Prüfungen helfen nicht!
Seit den 1930er Jahren zeigen Studien, daß Prüfungen weder helfen, um irgendeine Tätigkeit zu beherrschen (wie Wurzelziehen, Bruchrechnen, Klavierspielen, im Basketball Körbe werfen oder Fuß- balltore schießen) noch sind sie hilfreich, wenn es gilt Faktenwissen langfristig zu speichern, um später auf dieses Wissen zugreifen zu können (z.B. die klassischen Lernfächer in der Schule).
Der amerikanische Arzt und Autor Dr. Mel LEVINE behandelt täglich streßkranke Kinder, die vor allem durch häufige Tests geschlaucht werden. Zwar ist die Anzahl der Prüfungen in den USA noch höher als bei uns, aber im Prinzip gelten seine Forschungsergebnisse auch für Kinder anderer Nationen, denn LEVINE stellte nämlich fest:
Dem Kind fehlt das neuronale Kostüm, das notwendig ist, um eine Prüfungs-Situation souverän meistern zu können. Das ständige Versagen ist für viele SchülerInnen neurologisch vorprogrammiert.
Aber das wissen in der Regel weder jene Menschen, die für das Wohlergehen der Kleinen sorgen sollen (Eltern, Erzieher, LehrerInnen), noch die betroffenen SchülerInnen selbst! Es leuchtet jedoch ein, wenn man folgenden Tatbestand berücksichtigt: Um eine Prüfung zu bestehen, benötigt man nicht nur Wissen (man muß also gelernt haben), sondern auch die Fertigkeit, dieses Wissen hier und jetzt schnell und „spontan“ gezielt „anzuzapfen“. Diese Fähigkeit aber muß sich erst entwickeln und ist bei Kindern noch mangelhaft ausgebildet. Wir sprechen von der physiologischen Hirn-Entwicklung. Es wäre absurd, von einem Dreijährigen ein geschliffenes Essay zu erwarten. Gleichermaßen gilt: Wir sollten von kleinen Kindern nicht fordern, was nur extrem wenige (zu Hause besonders geförderte) Kinder schaffen können.
Weil wir aber Unmögliches von Kindern erwarten, entstand der Irrglauben: Wenn die Kinder (genauer: weit mehr als zwei Drittel) sich mehr anstrengen würden, dann könnten sie es auch schaffen. Politiker, Schulverantwortliche (inkl. vieler Lehrer) gehen leider viel zu häufig davon aus, die Kinder könnten, wenn sie sich mehr Mühe geben würden. Das aber bedeutet im Klartext, daß mehr als zwei Drittel unserer Bevölkerung systematisch zu Menschen gemacht werden, die es (angeblich) schaffen könnten, wenn sie bereit wären, sich mehr anzustrengen. Aber dahinter liegt ein Denkfehler: Wir haben ein knappes Drittel zur NORM erhoben und messen alle mit einem Maß, mit dem über zwei Drittel versagen müssen. Jede Organisation außerhalb der Regierung müßte Konkurs anmelden, wenn sie jahrzehntelang von derartigen Fehleinschätzungen ausginge. Neben der Tatsache, daß unsere Härte gegenüber Kindern, die angeblich nicht „wollen“, falsch ist.
http://www.birkenbihl-uni.ch/downloads/vfb-texte-17-leseprobe_modul_03.pdf