Kameltreiber Ali beim Psychiater

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So ein Besuch beim Shrenk, ist immer ein Ereignis. Liegt es an Akhbar? Ali schüttelte den Kopf. Nein, es liegt an dieser merkwürdigen Stimmung, die einen dann überkommt. Nachdenklich stieg sie hinter Akhbar die Stufen in den zweiten Stock hinauf.

„Akhbar!“, rief sie. „Nicht so schnell! Die Zeit vergeht schon schnell genug, und du rast hier das Treppenhaus hinauf, was soll das?“ Akhbar benahm sich heute merkwürdig ohne seine Miriam, aber Ali hatte sich geschworen, nach dem letzten Fiasko beim Doktor, Miriam nicht nochmals mitzunehmen. Noch ganz auβer Atem drückte sie entschlossen auf die Klingel der Praxis.

„Oh! Sehr erfreut, Gnädigste!“, begrüβte sie der Doktor. „Kommen sie, kommen sie meine liebe Frau Ali.“ Doktor Shrenk nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und blickte sie erwartungsvoll an. Diesmal war sie fest entschlossen, ihr Vorhaben mit dem Doktor, durchzuziehen.

„Ihr Akhbar schaut prächtig aus. Ein stattliches Kamel“, begann er gut gelaunt das Gespräch.

Heftiges Gehupe unten auf der Straβe und darauf ein lauter Knall, unterbrachen des Doktors Worte. Man vernahm wütende Schreie, die Diskussion zweier Männer, die erhitzt darüber zu streiten begannen, wer an dem Autozusammenstoβ Schuld war. Das konnte lange dauern, erst die Polizei, würde dem Streit ein Ende bereiten.

„Wie fühlen sie sich, gnädige Frau?“

„Ich mache mir groβe Sorgen. Die letzte Nacht habe ich kaum ein Auge zugedrückt, wegen ihnen, Herr Doktor Shrenk.“

„Wegen mir?“ Er sah sie verblüfft an.

„Genau so ist es. Wegen ihnen, darum wollte ich sie unbedingt noch vor dem neuen Jahr aufsuchen, denn ein Psychiater, der meine Kamele sieht, muss dringend in Behandlung!“

„Heute ist ja nur Akhbar mitgekommen. Ich sehe nur ein Kamel, und ich gestehe, letztes Mal sah ich ihre Kamele nicht, aber ich hörte seltsame Geräusche aus dem oberen Stock, sie erinnern sich gewiss oder etwa nicht?“

„Hm. Verstehen sie nicht, Doktor Shrenk? Es gab keine Geräusche im oberen Stockwerk, und es gibt auch keine Kamele. Ich bin Künstlerin und habe Phantasie, im Gegensatz zu ihnen.“

„Es gab nie Kamele?“

„Oh nein, Doktor Shrenk! Sie projizieren ihre eigenen Komplexe auf mich. Hören sie auf mit ihren Komplexen. Ich kann‟s schon nicht mehr hören, sämtliche Hauptstädte aus Skandinavien!“

Kurz entschlossen nahm Ali ein Heft aus ihrer Tasche und begann sich Notizen zu machen.

„Herr Doktor, wie steht es mit ihrer Verdauung? Es ist wichtig zu erfahren, ob es sich bei ihnen um neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen, oder womöglich um Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren handelt!“

Ali war gespannt, was er darauf antworten würde und wartete. Einige Sekunden lang geschah nichts. Dann aber verfärbte sich das Gesicht des Doktors Rot, und erblasste darauf zusehends.

„Herr Doktor, es könnte auch an der Niere liegen, wenn diese nicht richtig entgiftet. Sie sollten die Farbe ihres Urins unbedingt einer strengen Beobachtung unterziehen.“

„Frau Ali! So schweigen sie augenblicklich!“

„Ist es ihnen peinlich über ihren Stuhlgang und ihren Urin zu sprechen? Verdrängen wir da nicht etwas sehr bewusst und sehr massiv?“

Worauf Ali, chronische Verstopfung in ihrem Heft eintrug, und frühkindliches, schamhaftes Verhalten. Sie blickte zufrieden auf.

„Bei Verstopfung kommt es zu Vergiftungserscheinungen, die wiederum Visionen auslösen können. Sie sollten sich einem guten Laxans anvertrauen, damit der Spuck ein Ende hat.“

Akhbar, hatte das Fenster geöffnet und bäte laut vernehmlich zur Straße raus. Irgendwas an der Diskussion der beiden Männer dort unten auf der Straβe schien ihn wütend gemacht zu haben. Akhbar wusste, welche Strafe ihn von Ali darauf erwartete. Mehr als einmal kam es durch Akhbar, bei ihr zu Hause zu Störungen mit den Nachbarn. Akhbar ist da nicht zimperlich und bät laut und mit kraftvoller Stimme, vom Balkon herunter. Worauf die Hunde in der Umgebung sich aufgefordert fühlen zu bellen. Dazu die Rufe der Nachbarn, die vergeblich versuchen, ihre Hunde zu besänftigen.

Zu spät! Unten auf der Straße begann wütendes Hundegebell, untermalt von den inzwischen noch lauter werdenden Stimmen der beiden streitenden Männer.

Der Doktor sprang auf und wollte das Fenster schlieβen. Akhbar aber versetzte dem Shrenk einen Tritt und bäte erneut aus dem Fenster.

Akhbar ist da ähnlich wie ich und duldet keine Ungerechtigkeiten, dachte Ali amüsiert. Da Akhbar Partei von dem Mann des grünen Toyotas ergriffen hatte, verteidigte er diesen.

Vielleicht lag es an dem grünen Auto? Wegen der Wüste, liebt Akhbar die Farbe Grün, aber das tat nichts mehr zur Sache. Der Lärm der Hunde und der Männer sprach für sich!

Doktor Shrenk rieb sich das Schienbein und wagte einen nochmaligen Versuch mit dem Fenster, worauf Akhbar ihn sogleich in den rechten Oberarm biss und bespuckte. Darauf bäte Akhbar erneut zur Straβe hinunter, um sich Gehör in einer für ihn so dringenden Sache zu verschaffen.

Die heiseren Stimmen der beiden streitenden Männer, wurden endlich durch die Sirene eines sich nähernden Polizeiautos abgelöst.

„Akhbar!“ zischte Ali. „Du kommst sofort her und Platz!“ Ali wurde es Angst und Bange, Polizeisirenen machen Akhbar nervös und dann passieren Dinge, die auβer Kontrolle geraten könnten. Sie stand auf und zerrte Akhbar zu ihrem Sessel. „Platz“ beruhigte sie ihn und kraulte seinen Kopf.

„Du hast ja so Recht, lieber Akhbar“, murmelte sie. „Der Fahrer vom grünen Toyota ist ganz klar im Recht. Grün hat immer Vorfahrt!“

Doktor Shrenk schloss das Fenster und hinkte zu seinem Schreibtisch zurück.

„Wann starten sie erneut in die Lybische Wüste, Frau Ali?“

„Ich dachte an Februar. Vielleicht entscheide ich mich aber für die Rub-Al Khali.“

„Rub-Al-Khali?“

„Die groβe Wüste in Saudi Arabien. Meine Kamele können es kaum erwarten, immer in unserem kleinen Wohnzimmer.“ Ali sah ihn argwöhnisch an. „Aber warum fragen sie?“

„Ich möchte sie dorthin begleiten, wenn sie nichts dagegen haben.“

„Wie bitte?“

„Warum nicht?“

„Warum nur, Doktor Shrenk, möchten sie mich in die Wüste begleiten? In ihrem Alter wäre das nur eine Strapaze.“

„Mit Fünfzig bin ich noch rüstig und dafür wie geschaffen, Gnädigste.“

Ali überlegte. „Und was wird ihre Frau dazu sagen?“

„Meine Frau ist vor zehn Jahren von mir gegangen, sie starb nach langer Krankheit. Wir lebten damals in London, wegen der schmerzhaften Erinnerungen, entschloss ich mich nach Portugal zu übersiedeln.“

„Oh, wie traurig.“ Der Doktor nickte.

„ Trotzdem Doktor: welches ist ihr wahrer Beweggrund, mich in die Wüste begleiten zu wollen?“

„Wegen der verschiedenen Komplexe, die ja dort ihren Ursprung nahmen.“

„Komplexe oder Syndrome?“

„Beides, Ali.“

„Verstehe.“

„Die Zeit ist abgelaufen“, sagte der Doktor ein wenig ungehalten und erhob sich. Dann reichte er Ali die Hand zum Abschied.

Du schreibst ausgesprochen amüsant!! :D
 
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18.

Der Fahrer startete. „Wir besuchen zuallererst das Grab des Propheten, in Al-Madina“, verkündete Mohammed, während der Fahrer den silberfarbenen Explorer sicher durch den brodelnden Verkehr von Makka in Richtung Autobahn steuerte. „Es ist mir eine Ehre, euch Dank Allahs, bei mir zu haben. Allah ist groβ. Eine wahre Hadj ist ohne den Besuch vom Grabe des Propheten keine wahre Hadj.“

Ein Handy summte. Mohammed meldete sich und lauschte. Ein Lächeln umspielte seinen Mund.

„Die tapferen Dschihadhis verteidigen unsere Al-Haram Moschee und lesen den Gläubigen die Traktate vor, währenddessen die Polizei die Moschee stürmt. Sie werden die Pilger leider als Geiseln behalten müssen, aber Allah will es so, er hat es mir in einem Traum offenbart.“ Er bedeutete dem Fahrer beim nächsten Parkplatz anzuhalten.

Als der Wagen hielt, stiegen alle aus bis auf Ali, sie lehnte dankend ab. Kaum waren die Männer entfernt genug, griff sie zum Handy das Mohammed auf der Bank liegen gelassen hatte und wählte Paschs Nummer. Sie hatte diese Nummer auswendig gelernt. „Wenn ihr mal irgendetwas braucht“, hatte Pasch gemeint und ihr den kleinen Zettel gereicht. Es läutete. Geh dran, dachte Ali aufgeregt. „Pasch“, meldete sich seine Stimme.

„Wir sind von Mohammed in der Al-Haram Moschee, entführt worden und auf dem Weg nach Al-Madina“, sprach Ali aufgeregt. „Ich kann nicht lange sprechen.“

„Ich komme nach Madina“, sagte Pasch in seinem gemütlichen, schwäbelnden Tonfall. „Wir treffen uns in der Moschee selbst. Allahu Akhbar.“

„Allahu Akhbar.“ Ali legte auf und löschte die Anzeige des Gesprächs.

Der Wagen fuhr mit weit über hundert über die Autobahn, aber die vierhundert Kilometer bis Al-Madina zogen sich dahin. Drauβen zeigte sich eine karge Halbwüstenlandschaft, unter wolkenlosem Himmel in flirrender Hitze, von der im klimatisierten Wagen dank Allah, nichts zu spüren war. Im Radio erklangen immer wieder Nachrichten über den Überfall auf die heiligste Moschee aller Moscheen in Makka. Mohammed war davon wenig beeindruckt. „Mach das mal leiser“, bat er den Fahrer und begann aus der Hadith zu rezitieren:

„Niemand im Paradies möchte wieder zurückkehren, mit Ausnahme des Märtyrers, der im Kampf für die Sache Gottes gefallen ist. Er möchte auf die Erde zurückkehren, um noch zehnmal getötet zu werden, nach all den Ehrenbezeigungen, die ihm im Paradies zuteil wurden.“

„Ist Hassan-Ibn Sabbah, euer Vorbild?“, fragte Ali Mohammed. „Es waren die Hashshashin, die Persien vor fast tausend Jahren in Angst und Schrecken versetzten.“

„Ihr meint den Alten vom Berg?“ Ali nickte.

Mohammed überlegte. „Im Gegensatz zu Hassan-Ibn Sabbah, reise ich durch die Welt, und ob es uns Menschen gefällt oder nicht, es ist eine Welt. Hassan-Ibn Sabbah hat Alamut nie verlassen. Er betete, fastete, übersetzte und verfasste viele Schriften. Aber warum fragt ihr?“

„Weil heute, genau wie damals, das Ziel der Anschläge war, die gerechte Ordnung aus der Zeit des Propheten Mohammed wieder herzustellen. Auch die Versprechen des Paradieses und genau wie damals, die Selbstmordattentäter, die für eine gerechte Sache sterben.“

„Wir haben keine hierarchische Gliederung. Dank Allah, dem Allmächtigen, haben wir viel gelernt und arbeiten als Netzwerk.“ Er lächelte ein wenig spitzbübisch. „Wir sind was unsere Methode anbelangt, moderner. Aber darüber sprach ich bereits. Wir brauchen auch keine Jünglinge betäuben und das Paradies vortäuschen, so wie damals. Wenn das überhaupt der Wahrheit entspricht. - Heute sprechen wir die Sprache aus dem heiligen Koran und überzeugen die jungen Männer. Ich bin nicht der groβe Anführer, wie Hassan-Ibn Sabbah damals in Alamut. Ich bin kein Despot. - Damals wurde Alamut von den Mongolen zerstört und aus war es. Wir aber sind, dank Allah dem Allmächtigen und Weisen, viele unabhängige Zellen und somit unbesiegbar.“

„Ich glaube nicht an einen gerechten Kampf durch Gewallt“, wagte Ali sich vorsichtig vor. „Für mich zählt eher der Dschihad des Herzens. Ein innerer Kampf der in einem selbst stattfinden soll. Ein spiritueller Kampf gegen die eigen Untugenden und Verführungen, verwerflicher Taten und vor allem der Ignoranz.“

„Ignoranz?“ Mohammed fasste sich lachend an die Stirn. „Ignoranz der Menschen, genau. Aber hat sich etwas geändert? Sind die Ungläubigen besser geworden oder weniger ignorant? Es ist zu spät, die Frist ist endgültig abgelaufen.“

„Aber warum kann man den Dschihad nicht durch das ständige Sprechen der Wahrheit auf friedlichem Wege führen?“, mischte sich nun der Shrenk auch in das Gespräch ein.

Mohammed hob die Schultern und seufzte. „"Ich bin einer der Diener Allahs und ich gehorche seinen Befehlen. Einer davon ist, für das Wort Allahs zu kämpfen.“

„Kämpfen?“, fragte der Shrenk. Mohammed nickte. „Heute gibt es im Irak mehr als 50 Millionen Waffen, 5 Millionen Tonnen Munition und viel Geld, das Saddam Hussein für den bewaffneten Kampf zurückgelassen hat. Überall wird gekämpft, im Namen Allahs, und ihr erhaltet nun diese Ehre von Allah, mit mir zu kämpfen. Allah sei gepriesen.

Ihr tapferen Dschihadhis. Ihr werdet kämpfen, an meiner Seite!“

Und das mit dem inneren Kampf, das glaube ich.......so könnte ich Worte des Koran akzeptieren.
 
.........Aufgeregt kratzte er sich hinter dem linken Ohr, denn nun wurde es erst richtig spannend: „Der destruktive Impuls wird verhüllt! Der destruktive Impuls besteht darin, dass ein Ich die Anerkennung des Anspruchs des Objekts verweigert!“
.................

Boah, das und die folgenden Gedankengänge finde ich echt kompliziert.......
Du stellst hier europäisches und arabisches Gedankengut nebeneinander, ja?
 
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