Inzest - und wie nach der Aufstellung realer Umgang mit den Leuten..

Einverstanden, soweit es das "Täter dingfest machen" betrifft. Dass es allerdings bei Aufstellungen darum ginge, "Strukturen aufzudecken und zu heilen", dabei kann ich überhaupt nicht mit. Der Begriff des "Systems" ist sehr viel weiter gefasst und vor allem eher an Beziehungen orientiert, als es Strukturen jemals sein könnten. Matthias Varga von Kibed, einer der Väter der Systemischen Strukturaufstellungen (SySt), betont da ganz ausdrücklich die systemische Komponente und sagt, was zum Beispiel kausale Zusammenhänge betrifft, nach denen immer wieder gern gesucht wird: "Ich kann das Wort systemisch nicht wirklich definieren, aber ich kann es über den Komparativ erklären: Eine Lösung ist umso systemischer, je mehr sie auf kausale Erklärungsmodelle verzichten kann."

Nun, eine Struktur ist für mich nichts Kausales, sondern eher ein Geflecht von Beziehungen und Glaubensmustern. Ist halt manchmal schwer auszudrücken, weil unsere Sprache bisher nicht systemorientiert war. Da muss sich noch was entwickeln, vermute ich. Ich selbst behelfe mir da oft mit Bildern.

"Strukturen aufdecken" klingt mir schon sehr nach dem Suchen von von Kausalzusammenhängen... und ich hab auch mit dem Wort "Heilen" meine Probleme. In meiner Sicht geht es darum, einem Klienten Lösungswege oder zumindest Schritte zu zeigen, die Lösungswege ergeben können, wenn er die Schritte riskiert. Im Falles eines tatsächlichen Missbrauchs wäre das der Umgang mit diesem Faktum. Im Falle eines vermuteten Missbrauchs wäre das der Umgang mit einer unklaren Vermutung - und da kann das einzige der Wirklichkeit entsprechende Hinschauen nur darin liegen, eben genau das Unklare zu sehen und zu schauen, welche guten Möglichkeiten, damit zu leben, gefunden werden können. Das hat aber schon gar nichts mit Wegschauen oder Vertuschen zu tun, das wäre eher dann der Fall, wenn die reale Unklarheit durch eine scheinbar aus einer Aufstellung gewonnene Klarheit verdeckt würde, die so tut, als wäre sie die Wirklichkeit.

Ich unterscheide da zwischen einer äußeren und einer inneren Wirklichkeit. Und beim Klienten geht es immer zunächst mal um seine innere Wirklichkeit, von außen hat er ja schon oft genug gesagt bekommen, dass seine Wahrnehmung falsch ist.

Was eine Aufstellung leisten kann, ist zum Beispiel (wirklich nur zum Beispiel, denn da gibt es keine generellen Lösungen) angesichts eines unklaren Opfergefühls, mehr innere Klarheit zu gewinnen und zu sehen, dass ein selbstbestimmtes, autonomes Leben sich nicht zwangsläufig an solche Vermutungen binden muss - sich abkoppeln und befreien, das wäre meine Idee für ein mögliches "Loslassen" auch dann, wenn reale Klärung nicht möglich erscheint.

Alles Liebe,
Jake


Ja, sicher geht es darum, sich aus der Opferrolle zu befreien und abzukoppeln. Aber zunächst möchte jedes Opfer tief drinnen GESEHEN werden. Es sehnt sich danach, dass jemand kommt und sagt: Ich sehe Dich und Deine Not, ich achte und respektiere Dein Schicksal! Ich sage das aus eigener Erfahrung! Das Schlimmste, was man einem Opfer antun kann, ist, wenn man sagt, DU bist selbst schuld! Denn damit erzeugt man ein schlechtes Gewissen für das eigene Schicksal. Aus dem Schicksal kann man ja erst dann lernen, wenn man es vorbehaltlos annimmt. Verstehst Du, was ich meine?

LG

believe
 
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Aber zunächst möchte jedes Opfer tief drinnen GESEHEN werden. Es sehnt sich danach, dass jemand kommt und sagt: Ich sehe Dich und Deine Not, ich achte und respektiere Dein Schicksal! Ich sage das aus eigener Erfahrung! Das Schlimmste, was man einem Opfer antun kann, ist, wenn man sagt, DU bist selbst schuld! Denn damit erzeugt man ein schlechtes Gewissen für das eigene Schicksal. Aus dem Schicksal kann man ja erst dann lernen, wenn man es vorbehaltlos annimmt. Verstehst Du, was ich meine?
Ja... bloß: all das war hier ja nicht das Thema, und es ist (hoffentlich) wohl auch nicht angeklungen, dass hier Schuldzuweisungen gegen Opfer formuliert werden sollen!?!? Ich tu mir allerdings - und in dem Zusammenhang erst recht - mit dem Begriff "Schicksal" schwer. Und steige jetzt auch aus der Diskussion aus ... weil ich nicht sehe, wie wir hier über Phrasen hinaus angemessen mit der diffizilen Thematik umgehen könnten.

Alles Liebe,
Jake
 
Hab ich was falsch ausgedrückt? Die Heilung IST die Vergebung und die Vergebung ist die Heilung. Man kann das aber nicht willentlich beschließen, sondern man gelangt durch innere Prozesse dahin. Und die beinhalten, dass man sich der inneren Wahrheit stellt.

LG

believe

Du hast nichts "falsch" ausgedrückt - ich habe allerdings diese deine Aussage in Frage gestellt. Ich halte - in systemischer Betrachtung - weder was von heilen noch von vergeben - das paßt für mich einfach nicht.

Wenn ich die systemischen Zusammenhänge erkenne und auch wirklich anerkenne, wozu sollte ich vorab Schuldzuweisungen aussprechen müssen - um diese dann durch (wie schon Jake meinte) sich selbst erhöhende Vergebung glauben, heilen zu können.

Wenn ich anerkenne, dass ist, was ist - und die Ordnung wieder her gestellt ist - besteht - in meinem Empfinden von systemischen Thematiken - keine Notwendigkeit, weder von Schuldzuweisung noch Vergebung noch Heilung.

Solange ich mich weiterhin als Opfer fühle, dann hab ich die Situation nicht angenommen, dann hab ich Sch...e mit Schlagsahne übertüncht, damit ichs eben nicht annehmen muss, sondern weiter in meiner - zwar nicht mehr selbsterhöhten - aber auch nicht loslassenden - Opferrolle bleiben kann.

Andererseits passt dazu dann natürlich, dass, wenn ich nicht nur Opfer war - sondern diese Einstellung auch Zeit meines Lebens beibehalten möchte - ich mich natürlich größer machen muss als die Mißbrauchenden - damit ich dann eben von meinem hohen Ross runter schauen kann auf diejenigen, denen ich gönnerhaft vergeben habe.

Solange ich selbst Opfer bleiben will - natürlich völlig unbewusst - kann ich nicht loslassen - andererseits - sobald es funktioniert, dass es einfach ist wie es ist - ohne irgendwelche Tricks, die ich anwenden müsste, um so zu tun, als ob ich die Situation annehmen würde - dann bin ich auch heil, ohne etwas dafür tun zu müssen.

Wenn ich eine Situation annenhme, nehme ich sie an - Punkt.

(Meine Ansicht - ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit - nur als zusätzlicher Denkanstoss - und nur für jene, die wollen)
 
Hallo Ihr Lieben,

letztes Jahr buchte ich eine Familienaufstellung - für mich selbst.
In der AUfstellung kam heraus dass ich ein Kuckukskind bin - von meinem Onkel. Ich selbst bin mir zu 1000 prozent sicher als kleinkind von eben diesem onkel und meinem vater missbraucht worden zu sein. in der aufstellung war der vater "unschuldig" und ich konnte ihm vor lauter schamgefühl nicht in die augen sehen als ich dazugestellt wurde...

die aufstellungsleiterin meinte zum schluss als ich allen "die ehre gab" dass ich nun meinen eltern ja wieder begegnen könne.. (muss dazu sagen dass ich zu der zeit jeglichen kontakt abgebrochen hatte). naiv und harmoniesüchtig wie ich war, habe ich den kontakt wieder aufgenommen - und sie waren "die alten". mir wird nach wie vor der missbrauch ausgeredet und ich frage mich schön langsam was dass dann alles gebracht hat....

meine frage, wie gehe ich in "ECHT" mit den leuten um???????

liebe grüsse von tina

Hallo Tinamaria,

ich würde mich zuerst fragen, falls es ganz neuer Blick auf mich, meinen Erzeuger, gewesen ist, ob das auch wirklich stimmt?
 
Und Kontakt hat solange keinen Sinn meiner Ansicht an, solange dieses Ungleichgewicht in der Einsicht zwischen Euch besteht. Du bist das Opfer, die Verletzte und stehst der Übermacht der Täter gegenüber. Bei solchen Fällen ist vielleicht NLP-Therapie sinnvoller, falls Dich der Ansatz interessiert, anspricht.
 
Zum Thema "Vergeben und Verzeihen" könnte man ein ganzes Buch schreiben. Häufig trägt es dazubei, einen Teufelskreis zu verfestigen - insbesondere wenn "verziehen" wird, ohne dass darum ausdrücklich gebeten worden ist.

Das Destruktive am "Verzeihen" kann sein, dass dadurch Rollen festgeschrieben werden : es gibt einen moralisch Überlegenen (der, der verzeiht) und einen moralisch Unterlegenen (der, dem verziehen wird). Insoferne wird durch das Verzeihen eine Anschuldigung oft unauflösbar einbetoniert (zeihen heißt ja beschuldigen - und im verzeihen wird paradoxerweise die Beschuldigung festgeschrieben.)

- Hellinger hat hier einen sehr hilfreichen Lösungsvoschlag : den Ausgleich. Wenn ein Mensch einem anderen geschadet hat und ihn verletzt hat, kann er dafür einen adäquaten (!) Ausgleich anbieten.

- Eine weitere hilfreiche Verhaltensweise : zu dem stehen, was geschehen ist / getan wurde. "Ja, ich habe das getan, ich bin zu so etwas fähig." Verbunden mit : "Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass ich das nochmals tue."

Gawyrd
 
- Eine weitere hilfreiche Verhaltensweise : zu dem stehen, was geschehen ist / getan wurde. "Ja, ich habe das getan, ich bin zu so etwas fähig." Verbunden mit : "Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass ich das nochmals tue."

Persönlicher Zusatzgedanke meinerseits:

Obiges würde für mich eher zur Sicht des Täters passen.

Aus der Sicht des Opfers würde ich es so umschreiben: es ist passiert - ich kann die Situation an sich nicht mehr verändern - sondern nur meine Sicht und Einstellung zur Situation - aber ich erlaube mir trotzdem, ein erfülltes Leben zu führen.

Sobald ich mir überlege - wie ich zukünftig mit anderen Menschen umgehe - bin ich automatisch wieder in einer selbstüberhöhenden Position, welche glaubt, dass ich die Macht hätte, andere Menschen verändern zu können - und auch zu dürfen.
 
Hab ich was falsch ausgedrückt? Die Heilung IST die Vergebung und die Vergebung ist die Heilung. Man kann das aber nicht willentlich beschließen, sondern man gelangt durch innere Prozesse dahin. Und die beinhalten, dass man sich der inneren Wahrheit stellt.

LG

believe

Heilend kann auch sein, wenn man endlich den Schmerz und die Wut spüren darf... Als Kind musste man das verdrängen.
 
Obiges würde für mich eher zur Sicht des Täters passen. Aus der Sicht des Opfers würde ich es so umschreiben: es ist passiert - ich kann die Situation an sich nicht mehr verändern - sondern nur meine Sicht und Einstellung zur Situation - aber ich erlaube mir trotzdem, ein erfülltes Leben zu führen.
"Es ist passiert" - diesen Ausdruck habe ich absichtlich vermieden, was nicht leicht ist, weil er in unserem Denken derart verankert ist. Dieses böse "Es" ...
"ES" passiert gar nix - JEMAND tut etwas, JEMAND läßt etwas geschehen etc. - es sind immer Menschen, die (nicht) handeln.

Aus der Sicht des "Opfers" : "Ja - Du hast mir das angetan. Du bist fähig dazu." Und dann liegt es am "Opfer", ob es Konsequenzen einfordert, ob es die Beziehung aufrecht erhält (zB. ob es den "Täter" liebt - auch mit seinen Schattenseiten - OHNE diese auszublenden), ob es eigenverantwortlich Maßnahmen trifft, um für die Zukunft weitestgehend auszuschließen, wieder "Opfer" zu werden.

Die Konfrontation mit dem Schatten des "Täters" führt in der Regel auch dazu, dass sich "Opfer" den eigenen Schatten stellen. Dem wird durch "Vergeben und Verzeihen" gerne ausgewichen. Wir sind alle keine Engerl ...

Gawyrd
 
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PS.:

Die hohe Kunst ist es, aus dem Täter-Opfer-Beziehungsmuster auszusteigen. Sonst laufen Opfer Gefahr, zu Tätern zu werden, und dann wieder zu Opfern ... usw.

Gawyrd
 
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