TEIL 5 – 2. Abschnitt
Wer waren die Gnostiker? - Die gnostische Position kann vor dem Hintergrund der historischen Tradition betrachtet werden. Nach Ansicht der meisten zeitgenössischen Gelehrten entstand der Gnostizismus in der jüdischen religiösen Matrix (wahrscheinlich in seinen heterodoxen Manifestationen) und verband sich dann mit der jüdischen Häresie, die zum Christentum wurde.
Wer ist „Gott“ für die Gnostiker? - So wurden die Gnostiker mit dem Bild des monotheistischen Gottes im Alten Testament und ihren Anpassungen im Neuen Testament konfrontiert. Sie standen einem Gott gegenüber, der oft launisch, zornig, rachsüchtig und ungerecht war. Es war leicht für sie zu schlussfolgern, dass dieser fehlerhafte Gott eine Welt nach seinem fehlerhaften Bild geschaffen haben könnte. Die größte aller Fragen, die die Gnostiker stellten, lautete: Ist dieser fehlerhafte Schöpfer wirklich der ultimative, wahre und gute Gott? Oder ist er eine geringere Gottheit, die entweder eine größere Macht jenseits von sich selbst nicht kennt oder ein bewusster Betrüger ist, der sich die Stellung der universellen Gottheit zu eigen macht?
Die Gnostiker beantworteten diese Fragen, indem sie sagten, dass dieser Schöpfer offensichtlich nicht der wahre, ultimative Gott ist, sondern eher ein Demiurg ("Handwerker"), eine intermediäre, sekundäre Gottheit. Dieser Demiurg, den sie mit der Gottheit des Alten Testaments gleichsetzten, war der Urheber des Bösen und der Unvollkommenheit in der Welt.
Die scheinbare Blasphemie, das Böse der Welt dem Schöpfer zuzuschreiben, ergibt sich daher aus der Konfrontation der Gnostiker mit dem monotheistischen Gott. Verwandtschaftliche Bewegungen, wie der Hermetismus, standen dieser Zwangslage nicht gegenüber: Als Heiden erbten die Hermetiker nicht die dunkle, ambivalente Figur des alttestamentlichen Gottes, so dass sie eine weniger scharfe Position einnehmen konnten.
Gnostizismus versus anderen Lehren - Viele haben versucht, die Anerkennung dieser fehlerhaften Schöpfung und ihres fehlerhaften Schöpfers zu umgehen, aber keines ihrer Argumente hat die Gnostiker beeindruckt. Die alten Griechen, vor allem die Platoniker, rieten den Menschen, auf die Harmonie des Kosmos zu achten, damit sie durch die Verehrung seiner Größe und seiner wunderbaren Ordnung ihre eigenen Leiden und die unzähligen Widersprüche des gewöhnlichen Lebens vergessen könnten. "Sieh dir diese schöne Welt an:" sagten sie, "Sieh dir ihre außerordentlich geordnete Art zu funktionieren und sich zu verewigen, wie kann man etwas so Schönes und Harmonisches als etwas Böses bezeichnen?" Worauf die Gnostiker immer antworteten, dass die Harmonie und Ordnung des Kosmos bestenfalls nur unvollständig sind, da die Schwächen, das Elend und die Entfremdung der menschlichen Existenz auch nicht zu leugnen sind.
Diejenigen, die von der östlichen Spiritualität beeinflusst sind, haben manchmal die Lehre des Karmas vorgebracht, wodurch die Untaten eines Menschen später oder in einem anderen Leben Unglück bringen, um die Unvollkommenheit der sinnlich wahrnehmbaren Welt erklären zu können. Ein Gnostiker könnte jedoch widerlegen, dass Karma bestenfalls nur erklären kann, wie die Kette von Leiden und Unvollkommenheit funktioniert. Es sagt uns nicht, warum ein solches trauriges System überhaupt existieren sollte.