wahrscheinlich muss ich abnehmen damit ich gesundheitlich wieder auf die reihe komme.
Also ich laß ja Kartoffeln weg - meine Mutter schlägt darüber die Hände über dem Kopf zusammen. Ich esse keine Kartoffeln. Ich eß stattdessen anderes Gemüse. Ich ess auch kaum Brot. Ich eß stattdessen Fleisch.
Deshalb nehm ich auch an Weihnachten 3 kilo zu und fühle mich ganz fürchterlich. Weil diese gesamte Lebeweise "des Alters" für mich nicht zuträglich ist. Weder in Gedanken, noch im Umgang mit dem Gefühl. Und schon gar nicht in der Frage, wie ich meinen Geist verwende und meine Gefühle mein Leben mitbeeinflussen lasse, sie sogar zum entscheidenden Faktor in meinem Leben für mein Handeln und Tun, teilweise sogar für mein Verhalten werden lasse als Mann. Das ist ihnen alles irgendwie nicht so zugänglich, "den Alten". Sie können's nicht glauben und denken meist, ich sei irgendwie außergewöhnlich verrückt.
Wenn ich den Begriff "KZ-Mutter" mal auf "Vom Krieg und Nationalsozialismus geschädigte Mutter" erweitere, dann erhalte ich folgendes Bild: meine Mutter lebte in einer nationalsozialistischen Familie, wie ich mir gut vorstellen könnte. Den Vater beschreibt sie mal als jähzornig, die Atmosphäre so, daß sie immer still sein mußte, wenn der Vater als Schriftsetzer Nachtdienst hatte. Während der Bombardierungen erlebte sie die Verdunklung und den Gang durch die vollkommene Finsternis. Sie erlebte, daß bei wenigstens einem Bombenangriff die Mutter nicht da war und sie auf dem Gepäckträger des brüderlichen Fahrrads es nur bis unter die Brücke schaffte. Als Kind ging sie mit der Mutter zu den "reichen Familien" mit, also zu den Nationalsozialisten. Denn die Mutter war Schneiderin und nähte "privat".
Einen weiteren, wichtigen Einfluß, den meine Mutter auf mich gehabt hat liegt in ihrer Arbeit für ein japanisches Unternehmen als junge Frau. Sie machte dort eine Ausbildung zur Sekretärin, vornehm "Korrespondentin" genannt, und blieb dann dort, bis sie mit meinem Vater zu dessen Arbeitsort und in meine Geburtsstadt umzog. Sie bestätigte mir neulich, daß diese japanischen Herren, denen sie assistierte, stets freundlich waren, daß es eine sehr angenehme Atmosphäre gewesen sei, in der jeder so gelassen wurde, wie er war. Bei allem menschlichen Drum und Dran.
Darauf angesprochen, daß ich mir für mich in meiner Beziehung zu ihr in etwa so eine angenehme und "offene weil emotional geregelte" Atmosphäre wünsche wie dort im Umgang mit den Japanern, kam das Argument der Mutterrolle, die dies verunmögliche. Eben diese Muterrolle hat sie aber eben aus dem Nationalsozialismus "mitgebracht" und daher versiegt dann unser Gespräch in diesem Themenbereich, denn der Respekt gebietet mir da das Schweigen.
Arbeit macht ja auch frei. Der Satz ist ja nicht gelogen. Durch Arbeit wird man körperlich frei, wenn es körperliche Arbeit in der richtigen Dosierung ist. Aber es als Spruch zu mißbrauchen, der über KZs steht, ist schon ungeheuerlich. Es ist auch schade, denn Arbeit macht ja in der Tat in gewisser Weise frei. Zum Beispiel erhalte ich Freiheit im Denken, wenn ich geistig arbeite. Ich werde flexibler, kann auch ungewöhnliche Gedanken denken, die andere aus der Bahn werfen würden und zum Verlieren des Roten Fadens führen würden. Dies wäre für mich geistige Freiheit, daß ich keine Angst habe vor dem nächsten Wort, daß ich weiß, daß es mir gelingt und daß es als Nächstes gleich da stehen wird: hier, da, da steht es, man kann es ja lesen. Ich wußte vorher ja auch nicht, daß es da stehen würde.
Ganz anders mein Umgang mit Sprache im Haushalt meiner "KZ-Mutter". Da war jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Ich muß auf der einen Seite sagen: das war keine schlechte Übung, immer zu überlegen: wie muß ich das jetzt wirklich richtig sagen? Damit es irgendwie "Konform" ist, damit es nicht aneckt und niemanden kränkt oder beleidigt, damit es möglichst wenig über ich persönlich preis gibt und eine zweckmässige Kommunikation ist? Die Gefühle eher verbirgt? So war es ja in der Zeit des Nationalsozialismus ohne Zweifel üblich, und das war ein Hauptmerkmal dieser Zeit, daß man die Gefühle verbergen mußte.
Also verbarg meine Mutter iher Gefühle auch vor mir. Bei Deiner Mutter wird das nicht unähnlich sein. Auch mir fällt es schwer mir vorzustellen, daß meine Mutter hinter ihrer "Maske", die sie durch ihr Leben trägt und in der sie sich verhält und handelt und ihr Leben führt, auch ein Mensch ist wie ich. Mit Gefühlen wie ich, ähnlichen Zweifeln und Ängsten wie ich, im Grunde zu Hälfte sogar ganz genau wie ich weil es meine Mutter ist. Und doch ist es so.
Ich fühle mich dem nach wie vor "unterlegen", als Sohn, ich kann nach wie vor auch mit 40 Jahren nicht sagen: "ich habe meine Mutter überwunden und das, was sie mir angetan hat." Weil ich sie eben erkenne oder weil ich meine, sie zu erkennen in ihrem biographiegeschichtlichen Zusammenhang.
Letztlich ist doch der Hauptinhalt, die Aufforderung, die aus einer solchen Beschäftigung mit unseren Eltern ergeht, folgende: wo bin ich selber Nazi?
Wo hat mich meine Erziehung so beeinflusst, daß ich selber wie ein Hund auf Ungewöhnliches trainiert anfange innerlich zu bellen, wenn etwas Bestimmtes geschieht, wenn etwas Bestimmtes gesagt, wenn etwas Bestimmtes behandelt wird? Wann springt "es" in mir an, mein Erbe, das mich intolerant macht gegen Äusserungen Anderer, gegen Vorstellungen darüber wie es zu sein hat oder womit man sich rühmt, motiviert, begeistert oder auch vernachlässigt?
Letztlich sind wir alle Individuen. Indidivuum heißt "Ungeteiltes", also nicht-Entzweites. Ganzes. Die Medizin, die Psychologie, die Soziologie und auch das Recht sprechen daher von der Unversehrtheit der menschlichen Ganzheit. Wir werden geschädigt durch so allerlei: durch die Nahrungsmittel und die Luft, durch die Drogen, die uns angeboten werden und die Stoffe, die man Lebensmitteln beimengt. Wir werden geistig geschädigt, nämlich manipuliert durch die Werbung und die Berichterstattung, werden in Aufruhr und Panik versetzt bloß weil es das Fernsehen gibt und die gesamte Technik, die zu seiner Betreibung notwendig ist. Wir werden seelisch durch die Art und Weise, wie wir uns reduzieren müssen, um in Arbeitsprozesse zu passen, oft nicht gefördert und dies beginnt bereits in der Schule durch an Kinder nicht angepaßtes Lehren und Lernen.
Wir sind so gesehen also alle "Opfer" unserer Zivilisation - mit ihren Kriegen und lustigerweise auch mit ihren Wohlstandszeiten.
Ich selber setze mich damit außerhalb dieser eher theoretischen Überlegungen so auseinander, daß ich dosiere. Wenn ich nicht kann, schneide ich mir keine Zeit aus den Rippen. Und ich verbuche meine Besuche bei meiner Mutter eher weniger als Freizeit, sondern eher als Belastung. Dann weiß ich schon vorher: nur so und so oft und an diesem Wochenende nicht. Damit muß ich dann mit meinem schlechten Gewissen leben und sie mit ihrer Sehnsucht und alles ist so wie es sein soll. Denn so ist es ja seit meine Kindheit und damit werde ich dann halt auch leben bis sie tot ist. Ich denke das schuldet der Respekt so - schließlich haben wir ja eine telepathische Verbindung, wir zwei Japanerinnen. Mal sehen wie das wird, wenn sie tot ist - aber darin habe ich Übung durch meinen Vater. *schiel*
lg