Der merkwürdige Herr Freitag

Teil 2


"Ich vermute dass Du Dich inzwischen erinnern konntest an Deine Fähigkeiten, die Du schon in die Wiege gelegt bekommen hast und dann aus einem bestimmten Grund nicht mehr beachtet und unterdrückt hast?", fragte er mich.

"Ja, das konnte ich."

"Hättest Du sie seit damals weiter entwickelt und ausgebaut, wärest Du heute ein anderer Mensch. Du hättest ein anderes Leben gelebt und würdest heute dass sein, was man einen sehr weisen Menschen nennt. Wenn man so etwas geschenkt bekommt, entwickeln sich diese Fähigkeiten im Laufe eines Lebens normalerweise immer weiter. Seine Hände umschrieben dabei einen grossen Kreis, der die Fülle der Möglichkeiten beschrieb. Nun ist dies bei Dir aus einem bestimmten Grund nicht geschehen und wir müssen schauen, dass wir es sozusagen nachholen können."

Fragend sah ich Moolie an.

"Ja, sagte er, wir müssen es heute nachholen."

"Alles auf einmal?", fragte ich überrascht.

"Alles auf einmal!", bestätigte Moolie lächelnd.

"Doch zuvor muss ich Dich prüfen, ob Du bereit bist und es schaffen kannst, diese Dinge auf einmal verarbeiten und aufnehmen zu können. Wenn es so ist, wirst Du in der heutigen Nacht zu einem Meister aufsteigen, wenn nicht....nun ja, dann können wir das alles hier wohl vergessen."

"Bist Du dazu bereit, Max?"

Ich sah in das erschrockene Gesicht von Fitzgerald und spürte die grosse Hoffnung, die er auf mich setzte.

"Ja, ich bin dazu bereit Moolie."

"Nun gut, dann lege Dich nun bitte auf diese Liegestatt und entspanne Dich so gut wie möglich. Ich werde Dir meine Hand auflegen auf Deine Stirn und Dein Herz und Du wirst etwas spüren. Eine Energie. Du musst mir vertrauen und dich nicht dagegen sperren. Lasse sie einfach fliessen. Bilder werden vielleicht aufsteigen. Lasse sie einfach fliessen.
Konzentriere Dich einfach auf Dein Herz und Dein Gefühl. Du musst nichts weiter machen. Meinst Du, Du bekommst das hin?"

"Ja."

Kurz darauf lag ich auf der Liege. Ich schloss meine Augen wie Moolie mir gesagt hatte und brachte mich über meine Atmung in eine Art leichten Trancezustand. Dann spürte ich ganz leicht die Hand Moolie's auf meiner Stirn. Es war angenehm. Es war nicht seine faltige starke physische Hand, sondern etwas viel Feineres. Etwas Überirdisches. Wie kleine feine Wellen spürte ich die Energie durch meinen Körper fliessen. Sanft und angenehm.

Bilder huschten vorbei. Situationen aus meinem Leben. Ich liess sie einfach vorbei laufen und beobachtete nur. Dann kam der Moment mit dem kleinen Vogel. Ich spürte deutlich die Energie, die ich über meinen Wunsch lenkte. Er sollte wieder leben! Ich spürte wie sie seinen kleinen gefiederten Leib erfasste und ihm wieder Leben einhauchte.
Ich war so glücklich! Freudig rannte ich zu meinen Eltern um davon zu berichten.

Sie glaubten mir nicht und wollten es als Zufall abtun, sagten er wäre garnicht tot gewesen. Auf eine seltsamen Weise erfuhr ich innerlich, dass sie selber einmal ähnliche Fähigkeiten besassen und damit schlechte Erfahrungen gemacht hatten. So wollten sie mich also davor beschützen die gleichen negativen Erfahrungen zu machen. Ich erkannte, dass es nicht darum ging, mich lächerlich zu machen sondern darum, mich vor Ausgrenzung und Anfeindungen zu schützen.

Ich sah meine Eltern nun mit anderen Augen und dieses bedrückende Gefühl in meinem Inneren war mir genommen. Erleichtert liess ich die Szene schwinden und behutsam holte Moolie mich zurück in die Realität.

Ich öffnete meine Augen und blickte in sein Gesicht. Eine Hand lag noch auf meiner Stirn und die andere auf meinem Herzen. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, wie er sie dort abgelegt hatte, so leicht war die Berührung.

Moolie lächelte mich an. Ich bemerkte, dass seine Gesichtszüge sich verändert hatte. Sie waren feiner geworden. Langsam nahm er die Hände zurück.

"Es war eine sehr schöne Erfahrung", sagte ich.

"Ich weiss. Nimm Dir noch einen Moment und dann komme zu uns an den Tisch."

Kurz darauf erklärte mir Moolie, dass er gewisse Blockaden auflösen konnte und dass ich nun bereit wäre für den nächsten Schritt. Dieser Schritt wäre ein grosser Schritt, da ich in nur einer Nacht Entwicklungsschritte nachholen müsste, für die ich normalerweise Jahre gebraucht hätte. Doch nun sollten wir uns zunächst erst einmal stärken und für den nächsten Tag gut vorbereiten. Der Tisch war schon reichlich gedeckt und so liessen wir es uns bei einem üppigen Mahl gut gehen.

Dann schloss Moolie zu unserer Überraschung den Abend.

"Es ist nun soweit. Fitzgerald, Du wirst diesen Raum nun verlassen und in einem der Nebenräume nächtigen. Sofort machte sich Fitzgerald auf den Weg und verliess den Raum. Lege Dich nun wieder auf die Liegestatt, Max."

Im Gehen sah ich wie Moolie mit einem dicken Schlüssel ein geheimes Fach in der Felswand öffnete und etwas heraus holte, dass in ein goldenes Tuch gewickelt war. Dann kam er wieder zu mir herüber. Er zog einen Stuhl heran und entblätterte einen in dem Tuch eingewickelten Kristall. Er war wunderschön! Funkelnd lag er in seiner Hand und strahlte mich an.

"Hier drinnen ist das Wissen, welches Du benötigst. Entspanne Dich nun und schliesse Deine Augen. Ich werde den Engelskristall auf Deinen Solarplexus legen. Er wird in der Nacht Deine Chakren entlang wandern und Dich wissen lassen. Morgen früh wirst Du ein anderer Mensch sein und dann werden wir unseren Plan besprechen und Grindur den Garaus machen.

Er legte seine Hand auf meine Stirn. Ganz leicht. Ich driftete leicht in eine milde Entspannung ab.

Den Kristall auf meinem Solarplexus bekam ich nicht mehr mit.

Dann begann mein Traum.....
 
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Ein See!

Es war ein See den ich als erstes sah. Ein feiner rötlicher Schimmer der das ruhige Wasser durchzog, fiel mir zuerst auf. Ich stand am Ufer und seicht umspülte das lauwarme Wasser meine nackten Füsse. Ich verspürte das Verlangen tiefer einzutauchen und ging ein paar Schritte vorwärts. Dann setzte ich mich auf den Grund und tauchte unter.

Wie starke Wurzeln drangen dicke rote Stränge aus meinen Beinen in den Boden und bohrten sich tief in die Erde. Nach kurzer Zeit erreichten sie eine mächtige rote Kugel und verbanden sich mit ihr. Ich spürte einen ungeheuer starken Energiefluss, der aufstieg und von der roten Energiekugel in meinen Körper floss. Enorme Kraft drang in mein ganzes Sein. Ich richtete mich auf.

Der Blick über das Wasser war beruhigend und wunderschön. Ich bemerkte wie sich das Wasser langsam in einen Orangeton verfärbte. Wieder verspürte ich das Verlangen einzutauchen und liess mich auf den Boden hinunter. Eine andere Energie erfasste mich. Kreativität. Sie strahlte aus dem Zentrum meines Unterleibes in den gesamten Körper ab und erfüllte jede Zelle. Tatendrang war das, was ich verspürte. Ich wusste nur noch nicht, in welche Richtung es gehen sollte. Wieder richtete ich mich auf.

Hell strahlte die Sonne auf die Wasseroberfläche und verwandelte das Wasser des Sees in ein kräftiges Gelb. Ich liess mich auf den Boden hinab und hob meinen Kopf. Ich sah die Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche tanzen. Langsam formten sie sich zu einer leuchtenden gelben Kugel, bevor sie schliesslich den Weg zu meinem Solarplexus fand und mich mit einer Energie auffüllte, dass ich dachte ich wäre spontan um riesige Ausmasse gewachsen. Ich genoss meine neue Grösse einen Moment und richtete mich abermals auf.

Als ich nun über den See blickte, schien der angrenzende Wald und die Wiesen zusehends grüner zu werden, als er bereits war. Die Farben wurden kräftiger und machten sich auf den Weg zu mir. Ich tauchte unter. Eine angenehme Wärme erreichte meinen Brustraum. Das Grün berührte mein Herz und löste einen Sturm an Gefühlen in mir aus, der sich zu einem Tornado zu entwickeln drohte. Bilder aus meinem Leben zogen in rasender Geschwindigkeit von meinem Kopf in mein Herz. Wie eine Reinigung fühlte es sich an und erfüllte mich letztlich mit dem wunderbaren Gefühl der allumfassender Liebe, des Angenommenseins, eines inneren Wissens, das ich ganz tief in mir vergraben hatte. Ich tauchte auf.

Dann bemerkte ich, wie das Gelb meines Solarplexus mit dem Grün in meiner Brust Verbindung aufnahm. Es fühlte sich so an, als würde ein Verbindungskanal geschaffen, der das Ego mit dem Herzen abstimmte.

Einen kurzen Moment schloss ich meine Augen. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und öffnete sie wieder. Das Blau des Himmels über mir lachte mich an und floss zielstrebig in Richtung meines Kehlkopfes, hüllte ihn ein und breitete sich dann über die Arme in meine Handflächen aus. Ich hob meine Arme an und sah, wie die blauen Strahlen aus meinen Handflächen heraus in die Weite führten, genau dorthin wohin ich meine Hände führte.

Ich spürte einen Impuls, dass Wasser zu verlassen und begab mich zurück ans Ufer. Sonnenstrahlen fielen auf meine Stirn und ich bemerkte eine Schweissperle auf meiner Haut. Als ich sie wegwischen wollte und meine Stirn berührte, erschien ein tiefblauer Punkt vor mir, der sich stetig vergrösserte. Immer tiefer drang ich in das tiefe Blau vor. Es schien unendlich zu sein. Doch dann....ein Auge!

Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Es schien mir das allwissende Gottesauge zu sein. Keine Fragen mehr, weil man alles wusste. Kein Sprechen, nur Präsenz. Kein Wollen, nur Sein. Es war wundervoll. Ich hatte das Gefühl randvoll aufgeladen zu sein mit allem Positiven dieses Universums.

Dann wechselte die Farbe des tiefen Blaues in Violett. Das Auge Gottes hatte sich zurückgezogen und einer unendlichen Weite Raum gegeben. Einer Weite mit unerschöpflichen Möglichkeiten, in die ich eintauchen durfte, geniessen durfte und Wissen erlangte, dass mich dann weiter führte....

....das weisse Licht empfing mich sanft und liebevoll. Langsam kehrte ich zurück. An meinem Scheitel spürte ich den Engelskristall an meinem Kopf anliegen. Ich wusste dass er leuchtete. Langsam schlug ich meine Augen auf und sah einen gütig lächelnden Moolie, dessen Gesichtszüge sich deutlich verfeinert hatten.

Er streckte mir seine Hände entgegen.

"Mein Lieber.........."
 
"Nun bist Du wieder da. Derselbe und doch ein anderer Mensch."

Moolie hatte meine Hände genommen und ich spürte deutlich, dass sie viel weicher waren als vorher. Auch sein Gesicht hatte sich wieder verändert. Die faltige Haut war feingliederigeren Zügen gewichen und ein seltsames Strahlen ging von ihr aus.

"Wie fühlst Du Dich Max?", fragte er mich.

"Wissend. Sicher. Angefüllt mit...... ich weiss noch nicht wie ich es nennen soll, aber es fühlt sich sehr schön an. Es ist auf jeden Fall ganz anders als vorher. Intensiver in jeder Hinsicht würde ich sagen. Ich sehe Farben um Dich herum."

"Das ist die Aura die Du sehen kannst, sagte Moolie. Doch nun komme zu uns an den Tisch, wir wollen uns etwas stärken, denn heute haben wir noch viel zu erledigen."

Ich erhob mich und ging auf den reichlich gedeckten Tisch zu. Fitzgerald stand auf als ich kam und sah mich an wie das achte Weltwunder. "WOW" war das Einzige , dass er herausbrachte und ich hatte das Gefühl von grossem Respekt und Bewunderung seinerseits.

Nachdem wir uns gestärkt hatten, brachte Moolie den Engelskristall an seinen Platz zurück und brachte die Aktentasche mit, die er dort gelagert hatte. Er öffnete sie und holte die Tarotkarte hervor. Der Tod.

"Sie hat einen symbolischen Charakter, sagte er, und.... sie hat eine Verbindung mit ihm." Dabei zeigte er nach unten und uns war sofort klar, dass er Grindur meinte.

"Er wollte unbedingt dass Du sie erhälst und hat sie Dir "zugespielt", denn er weiss um Deine Fähigkeiten und wollte sie sich gerne zunutze machen. Was er nicht weiss ist, dass auch ein Schlüssel in der Tasche war, den andere Mächte Dir zugespielt haben. Mächte die nicht wollten, dass Du in seine Hände gerätst und die um seine Pläne wussten. Wir müssen die Karte vernichten."

Er stellte eine kleine silberne Schale auf den Tisch, legte die Karte dort hinein und verschloss die Öffnung mit seinen beiden Händen. Nach kurzer Zeit nahm er die Hände hoch und eine bläuliche Flamme züngelte aus der Schale hervor. Langsam erfasste sie über die Ränder der Karte das Papier und drang zur Mitte vor. Die Enden der Karte wellten sich und rollten sich nach innen ein. Dann wechselte die Farbe in ein kräftiges Gold und als sie die Mitte der Karte erfasste, gab es einen lauten Knall. Erschrocken zuckten Fitzgerald und ich zusammen.

Ein Gestank wie nach faulen Eiern machte sich breit und die Asche, die nach oben aus der Schale herausgeschossen war, schwebte nun langsam wie in Zeitlupe zurück in die Schale. Kein Krümmel ging daneben. Ein leichtes Zittern im Boden war zu spüren und wir glaubten den wutentbrannten Schrei Grindurs zu hören.

"Ja, er ist es, bestätigte Moolie, er weiss nun dass die Karte vernichtet ist. Dass die Verbindung abgerissen ist erfüllt ihn mit Zorn. Er tobt. Doch er weiss auch, dass die Sache noch nicht am Ende ist und deshalb müssen wir sehr auf der Hut sein."

Wieder nahm Moolie die Tasche zur Hand und holte den Schlüssel heraus.

"Es gibt noch einen weiteren Eingang in Grindurs Reich. Dieser Schlüssel wird uns die Tür dort hinein öffnen. Der Weg über den Brunnen wäre nun zu gefährlich, denn Grindur wird Vorsorge treffen und diesen Weg genau beobachten und sichern. Glücklicherweise weiss er nichts von diesem Eingang, denn dieser Schlüssel und die dazugehörige Tür sind älter als er. Dies verschafft uns einen grossen Vorteil."

Moolie machte uns nun mit seinem Plan vertraut und als Fitzgerald an die Reihe kam und Moolie ihm seinen Part erklärte, bemerkte ich wie seine Aura sich blitzartig veränderte und schwarze Flecken seine Hülle überzogen. Er hatte Angst und machte "dicht".

Ich legte meine Hand auf seinen Stumpf und sagte:" Es wird nicht noch einmal geschehen Fitzgerald, vertraue mir."

Er sah mich mit grossen Augen an und ich bemerkte, wie sich langsam die dunkelen Flecken verflüchtigten und so nahm ich meine Hand zurück.

Dann holte Moolie den Engelsbogen und machte mich damit vertraut. Er selbst nahm einen zweiten Bogen zur Hand und Fitzgerald übergab er den Tarnumhang und so zogen wir mutig los, um Grindurs Geschichte zu beenden.

Ich fühlte mich so sicher wie nie zuvor in meinem Leben. Wie im Entenmarsch folgten wir Moolie, der in der Höhle voran ging. Ich lief gleich hinter ihm und mir fiel auf, dass auch sein Gang sich verändert hatte. Der etwas watschelnde Gang den man von ihm kannte, war einer gewissen Grazilität gewichen ich hatte das Gefühl, dass er bald schweben würde.

Ich wünschte ihm von Herzen, dass er bald wieder in das Reich der Engel zurückkehren konnte, nach dem er sich so sehr sehnte.

Fitzgerald lief als Letzter in unserer Reihe und als ich mich nach ihm umdrehte, lächelte er mich an. Er hob seinen Arm und streckte den Zeigefinger aus. "Ich glaube Dir Max. Es wird nicht noch einmal geschehen."

Schmunzelnd drehte ich mich wieder zu Moolie um, der mit dem Schlüssel in der einen und seinem Engelsbogen in der anderen Hand auf eine Felswand zusteuerte. In diesem Teil seines Reiches waren wir noch nie. Das Licht hier hatte einen anderen Charakter. Einen, der mir nicht so gut gefiel. Obwohl alles ausreichend beleuchtet wurde, erschien es mir dunkel. Wir waren an der Tür zu Grindurs Welt angekommen.....

Moolie und ich stoppten. Nur Fitzgerald nicht. Er war abgelenkt durch die Veränderung des Lichtes. Auch er hatte es bemerkt und schaute in alle Richtungen, nur nicht nach vorn. Er lief auf mich auf.

"Ohh, prallte er erschrocken zurück und sah mich entschuldigend an. Sorry Max, ich war abgelenkt durch dieses komische Licht. Hast Du es auch bemerkt?"

"Ja, antwortete ich. Hinter dieser Türe beginnt sein Reich, es scheint mir damit zu tun zu haben. Ist es nicht so Moolie?"

"Ja tatsächlich und ich wundere mich darüber, dass es hier schon einen solch starken Einfluss hat. Etwas stimmt nicht."

Ich fühlte wie Fitzgeralds Ängste wieder hoch kamen.

"Wir müssen sehr vorsichtig sein jetzt, flüsterte Moolie, wer weiss was uns hinter dieser Türe erwartet. Dieser Kreatur ist alles Schlechte zuzutrauen, also schärft eure Sinne und vertraut euerem Gefühl. Zu mehr kann ich im Moment nicht raten..."

Uns zur Stille mahnend hob er die Hand, mit der anderen führte er den Schlüssel langsam in die Öffnung. Silbern glänzend zeichnete sich die Umrandung einer Tür in der Felswand ab. Sanf drückte Moolie dagegen und ohne einen Laut schwang sie langsam nach innen auf.

Wir blieben einen Moment im Eingang stehen und horchten hinein. Langsam gewöhnten wir uns an das Licht hier. Es war recht dunkel, aber wir konnten Umrisse entdecken. Wände, Gänge und einen Torbogen.

"Dort müssen wir durch, sagte Moolie leise und zeigte mit seiner Hand in Richtung des Torbogens, dann ein kurzer Fussmarsch und wir kommen auf der anderen Seite der Halle an."

"Warst Du doch schon einmal hier?," fragte ich.

"Nein, ich weiss nicht warum, aber ich weiss es einfach."
Vorsichtig, uns nach allen Seiten umschauend gingen wir los. Nach einer Weile erreichten wir den Torbogen. Hässliche Fratzen waren an den steinernen Pfosten zu sehen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen konnten. Moolie wies uns an, das Tor zu umgehen.

"Nicht da durch, seitlich vorbei," flüsterte er leise.

Nach einer leichten Linksbiegung wurde der Weg steiler. Eine schmale Steintreppe, schmal und steil, rückte in Sichtweite.

"Da müssen wir hoch, gebt Acht und seid leise," flüsterte Moolie. Langsam ging er voran, Stufe für Stufe erklommen wir die steile Wand. Nach mehreren Windungen erreichten wir eine Art Plateau in dessen Mitte es glitzerte. Wasser. Es war ein kleiner See mitten in der Höhle. Vorsichtig gingen wir darauf zu.

Die Oberfläche lag still und er schien sehr tief zu sein, das war jedenfalls mein Gefühl, denn sehen konnte ich es nicht. Das Wasser war rabenschwarz.

"Berührt nicht das Wasser und bringt es nicht in Bewegung," mahnte Moolie. So umgingen wir den See, uns immer sichernd in alle Richtungen umschauend, bis wir an einer Wand endeten. Wieder holte Moolie seinen Schlüssel hervor. Einen Moment musste er suchen, dann hatte er das Schlüsselloch gefunden. Vorsichtig führte er den Schlüssel ein....

Doch kein silbernes Licht, keine Türe, die sich abzeichnete. Wir hielten inne.

Dann lehnte sich Moolie gegen die Tür, doch nichts geschah.

"Moolie, sagte ich, lass mich es bitte mal versuchen."

Ich trat nach vorne vor die Türe und legte meine Hand gegen den Fels. Ganz intensiv wünschte ich mir, dass sie bei leichten Druck meiner Hand nach innen aufschwingen würde. Ich verstärkte meinen Wunsch und plötzlich gab sie mit einem leisen Scharren nach und gab den Durchgang frei. Staub rieselte herab. Muffiger Geruch schlug uns entgegen. Einige Fackeln beleuchteten schwach den Raum, der sich uns eröffnet hatte. Mit grösster Vorsicht traten wir langsam ein und sahen uns um.
 
Eine riesige Schlafstelle war zu sehen. Hier musste der Unhold sich zur Ruhe legen. Stroh war aufgehäuft und ein grosses Kissen aus Sackleinen war zu sehen. Eine mannsgrosse Helebarde und ein riesiges Schwert standen in einer Ecke des Raumes. Weiter vorne war eine Brüstung zu sehen, auf die wir nun geduckt zugingen. Vorsichtig lugten wir über den Rand der Brüstung nach unten. Es war die Halle, in der wir schon einmal waren. Von hier oben führte eine breite Treppe hinab.

"Wir müssen ihn entweder irgendwie hier hoch locken oder abwarten, bis er sich schlafen legt," flüsterte Moolie mir zu.

"Gute Idee," flüsterte ich zurück.

Fitzgerald war in die Ecke gegangen, in der die Waffen standen. Langsam strich er über die Helebarde, drehte sich zu uns um und meinte:" Ich glaube damit hat das Ungetüm meine Hand abgetrennt."

"NICHT anfassen," zischte Moolie ihn an. Fitzgerald erschrack und durch das heftige Wegziehen seiner Hand brachte er die Helebarde in Bewegung. Langsam wie in Zeitlupe kippte sie zur Seite und schabte an der Wand entlang.

Verzweifelt versuchte Fitzgerald sie anzuhalten, doch sie war zu schwer. Unaufhaltsam näherte sich der lange Stiel dem Boden, um schliesslich krachend aufzuschlagen.

"Uuuaaarrgh!" Der wütende Schrei Grindurs jagte uns einen Schrecken in die Glieder. Stampfende Schritte waren zu hören. Er kam hinauf! Er schleifte einen Morgenstern an einer langen Kette mit sich, den er im Hochkommen wutschnaubend gegen die Wände schlug. Der Boden erzitterte.

Fitzgerald zog schnell seinen Tarnumhang hervor und legte ihn über sich. Ich ging bis an die Wand zurück und behielt die Treppe im Auge. Meinen Bogen hatte ich gespannt.

Moolie war in die Mitte des Raumes getreten und stand mit gespanntem Bogen bereit.

Doch noch bevor Grindur zu sehen war, rauschte der Morgenstern an seiner langen Kette durch den Raum und fegte alles beiseite, dass ihm im Weg lag. Ein Holzschemel zersplitterte und flog durch die Luft. Moolie sprang hoch, um der mit Eisen gespickten Kugel auszuweichen. Sein Bogen entglitt ihm dabei und die schwere Waffe rauschte unter ihm über den Steinboden.

Dann erschien Grindur auf der obersten Treppe. Sein Gesicht leuchtete feuerrot und die funkelnden Augen schienen Feuer zu speien. Dann sah er Moolie.

"Du schon wieder, stinkendes Engelspack!", rief er wütend und holte zum schlag aus. Schäumend vor Wut jagte er den Morgenstern wieder und wieder in Moolie's Richtung und er hatte alle Mühe auszuweichen, um nicht getroffen zu werden. Stein splitterte und flog durch die Luft.

Grindur bewegte sich so schnell dass es mir unmöglich war, genau zu nzielen und den Pfeil auf den Weg zu bringen. Dann hörte ich eine Stimme:

"Schliesse Deine Augen und ziele!"

Und ich schloss meine Augen...ich stellte mir die Stelle an seiner Stirn vor, die ich treffen musste...spannte erneut meinen Bogen....dann der Schrei Fitzgerald's...:"Grindur!"

Fitzgerald war neben mich getreten und durch seinen Ruf drehte sich Grindur genau zu uns um. Etwas nahm meine Hand von der Sehne und der Pfeil verliess den Bogen. Ich öffnete meine Augen und sah in das ungläubige Gesicht Grindur's. Das laute Klatschen hatte den Treffer hörbar gemacht. Noch zitternd steckte der Pfeil mitten in seiner Stirn. Grindur hatte ihn mit beiden Klauen gepackt, doch es war zu spät. Seine Augen erloschen und mit einem lauten Knall schlug er auf den Steinboden, dass alles erzitterte.

"Rasch an die Wand zurück und den Umhang umgelegt," rief Moolie plötzlich. Schnell zogen wir uns zurück und bedeckten uns mit dem Umhang.

Dann tat sich der Boden auf.....

Die schweren Bodenplatten wurden nach oben gedrückt und etwas schob sich hervor. Eine riesige Klaue kam zum Vorschein, lange dicke Nägel an einer schuppigen Hand griffen nach Grindur's Resten und zogen ihn in die Tiefe.....

Entsetzt warteten wir ab, bis die lauten polternden Geräusche gänzlich verstummt waren. Ich zog den Umhang weg und sah nach Fitzgerald und Moolie. Fitzgerald stand mit offenem Mund neben mir und blickte nach vorne. Dort stand er.....Moolie. Ein Engel wie man ihn sich schöner nicht vorstellen kann. Strahlend und unbeschreiblich schön! Sein helles Licht erfüllte den ganzen Raum.

"Ihr Lieben!" Weit breitete er seine Arme aus und schickte einen vielsagenden Blick in unsere Richtung.

"Es ist vollbracht! Ich danke euch von Herzen für euren Mut und eure Hilfe. Wir müssen nun schnell fort von hier und nehmen den Weg, den wir gekommen sind."

Schwebend glitt er auf den Ausgang zu und wir folgten ihm zurück bis in seine Höhle. Das erste was uns auffiel war, dass die Engelsfigur verschwunden war. Alles, was an den alten Moolie erinnert hätte war weg.

Er war wieder ein Engel...grazil, schwebend, gütig.

Dann wandte er sich an Fitzgerald: "Ich habe noch ein Geschenk für Dich mein Lieber, komme zu mir."

Fast ehrfürchtig ging Fiutzgerald auf ihn zu.

"Gebe mir Deinen Arm!"

Fitzgerald streckte ihm seine Hand entgegen.

"Nein ich meinte den anderen Fitzgerald!"

Er tat wie ihm geheissen und Moolie umschloss sie beide mit seinen weissen Flügeln. Dann öffnete er sie wieder und Fitzgerald und ich bestaunten seine zweite Hand, die nun wieder da war! Tränen flossen Fitzgerald's Wangen hinunter und dankbar kniete er vor Moolie nieder.

"Danke Moolie!"

"Nein, ich habe euch zu danken und....ich heisse nun nicht mehr Moolie, denn diesen Namen habe ich heute abgelegt. Mein Name ist "Liameel."

"Ich werde nun abgeholt und wir müssen uns hier verabschieden. Eine Bitte habe ich aber noch an euch für eure weitere Zeit hier auf der Erde: Helft den Menschen, sie können es wirklich gut gebrauchen."

Dann nickte er uns freundlich zu, umschloss sich mit seinen Flügeln und.....

löste sich auf!

Fitzgerald und ich sahen uns an. Wir konnten noch garnicht fassen, was wir soeben alles erlebt hatten. Ungläubig streichelte er seine wieder erhaltene Hand und strahlte mich an.

* * * * * * * * * * *

Eine Woche später sassen Fitzgerald und ich in der Lobby der Pansion und sahen einen Fernsehbericht über den Einsturz der Höhle, die durch ein Erdbeben nun völlig zerstört und in sich zusammen gefallen war.

Wir mussten an Moolie's Worte denken: "Helft den Menschen, sie können es gut gebrauchen."

Und das hatten wir auch vor.

Aber dies ist eine andere Geschichte....
 
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