@Condemn
Der von mir angesprochene Russisch-Nationalismus. Ausgehend vom Status eines Oligarchen bis Unteroligarchen die Hierarchie herunter. Ist es vielleicht mit unserem ehemaligen Landadel vergleichbar. Ein geschlossenes System in das man hineingeboren wird. Dieses in unserer Sprache korrupte System ist bei einer demokratischen Denke gefärdet. Ausgehend von der französischen Revolution hat es trotzdem 200 Jahre gedauert, bis wirklich liberale Strukturen als bewährte Denkweise miteinbezogen wurden. Insofern ist dieser russische Adel etwas sehr altes, und schwerfälliges.
Sollte sich die Entwicklung Russlands so fortsetzen, dann könnten die Oligarchen-Familien sicherlich mal eine Art Adel werden. Aktuell sind sie es aber weniger als einige westliche Dynastien die seit langer Zeit existieren, denn die russischen Oligarchen legten den Grundstein ihres Vermögens und ihrer Macht in den 90ern. Nach dem Fall der Sowjetunion und des Versuchs die Marktwirtschaft einzuführen und Staatskonzerne zu privatisieren, war Russland in einem Dilemma. Echte Marktwirtschaft hätte bedeutet, dass z.B. ein Konzern an den höchsten Bieter geht. Nun wollte Russland aber verständlicherweise vermeiden, dass westliche reiche Konzerne russische Konzerne aufkaufen. Diese Vermeidung wiederum führte in ein total intransparentes und korruptes System, in dem eher Beziehungen entscheidend waren. Reichtum war es nicht so sehr wie Zugang zu Geld, also z.B. Beziehungen zu Banken und Schulden etc. Diese Oligarchen, und der vom Westen hoch geschätzte Chodorkowski gehörte dazu, hatten dann nicht nur die Lizenz zum Gelddrucken, sie hatten auch massiven Einfluss. In jener Zeit versank Russland nahezu in der Anarchie. Das Problem existierte nicht nur ganz oben sondern überall. Eine russische Kollegin erzählte mir, dass viele Menschen Traumata aus jener Zeit haben, weil das Recht des Stärkeren Alltag war. Es sei normal, dass man in einem Dorf jemanden kennt der heute normal oder sogar vermögend lebt und in den 90ern andere ermordete und bestahl.
Putin wurde Ende der 90er von Oligarchen auf den Thron gehoben. Entscheidend war z.B. der Oligarch Beresowski, der später vor Putin nach England floh und dort starb - ob Mord oder Selbstmord ist unklar. Putin forderte von den Oligarchen sich aus der Politik herauszuhalten bzw. wahrscheinlich auch Loyalität. Sein Kampf gegen Korruption war zum Teil echt, zum Teil war es aber auch einfach nur ein Transfer von Vermögen und Einfluss zu ihm genehmen Leuten und sicherlich auch ihm selbst. Nach westlichen Maßstäben ist das natürlich immer ein kriminelles System gewesen, für Russland war das letztlich aber durchaus besser. Putin ist nicht einfach nur ein Mafia-Boss der Bosse. Es geht ihm schon auch um Russland und selbst meine Kollegin, die ihn schon vor 10 Jahren hasste, hielt ihm zugute, dass das Russland unter ihm besser ist als so ziemlich alles davor. Ihr selbst war nur auch der Unterschied zu z.B. Deutschland bewusst, das für sie fast wie das gelobte Land zu wirken schien.
Russland ist ein Land, das es schon aus der Geschichte heraus wahnsinnig schwer hat eine Art Balance zu finden. Man muss sich klar machen, dass echte Demokraten dort gar nicht bestehen konnten und wohl auch jetzt nicht könnten. Es brauchte einen "starken Mann" der die Oligarchen klein kriegt. Putins Fehler ist, dass er die Zeit nicht nutzte um Russland tatsächlich zu demokratisieren und sich und seinen Regierungsstil überflüssig zu machen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Westen hat nicht nur wenig geholfen, sondern schon in den 90ern den Grundstein für eine russische Mentalität der Abschottung gelegt. Das wiederum hat natürlich auch mit der Angst vor Russland zu tun, es war aber nie nur die Angst vor Russland als imperialistischem System. Es war auch Angst vor Russland als einflussreichem Wirtschafts-Giganten. Ein super starkes und demokratisches Russland wäre ja ein gewaltiger Machtfaktor und hätte die Machtstruktur in Europa und auch der EU schon sehr weitgehend verschoben und den Einfluss der USA zurückgedrängt.
Aber... wenn ich solche Dinge schreibe, dann flippen hier manche wieder aus weil sie glauben ich fände den Krieg gerechtfertigt, oder sei ein "Putin-Versteher" oder "Putin-nah" oder was auch immer.
