Hi Trixi Maus,
Was Du schreibst, halte ich trotz der Ironie für richtig... Ich kenn viele Menschen die so denken, und die sich in so einem sozialen Umfeld bewegen...
Falls solche Menschen ein ''behindertes'' Kind auf die Welt bringen würden, dann würden sie es entweder Abtreiben, oder falls sie noch ein bißchen Mut haben, mit großer Widerwilligkeit auf die Welt bringen...
Aber selbst für sowelche, die nicht ganz ''rechts'' sind (so benutz ich einfach mal dieses Wort) ist heutzutage schon ein krankes, oder behindertes Kind etw. sehr ''trauriges''...
Ich spreche da aus eigener Erfahrung, dieser Fall fand in der eigenen Familie statt...
Und, das hab ich auch schonmal am Anfang des Threads geschrieben, ich selbst konnte nach 8 jahren Gymnasium auch nicht anders über Real-Schüler, oder Hauptschüler, denken, als sie die ewigen Verlierer der Gesellschaft zu betrachten...
Das ist einfach das System... jeder der da durchgeht, (durch unsere Erziehungsstetten) kommt so danach heraus... mit abwertenden Blick gegenüber die meisten seiner Mitmenschen...
Das steht in krassem Widerspruch zu einem Staat, der ''anscheinend'' für die freie Entfaltung eines Individuums einstehen möchte...
So frei wie der amerikanische Traum es vermitteln möchte, an dem wir uns Westler so oft orientieren, ist es dann doch nicht...
Leeres Gerede...
Ja, der Werteverlust wird ja allseits beklagt, egal wo er festgestellt wird. Es ist ein Wahnsinn, wo der überall stattfindet. Es ist wirklich egal, was Du anguckst, es ist mittlerweile überwiegend Mumpitz. Ob es eine politische Entscheidung ist, ein Produkt, eine Dienstleistung, eine Gruppe oder eine Familie: die Qualitätsentwicklung orientiert sich oft nicht an dem, was am besten wäre, sondern an dem, was möglich ist. Schlimmstenfalls unter dem Stern, daß "keine Alternative" besteht.
Ich glaube übrigens, daß ich in meiner Schule, einem humanistischem Gymnasium, einen anderen Blick auf die Menschen gelernt habe. Wir hatten Biologie, haben soziologisches Wissen und geschichtliches Wissen ebenso erlernen dürfen wie politisches Wissen, haben Philosophie und Religion gehabt, Musik, Mathematik, Physik und Sport --- und in den meisten dieser Fächer ging es weniger darum, etwas zu wissen, sondern Bildung zu erlangen. Diese besteht ja nicht nur daraus, über Informationen zu verfügen, sondern sie im Zusammenhang (richtig) zu verstehen.
Und daher glaube ich, daß wir damals zu einer sehr viel differenzierteren Betrachtungsweise von Wissen angeregt worden sind, auch wenn wir das vielleicht selber gar nicht so gemerkt haben.
Heute unterrichte ich selber Kurse in der Erwachsenenbildung, die aus Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten zusammengesetzt sind. Hinzu kommt, daß sich 19-Jährige ebenso wie 50-Jährige in den Kursen befinden und über 3 Jahre hinweg eine grundständige Berufsausbildung machen. Eine tolle Sache, eine echte Herausforderung, der ich mich gerne stelle.
Das Ziel dieser Berufsausbildungen ist immer die Handlungskompetenz. Man soll im Beruf handlungskompetent werden, darauf läuft es stets hinaus. Wissen wird also fallorientiert und handlungsorientiert vermittelt, praxisrelevant. Aber wir bemühen uns natürlich auch um das Verstehen menschlicher Bildungszusammenhänge.
Und da beobachte ich in ganzheitlichen Themenzusammenhängen Folgendes: der 19-jährige Gymnasiast nimmt überwiegend Wissen kognitiv auf. Wenn wir ihn z.B. mit der Lehre von der Ganzheitlichkeit des Menschen konfrontieren (Geist, Körper, Seele, Umgebung), dann nimmt er das im ersten Jahr kognitiv zur Kenntnis und sucht dann gemeinsam mit uns in Fallbeispielen und in sich selber nach diesen Komponenten. Am Ende der Ausbildung ist er dann in der Lage, den Einfluß von Geist, Körper, Seele und Umgebung auf das Leben des Menschen in eigenen Worten zu beschreiben. Dabei hat er eine kognitive Herangehensweise, die er aus dem Unterricht am Gymnasium gewohnt ist.
Der 19-jährige Hauptschüler dagegen ist vollkommen anders drauf. Für ihn würden Geist, Seele und Ganzheit im ersten Jahr oft nur Worte an der Tafel bleiben, wenn man ihn wie einen Gymnasiasten unterrichten würde. Er muß Selbsterfahrung machen und bemerken: ich habe einen Körper. Der sitzt hier in einer Umgebung (mit Gymnasiasten und findet das ebenso doof wie die...). Und dann mußt Du manchmal als Lernhelfer erst selber den Geist im Menschen identifizieren lernen, seine Seele mit ihm entdecken und ihm den Kern häufig zusprechen, den er noch vermissen läßt: sich intelligent zu finden.
Im besten Fall klappt es dann nach 3 Jahren, daß der Hauptschüler in der Lage ist, den Einfluß von Körper, Geist, Seele, Umgebung auf die menschliche Ganzheit selbstbewußt darzulegen und nicht wie der Gymnasiast damit nur Kognition zu verbinden. Sondern er äussert seine gefühlte und gelebte Wahrheit als Individuum, das in diesen Zusammenhängen steckt. Das ist dann manchmal zwar nicht immer richtig verstanden, aber doch authentisch und daher auch im ganzheitlichen Zusammenhang ebenso korrekt.
Der 50-jährige Lernende dagegen versteht von Anfang an und muß meist die kognitive Struktur zur Beschäftigung mit der Ganzheit nicht aufbauen. Er hat sie schon, durch's Leben, besonders wenn er Kinder hat. Er muß eigentlich nur sein Sprachzentrum ordnen, damit er in die Fachsprache findet.
Das soll nochmal zeigen, daß Lernen, solange es geschieht, in jedem anders stattfindet. Kognitiv veranlagte Menschen werden sich lebenslang - von der Grundschule bis in's hohe Alter - eher kognitiv beschäftigen und die Körperlichkeit eher zum Ausgleich denn zum Broterwerb nutzen. Und das tun sie nicht, weil sie dort im kognitiven Bereich leistungsfähiger sind als andere und ihnen das System daher bessere Chancen gibt, sondern weil sie ganz einfach so veranlagt sind. Unser Bildungssystem greift das lediglich auf. Schade ist, daß nicht jede kognitive Veranlagung erkannt und gefördert wird, aber das ist ein sehr komplexes, ganz anderes Thema.
Personen, die eher durch Erfahrung lernen und weniger kognitiv, die also durch Handlungen, Gruppenerleben und den Dialog an das Wissen herangeführt werden müssen, werden einen ganzheitlicheren, weniger kognitiven Lernprozeß erfahren und daher eine grundständigere Bildung mit in's Leben nehmen als ein kognitiver Mensch. Bei beiden kann aber Handlungskompetenz entstehen, denn der Eine ist halt kognitiv veranlagt und der andere eher kinaesthetisch und sozial. Ich persönlich würde immer sagen: die Mischung aus Beidem macht's. Ein Abiturient, der zuerst eine Berufsausbildung gemacht hat, dann 1,2,3 Jahre Berufserfahrung gesammelt hat, dann den Beruf studiert hat, wird mir immer lieber sein als ein nur Studierter, wenn ich Handlungskompetenz haben will.
lg