Liebe Ingrid,
Unsere Gesellschaft ist meiner Meinung nach vaterlos.
Da stimme ich voll und ganz zu!
Und ich gehe noch weiter: unsere Gesellschaft ist männerverachtend und väterverachtend, wie sie fast nicht mehr sein kann.
Aber das wundert nicht, weil es eine ganze Generation von Menschen gibt, die wegen des Krieges ihre Väter nicht haben konnten. Das wurde subjektiv oft (und ungerechtfertigt) auch als Verlassenwerden und Verrat erlebt. Diese Männer vor allem, deren Väter entweder lange weg waren oder im Krieg umkamen, grollten ihnen ebenso, wie die Töchter und vor allem die Frauen. Da ist ein tiefer unverarbeiteter Schmerz, der sich durch die ganze Gemeinschaft zieht. Und aus diesem Schmerz heraus haben viele Frauen, ihren Söhnen zusätzlich den Weg zu deren Vätern verbaut.
Und dazu kam noch der Schmerz über die Opfer, der später in Verachtung gegenüber den Tätern umschlug. Verachtung ist leichter als Schmerz.
Und das hat sich in der 68er Generation dann umgekehrt. Seit dem gilt das Männliche nichts mehr und es gibt entweder Männer, die demonstrativ (unmännlich und ohne echte Kraft) den frauenverachtenden Macho machen oder als Softies bei den Frauen stehen (natürlich polarisiere ich hier). In vielen Familien sind die Männer zutiefst verunsichert.
Die väterliche Kraft ist seither oft unterbrochen. Und in vielen Familienaufstellungen sehe ich das bestätigt. Da wirkt die Hereinnahme und Achtung der verlorenen Väter (und der Täter) wahre Wunder, sag ich euch!
Vielleicht trägt das zu dem von Wirbelwind geäußerten sehr verallgemeinerten Bild und Vorwurf bei. DA sieht man diese tiefe Verachtung bei der wir Männer so gar keine Chance haben.
Ich erinnere mich an viele Jahre meiner Jugend, wo ich mich schämte, ein Mann zu sein. Ich sagte immer "nur ein Mann". In meiner Familie waren Männer immer zweite Wahl - aber das hatte noch andere Hintergründe (u.a. Folgen eines Kindbettodes vor 3 Generationen). Zum Glück kann ich jetzt beim Vater und den Männern stehen.
Ingrid, ich achte deine Bemühungen in bezug auf den Vater deiner Kinder. Dennoch - du mutest ihnen den Vater nicht voll zu. So unzulänglich wie er nun mal ist. Die Verantwortung dafür, dass die Jungs nicht bei ihm sind, gibst du ihm und meinst, wenn er sich nur veränderte, dann könnten sie zu ihm. Also ist wieder er derjenige, der sich erst verändern muss. Bei einer Scheidung hattest du aber auch die Möglichkeit, ganz auf die Obsorge zu verzichten und sie so ihm anzuvertrauen. Das scheint natürlich zunächst hart aber damit wäre er wirklich in der Pflicht gewesen und hätte sich nicht entzogen. Die Haltung dazu ist: "Ich vertraue sie dir an und weiß, du bist ihnen der beste Vater, der möglich ist." Aber das ging damals offenbar für dich nicht. Das werfe ich dir ja nicht persönlich vor.
In dem Maße, in dem du versuchst, seine aus deiner Sicht bestehenden Defizite auszugleichen und einen umso bessere Mutter zu sein, schaffst du eine Hürde, die er nicht mehr überspringen kann. Schwer zu erklären und möglicherweise nicht von dir beabsichtigt allerdings vielleicht unbewusst in Kauf genommen.
Ich erlebe die Folgen einer solchen Haltung gerade in der eigenen Familie. Ein Vater wird zutiefst von allen Frauen der Familie verachtet und das Kind wird mehr und mehr süchtig und krank. Die Mutter hat Krebs. Eine Art, die oft mit Männerverachtung zusammen hängt. Lieber stirbt sie, als anzufangen, die Männer und vor allem den Vater ihres Sohnes zu achten. Und ich steh fassungslos dabei.
Ich finde auch nicht alles klasse, was der Vater da tut aber ich mute dem Kind den Vater zu. Jedoch ich darf mich dort nicht einmischen, denke ich.
Mein Exmann hatte eine ganz schlechten Kontakt zu seinem Vater und ich glaube sein Verhalten kommt daher.
.. bestätigt mir meine Worte von weiter oben. So machen es die Jungs genau so wie ihr Vater (und vielleicht schon dessen Vater)...aus Liebe. Und du hilfst mit, die Verstrickung aufrecht zu erhalten...auch aus Liebe vermutlich. und vollkommen unbewusst.
Ich vermute, auch die Mutter deines Mannes hat ihren Mann und seinen Vater nicht geachtet. Kriegsgeneration?
Ob sie also wirklich bei ihm sicher sind, müsste ein Blick ins System zeigen. Das lässt sich hier nicht klären.
Liebe Grüße dir!
Christoph