luzifer
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Das idealisierte Selbst
Die meisten Menschen erheben einen Vollkommenheitsanspruch an sich selbst, dem sie innerhalb des dualen Bewusstseins niemals gerecht werden können. Ehrlich betrachtet heißt das: Wir versuchen etwas zu sein, was wir nicht sind. Wir spielen Maskenball vor uns selbst und vor anderen. Im Prinzip läuft es darauf hinaus: Ich weiß, ich bin nicht vollkommen, gebe aber vor, es zu sein. Das liegt darin begründet, dass wir glauben, innerlich nicht gut genug zu sein und gar nicht umhin kommen, eine Maske zu benutzen, um vor uns selbst und der Welt bestehen zu können.
Verzweifelt versuchen wir diesem selbst geschaffenen Bild gerecht zu werden und realisieren nicht dessen Unmöglichkeit. Im Gegenteil. Angesichts dieser Unmöglichkeit wird das idealisierte Selbstbild wieder und wieder Leid, Enttäuschung und Frustration in unser Leben bringen und das, was wir hofften damit zu erreichen, nämlich Glück, Zufriedenheit und Liebe, in immer weitere Ferne rücken, wenn wir uns dieser Mechanismen nicht bewusst werden.
Maskenselbst, Ego und Höheres Selbst
In der menschlichen Psyche befindet sich der innerste Kern, das Höhere Selbst, als Teil der kosmischen Intelligenz und Liebe, der göttliche Funke, kurz: Gott. Das Höhere Selbst ist frei, spontan, schöpferisch, liebend, gebend, allwissend und fähig zu unaufhörlicher Freude und Glückseligkeit. Es repräsentiert das, was wir, die Menschen, in Wirklichkeit sind.
Dieser innerste Kern ist umgeben von unserem Ego-Selbst, der kindlichen Ichbezogenheit, einem unentwickelten Teil, in dem unsere negativen Empfindungen, Gedanken und destruktive Motivationen wie Angst, Hass, Trauer und Grausamkeit verborgen liegen.
Die dritte Schicht um das Höhere Selbst und das niedere Selbst bezeichnet das Maskenselbst oder idealisierte Selbstbild, welches wir uns als universellen Pseudoschutz aufgebaut haben. Das Wissen um und die Angst vor Schmerz verleitet uns dazu, zu glauben, mit der Schaffung einer Maske, das Unglücklichsein verhindern zu können. Indem wir vorgeben, etwas zu sein, was wir nicht sind, hoffen wir, Glück, Sicherheit und Selbstvertrauen wiederherzustellen. Da jedoch das durch das idealisierte Selbstbild aufgebaute Selbstvertrauen KÜNSTLICH ist, wird es uns niemals zu den erwünschten Ergebnissen führen. Die Auflösung der Maske, des idealisierten Selbst, ist der einzige Weg unser wahres Selbst, wahre Selbstachtung und innere Gelassenheit zu finden und ein erfülltes Leben zu führen.
Die Indoktrination in der Kindheit
Als Kinder ist uns in unserer Erziehung nahe gelegt worden, dass wir gut zu sein haben. Wir wußten sehr wohl, dass wir nicht so gut und vollkommen waren, wie es die Welt von uns zu erwarten schien, und als wir mit dem Entzug von Zuneigung bestraft wurden, begannen wir ein falsches Selbst aufzubauen. Es wurde zur absoluten Bedingung für unser Überleben. Wir glaubten, könnten wir unsere Unvollkommenheit verbergen, würde uns dies Schutz und Mittel sein, das zu erhalten, wonach wir uns sehnten Leben, Liebe, Glück, Sicherheit und Selbstvertrauen. So waren und sind wir ständig von Schuldgefühlen durchdrungen, etwas vorzutäuschen, was wir nicht sind, strengen uns mehr und mehr an, dieses falsche, idealisierte Selbst zu werden und sind unbewusst davon überzeugt, es mit der rechten Mühe eines Tages schaffen zu können, dieses Selbst doch noch zu werden. Doch das ist ein Trugschluss. In dem künstlichen Versuch, uns in etwas hineinzuzwängen, was wir nicht sind, erlauben wir uns nicht, an unseren wirklichen Kern, unser Höheres Selbst, zu gelangen.
Die absurden Forderungen des idealisierten Selbst
Die nicht zu realisierenden Idealvorstellungen, die wir uns von uns selber machen, können in vielerlei Gestalt unser Leben tyrannisieren. Die hohen moralischen Normen, immer bescheiden, liebevoll, verständnisvoll, niemals ärgerlich, stets unfehlbar und gut zu sein, erschweren den Umstand, unseren Stolz, unsere Überlegenheit und unseren Mangel an Demut, aufzudecken und uns so anzunehmen, wie wir im Augenblick sind. Hinzu kommt die ständig gegenwärtige Angst, dass der Schwindel entdeckt, wir auffliegen könnten, und unsere Lügen und Heimlichtuereien und die damit verbundenen Spannungen und Schuldgefühle, offenbar werden.
Da die Ansprüche des idealisierten Selbst unmöglich zu erfüllen sind, fühlen wir uns in unserem innersten Sein als Versager, begleitet von dem Gefühl tiefster Wertlosigkeit, wenn wir erkennen, dass wir den absurden Forderungen unseres selbst gesteckten Ideals nicht entsprechen können. Auch, wenn es uns bewusst ist, erkennen wir nicht die Bedeutung in vollem Umfang, die Unmöglichkeit dessen, was wir von uns selbst erwarten. Und wir versuchen, unsere Reaktionen auf unser Versagen zu verstecken, indem wir besondere Mittel benutzen, um unsere eigenen Unzulänglichkeiten nicht sehen zu müssen. Ein allseits beliebter und gesellschaftlich akzeptierter Kunstgriff besteht darin, die Schuld für das vermeintliche Versagen auf die Außenwelt, auf andere Menschen oder das Leben, Schicksal, Gott oder sonst wen oder was zu projizieren. Wir schieben damit die Verantwortung, aber auch die Macht unser Leben eigenverantwortlich in den Griff zu kriegen, auf andere ab.
Wir rationalisieren unser So-Sein und erkennen nicht die unserer gespielten Gewissenhaftigkeit, und dem Wunsch den moralischen und gesellschaftlichen Normen entsprechen zu wollen, zugrunde liegende Unehrlichkeit. Und dies verhindert gleichsam das Phantom des idealisierten Selbst als das zu zeigen, was es in Wirklichkeit ist: eine Illusion, eine Vortäuschung, eine Unehrlichkeit.
Der innere Tyrann
Je mehr wir versuchen, uns mit unserem idealisierten Selbst zu identifizieren, desto härter ist die Desillusionierung, wenn uns das Leben in eine Lage versetzt, in der wir diese Maskerade nicht mehr aufrecht erhalten können. Unsere äußeren Schwierigkeiten sind der Beweis, dass wir eben NICHT unser idealisiertes Selbst sind und dies raubt uns zusätzlich, neben den auftauchenden Problemen, unser falsches Selbstvertrauen, was wir mit der Schaffung der Maske aufzubauen suchten.
Gefühle des Versagens, der Frustration und des Getriebenseins wie auch Schuld und Scham sind die stärksten Anzeichen für das Auftreten des idealisierten Selbst. Dies sind die bewusst erfahrenen Empfindungen, in tieferen Schichten verbergen sich andere. In der Tat ist die Grundlage der Tyrannei des idealisierten Selbstbildes das Gefühl FALSCHER SCHAM und FALSCHER SCHULD, wenn wir ihm nicht entsprechen können. Hinzu kommt, dass das idealisierte Selbst auch FALSCHE BEDÜRFNISSE hervorbringt, aufgesetzt und künstlich erzeugt, wie das Bedürfnis nach Ruhm und Sieg, um Eitelkeit oder Stolz zu befriedigen. Das Streben nach diesen Zielen kennt keine echte Befriedigung.
Wir haben uns dieses idealisierte Selbst geschaffen, um Selbstvertrauen zu erlangen und damit letztlich Glück und höchste Freude. Doch je stärker es auftritt, desto mehr schwindet das echte Selbstvertrauen. Da wir seinen Normen nicht gerecht werden können, halten wir im Laufe der Zeit immer weniger von uns selbst, als wir es ursprünglich taten.
Ja, wir könnten Selbstvertrauen haben, wenn wir wirklich das idealisierte Selbst wären und seinen Maßstäben entsprechen könnten. Da dies unmöglich ist und wir tief innerlich sehr wohl wissen, dass wir nicht das sind, was wir glauben sein zu müssen, errichten wir mit diesem Überselbst eine zusätzliche Unsicherheit und weitere Teufelskreise. Die ursprüngliche Unsicherheit, die vermeintlich durch die Errichtung der Maske weggezaubert wurde, steigt ständig. Sie wächst lawinenartig an und wird größer und größer.
Je unsicherer wir uns fühlen und je strenger die Forderungen des Überbaus des idealisierten Selbst werden, desto weniger werden wir ihnen gerecht und desto unsicherer werden wir. Es ist absolut wichtig zu verstehen, wie dieser Teufelskreis funktioniert. Und das gilt es individuell zu erforschen mit der Frage: Wie zeigt sich in meinem spezifischen Fall mein idealisiertes Selbst? Welche Forderungen stelle ich an mich selbst? Sind diese objektiv und realistisch? Welche Ursachen und Wirkungen sind damit verbunden und welche Konsequenzen hat dies für mein Leben?
Das idealisierte Selbst ist eine Lüge. Es ist eine rigide, künstlich errichtete Imitation eines lebendigen Menschen. Mit wie vielen Zügen unseres wahren Wesens wir es auch ausstatten mögen, es bleibt ein künstliches Gebilde. Je mehr wir unsere Maske mit unserer Persönlichkeit, unseren Energien, Gedankenprozessen, Vorstellungen, Ideen und Idealen ausstatten, desto mehr Kraft entziehen wir unserem eigentlichen Wesenskern, dem Höheren Selbst, das allein dem Wachstum zugänglich ist. Diese Mitte unseres Seins ist der einzige Bestandteil, ist das wahre Selbst, das leben, wachsen und sein kann. Es ist der einzige Teil, der uns angemessen leiten kann.
Er allein funktioniert mit all unseren Fähigkeiten. Er ist flexibel und intuitiv. Je mehr wir diesem Wesenskern entziehen und unseren selbst geschaffenen Roboter damit ausstatten, desto mehr entfremden wir uns von unserem wahren Selbst und schwächen und verarmen es. Die existenzielle Frage: Wer bin ich wirklich?", ist der Konflikt und der Kampf zwischen dem wahren und dem falschen Selbst. Nur durch Lösung dieser höchst lebenswichtigen und inhaltsschweren Frage wird unser Wesenskern antworten und mit voller Kraft zugleich mit unserer Intuition wirksam werden. Wir werden spontan handeln können, frei von allen Zwängen, und wir werden unseren Gefühlen trauen, weil sie die Gelegenheit haben werden, zu reifen und zu wachsen. Gefühle werden dann für uns ebenso zuverlässig sein wie unser Urteilsvermögen und unser Intellekt.
Es geht darum, das Wesen des idealisierten Selbst genau zu verstehen: seine Forderungen und Bedingungen an das Selbst und an andere zur Aufrechterhaltung der Illusion. Sobald wir klar erkennen, dass das, was wir als lobenswert betrachtet haben, wirklich Stolz und Verstellung sind, haben wir eine wesentliche Einsicht erlangt, die uns befähigt, den Einfluss des idealisierten Selbst zu schwächen. Und dann wird uns klar, welche Selbstbestrafung wir uns auferlegen. Denn immer, wenn wir versagen, was wir zwangsläufig müssen, werden wir so ungeduldig, so irritiert, dass unsere Gefühle sich lawinenartig zu Wut und Zorn auf uns selbst steigern können. Diese projizieren wir dann oft auf andere, weil es unerträglich ist, sich des Selbsthasses bewusst zu sein.
Der Weg zu wahrem Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein
Die einzige Möglichkeit ein echtes Selbstvertrauen aufzubauen führt über den Weg sich selbst so anzunehmen und zu akzeptieren wie man im Moment ist. Das heißt, auch oder gerade die negativen Charakterzüge, die man normalerweise an sich selbst nicht mag, anzunehmen und lieben zu lernen.
Das idealisierte Selbst hat den Anspruch der sofortigen Vollkommenheit. Das wahre Selbst weiß um die eigene Unvollkommenheit und deren Entwicklungsmöglichkeiten und leidet nicht darunter. Wenn es uns gelingt, uns in allen Facetten unseres Seins zu akzeptieren, wird uns die Entdeckung, wie wenig wir eigentlich unseren Idealen entsprechen, nicht in Depression, Angst oder Schuld stürzen, sondern wird uns eher stärken.
Wir werden es dann nicht mehr nötig haben, unsere negativen Seiten zu forcieren, noch werden wir uns mit der Entschuldigung dagegen verteidigen, dass es der Fehler anderer, des Lebens oder Schicksals sei. Wir werden beginnen, die volle Verantwortung für unser Verhalten, unsere Fehler und unsere Gefühle zu übernehmen, lernen diese auszudrücken und bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Wir werden beginnen, uns selbst mit objektiven Augen zu betrachten und das wird uns frei machen.
