liebe dieweise!
die sperrigkeit in der anrede zeigt mir schon die einzige schwierigkeit, die ich mit deinem beitrag habe - für alles andere danke ich dir sehr! als "art und weise", mit der welt zu sein, ist die weise, die du beschreibst, eine äußerst sympathische herausforderung. wenn es hingegen eine arrogierte "weisheit" wäre, durch den bestimmten artikel noch stärker ins absolute gestellt, dann schwächt sich in meinen augen die gewissheit hinter deiner einstellung. ich werde sehen, in welchen spiegel ich da geblickt habe... sonst würde ich wohl kaum darauf kritisch reagieren! und nochmals: danke für die inhaltlichen impulse!
auch dir, skandanog, danke für deine einwände, die mir helfen, für mich ein klareres verstehen der weisen zu finden.
Würdest du dein Kind vor deinen Augen vergewaltigen lassen ? Du sagtest, du bejahst alles mit kräftiger Stimme. Dann würde ich gerne sehen, wie du eine Zigarette rauchst während man dein Kind vergewaltigt. Ob du wie Buddha davor sitzt und lächelst.
du sprichst von handlungen, skandanog, und dieweise spricht von haltungen. du unterstellst polemisch die absolute kaltschnäuzigkeit gegenüber dem schatten in der welt. und die technik, mit erfundenen hypothesen zu argumentieren, bringt nichts außer einer auseinandersetzung mit erfundenen welten, einen belanglosen sturm im cyberspace.
was die vergewaltigung konkret angeht, die ja immer wieder ein beliebtes beispiel ist: es gibt ein aus naheliegenden gründen sehr verschwiegen betriebenes forschungsgebiet, das der täter-opfer-beziehungen. das ist nicht der esoterik vorbehalten (die sich auch damit befasst), sondern auch ein thema für die sozialpsychologie. ich weiß auch aus meiner systemischen arbeit, dass täter-opfer-zusammenhänge oft über generationen werden und auch gelöst werden. und die arbeit von hellinger hat gezeigt, dass auch die großen geschichtlichen (un)taten, vom genozid der nationalsozialisten an den juden bis zur unversöhnlichkeit rund um den staat israel, vom terror des stalinismus bis zum internationalen geschäft des terrors und gegenterrors unserer tage systemisch verwurzelt ist und dass sich nur eine lösung abzeichnet: frieden entsteht dort, wo die dinge genommen werden, wie sie sind. das bedeutet überhaupt keinen applaus dafür, dass sie so sind, kein drüberstehendes buddha-lächeln. damit wird lediglich das als ausgangspunkt für eine vielleicht lösende bewegung genommen, was geworden ist, und dabei wird das ganze auch die zukunft belastende gepäck an schuldzuweisung und verurteilender wertung an das vergangene zurückgegeben. und das geht nur mit einsicht in das vergangene.
zurück zur vergewaltigung: wenn es so ist, dass du zeuge oder täter oder opfer einer vergewaltigung bist, dann bist du teil dieser konkreten beziehung und wirst dich deinem anteil gemäß verhalten. dann bist du über eine längere systemische kette in diese täter-opfer-relation verstrickt, und wenn du tatsächlich der kaltschnäuzige raucher sein solltest, ist es dein teil, wie womöglich der den vergewaltiger mit dem aschenbecher erschlagende dazwischengehende für einen anderen die gemäße rolle wäre. die lösung solcher täter-opfer-relationen besteht nicht in der legitimierung von gegenaggression, sondern darin, im frieden zu leben. in dem ausmaß, in dem es gelingt, werden wir solchen situationen immer weniger begegnen - persönlich. in dem ausmaß, in dem wir uns über das, was ist, erheben und es nach eigenem gutdünken zum besseren zu zwingen versuchen, wird uns das, was ist, sehr hart engegentreten.
andere bilder: ich kann oft und oft mit dem kopf gegen eine wand rennen... oder aber meinen kopf benutzen, um diese wand als wirklichkeit zu begreifen und auf andere weise mit ihr umzugehen. sobald ich aufhöre, mir einfach den schädel einzurennen, eröffnen sich andere wege, die überhaupt nichts mit resignation und passivem einverständnis zu tun haben.
die meisten juden sind von jenen vor den nazis gerettet worden, die nicht gegen die nazis gekämpft, sondern einfach praktisch den in lebensgefahr befindlichen geholfen haben, mit ebenso großer tapferkeit wie die aktiven widerständler, denen meine hochachtung ebenso gilt. und wir wissen, dass viele gerettete juden sehr schwer damit leben konnten, dass sie gerettet wurden... mit schuldgefühlen gegenüber denen, die es nicht geschafft haben. so vielschichtig und schwierig ist das schicksal...
ich bin nicht so naiv, dass ich glaube, ohne wertungen zu leben. in jeder minute treffe ich entscheidungen, die auf wertungen basieren. schon vor dem bewusstsein (und wohl zum größeren anteil an den entscheidungen) ist es der filter meiner empfindungen, meiner gewohnheiten, meiner routinen, der strukturen ausbildet - und dann sage ich ja oder nein. jede entscheidung für etwas ist eine entscheidung gegen etwas anderes. und es sind immer wertungen im spiel. es gibt keine einzige "sachentscheidung".
verurteilungen sind etwas völlig anderes. und jedes "besser" oder "schlechter" ist schon im keim eine verurteilung. entscheiden kann ich auf der basis einer wertung im sinne von "das möchte ich jetzt" - das sagt nur über mich etwas aus und nichts über all das andere, das ich nicht möchte. damit ist auch der widerspruch behandelt, den du zu sehen meinst, skandanog: wenn ich sage, ich möchte in frieden mit der welt leben, dann sage ich nicht gleichzeitig ja und nein, sondern weder ja noch nein. und vor allem: ich lebe nicht länger in der illusion, es gäbe eine welt ohne paradoxien. die logik einer widerspruchsfreien wirklichkeit ist eine andere form von vergewaltigung...
Und noch etwas möchte ich sagen. du sagst zu allem ja. warum erst jetzt ? du bist in einem bewusstsein bei dem du die vorigen bewusstseinsstufen abgelehnt haben musst und zwar kritisch. also ging deinem ja sagen eine kritik und ein nein sagen vorraus, da du sonst jetzt auch eine karriere als serienmörder hinlegen könntest und das wäre sehr böse.
das wäre sehr, sehr unangenem für die opfer dieses mörders und für deren angehörige, es wäre schon sehr, sehr angenehm für die bild-leser und ihre wohligen schauer der entrüstung und ihre selbstgewissheit, die besseren menschen zu sein, es wäre auch für den serienmörder mit sicherheit alles andere als das pure vergnügen, es wäre schlicht ein schicksal, vor dessen wucht und tiefe wir nur stehen können und es anerkennend - als wirklichkeit anerkennend, nicht applaudierend - wahrnehmen.
warum erst jetzt? ist eine liebe frage. ich wäre auch sehr froh, wenn ich vor zwanzig jahren schon gescheiter gewesen wäre. aber wie alle warum-fragen ist auch diese dumm (die frage, nicht, du, skandanog). jede antwort, und das weiß jedes kind, gebiert eine neue frage, und alle miteinander führen sie nicht zur ur - sache.
ich ärgere mich zehn mal am tag ganz furchtbar über die unterschiedlichsten dinge, habe eine affinität zu jähzorn und/oder zynismus, und ich mache immer wieder die erfahrung: es hilft meiner selbstgerechtigkeit, wenn ich mich aufrege, meinen dampf irgendwem ins empfindsame zischen lasse, wenn ich die großen kritischen unterscheidungen treffe. kenne ich alles, nur zu gut. es hilft aber - und das wunderbar kraftvoll spürbar - meinem wohlbefinden und dem meiner umgebung, wenn es mir, gleich oder nach dem ausbruch, gelingt, das zu nehmen, was mir entgegenkommt. es ist alles auch ein spiegel von mir, und was ich im außen bekämpfe, ist letztlich aggression gegen mich selbst. wo der frieden gelingt, geht es mir gut - und dort entfaltet sich eine welle des friedens, wie die ringe im wasser, die sich um den einen stein herum bilden, der eintaucht.
alles liebe,
jake