aus dem Drogengeschäft sind, die mir dann vorjammern, dass sie sich jetzt alles kaputt gemacht haben. Sorry, da bin ich dann so frei und sage *das hätten Sie sich überlegen müssen, bevor sie angefangen haben, Drogen an Minderjährige zu verscheuern*. Komischerweise ist dann Ruhe, und in den meisten Fällen sagen die Betroffenen dann *Es stimmt, was Sie sagen, Sie haben recht*. Ich sage das, ohne herablassend zu sein, ich hoffe jedenfalls, dass es nciht so rüberkommt, sondern nur einfach, weil es eine Tatsache ist.
Ich hoffe einfach, dass es mit weiterhin in meinem Job gelingt, die Balance zwischen Mitgefühl und den nötigen Abstand zu halten, die man einfach so dringend braucht.
Bereut habe ich meinen Einstieg bisher nie. Es gibt Tage, da komme ich glücklich von der Arbeit nachhause, und dann gibt es Tage, da könnte ich ausrasten *g*. Aber das macht wohl jeden Job aus...
lg
Gipsy