Lieber Condemn,
Hi Energeia!
Ja, man kann fast sagen, wir haben sowohl einen ähnlichen Ansatz wie auch gewisse Unterschiede. Und bestimmt gibt es viele Herangehensweisen, aber eines muss immer erfüllt sein: Bewusst-zu-sein... Ich halte das wirklich für die einzige objektive Bedingung. Kenne außer dieser keine, die ich sonst nicht unter Überzeugungen/Glauben einordnen würde. Aber ohne bewusst zu sein ist wohl gar nichts möglich. Gleichzeitig würde alleine schon, sich dazu anzuhalten im Alltag möglichst immer bewusst zu sein, zumindest eben so gut wie man es kann, ohne dass man irgendwas bewusst tut, also auf Gedanken achtet oder so und Identifikationen bewusst löst, nach einiger Zeit positive Wirkung zeigen. Wenn das jemand das sehr konsequent durchziehen würde, würde es mich nicht mal wundern, falls es der schnellste Weg wäre. Ich denke manchmal, dass der Anspruch und das Streben selbst ein Problem darstellt, dass eher Zeit kostet als sie einspart.
Was den Schmerz angeht, der bei Meditation aus der Tiefe zu kommen scheint... Ich glaube ehrlich gesagt nicht an ein Unterbewusstsein und auch nicht an so etwas wie einen "individuellen Speicher", der alle Erinnerungen aufgezeichnet hat z.B. Nicht mal die Vergangenheit hat diesen objektiven Charakter. Andererseits kann man das Wahrscheinlichkeitsfeld, die verschiedenen Möglichkeiten als Speicher betrachten. Auf jeden Fall bin ich davon überzeugt, dass dieser Schmerz seine Ursache nicht unbedingt in der Vergangenheit hat und v.a. dass er wenn er nicht wahrgenommen wird, auch nicht da ist. Viele glauben ja, etwas lauere sozusagen in der Tiefe des Bewusstseins und beeinflusse einen, ohne dass man es bewusst mitbekommt. Das sehe ich anders. Dieses Konzept beeinflusst... Es läßt es so erscheinen, als sei es so. Aber objektiver gesehen ist jeder Moment vollkommen neu. Und ich habe bei mir festgestellt, dass ich wie einen ruhigen Raum vor mir haben kann, in dem allerdings etwas sehr subtiles mitschwingt, das negativer Art ist. Es ist ein Gefühl von Unsicherheit und einer gewissen Hoffnungslosigkeit. Und mir wurde irgendwann klar, dass ich auf dieses Gefühl ständig reagiere und mögliche Ursachen projeziere die ich dann teilweise glaube. Man fühlt etwas Negatives und automatisch bietet der Verstand einem jede Menge Möglichkeiten an, was das Problem ist. Keine davon ist letztlich wahr, aber jede einzelne ist eine Blockade, so lange sie als wahr angesehen wird, v.a. weil sie sich ständig wiederholt und sofort dann erscheint, wenn sie sozusagen "thematisch gefragt" ist... Also z.B. die Überzeugung in Mathe ein Versager zu sein, sobald dieses Thema aufkommt. Ansonsten spielt die Blockade keine Rolle. Eher dieser grundlegende Glaube, den ich als "Opfergefühl" bezeichne, weil dieses Gefühl m.A.n. bei allem eine Rolle spielt. Sobald man etwas will, womit man stark identifiziert ist, was eine große Bedeutung hat, scheint dieses Gefühl als Antwort wie ein Magnet das jeweilige Gegenteil anzuziehen. Allerdings muss auch das auf einer Überzeugung beruhen. Ist schon eine verzwickte Sache dieses menschliche Bewusstsein.
VG,
C.
ja, deine Position verstehe ich.
Das lässt jetzt auch die vorherigen "Differenzen" in einem klareren Licht erscheinen, wie mir scheint. Wenn man nur das Bewusstsein als "einzige objektive Bedingung" annimmt, jedoch kein Unterbewusstsein oder einen individuellen Speicher, dann folgt daraus die Praxis der Achtsamkeit - und es scheint dann auch nicht notwendig, Wut, Hass, tieferen Schmerz, der angeblich gegenwärtig eher unbewusste Verletzungen zum Ausdruck bringen soll, auszudrücken und bewusst zu machen.
"Aus meiner Sicht" - ich schreibe das in Anführungszeichen, weil ich hier lediglich betonen möchte, dass es einfach meine Sicht ist, nicht mehr oder weniger, und keine Beurteilung - ist diese Position unplausibel, weil es viel zu viele Erfahrungen am Tage und im Leben gibt, die mir zeigen, dass es einen Leib, ein Unbewusstes und ein Gedächtnis gibt.
Ich kann dir darin zustimmen, dass kein Gedächtnisinhalt, kein unbewusster Schmerz, keine Leibesempfindung irgendwie im Bewusstsein "pur" auftaucht. Alles, was im Bewusstseins auftaucht, wird durch das Bewusstsein auch geformt. Kein Zweifel. Das bedeutet aber nicht, dass alles nur Bewusstsein wäre. Wenn ich mich z.B. jetzt daran erinnere, wie ich vor 25 von meinem Vater einmal geschlagen wurde, dann erlebe ich nicht jenes Ereignis identisch wieder, sondern ich erlebe im Jetzt eine Erinnerung, die durch mein gegenwärtiges Bewusstsein geformt wird. Die Erinnerung ist aber keine bloße Konstruktion und Erfindung, sondern sie hat auch in einem gewissen Ausmaße etwas mit dem vergangenen Ereignis zu tun, und sei dies noch so verzerrt: hätte es jenes Ereignis nicht gegeben, dann käme es jetzt nicht zu einem derartigen Erinngerungserlebnis, auch wenn beide noch so sehr abweichen können. Tatsache ist für mich auch, dass wir notwendig stets Bewusstseinserlebenisse aus dem Bewusstsein verschwinden lassen, weil wir neuen Eindrücken Raum schaffen -aber diese gehen nicht einfach verloren, fließen nicht ins Nichts.
Darüber hinaus sehe ich eine doppelte Bewegung zwischen unseren gedanklichen Konstrukten und den ERfahrungen: einerseits greifen unsere je gegenwärtigen relativ unbewussten gedanlichen Konzepte an den Erfahrungen fest und reproduzieren sich an ihnen - z.B. werden also unterschiedliche Ereignisse gleich konzeptionalisiert: "Ich bin ein Verlierer, Held, ... ". Andererseits können Ereignisse, wenn sie intensiv sind, auch zu neuen Konstrukten führen. Denn würden keine Konstrukte entstehen, dann hätten wir auch keine.
Ich nehme also nicht die Gegenposition ein, sondern eher eine diese beiden Gegenpositionen vermittelnde Position.
Aus meiner Sicht wirkt es ein wenig wie eine Identifizierung mit dem Bewusstsein, wenn man ausschließlich von dieser "objektiven Bedingung" ausgeht.
Ich möchte an dieser STelle auf Tolle verweisen, der meiner Ansicht nach eine ähnliche Position vertritt, wie ich sie hier formulierte:
Ein starkes unbewusstes Emotionsmuster
kann sich sogar als äußeres Geschehen manifestieren, das
anscheinend zufällig passiert. Beispielsweise habe ich
beobachtet, dass Menschen, die viel Zorn in sich haben, ohne es
zu wissen und ohne ihn auszudrücken, leicht von anderen
wütenden Menschen angegriffen werden, verbal oder sogar
körperlich, oftmals scheinbar grundlos. Sie haben eine starke
Ausstrahlung von Wut, die von manchen Menschen
unterschwellig aufgenommen wird - und das bringt dann deren
eigene latente Wut in Wallung.
Wenn du Schwierigkeiten hast, deine Emotionen zu fühlen,
dann beginne damit, deine Aufmerksamkeit auf das innere
Energiefeld deines Körpers zu richten. Fühle den Körper von
innen. Das wird dich in Kontakt mit deinen Emotionen bringen.
Die Herausforderung, die in jeder Krise verborgen ist, wird erst
manifest, wenn in einer gegebenen Situation alle Fakten
anerkannt und voll akzeptiert werden. Solange du sie leugnest,
solange du versuchst, ihnen zu entfliehen oder zu hoffen, alles
wäre anders, solange öffnet sich das Fenster zu den
Möglichkeiten nicht, und du bleibst in der Situation gefangen.
(...)
Immer also wenn deine Beziehung nicht funktioniert, wenn
sie in dir oder deinem Partner den Wahnsinn zum Vorschein
bringt, freut euch. Das, was im Unbewussten verborgen war,
wird ans Licht befördert. Dies ist eine Gelegenheit für eure
Erlösung. Halte dein Wissen über den jeweiligen Moment und
besonders dein Wissen über deine innere Befindlichkeit immer
während fühlend aufrecht. Wenn Wut da ist, wisse, dass sie da
ist. Wenn Eifersucht, Abwehr, Streitsucht, Rechthaberei, ein
inneres Kind, das Liebe und Aufmerksamkeit fordert, oder
irgendein emotionaler Schmerz da sind - was immer es ist,
erkenne die Wahrheit des Momentes und verweile in der
Erkenntnis. Dann wird aus der Beziehung dein Sadhana, deine
spirituelle Praxis. Wenn du bei deinem Partner unbewusstes
Verhalten beobachtest, halte diese Beobachtung in der liebenden
und wissenden Umarmung deiner Erkenntnis, so dass du nicht
reagierst. Unbewusstheit und Erkenntnis können nicht lange
koexistieren - selbst wenn die Erkenntnis nicht in demjenigen
stattfindet, der gerade sein Unbewusstes ausagiert, sondern in
seinem Partner. Die Energieform, aus der Feindseligkeit und
Angriffe entstehen, verhält sich absolut allergisch gegen die
Gegenwart von Liebe. Wenn du auf die Unbewusstheit deines
Partners in irgendeiner Weise reagierst, dann wirst du selber
unbewusst. Doch wenn du dann daran denkst, diese Reaktion zu
erkennen, ist nichts verloren.
Tolle beschreibt diese Sequenz sehr orientiert am Bewusstsein. Die Stelle, auf die es mir vor allem ankommt, lautet: "Das, was im Unbewussten verborgen war, wird ans Licht befördert."
Tolle geht es also auch darum, mit dem Bewusstsein, das Unbewusste bewusst zu machen.
Wenn man jedoch nur am Bewusstsein orientiert ist und diesen Standpunkt einnimmt, dann kann man die Situation auch so beschreiben, dass es lediglich darum geht, die "Bewusstheit" zu erweitern und die Unbewusstheit zu minimieren - einen Begriff des Unbewussten braucht man dann scheinbar nicht. Wenn man also die Grenze des Bewusstseins nicht überschreiten möchte, dann kann man auch sagen, dass man nicht "weiß", ob es ein Unterbewusstsein gibt, weil ja gerade der Begriff selbst ausschließt, dass man es bewusst wissen könne.
Aus meiner Sicht ist dies jedoch Ausdruck einer Identifikation mit dem Bewusstsein, ähnlich wie eine Identifikation mit dem Verstand - und vielleicht auch einer Angst vor dem Unterbewussten.
Wir "wissen" nicht "bewusst", ob es ein Unterbewusstsein gibt, wie wir "wissen", dass es ein Bewusstsein gibt - unabhängig davon, dass dies alles wiederum nur "Worte" sind -aber wir können das Unterbewusste ganz deutlich fühlen und erfahren, scheint es mir. Wir haben einen Leib, von dem vieles ausgeht, der oft reagiert, in den Muster eingeschrieben sind, die uns oft nicht bewusst sind. Wenn man mit Einsichtsmeditation auf den Leib meditiert, dann kann man dies sehr deutlich beobachten.
Wenn wir diese Erfahrungen jedoch bestreiten, dann nur, weil wir uns an das Bewusstsein halten möchten - so jedenfalls mein Eindruck. Wir können immer wieder die Erfahrung machen, dass etwas aus dem Unterbewussten aufsteigt, das dann vielleicht wieder hinabtaucht und dann wieder auftaucht, ganz unmittelbar. Wenn wir dieses Erlebnis auch nocht bewusst noch einmal reflexiv beobachten wollen, es kontrollieren wollen, genau dann lösen wir uns aus der Unmittelbarkeit und kommen mit dem Bewusstsein in eine skeptische Stellung, in der wir bezweifeln können, ob wir nun gerade mit dem Bewusstsein ein Unbewusstes konstruieren oder ob es dieses gibt. Und wenn wir uns dann für eine Seite aus dieser Sicht entscheiden, dann ist dies Ausdruck dieser reflexiven, kontrollierenden Bewusstseinshaltung, wie mir scheint.
Die Frage ist also auch, mit welchem "Bild" können/möchten wir leben, so lange wir noch mit Bildern leben, auch wenn wir dies nicht wollen? Ist es so, dass wir in einem Boot sitzen, das quasi auf Luft aufsitzt, und der Kreis des Bootes wird einfach immer größer? Oder ist es so, dass wir in einem Boot sitzen und dieses Boot treibt in einem scheinbar unendlichen, stürmischen Meer?
Aber gut

...jeder kann bei sich erfahren, wie es für ihn selbst ist und so hat es auch seinen Sinn.
Liebe Grüße,
Energeia