Geld kann man bekanntlich nicht genug haben. Man redet nicht darüber, man hat es - oder man besorgt es sich.
Als Networker und Admin von 5 Projekten kommt ein Job tagsüber nicht in Frage.
Nachtwächter? Hm...
Bäcker? Na...
Zeitungen austragen? Prima - frische Luft, Bewegung, und jeden Morgen eine Zeitung umsonst. Passt.
Wo findet man solche Jobs? Na klar - in der Zeitung (wo sonst...)
Gesagt, getan. Stellenanzeigen durchblättern. Bingo.
"Ziehen Sie gerne Nachts um die Häuser? Bewerben Sie sich als Zeitungsbote."
Diese Anzeige spricht an, also anrufen.
"Guten Tag, Udo Kupsch hier - Sie suchen jemand, der gerne Nachts um die Häuser zieht?"
"Ähm - ja, sorry, ich hab die Anzeige nicht gemacht, die ist schrecklich."
"Eigentlich nicht, sonst hätte ich nicht angerufen *durchs Telefon grins*"
"Naja... Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen? Früh aufstehen, Regen, Schnee, Kälte im Winter..."
"Kein Problem, ich war Dachdecker im Aussendienst, deutschlandweit auf Montage tätig."
"Ah... Verstehe... *wundert er sich, dass es Dachdecker im Aussendienst gibt?* Dann stellen Sie sich bitte nächsten Donnerstag um 15:00 Uhr bei uns im Hause vor."
"Hab ich notiert, schönen Tag noch."
Es werden Personaldaten aufgenommen, nochmal der Hinweis, dass das eigentlich ein Sch...job ist, aber die Bezahlung gut ist. 11 Euro Stundenlohn - nicht erheblich weniger als mein letzter Stundenlohn als Dachdecker.
Wir werden handelseinig, und in der nächsten Woche geht es los.
"Ja, Herr Kupsch... Da wir Sie vorerst als Springer einsetzen *andere Bezeichnung für Pausenclown, der Verfasser*, müssten Sie ab morgen da eine Tour übernehmen. Ich sende Ihnen dann mal alles per eMail..."
"Äh... Ja, alles klar...."
Die wissen schon, dass ich noch nie Zeitungen ausgetragen habe..?
Egal. Wird schon gehen.
Meinen Bezirk kenne ich, die Daten sind da, inklusive Karte mit eingezeichneter Wegführung. Wo bekomme ich die Zeitungen?
Anruf: "Ja, guten Tag, Udo Kupsch hier - ich soll ab morgen den Bezirk 19114 austragen - wo finde ich die Zeitungen?"
"An der Tankstelle, Siegburger Strasse."
"Alles klar. Wer arbeitet mich ein?"
"Tja... Da gibt es ein Problem, der reguläre Bote ist krank, und seine Vertretung hat sich auch heute krankgemeldet..."
"Hm, das ist ungünstig..."
"Schaffen Sie das?"
"Klar."
"Gut. Dann viel Erfolg."
Woher kenne ich diesen Spruch..?
Morgens, 02:30 Uhr. Wecker klingelt. Hm, ist die Nacht schon vorbei? Gut, dass die Espressomaschine noch läuft. 3 Espresso und einen starken Kaffee später bin ich bereit. Taschenlampe ist griffbereit (hab ich die geladen..?), die Liste ist eingesteckt, Wasser gegen Durst, Notfallnummer in der Hosentasche - aber kein Handy. Das verschimmelt irgendwo in einer Ecke. Welche Ecke, weiss ich nicht mehr...
Es kann nur besser werden - auf geht´s!
Pünktlich um 3:00 Uhr stehe ich an der Tankstelle vor einem riesen Haufen Zeitungen. Standardpaket, Sammelspitze, Zustellermitteilung - öhm. Wie jetzt?
Glück im Unglück, dass hier noch jemand in dem Zeitungsberg rumwühlt.
"Guten Morgen."
"Hm..?"
"Ich hab ein kleines Problem, ich bin neu, und derjenige, der mich hier einarbeiten soll, ist ausgefallen. Mein Bezirk ist 19114 - kann ich einen Hinweis haben, wie ich anfange?"
"Hm..."
"Hm."
"Also. Sammelspitzen raussuchen, gucken, was da drauf steht, entsprechend Standardpakete mitnehmen und los."
"So einfach ist das..?"
"Yupp."
"Dann Dankeschön..."
"Hm..."
Sammelspitzen. Na dann. Aus den Zahlen interpretiere ich, dass ich für jede Zeitung je ein Standardpaket brauche.
"Öhm..."
"Hm..?"
"Hier steht KR.."
"Kölner Rundschau."
"Ja. Aber hier drin ist die Bergische Landeszeitung."
"Normal, die heisst so. Ist die Bergische Ausgabe."
"Ahso... Also ist das richtig?"
"Jaja..."
"Danke."
"Hm..."
Nach 5 Minuten sind alle Zeitungen verladen (154 Stück) und ich bin auf dem Weg.
Bis zur Hälfte klappt es. Häuser suchen, ab und zu steht keine Hausnummer dran, einige Häuser scheinen nicht zu existieren, aber nach einigen hin- und hergerenne finden sich auch diese verlorenen Gebäude ein.
Ich stelle fest, dass die fest eingebauten Akkus der Taschenlampe nur noch 10 Minuten Licht hergeben.
Was steht jetzt auf der Liste...
Hausnummer 41. Gibt es nicht. 41a, 41b, 41c - aber keine 41. Seltsam. Der Zustellerhinweis möchte Auskunft geben, leider werden nur 16 Buchstaben dargestellt: "In Ztg.Rolle Hau"
Hau? Rolle hauen? In die Rolle hauen? Oder Hausnummer sowieso? Ich entscheide mich für die Nummer 41a, die sieht sympathisch aus - ausserdem ist weit und breit keine Zeitungsrolle zu sehen, die ich hauen könnte.
Mittlerweile habe ich eine erste Technik zum Zeitungen einwerfen in die Briefkästen entwickelt. Ich nenne sie "Klapp-Flapp-Klapp"-Technik.
Klapp - Kasten mit der Zeitung auf
Flapp - Zeitung in den Kasten rein
Klapp - Klappe mit den Fingern zugleiten lassen. Nicht zu laut, ist ja mitten in der Nacht...
Zeitungsrohre sind einfach, die Falttechnik kenne ich noch aus meiner Origami-Zeit.
Einige Strassen und Sackgassen weiter - Zustellerhinweis: "Briefk. ist nich".
Ist nicht? Wieso - Briefkasten ist doch da. Oder nicht zu gebrauchen? Nicht richtig? Bäh... rein damit.
Klapp - Kasten mit der Zeitung auf
Flapp - Zeitung in den Kasten rein
RADENGELSCHEPPER. Aha. Briefk. ist nicht RICHTIG BEFESTIGT und liegt jetzt auf der Erde. Im Haus geht Licht an. Die Tür geht auf.
"Guten Morgen. Ihr Briefkasten ist nicht richtig befestigt."
"Moin... Was Sie nicht sagen. Wer sind Sie?"
"Die Vertretung für die Vertretung Ihres Zeitungsboten."
"Sie... Hat Ihnen keiner gesagt, dass dieser Kasten nicht richtig befestigt werden kann?"
Leicht übermüdet und sichtlich genervt sieht mich der Hausbesitzer an.
"Öhm... Nein, ist meine erste Tour heute, hier steht zwar, der Briefkasten wäre nicht, aber was er nicht ist, steht nicht da..."
Jetzt muss er doch grinsen...
"Naja... Beim nächsten Mal legen Sie die Zeitung einfach vor die Tür..."
"Ja, mache ich. Entschuldigung für die Störung..."
"Gute Nacht!"
"Ja..."
Eieiei...
Alles in allem, nachdem die Tour vorbei und es draussen hell ist (um halb acht ist das so...) denke ich mir, dass das kein schlechter Job ist, man erlebt was und bekommt was zu lachen.
Innerhalb der nächsten 3 Tage verkürze ich die Zeit, die ich brauche, von 4 Stunden auf knapp 2 - Zeit genug, morgens noch ein paar Zeilen zu programmieren und danach gemütlich Kaffee zu trinken.
Sportliche Einlage beim Austragen:
Wie gewöhnlich parke ich mein Auto so, dass ich kurze Wege zu Fuss habe. Mit 25 Zeitungen auf dem Arm ist das besser...
Strasse rauf, linke Seite, Strasse runter, rechte Seite, linke Seite zurück zum Auto - wenn ich mich beeile, schaffe ich es, dass die ganze Hälfte der Strasse durch die Haustürbeleuchtungen angestrahlt wird.
Sieht sehr romantisch aus und ist ein Anreiz, einen Gang hochzuschalten.
Hindernissrennen mit Beobachtungsübung:
Bewegungsmelder sind eine nützliche Einrichtung, und man kann viel Spass damit haben.
Wie schaffe ich es, dass die Beleuchtung IMMER angeht, wenn ich vorbeigehe?
Wie schaffe ich es, dass sie NIE angeht? Wo ist der empfindliche Bereich - knapp vor dem Blumenbeet.
Achtung, Gehwegplatte locker, da ist ein Absatz (Zeitungen in taunassen Rosen sind nicht gut - weder für die Zeitungen, noch für die Rosen, wenn man über den Absatz stolpert...), also geschickt ausweichen. Die Beleuchtung bleibt aus. Bingo, 10 Punkte.
Wenn ich am Ende der Tour 100 Punkte erreicht habe, darf ich mich noch eine Stunde hinlegen.
Gedächtnisstraining:
Wie oft muss ich auf die Liste gucken, um zu wissen, wer welche Zeitung bekommt? Wie oft muss ich dann zurückgehen, um die falschen Zeitungen auszutauschen?
Wieviele Reklamationen stehen am nächsten Morgen in der Zustellermitteilung..? Bei Null darf ich mich noch eine Stunde auf´s Ohr hauen.
Mittlerweile lege ich mich jeden Morgen nochmal 2 Stunden hin (verdammt, ich bin gut...).
Wegoptimierung:
Wo kann ich, ohne Spuren zu hinterlassen, durch die Vorgärten zum nächsten Haus laufen, ohne die Strasse betreten zu müssen?
Feststellung: Gartenteiche sehen im Dunkeln aus wie asphaltierte Flächen...
Zweite Feststellung: Ein nasser Schuh hört sich im Dunkeln doppelt so laut an.
Dritte Feststellung: Ein nasser Schuh verursacht Blasen am entsprechenden Fuss.
Man lernt nie aus...
Begegnungen der seltsamen Art.
Wie üblich parke ich mein Auto vor dem Haus, das höchstens 3 Monate alt ist, vor dem Bauzaun auf dem Schotterplatz.
Diese Strasse geht recht fix, obwohl es steil bergauf geht. Natürlich - die ersten 5 Abonenten liegen direkt hintereinander, der Letzte ganz oben...
Als ich zurückkomme, steht ein Mann an meinem Auto und leuchtet mit einer Taschenlampe auf den Werbezettel, der an der rechten hinteren Scheibe befestigt ist. (Geld zurück statt immer nur bezahlen? Passives Einkommen? Usw...).
"Guten Morgen *freundlich lächeln - man weiss ja nie...)"
"Guten Morgen. Ich hätte da mal eine Frage..."
Pause.
"Ja..?"
"Sie parken seit einigen Tagen jeden morgen vor meinem Haus, gehen die Strasse hoch und wieder runter und fahren dann weiter. An Ihrer Scheibe klebt ein Zettel..."
Aha, ein potentieller Interessent..?
"Was MACHEN Sie hier eigentlich!?"
Ups - wohl doch kein Interessent.
"Zeitungen austragen. Irgendwie muss die morgendliche Lektüre in die Briefkästen kommen *immer noch freundlich lächeln, besser ist das...*)
Auf dem Gesicht gegenüber flammt das Licht der Erkenntniss auf.
"Ach... soooooooooo. Ja, dann hat sich das ja schon erledigt. Schönen Tag noch!"
Ich werde hier also nicht mehr parken. Vielleicht wäre das doch ein Interessent und potentieller Partner gewesen..?
Kommunikation Oldschool:
Eines morgens nach der Tour stelle ich fest, dass die falsche Zeitung übrig ist.
Ups... Wo hab ich´s denn da vergeigt? Bei 150 Abonenten ist das nicht mehr nachvollziehbar, ich werde es morgen per Zustellermitteilung erfahren, schätze ich.
Weit gefehlt.
An einem Briefkasten hängt ein Zettel: "Ich habe den KÖLNER STADTANZEIGER aboniert!"
Hm... Ok. Ich kann es nicht lassen: "Hoppla, entschuldigung - ich hoffe, Sie haben trotzdem die Informationen erhalten, die Sie sonst bekommen

" <-- mit Smiley - ob er das kennt?
Nächster Morgen. Wieder ein Zettel am Briefkasten: "Kein Problem - steht überall das Gleiche drin, im KS sind aber so nette Cartoons drin."
Auch nicht schlecht. Mein Kommentar: "Haben Sie Internet?"
Nächster Morgen: "Nein, aber mein Nachbar. Warum?"
Mein Tip:
"http://www.ulistein.de
http://www.karikatur-cartoon.de"
Nächster Morgen: "Klasse. Danke. Internet ist toll, werde Anschluss bestellen!"
Auch nicht schlecht. Morgen stecke ich dem noch einen Antrag für DSL und ISDN in die Zeitung...
Es gibt sicherlich noch mehr Begebenheiten, die ich in den 3 Wochen erlebt habe, in denen ich Zeitungen austrage.
Das Geld spielt schon fast keine Rolle mehr (investiere ich sowieso in Werbung...), aber die Erlebnisse dieser Zeit sind unbezahlbar.