Erfahrungen mit Andrew Cohen
Die Evolution der Erleuchtung
Von Thomas Steininger
Andrew Cohen gehört zu den anregendsten und provokativsten spirituellen Lehrern der Gegenwart. In engem Austausch mit anderen Avantgardisten wie Ken Wilber, Don Beck oder Peter Senge, durch Veranstaltungen in verschiedenen Zentren und nicht zuletzt in seiner Zeitschrift What is Enlightenment will er eine Spiritualität entwickeln, die über eine persönliche Wohlfühl-Esoterik hinausgeht. Im Folgenden schildert ein langjähriger Schüler und Mitarbeiter Erfahrungen mit Andrew Cohens "Evolutionärer Spiritualität".
Gibt es eine neue Spiritualität? Evolutionstheorie und traditionelle Religionen haben sich nie gut verstanden. Daran hat sich seit Charles Darwin nicht viel geändert. Doch was geschieht, wenn wir beginnen, die Evolution des Universums selbst als ein zutiefst spirituelles Ereignis zu sehen?
Genau diese Frage stellt der spirituelle Lehrer und Visionär Andrew Cohen. 14 Milliarden Jahre nach dem, was die Naturwissenschaft als "Urknall" sieht, hat sich das Universum so weit entwickelt, dass es beginnt, sich durch uns Menschen seiner selbst bewusst zu werden. Ist das nicht ein bedeutender Moment in der Geschichte des gesamten Weltalls? Doch wie bewusst sind wir uns dieses historischen Augenblickes?
Als Buddha Gautama vor 2500 Jahren seinen Weg der Befreiung lehrte, meinte er, wie alle seine Zeitgenossen, dass sich die Zeit in einem ewigen Kreislauf bewegt, in dem es keine Befreiung gibt. Um Freiheit zu erlangen, so die traditionelle Auffassung, müssen wir dieser Welt den Rücken kehren. Auch das Christentum fand die Erlösung im ewigen Leben nach dem Tod. Erst seit der Moderne beginnen wir zu erkennen, dass die Geschichte des Universums vielleicht unsere eigene Geschichte sein könnte: 14 Milliarden Jahre der Entwicklung von Energie zu Materie, zu Leben und zu Bewusstsein. Vielleicht ist die Erleuchtung gerade der Quantensprung, in dem das Universum sich durch uns seiner selbst und seines Ursprungs bewusst wird? Vielleicht hat Erleuchtung mehr mit dieser Welt zu tun, als wir dachten?
Ich wurde auf Andrew Cohen vor über zehn Jahren durch ein Interview aufmerksam, in dem er davon sprach, dass Erleuchtung sich im Alltag ausdrücken müsse und dass Erleuchtung etwas mit Ethik zu tun hat.
Das irritierte mich und zog mich gleichzeitig magisch an. Ich war damals ein Schüler von Gangaji, einer zu dieser Zeit noch unbekannten Advaita-Lehrerin. Erleuchtung war für mich vor allem ein erstrebenswerter Zustand, die Erfahrung seliger Freiheit. Ich hatte nichts gegen Ethik. Das war aber auch das Beste, was ich über Ethik sagen konnte. Und doch zog mich etwas ungemein an diesem fordernden und irritierenden Stil an, den ich bei Andrew Cohen erfuhr. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass all mein Bemühen um "meine Erleuchtung" mich, so tief meine Erfahrungen auch sein mochten, in eine Sackgasse gebracht hatte. Irgendwie ging es um mehr.
Andrew Cohen sprach damals noch nicht von "Evolutionärer Erleuchtung", aber er sprach über das Ego in einem ganz anderen Ton, als ich es gewohnt war:
Was ist der Wert einer kosmischen Erfahrung, wenn mein Miteinander mit anderen weiterhin von Selbstbezogenheit und Arroganz geprägt ist?
Andrew, der damals schon den Ruf eines konfrontativen Lehrers hatte, rüttelte mich auf mit seiner Forderung, die spirituelle Erfahrung mit der handfesten Frage zu verbinden: "Wie soll ich dieses, mein Leben, leben?" So hatte ich die Frage nie gestellt. Ich hatte immer gedacht, die höhere Erfahrung allein würde alles irgendwie auf zauberhafte Weise ändern. Andrew spielte den Ball an mich zurück. Die Verantwortung lag bei mir. Plötzlich ging es nicht mehr um meine Gefühlswelten, sondern um unser Miteinander auf dieser Welt.
Als ich zum ersten Mal Andrews' Gemeinschaft in den USA besuchte, beeindruckte mich eine Atmosphäre, die ich mit einem sehr verstaubten Wort beschreiben muss: Würde. In unseren postmodernen Zeiten, in denen wir unsere jeweiligen Marotten oft als Ausdruck unserer individuellen Freiheit erleben, klingt der Begriff "Würde" seltsam antiquiert. Doch was mich an den Menschen rund um Andrew beeindruckte und was ich mit "Würde" beschreiben will, ist eine gemeinsame Bemühung um eine tiefere Menschlichkeit, die ich im krassen Gegensatz zum oft verbreiteten Zynismus unserer Generation empfand.
Infragestellung des Ego
Ich hatte nur nicht bedacht, dass diese Atmosphäre sehr bald auch meine eigenen Eigenarten dem Tageslicht preisgeben würde. Als ich zum zweiten Mal für einige Monate nach Kalifornien ging, um ein Schüler Andrews zu werden, lebte ich mit einigen Freunden in einem kleinen Haus nördlich von San Francisco. Wir meditierten zusammen, lebten zusammen, arbeiteten in diversen Jobs und verbrachten viel Zeit in Andrews Zentrum. Unser Leben war ein einziges Seminar zum Thema: Was ist der Sinn der spirituellen Erfahrung? Worum geht es eigentlich in einem modernen spirituellen Leben?
Darüber diskutierten wir an ewig langen Abenden, und zwischen uns entwickelte sich eine Intimität, die für mich völlig neu und faszinierend war. Aber ich merkte auch, wie meine sicheren Bastionen, meine bisherige Identität als Journalist und Therapeut langsam aufhörten, mich in gewohnter Weise vor einem Mysterium zu schützen, das immer wieder zwischen uns aufbrach. Es begann mir sogar Angst zu machen. Die Nähe und Offenheit förderte Seiten von mir zu Tage, die ich eigentlich lieber unter den Teppich gekehrt hätte. Meine intellektuelle Arroganz, aber auch die menschliche Kälte, zu der ich in der Lage bin, wenn mir die Dinge gegen den Strich gehen, zeigten sich in diesem Umfeld in einer Weise, die mich erschrecken ließ. All die tiefe Menschlichkeit, die zwischen uns entstanden war - als es wirklich darauf ankam, war das alles weit, weit weg. Ich verkroch mich hinter meinem Laptop und arbeitete doppelt so viel. Dieses Leben verlangte eine Verwundbarkeit und Integrität, die ich nicht bereit war zu geben. Ich begann, zu verstehen, dass Andrew von Menschen, die bei ihm lernen wollten, wirkliche Veränderung verlangt. Er akzeptierte einfach nicht, dass man bei ihm lernte und dabei der gleiche Mensch blieb, der man bisher war.
Eines Tages sagte mir Andrew, ich sollte auf absehbare Zeit aufhören, anderen in unserer Gruppe Ratschläge zu erteilen. Ich platzte fast innerlich. Warum gerade ich? Hielt ich doch sehr viel auf meine Einfühlsamkeit und meinen klaren Blick. Immerhin hatte ich als Therapeut gearbeitet. Wie konnte Andrew das übersehen? Der Entzug von dieser lieb gewordenen Gewohnheit brachte mich innerlich in Aufruhr. Erst nach Wochen gestand ich mir ein, wie sehr ich diese Rolle für mich selbst brauchte, wie sehr ich sie eigentlich immer für mich selbst ausgenutzt hatte. Und wie viel wichtiger diese Selbstbestätigung für mich war als wirkliche menschliche Begegnung.
In unserer postmodernen Zeit sprechen wir nicht gerne vom Ego im Sinne von Narzissmus. Wir wollen das Ego integrieren, uns mit ihm versöhnen. Aber sollen wir uns wirklich mit unserem Narzissmus versöhnen? Dass Andrew auf der Notwendigkeit einer neuen Ethik bestand, darauf, dass wir in einer neuen Menschlichkeit jenseits des Egos zusammenfinden, provozierte nicht nur meine eigenen Emotionen. Es scheint, dass er damit einen wunden Punkt unserer ganzen Generation getroffen hat. Seit dem Aufbruch der 60er Jahre aus dem Muff der traditionellen Gesellschaft wurde der Individualismus zu einem derart starken Ideal erhoben, wie es die gesamte Menschheitsgeschichte wohl noch nicht gesehen hat. Noch nie war das Ich so heilig. Dass die Kehrseite dieses Kults unser Narzissmus ist, lassen wir uns nicht gerne sagen. Im Gegenteil, wir erfanden sogar neue Varianten der Spiritualität, welche diesem Kult den Segen von etwas Göttlichen verleihen sollten.
Eine ganze Reihe spiritueller Lehrer wie H.W.L. Poonja und Ramesh S. Balsekar bekam damals weltweiten Zulauf mit einer Philosophie, die davon sprach, dass Verantwortung und Ethik eine Art Verblendung sind, die nichts mit spiritueller Freiheit zu tun haben. "Es gibt keinen Handelnden, daher kann ich auch für nichts verantwortlich sein", so etwa lautete ihre Lehre. Andrews Betonung der ethischen Dimension wurde von einigen dieser Lehrer scharf kritisiert.
Aber dieser Konflikt war für ihn auch die Grundlage neuer Freundschaften, wie etwa der mit Ken Wilber. Wilber war unabhängig zu der gleichen Zeitdiagnose gelangt: dass unsere Grund-Krankheit der Narzissmus ist und dass wir uns mit dieser Krankheit, die er "Boomeritis" nennt, konfrontieren müssen, wenn wir die Tür für neue evolutionäre Entwicklungen aufstoßen wollen. Es ist dieser Kontext, in dem Ken Wilber Andrews provokativen Stil zu schätzen gelernt hat:
"Ich habe oft gehört, dass Lehrer der Kategorie Nette Kerle' sagen, dass Andrew grob ist und ich denke mir dann dabei: Du weißt nicht einmal die Hälfte.' Ich habe oft gehört, dass Leute sagen, Andrew ist schwierig, verletzend, kantig, und ich denke: Gott sei Dank.'
Wenn es die groben Burschen' der Gottes-Erfahrung nicht gäbe, wäre der GEIST ein seltener Gast in diesem merkwürdigen Land", so Ken Wilber.
Wir haben die ethischen, philosophischen und spirituellen Prinzipien unserer Vorväter weggeworfen, weil wir frei sein und den Dingen selbst auf den Grund gehen wollten. Doch nun befinden wir uns in einer Situation, in der unsere persönlichen Wünsche und Ängste die einzig verbliebenen Prinzipien sind. Als Ergebnis dessen sind wir Angehörige der westlichen Zivilisation die reichste und von Glück begünstigste Generation der Menschheitsgeschichte, doch die meisten von uns fühlen sich dennoch oft als Opfer des Lebens. Viele empfinden die menschliche Existenz als große Last.
Die Evolutionäre Perspektive hat das Potenzial, uns von dieser existentiellen Last zu befreien. Wenn man sich wirklich darauf einlässt, dass 14 Milliarden Jahre in unsere Entwicklung hineingeflossen sind, wenn man allmählich zu dem Zusammenhang erwacht, dass wir in einer langen Kette der Entwicklung stehen, die irgendwann einmal mit Licht und Energie begonnen hat und sich dann über die Materie und das Leben zu den verschiedenen Bewusstseinsformen des Tierreichs bis zum menschlichen, selbstreflektiven Bewusstsein entwickelt hat, dann beginnen wir unsere persönlichen Dramen in ganz anderen Proportionen zu sehen.
Yeahhhhhh
das ist die zehntel Sekunde
die wir im Vergleich gerade mal hier sind
in der wir aber so unendlich viel zu
bewegen vermögen... wenn wir es wollen
Fortsetzung folgt
aus Info 3
http://www.info3.de/ycms/printartikel_1497.shtml
Karuna die ihr Hunderl
doch auch so liebt
