Normalität - was kann man wollen ?
nochmal zitiert aus Dieter Duhm : Aufbruch zur neuen Kultur -
es mag abgedroschen und wenig greifbar klingen, aber seine Worte halte ich für stimmiger als meine eigenen :
´ … weil der Mensch ein Mensch ist, wird er auf die Dauer nur eine solche Kultur lieben und bejahen können, die ihn in seiner bedürftigen seelischen und leiblichen Existenz akzeptiert und bestätigt. Erst dann wird er sich auch voll und ganz und ohne falschen Heiligenschein einsetzen können für Dinge, die über seine bloße Bedürftigkeit hinausgehen. Das ist ein Grundgesetz, an dessen Nichtbeachtung bislang so ziemlich jeder Humanisierungsversuch gescheitert ist.
Solche einfachen Wahrheiten, wenn sie einmal ausgesprochen sind, erzeugen in der Regel einen wahren Tumult an Fragen und Zweifeln. Auf einmal werden die wirklichen Ängste und Probleme sichtbar. Was geschieht mit den Dicken, mit den Unansehnlichen und Mißgestalteten? Wer akzeptiert die Zwangsneurotiker, die chronischen Besserwisser und Querulanten, und welche Art von Bestätigung könnte den sexuellen Perversionen zuteil werden?
Eine neue Kultur wird dann erst »stimmen« und lebensfähig sein können, wenn sie in aller existentiellen Klarheit ein Konzept vertreten kann, das auf solche und viele andere Fragen eine befriedigende Antwort gibt. Ein solches Konzept
entsteht nicht am Schreibtisch und nicht aus den Erfahrungen der bürgerlichen Gesellschaft. Es kann sich keiner alten Worte bedienen und wird auch den bestehenden Theorien keine neue hinzufügen. Es ist niemals fertig. Es ist überall dort in Entstehung, wo Menschen dabei sind, mit sich und anderen neue substanzielle Erfahrungen zu machen. Es entsteht bereits an vielen Orten der Erde, wenn auch noch sehr widersprüchlich und fragmentarisch, z.B. in Findhorn (Schottland) oder an einigen Plätzen der Sannyasin-Bewegung oder auf dem Friedrichshof* in Österreich (einem großen, aus der früheren AAO-Bewegung hervorgegangenen Therapie- und Kulturzentrum).
* Wir bitten zu beachten: Die Aussagen über alle Projekte beziehen sich auf die Zeit vor 30 Jahren (1979), als dieses Buch geschrieben wurde, und enthalten kein Urteil über deren spätere Entwicklung! (Anm.d.Verlags)
Dies alles sind - so bizarr und anstößig sie sich auch präsentieren mögen und wie wenig wir vielleicht mit ihnen übereinstimmen echte Werkstätten einer neuen menschlichen Kultur. Was in echten Geburtswehen liegt, verhält sich meistens etwas merkwürdig. Man muß diese Zentren aus eigener Erfahrung kennen, um das Eigentliche sehen zu können, um das es dort geht. Das Eigentliche: das ist auf jeden Fall eine Ebene, wo es nicht mehr um verbale Auseinandersetzungen geht, sondern um neue Erfahrungen ...
wo die beliebten Fragen der Macht und Autorität, der Individualität und Autonomie, der Demokratie und Gewaltlosigkeit, der Moral und der Sexualität zuerst einmal radikal herausgelöst werden müssen aus allen intellektuellen Gewohnheitsspielchen, um dann auf der Basis eigener Selbsterfahrung und eigener Gemeinschaftserfahrung gänzlich neu gesehen werden zu können. Die Idee für eine neue Kultur ergibt sich aus einem neuen Sehen der Dinge, und dieses neue Sehen ist immer das Ergebnis einer neuen Basiserfahrung. ´