Nochmal Demenz

LoneWolf

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Wien
Es ist schlimm, ich muss mir jetzt wirklich Überforderung eingestehen.

Seit Weihnachten, wo wir Mutter fast gegen ihren Willen zur Verwandtschaft gefahren haben, haben wir kaum noch eine Nacht geschlafen. Seit dieser Ortsveränderung und Begegnung mit ihrer Tochter, die sie nicht mehr erkannt hat ist Mutter vollkommen durcheinander. Ich schaff das nicht mehr. Wie man wieder an meinen recht seltsamen bis irren Beiträgen sehen konnte, hats mir auch wieder die Sicherungen durchgeschossen. Samstag auf Sonntag bin ich davongelaufen, hab mich wieder angetrunken und um 3 Uhr früh noch mal mit Mutter telefoniert.

Sie hat mich angerufen und ich hab übers Telefon versucht, sie zu beruhigen und wieder ins Bett zu schicken. Das war schlecht, ich hätt nach Hause gehen sollen, denn als ich dann am nächsten Morgen heimkomm um zur normalen Tagesordnung zurückzukehren, ist die Mutter nicht da. Auf der Polizei hat man mir dann gesagt, sie wär ins Spital gekommen, weil sie auf der Straße herumgeirrt ist. Da wollt ich beduselt wie ich war aber nicht gleich hinfahren und dacht mir nur, da is sie zumindest für den Moment gut aufgehoben, hab die Verantwortung sozusagen delegiert, hab weitergetrunken und bin erst heute im KH gewesen.

Und jetzt schaut sie mir gar nicht gut aus, die Mutter. Traurig, weint dauernd, denkt, ich will sie nicht mit nach Hause nehmen, Bartstoppel im Gesicht, ungepflegt, weill dauernd vom Spital abhauen. So verändert hab ich sie noch nicht gesehen.

Ich könnt mich verfluchen, dass ich sie zu Weihnachten da gegen ihren Willen rausgeschleppt habe, mir scheint, da hat es einen Schalter umgelegt. Und das mir Volltrottel nichts gscheiteres einfält, als wieder in den Suff zu flüchten. Ich hab meine ganze VErantwortung für die Geschichte mit einem Schlag von mir geworfen. ob das gut war, darf ich bezweifeln.

Das wars dann mit der Blumenbrille. :-(
 
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Ich schreib das nur hier her, weil ich ja schon mal die Demenz hier angesprochen habe. Aber jetzt fällt mir auch nix mehr ein.
 
Es gibt aus meiner Sicht nichts zu beschönigen und nichts zu verurteilen - an " deinem Tag", Willi.
..und, jeder Tag ist n e u !

Gute Nacht, mit lieben Gruss.


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Dorlis
 
Huhu du!

Es ist ja nicht so, dass wir selten über das Thema reden. Aber Gedanken und Taten klaffen oft recht weit auseinander.

Dafür:
Es ist schlimm, ich muss mir jetzt wirklich Überforderung eingestehen.
...könnt ich dich knutschen :-) Weil es Zeit wird, dass du das siehst. Ich kann das vielleicht aus der Ferne besser beurteilen als du, der du dauerhaft in der Situation steckst, weil für mich ja die Informationen geballter kommen.
Ich hab dich selten so realistisch über die Situation reden gehört wie letzte Nacht. Und auch das, was du hier heute geschrieben hast, stimmt mich irgendwie hoffnungsvoll, dass du was tust. Bisher war vielleicht kein Handlungsbedarf. Aber mittlerweile schauts doch anders aus.

Es ist traurig, was du miterlebst und ich weiß, wie sich das anfühlt. Mein erstes Erlebnis im Bezug auf Demenz/Alzheimer war der Opa meiner Nachbarsfamily. Damals war ich ein Kind. Und man nannte das damals noch "Verkalkung". Ich hatte den Opi total lieb und irgendwann fing er an, alles zu vergessen. Mal mehr, mal weniger. Ich kann mich noch genau dran erinnern, wie ich das zum ersten mal registriert hab. Da hab ich ihm beim Holzschneiden in'ner Remise zugeschaut und er erzählte nur wirres Zeug. Aber ansich fand ich es ganz unterhaltsam, wie er plötzlich in anderen Zeiten sprach. Irgendwann nahm mich seine Tochter, meine Nachbarin, zur Seite und meinte: Der Opi ist nicht mehr ganz bei sich. Hmm? War für mich irgendwie unverständlich, weil er ja noch der selbe für mich war. Irgendwann kam er nicht mehr zum Holz machen und ich hab ihn jede Woche ein paar Mal besucht. Erst saß er noch im Wohnzimmer. Später lag er nur noch im Bett. Und irgendwann isser aufgestanden (obwohl keiner mehr dran geglaubt hat, dass er noch so weit marschieren kann) und ist raus auf die Straße...Damit beginnt die Zeit, wo sie heimwollen. Und das muss man akzeptieren und sie auch gehen lassen. Jeder Versuch, sie zu halten, wird mit Aggressionen "bestraft". Das ist hart. Ich hab das auch bei meinem Ex-Nachbarn hier in Hof erlebt. Sie werden wieder zum Kind und zum Schluss erheben sie sich und laufen los. Und eigentlich find ich das gar nicht mal so schlecht. Besser als an irgendeine Krankheit, die einen in den letzten Jahren, Monaten, Wochen, Tagen quält, jämmerlich einzugehen. Bei Dementen isses der Zwischenzustand, der ihnen so zu schaffen macht. Das kurze, klare Erwachen zwischen den Dämmerphasen. Meistens wird das dann mit der Mama assoziiert, die das Kind gegen seinen Willen "aufheben" will, weil man sich weder als Baby noch als Dementer klar ausdrücken kann. Die Wahrnehmung ist aufs momentane Befinden ausgerichtet. Auf sonst nix.
Eine Erfahrung, die ich mit dementen Alten noch gemacht hab: zum Schluss checken sie alles nochmal komplett. Absolut verrückt.
Vielleicht klingt das alles ein wenig hart. Isses aber nicht, weil das Ableben zum Leben gehört. Es ist nie einfach, sich dem zu stellen. Zu müssen. Doch es ist wichtig. An wieviele Dinge passt man sich an? An das, was jedem irgendwann blüht, kann man sich einfach nicht gewöhnen :-)
Willi, gib dir keine Schuld. Letztlich hat sie es vielleicht doch gut gefunden, nochmal draussen gewesen zu sein. Und auch dir sind Grenzen gesetzt, ob du das wahrhaben willst oder nicht.
Ich erinnere mich an den letzten Besuch bei meinem Opa. Um ihn haben sich alle rührend gekümmert. Seine Frau, meine Tante und noch täglich ZWEI Pfleger. Und trotzdem waren alle überfordert. Und du willst das allein schaffen? Das ist too much. Als ich meinen Opa das letzte Mal gesehen hab, saß er mit uns im Wohnzimmer in einem Kinderstuhl für Erwachsene, weil er sonst auch immer ausgebüchst ist. Vor ihm standen Kaffee und Kuchen. Er war für einen Moment ganz klar. Dann sagte meine Omi zu ihm, er solle doch den Kuchen essen. In dem Moment isser völlig ausgeflippt und hat alles weggewedelt. Wie ein kleines trotziges Kind. Dann haben die anwesenden Männer ihn ins Bett (mit Gittern) verfrachtet und ich bin dann hin und er hat mich nicht mal mehr erkannt. Das war das letzte Mal, das ich ihn gesehen hab. Er ist drei Monate später neben meiner Oma eingeschlafen. Hat aber vorher noch ihre Hand genommen und gesagt: Lisa, ich werde dich immer lieben und dich beschützen. Als meine Oma am nächsten Morgen aufgewacht ist, war er schon kalt. Das mit dem Beschützen hat er leider nicht geschafft. Aber vielleicht hat er es ohne sie nicht ausgehalten. *heul*

Du kannst nix an der Sache ändern. Du kannst nicht immer da sein. Das geht nicht. Du bist auch nur ein Mensch. Mach dir bitte keine Vorwürfe. Selbst bei denen, die ihre Partner etc. rund um die Uhr bewacht haben, sind die Leutz ausgebüchst. Da sind sie echt wie die kleinen Kinder und warten auf die beste Gelegenheit. Das ist ein klassisches Bild der Demenz, wenn sowas passiert. Du hättest auch tief schlafen können oder mal irgendwas anderes tun können...
Damit will ich dein Verhalten auch nicht gut heißen. Aber ich kann die Flucht nachvollziehen. Doch das sollte dir eigentlich sagen, dass es Zeit ist, was zu ändern. Besser wird's nicht. Und wie gesagt: du bist wirklich nicht allein.

Küsse!
 
Hallo Adam,
was sagen denn die im Krankenhaus zur Situation?
Ist ein baldiges Ableben absehbar und sie behalten sie da oder werden sie dir die nächsten Tage sagen, dass du deine Muddi abholen sollst oder dass sie als Pflegefall auf jeden Fall in ein Heim gehört, wo sie fachgerecht betreut werden kann?
Gibt es bei euch in Ö in Krankenhäusern Sozialarbeiter, die da sind für solche klärenden Gespräche und zum Helfen bei der Organisation von neuen Wegen?

Klingt jetzt emotionslos, aber ist es nicht - kennst mich ja inzwischen besser. :liebe1:

Wollte damit nur mal die Sachen auf den Punkt bringen,
damit du einen Ansatz findest für den Fortgang.

Alles Liebe,
Romaschka
 
Hallo Romi :-)

Zum Ableben: Der OA hat nichts davon gesagt, aber als ich sie gestern sah hab ich selber gedacht, dass sie nicht mehr lange da ist. Die verschwollenen augen, dauernd geweint, weil sie dachte, ich will sie nicht mehr mit nach Hause nehmen. Um sich das vorzustellen, in ganz kurzen Abständen hat sie immer wieder gefragt, warum ich sie nicht mitnehmen will, und sie könnte wegen der Untersuchungen und den Auswertungen (CT) ja morgen wieder kommen. Gestern hat sie wirklich krank ausgesehen.

Heute wieder war sie wesentlich beruhigter und am Freitag fahren wir voraussichtlich wieder nach Hause.

Fakt ist, dass ich sie nicht mehr allein lassen kann, schwierig bereits unter Tags, selbst das Einkaufen gehen wird vielleicht irgendwann ein Problem, obwohl ich da ja nur kurz weg bin. Gänzlich Fin sind meine "entspannenden" Nachtflüge - die ja nicht wirklich entspannend sind - weil sie ja gerade in der Nacht gerne aktiv wird. Besonders unruhig ist sie eben seit dem Weihnachtsausflug. Vielleicht werd ich ihr doch am Abend eine Einschlaf bzw. Durchschlafhilfe geben. Freude hab ich dabei nicht, aber im Versuch hab ich gesehen, dass WIR so zumindest durchschlafen können und der Schlaf ist mir im Moment selber recht wichtig geworden.

Ableben: zu Hause im Bett und wann immer Gott will. Ich glaub das wäre in ihrem Sinn, soweit ich sie kenne. Eine reale Hilfe wäre es natürlich, wenn ich bis dahin zu Hause bleiben könnte und der Druck vom Arbeitsamt wegfallen würde, aber daran glaub ich nicht wirklich, weil ich eben keine professionelle Pflegehilfe bin - also weiß ich nicht, ob es die Möglichkeit gibt, für so eine Art Pflegevertrag.

Ich werde jetzt mal um ERhöhung des Pflegegeldes ansuchen, weils ja mittlerweile wirklich eine 24 Stunden-Geschichte geworden ist.

Was dann ist, wenn sie mal gestorben ist, weiß ich nicht. Ich betrachte ja mein Leben als gegessen und versoffen, die Tumorgeschichte ist auch noch nicht mittels Biopsie abgeklärt, aber noch lebe oder existiere ich. Meine Neigung Probs im Alk zu ertränken ist mein persönliches Versagen, aber Nobody ist perfect. Andere suchen sich Hilfen und glauben an das ewige Leben in der Form wie bisher gehabt, wo sich alles im Kreis dreht oder machen sich gegenseitig die Köpfe voll mit Sorgen. Ich erleb es ja wenn Mutter da ist und mit ihren Bekannten in der Küche redet. Hier gehts zu 50% um Krankheit und und zu 50% um die Schlechtigkeit in den Menschen und ich spür richtig, wie sie sich gegenseitig krank reden. Sorgen und Ängste. Und mich dazu, weil ich dauernd zuhör bis mir manchmal fast der Kopf zerplatzt. Und ich glaub einfach dran, wie ich in anderen Beiträgen geschrieben hab, dass das ganze nicht zuletzt ein Generationsproblem ist. Ein Kriegs und Nachkriegsgenerationsproblem. Und ich will nicht mehr aber ich kann das nicht ändern.

Nichts will ich mehr,
als hinaus aufs weite Meer,
dahin,
wo der Leuchtturm steht.

Liebe Grüße :)
 
Ableben: zu Hause im Bett und wann immer Gott will. Ich glaub das wäre in ihrem Sinn, soweit ich sie kenne.

Das ist immer das beste und auch zu wünschen.

Eine reale Hilfe wäre es natürlich, wenn ich bis dahin zu Hause bleiben könnte und der Druck vom Arbeitsamt wegfallen würde, aber daran glaub ich nicht wirklich, weil ich eben keine professionelle Pflegehilfe bin - also weiß ich nicht, ob es die Möglichkeit gibt, für so eine Art Pflegevertrag.

Ich bin mir sicher, dass es dafür in A auch Regelungen gibt. Meine Tante war ja damals auch arbeitslos mit entsprechendem Druck vom Amt. Aber sie war dann offizell als Pflege für meinen Opa beschäftigt und hatte somit Ruhe vorm Arbeitsamt, auch wenn das in so einem Fall eher zweitrangig ist, denn schließlich geht ein Leben vor und nicht der Stress mit dem Amt.
Meiner Meinung nach - und der Meinung werden hier auch die Mitleser/schreiber sein, ist es schlichtweg zu viel von dir verlangt, 24 Stunden toujours so einen Job zu machen. Du verlangst da auch zu viel von dir. Was dann passiert, wenn die Erschöpfung überhand nimmt, haste ja gesehen...
Es geht ja nicht darum, dass du von der Arbeit her überlastet damit wärst - es ist die psychische Belastung, die bei dir zu Buche schlägt. Haste ja auch gerade geschrieben - von wegen der Gespräche in der Küche etc. Um ständig an Krankheiten und Tod zu denken, biste mit deinen 47 Jahren einfach noch zu jung.
 
Du kannst nix an der Sache ändern. Du kannst nicht immer da sein. Das geht nicht. Du bist auch nur ein Mensch.
Ich weiß, liebe Venus, dass ich es nicht ändern kann, ich seh ja den VErfall. Der OA hat gesagt, ich sollt alle 2, 3 Monate mit ihr zum Neurologen gehen. Naja, wir werden da was umorganisieren müssen.

Ich weiß, dass ich nur da sein kann, so lange ich da sein kann. :-)

Ja und wenn ich saufen geh, dann kann ich nicht da sein, weil dann bin ich fort. :-)

Und ob ich dann ein Mensch bin oder ein Krawuzikapuzi, das sei dahin gestellt. Manchmal fühlt es sich recht Krawuzig an und oft auch recht anstrengend für die Mitmenschen, hab ich gehört.

Weißt du, es fühlt sich schon arg an. Ich bin von gestern auf heute hier gelegen, wie in einer Art Zwischenzustand. Der TV Kasten is gelaufen, ich hab das Gemurmel am Rande mitbekommen, bin aber zwischendurch immer so in eigenartige Gefühle gekippt

Vertrauen und Ängste. Es war wie ein Ringkampf zwischen Urvertrauen und Urangst und das läßt sich vom Kopf allein nicht steuern, kam mir vor. Es war, als würde eine Angst den Organismus überschwemmen, das Vertrauen aus dem Körper spülen wollen und von der anderen Seite war es, als würde das Vertrauen die ganze Angst absorbieren. so ungefähr hat sich das angefühlt.

:)
 
Ja vielleicht, aber wie gesagt - Generationsbedingt - bin damit konfrontiert, seit ich denken kann und seit die Ohren Funk empfangen. Krankheit, Tod, Krieg, Luftschutzkeller und das ganze Zeuch eben. Auch das ist das Leben. Ich kann nix dafür.

Aber ich hab zwischendurch auch immer wieder mal die Sonne gesehen, so ist das ja nicht. 47? Das Leben kennt keine Uhr, die is eine Erfindung vom verschreckten Hirn. Ein Freund von mir ist mit 14 gegangen wegen Blutkrebs, mein Neffe hat sich mit 19 in einem Baum eingeparkt. Großmutter wurde 84, bevor sie an Darmkrebs verstorben ist, Großvater wurde in der Halbzeit erschossen. Das Leben kennt keine Uhr, es rinnt einfach nur rein und raus und schreibt Ahnengeschichte.

Wir werden sehen, wie das weitergeht, sag ich, recht Sehnsuchtsbefreit.

Um ständig an Krankheiten und Tod zu denken, biste mit deinen 47 Jahren einfach noch zu jung.

Aber ich denk nicht ständig an den Tod. Ich muss das nur irgendwie ..... absorbieren? Sagt man das so? Is das das rechte Wort? Aufnehmen und verarbeiten.
 
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Aber ich denk nicht ständig an den Tod. Ich muss das nur irgendwie ..... absorbieren? Sagt man das so? Is das das rechte Wort? Aufnehmen und verarbeiten.

Kommt drauf an. Reines absorbieren ist recht einseitig, da fehlt die Verarbeitung. Also brauchste um das, was du aufnimmst auch einen Stoff, um das Absorbierte zu verarbeiten. Manchmal isses wohl der Alkohol...aber der ist falsch, denn er schäumt das Absorbierte auf und führt zu unguten Gärungsprozessen...

Absorbieren: von lateinisch absorbere = aufsaugen, aufnehmen, verschlucken.

:)
 
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