Und das solltest Du vieleicht auch von seiner politischen Einstellung (distanzieren... meine Einfügung). Wir beide könne Sie nicht wirklich beurteilen, sondern uns bestenfalls unsere Meinung dazu bilden.
Ebenso wie andere Menschen auch. Nur müssen die Meinungen nicht immer konform gehen.
Ich versteh hier das eine oder andere nicht. Okay, Meinungen müssen nicht immer konform gehen. Meiner Meinung nach: Meinungen müssen überhaupt nix. Wenn Du Dir eine Meinung über etwas bildest, das Du nicht beurteilen kannst, steht Dir das selbstverständlich frei. Ich sehe den Unterschied an sich nicht, sondern meine, dass jede Meinungsbildung auch eine Beurteilung ist. Ich halte nichts von der Form von Meinungsfreiheit, dass ich mit dem Beisatz "ist ja nur meine Meinung" jeglichen Blödsinn von mir geben kann und mich gleichzeitig der Verantwortung dafür entziehe. Ich meine, dass Meinungsfreiheit auf jeden Fall umfasst, dass ich für Inhalt und Folgen meiner Meinungsäußerung ebenso verantwortlich bin wie für eine Beurteilung, was immer den Unterschied ausmachen mag.
Nun gehst Du her und forderst Reinhard in Deinem ersten Satz auf, er möge sich doch von Hellingers politischer Einstellung distanzieren. Du sagst selber, Du könntest sie nicht wirklich beurteilen ... aber auf jeden Fall gibst Du erst mal die Empfehlung ab, sich davon zu distanzieren. Und das nach zehn Seiten, auf denen Belege für die aufgestellten Behauptungen nicht erbracht wurden und Scheinargumente durch den Blick auf Originalzitate entkräftet wurden. Nichts dagegen, dass Du immer noch der Meinung bist, Du möchtest Dich lieber von einer Einstellung distanzieren, die Du nicht beurteilen kannst, zu der Du aber eine Meinung hast. Aber was um alles in der Welt bringt Dich dazu, Menschen, die prüfen, was sie lesen, die kritisch unterscheiden zwischen Meinungsmache und authentischen Äußerungen, mit Tipps zu belegen, wovon sie sich distanzieren sollten? Was berechtigt Dich zu solchen moralischen Imperativen?
Und... was heißt eigentlich "sich von jemand distanzieren"? Ich habe Reinhard so gelesen, dass er nicht "nach Hellinger" arbeitet und dafür gute Gründe hat. Ich arbeite nicht nach David Ogilvy, aber das heißt in keiner Weise, dass ich mich von David Ogilvy distanziere. Ich bin nicht Deiner Meinung, was die Beurteilung von Hellingers politischer Einstellung angeht (die er übrigens in "Der große Konflikt" sehr klar formuliert, da kann man einfach bei ihm selber nachlesen und seine Meinung auf eine solide Basis stellen) - muss ich mich deshalb gleich von Dir distanzieren? Ich beschäftige mich lieber mit Menschen, mit denen mich unterschiedliche Meinungen verbinden (!) ... nicht zuletzt, weil solche Unterschiede oft auch auf mich zurückverweisen. Ich würde mich einer Erfahrungsmöglichkeit berauben, wenn ich mich distanzierte.
Die Welt ist bunt, sie ist alles andere als schwarz/weiß. Was bringt es also, eine Schwarzweiß-Sichtweise zu kultivieren, in der ich ein Freund-Feind-Denken pflege? Es bringt die Befriedigung des "guten Gruppengewissens" ... ich gehöre zu den Guten, wenn ich mich von denen distanziere, von denen "man sich zu distanzieren hat" (nach den Regulativen meiner Gruppe). Wenn ich mir erst mal die Arbeit antue, ein wenig zu differenzieren, genauer hinzuschauen, Dingen auf den Grund zu gehen (und dabei zu wissen, dass auch das immer nur ein vorläufiger Grund ist), dann lande ich ziemlich bald zwischen allen Stühlen. Und das ist kein Ort, an dem sich viele wohlfühlen...
Auf das Risiko hin, dass ich Dir damit fürchterlich auf den Keks gehe, Galahad, und zugleich in der Hoffnung, dass Du es zumindest nicht als Unterstellung auffasst: Ich sehe in solchen Schwarz-Weiß-Mechanismen des Gruppengewissens, im Rückzug auf den "gesunden Menschenverstand", wenn sonst keine Argumente bei der Hand sind, in den Diskussionstechniken der stereotypen, blinden Wiederholung von Stehsätzen, als gäbe es keine Entwicklung in der Argumentation, in der moralischen Unterfütterung von Standpunkten, die jeden zum Bösen stempelt, der anders denkt oder empfindet, in all dem sehe ich auch Wurzelstränge faschistoiden Verhaltens. Ich unterstelle das niemand hier als bewusst betriebene Absicht, im Gegenteil, ich habe ja auch Sage gesagt, ich hielte sie/ihn (?) für eine/n engagierte Krieger/in ihrer/seiner Überzeugung. Ich vermute, dass solche Motivationen tief in uns verankert sind, dass Strategien, die mit dem Schlagwort "faschistoid" beschrieben werden können, in uns allen anzutreffen sind ... und wenn sie virulent werden, sind es praktisch immer Überzeugungstäter, die sich besten Gewissens an die Front schicken lassen. Ich achte diese kriegerische Einstellung dort, wo sie mir begegnet, und weiß, dass sie damit auch mir in mir begegnet. Und ich bemühe mich, sie wahrzunehmen und alternative Strategien zu entwickeln ... hinschauen statt wegschauen (=distanzieren), wahrnehmen statt simplifizieren, mich selbst lieber als Wanderer zwischen relativen Irrtümern begreifen statt als Ritter irgendeiner Wahrheit ... mir sind ja die strammen Antifaschisten überhaupt nicht unsympathisch, im Gegenteil. Und es tut weh zu sehen, wie groß gerade dort der Hang ist, in der Auseinandersetzung zu faschistoiden Mitteln zu greifen. Jetzt wäre auch noch einiges anzufügen, in puncto Meinungsfreiheit, was ich als g'standener 68er bei Habermas über die "repressive Toleranz" gelernt hab, aber ich will's nicht überziehen. Lassen wir's gut sein, es war eh nicht das letzte Mal.
Alles Liebe,
Jake