Geshe Rabten Rinpoche hat das sehr schön und einfach in seinem Buch
Konzentrative und analytische Meditation
erklärt:
"Was ist nun eigentlich Meditation? Man sollte nicht den Körper mit Meditation verwechseln und auch nicht körperliche Aktivitäten, und man sollte nicht die Rede, das Sprechen, als Meditation betrachten, sondern Meditation ist eine Aktivität des Geistes.
Durch physische Bemühungen und die Verwendung der Rede kann man Dinge tun, die der Meditation zuträglich sind, aber Meditation selbst ist immer eine geistige Tätigkeit.
Meditation heißt, den Geist auf ein heilsames Objekt zu richten und ihn dann in diesem heilsamen Objekt zu schulen, ihn daran zu gewöhnen.
Der Geist kann auf heilsame und unheilsame Objekte gerichter werden. Die Natur der Meditation ist, den Geist auf ein heilsames Objekt zu richten und ihn darin zu trainieren. Im Tibetischen ist schulen, einüben das Wort, das allgemein als Meditation übersetzt wird.
Wenn Sie zum Beispiel an ein erbärmliches krankes oder hungriges Tier denken oder an einen kranken, armen Menschen, dann kann in Ihnen Erbarmen mit diesem Wesen entstehen, Sie haben Mitleid mit ihm und denken: Der Arme, wenn es ihm nur besser ginge, wenn er nur frei wäre von diesem Leid.
Dieser Wunsch, daß das Wesen frei von Leid sein möge, ist Erbarmen. Wenn wir nun diesen Gedanken immer wieder denken, ihn uns angewöhnen, uns in
dieser Einstellung schulen, dann ist das Meditation.
Ein anderes Beispiel: Wenn man bezüglich irgendwelcher heiliger Dinge Hingabe empfindet - man verspürt Vertrauen oder Glauben oder Hingabe gegenüber verschiedenen Objekten -, wenn man nun gegenüber einem solchen Objekt in sich Hingabe entstehen läßt, diese Hingabe immer wieder verstärkt und in sich schult, indem man sich die Tugenden dieses Objektes zu Gemüte führt, indem man darüber nachdenkt, von welch großem Nutzen, von welcher großen, positiven Auswirkung dieses Objekt der Hingabe ist, dann wird diese Hingabe verstärkt und entwickelt. Eine solche Bemühung ist ebenfalls Meditation.
Das sind nur zwei Beispiele, die ich erwähnt habe, weil sie leicht zu verstehen sind. Man sollte jetzt nicht dem Fehler verfallen und denken, Meditation beschränke sich lediglich darauf. Wie zuvor erwähnt, gibt es unzählige Meditationen, die ein Gegenmittel gegen unzählige Fehler sind.
Was ist nun ein heilsames Objekt? Erinnern Sie sich, die Charakteristik von Meditation ist, den Geist auf ein heilsames Objekt zu richten und ihn darin zu schulen. Nun, ein heilsames Objekt muß als etwas betrachtet werden, das in bezug auf den Meditierenden heilsam ist, das hängt nicht nur vom Objekt selbst ab.
Ein Beispiel, um das deutlicher zu machen: Nehmen wir an, es sei irgendeine Person hier, der gegenüber der Übersetzer Erbarmen empfindet, und er schule und verstärke dann dieses Erbarmen weiter, während ich auf diese Person verärgert und wütend bin. Nun ist diese Person ein heilsames Objekt für den Übersetzer, weil er ihr gegenüber Erbarmen empfindet und entwickelt, während dieselbe Person für mich ein unheilsames Objekt wäre, weil ich böse und wütend auf sie bin und dadurch eine unheilsame Einstellung ihr gegenüber habe.
Ein anderes Beispiel: Wenn da draußen auf der Wiese eine Kuh steht und jemand denkt, was für ein nützliches Tier, man bekommt Milch von ihm, und was für ein armes Tier, daß es so dumm ist und in einem solchen dumpfen Zustand leben muß, und tiefes Erbarmen für die Kuh empfindet und ihr Gras und Wasser gibt, dann ist diese Kuh für diese Person ein heilsames Objekt, weil die Person der Kuh gegenüber Erbarmen empfindet und dieses in sich schult.
Für eine andere Person, die genau die gleiche Kuh sieht und sich denkt, wenn das Vieh nur bald schön fett ist, dann kommt es auf den Sonntagstisch, ist diese Kuh ein unheilsames Objekt, weil die eigene Einstellung dem Objekt gegenüber unheilsam ist.
Wie wirkt sich nun diese Meditation aus? In der Person, die gegenüber der Kuh Erbarmen empfindet, dieses Erbarmen in sich weiter fördert und steigert, wird diese Fähigkeit, die Einstellung des Erbarmens, immer stärker werden, und sie wird dann mit der Zeit gegenüber allen anderen Wesen ebenfalls Erbarmen empfinden. Und im gleichen Maß, wie das Erbarmen in dieser Person im Vordergrund steht, wird sie weniger ärgerlich, weniger wütend werden, denn Erbarmen und Ärger sind direkte Gegensätze.
Und in dem Maß, in dem in einer Person Ärger und Wut schwach sind, erfährt sie Ruhe und Ausgeglichenheit, denn Ärger ist der Geisteszustand, der dem Geist sämtliche Ruhe und jedes Glück entreißt.
Nun überlegen Sie selbst: Wenn jemand sein Leben so lebt, daß er immer wieder anderen gegenüber Erbarmen empfindet, dieses Erbarmen, wie eben erwähnt, versucht zu stärken und zu fördern, dann kann diese Person der Meinung sein, sie sei nicht religiös, sie wolle nichts von Religion oder von Dharma wissen; in Wirklichkeit übt sie Dharma aus, und sie übt sich in Meditation; da spielt die Anschauung keinerlei Rolle.
Jemand, der zum Beispiel sagt, ich will nichts von Religion wissen, ich bin kein religiöser Mensch, ich will nichts von Dharma wissen, der jedoch den anderen gegenüber immer sehr lieb eingestellt ist, den andern gegenüber Erbarmen und Mitgefühl empfindet, den andern hilft, wo immer er nur kann, der ist in Wirklichkeit auf dem Weg des Dharma, auf dem Weg von Religion, ganz gleich, ob er der Meinung ist, er sei es oder er sei es nicht.
So jemand übt wirklich ernsthaft Dharma aus, er geht den Weg des Dharma und ist lediglich bezüglich seiner Anschauung der Meinung, er sei kein religiöser Mensch, das heißt, er akzeptiert den Namen Religion oder Dharma nicht.
Im Gegensatz dazu ist jemand, der von sich behauptet, ein sehr religiöser Mensch zu sein, der aber ständig den anderen Schwierigkeiten macht, den andern Leid zufügt, den andern das Leben schwermacht, wo immer er nur kann, der jedoch, wenn man ihn fragt, bist du ein religiöser Mensch? vielleicht sagt, ich bin ein Christ oder ich bin ein Buddhist oder Hinduist oder was immer, in Wirklichkeit kein religiöser Mensch, er geht nicht den Weg des Dharma, sondern den des Gegenteils.
Wenn nun jemand ständig seinen Geist auf heilsame Objekte richtet und ihn in bezug auf diese heilsamen Objekte schult und weiter daran gewöhnt, dann meditiert er, ganz gleich, ob er dabei spazierengeht, ob er dabei arbeitet oder was er sonst noch dabei tut.
So sollte man erkennen, daß Meditation nichts Beschränktes ist, sondern sich sehr weit durch den ganzen Lebensstil zieht.
Da gibt es manche Leute, die sich immer beklagen, sie könnten nicht meditieren, sie wüßten nicht, wie man das macht. Wenn sie so sprechen, haben sie etwas anderes im Sinn. Tatsächlich ist es so: Wenn z.B. jemand, der im Schiff auf dem See fährt und dort die Schwäne und anderen Wasservögel sieht, die um Nahrung betteln, Mitleid mit diesen Tieren hat und ihnen ganz von selbst etwas Nahrung zuwirft, dann ist seine Einstellung Erbarmen, die Natur seines geistigen Zustandes ist heilsam, und dadurch ist seine geistige Aktivität Meditation. So ist die Charakteristik von Meditation, daß der Geist auf ein heilsames Objekt gerichtet ist und daran gewöhnt wird.
Was ist nun ein heilsames Objekt? Wir im Westen fragen uns sehr leicht, was man als heilsames Objekt bezeichnet und was als unheilsames. Heilsam ist eine Handlung, die frei von Verblendungen ist und die als Resultat ein Glück entweder für einen selbst oder für die anderen hervorbringt. Im Gegensatz dazu ist eine Handlung, die als Resultat Leid für einen selbst oder für andere erzeugt und die mit Verblendungen verbunden ist, unheilsam.
Bei Samen zum Beispiel unterscheiden wir gute und schlechte. Und was führt uns zu dieser Einteilung? Wenn der Same ein Unkraut, etwas Unbrauchbares oder Giftiges, etwas Unerwünschtes produziert, dann bezeichnen wir ihn als schlecht; wenn aus ihm etwas Angenehmes sprießt, z.B. eine Pflanze mit guten Früchten oder ein Kraut, das man als Medizin verwenden kann, dann bezeichnen wir ihn als guten Samen.
Damit ist kurz beschrieben, was unter heilsam und unheilsam zu verstehen ist. Was dazu führt, z.B. Erbarmen oder Zuneigung zu fördern, ist ein Mittel der Meditation.
Zusammengefaßt kann man Meditation in konzentrative und in untersuchende oder analytische Meditation unterteilen.
Im Westen versteht man heutzutage unter Meditation meistens nur konzentrative Meditation. Leute, die an Meditation interessiert sind, wissen oft nur darüber etwas und gar nichts über analytische Meditation, oder sie erkennen diese nicht als Meditation.
Es gibt auch viele, die sich nicht genau darüber im klaren sind, was konzentrative Meditation ist, die der Meinung verfallen, es seien alle Arten von Gedanken darunter zu verstehen, und die somit etwas praktisch Unbrauchbares versuchen.
In Wirklichkeit ist analytische Meditation die Art von Meditation, die für uns am nützlichsten und zugänglichsten ist, die wir auch durchführen können und die die besten Resultate bringt.
Hierher gehören die beschriebenen Beispiele. Wenn z.B. jemand Hingabe gegenüber einem besonderen Objekt empfindet und diese weiter schult, ist dies Meditation, und zwar analytische Meditation. Das gleiche trifft auf die Beispiele des Entwickelns von Erbarmen und Mitgefühl zu. Die meisten in uns auftretenden Tätigkeiten dieser Art, die man als Meditation bezeichnen kann, sind analytische Meditation. Auch alle die Methoden, die das Ziel haben, die Fähigkeit des Ertragens oder der geistigen Ruhe zu steigern, alle diese geistigen Aktivitäten in bezug auf bestimmte heilsame Objekte sind analytische Meditation. "