hi christoph!
eigentlich wollte ich es einfach bewenden lassen, dann sind mir über nacht doch einige aspekte aufgefallen, die vielleicht von allgemeinerem interesse sein können als es nur deine oder meine meinung wären.
Christoph schrieb:
entweder man löst sich oder man lässt es, oder?
Oder? Jede Menge oder. Mir fällt eine Geschichte vom Paul Watzlawick aus "Anleitungen zum Unglücklichsein" ein - auch so einer aus dem "Reich des Bösen" der Konstruktivisten:
Eine dicht am Mississippi lebende ältere Dame ruft beim Sheriff an und beschwert sich über eine Gruppe Jungs, die nackt im Fluss baden. Der Sheriff fährt hin und sagt den Jungs, sie sollten ein Stück flussabwärts baden. Die alte Dame ruft neuerlich an, die Jungs würden immer noch vor ihren Augen nackt baden. Der Sheriff fährt nochmals raus und zeigt den Boys eine Gruppe von Büschen: "Geht hinter die Büsche baden, dann ist Ruhe!" --- Nicht lange, und die Lady telefoniert wieder: "Sheriff, wenn ich auf den Dachboden raufgehe, kann ich die Rowdies immer noch sehen!"
So unterschiedlich sehen Lösungen aus verschiedenen Blickwinkeln aus. Vor allem aber orientiere ich mich da sehr gern an Steve de Shazer (wie zum Beispiel auch Kibed, Sparrer e.a.) und seiner lösungsfokussierten Kurzzeittherapie, die ebenfalls zum Ärgernis der klassischen Therapeuten lt. de Shazer so entwickelt wurde, dass er "nach und nach alles weggelassen hat, was in der Therapie nicht zum Wohle des Klienten ist." Er kam dann zum Schluss, dass die "Lösungskompetenz einzig und allein beim Klienten liegt; der Therapeut hat lediglich die Interview-Kompetenz".
siehe auch
links dazu...
Im Rahmen dieser Fragetechnik stellt er dann die sog. "Wunderfrage" ... und, siehe da: nicht das Wunder ist die Lösung, sondern der Weg dorthin wird in einzelne Lösungsschritte skaliert, in zehn Abschnitte zum Beispiel. Und es geht nicht darum, in einem großen Schritt von null auf zehn zu kommen, sondern zu sehen: was brauche ich, um von drei auf vier zu kommen? Und dann auf fünf!?
Also weder gelöst noch nicht gelöst, sondern immer ein Stückchen weiter gelöst.
Bei dem was du andeutest scheint mir eher der Wunsch (des Helfers) der Vater des gedanken zu sein.
durchaus und besten gewissens. helfer in dem sinne, als ein klient sich an jemand wendet und beistand erbittet. "helfer" im fragwürdigen sinn wäre ich, wenn ich sage: ich weiß am besten, was für dich gut ist ... friss oder stirb! helfer im konstruktiven sinn bin ich, wenn ich - s.o. - dem klienten seine lösungskompetenz überlasse, ihm aber beistehe, seinen lösungsweg zu konstruieren.
Wer bin ich zu wissen, dass der Tod einer Person nicht ihre beste Lösung sei? das kann ich nicht wissen, oder? Wenn doch, dann wäre ich schlauer als die Seele, die Existenz oder das Leben.
Wer bin ich zu wissen,
dass der Tod die beste Lösung einer Person sei? Ich bin zutiefst von einem Grundaxiom überzeugt, das praktisch alle neueren Komplexitätswissenschaften teilen: In nichtlinear konstituierten, komplexen, selbstorganisierten Systemen sind exakte Prognosen nicht möglich. Und wenn ich zu sehen meine, dass eine Person in einem System einen "Zug zum Tod" aufweist, dann ist das noch lange nicht ein Hinweis darauf, dass ihr Tod die Lösung sei, oder? Haben wir es nicht oft und oft erlebt, dass durch Aufstellen, Umstellen, Einsehen, Würdigen etc. die Kraft vom Tod zum Leben gewandert ist? Wieviele Aufstellungen Hellingers wären sozusagen unkorrekt gewesen, weil sie bei einem "Zug zum Tod" interveniert und Impulse fürs Leben gegeben haben!? Müsste ich nicht jeden wegschicken, weil alles andere ein "schlauer sein als die Seele, die Existenz oder das Leben" wäre?
Grundsätzlich: wenn ich mich zwischen den Klienten und sein Schicksal oder gar seinen Tod stelle, dann verliert der Würde und Kraft. Ich tue so jemandem keinen Gefallen, wenn ich meine, es besser zu wissen, als die eigenen Eltern, sein Schicksal oder sein Leben oder auch gar sein Tod. Das ist aber eine beliebte Anmaßung unter den Helfern.
Zum Begriff des Helfers siehe oben. Im übrigen dazu ein Hellinger-Zitat: "Wie könnte ein Therapeut einem Klienten denn schaden!?" ... abgewandelt: Wie könnte ich mich zwischen den Tod und/oder das Schicksal eines Klienten stellen? Allein die Anmaßung, ich könnte das, ist doch schon enorm... und nochmals: es geht ja nicht darum, dass sich der "Helfer" heroisch dazwischenwirft. Es geht darum, dass er an die Seite des Klienten tritt und mit dem gemeinsam hinschaut, gemeinsam mit ihm Haltegriffe für eine Orientierung sucht, Standpunkte in Bewegungen wandelt und und und... das alles ist himmelweit und seelentief davon entfernt, es "besser zu wissen".
Insofern frage ich mich gelegentlich übrigens, ob da so einige sich von Bert Hellinger absetzen, um eben diese Anmaßung aufrecht erhalten zu können. Ich finde seine Haltung in solchen Fällen klarer und achtender.
Ganz bestimmt tun sie das. Aber mal wieder das manipulative "absetzen" beiseite gelassen: Es geht um andere Sichtweisen, nicht nur um Ansichten, sondern auch um Einsichten. Etwa um die Einsicht, wie verhängnisvoll apodiktische Festschreibungen im Zusammenhang mit self-fulfilling prophecies wirken können. Wo da die größere Anmaßung liegt, lass ich mal offen. Ich finde z.B. eine differenziertere Haltung systemisch angemessener. Und wer wäre wodurch Hellinger zur Treue verpflichtet? Zur Achtung ja, zur Würdigung eines großen Werkes ja, zum Dank für das Vorantreiben einer großartigen Bewegung ja ... aber wenn dann etwas wie eine Glaubenskongregation aufträte, die darüber befindet, wer sich "absetzt" und wer nicht und abqualifiziert und exkommuniziert - das würde bedeuten, Hellinger in die Geiselhaft von Fremdinteressen zu nehmen.
Dazu auch Wolfgang Döbereiner, der sich immer wie Bert Hellinger dagegen gewehrt hat, aus seinen Einsichten in die Systematik der Astrologie eine "Schule" zu machen:
"Jetzt werden Sie auch begreifen, warum ich immer alles getan habe, damit sich in der Rhythmenlehre nie etwas organisiert, denn dann wirds Form der Ausübung, dann wird es Vorgang, dann wird es Staat. Das war der Fehler vom Steiner, das heißt, der Steiner hat die anthroposophische Gesellschaft nicht ins Leben gerufen, sondern seine Frau. Die hat gemeint, das müßte ordentlich vor sich gehen. Ich glaube nicht, daß es der Steiner so wollte.« (Die belegte Gegenwart, S. 145, Eigenverlag Wolfgang Döbereiner)
Alles Liebe, Jake