Bijoux schrieb:
Lieber Reini,
wenn es stimmt, was du in deiner letzten mail schreibst, dann hast du viel geleistet, sehr viel!
Allerdings deckt sich das nicht mit dem, was du sonst schreibst, denn du kommst enorm wuetend und kaputt rueber, das ist wirklich so!
Natuerlich lese ich mit grosser Erleichterung, dass du das Erlebte derart transformieren konntest - immer vorausgesetzt, es stimmt - ich frage mich aber: WIE?
Denn das grenzt fuer mich an ein Wunder!
Es waere interessant, das zu erfahren.
Ohne Therapie, ohne spirituelle Hilfe?
Ganz aus dir selbst heraus?
Aber WIE? Wie bist du vorgegangen?
Bijoux
Hi Bijoux,
warum sollte ich Lügen und warum deckt es sich nicht mit dem was ich schreibe?
Ich kann mich nur wiederholen, ich bin weder wütend noch kaputt im Sinne von Schwachsinnig oder so, ich habe alle beisammen. Was ich schreibe sind meine Erfahrungen, es ist das was ich gesehen habe, was ich fühle und all das habe ich gefunden, tief in mir, an der Grenze des Unerträglichen.
Es ist kein Wunder, es war ein Kampf, mit mir selbst,
dem Löwen seine Natur ist es, Tiere zu reißen und unsere Natur ist, uns selbst zu zerstören.
Ein bisschen möchte ich dir davon schildern:
Es kam mal wieder die Zeit der Exesse, es würde von mal zu mal immer schlimmer. Die Konsequenz man lieferte mich in einer Anstalt ein, mit einem richterlichen Beschluss, dort war ich 4 Wochen eingesperrt. Man wollte mich therapieren, aber das wurde nichts.
Ca. 3 Monate später nach der Entlassung, verfiel ich wieder meiner Sucht und zwar schlimmer als zuvor, ich dachte es gibt keine Steigerung mehr, da habe ich mich geirrt.
Ich habe Alkohol getrunken, wie Wasser, am Tag ca. 1 Liter Bier und ca. 1,5 Liter oder mehr, hochprozentiges und Drogen, Tabletten, Nikotin. Gegessen habe ich dann nur sehr wenig. Zum Schluss wog ich nur noch 50 KG, meine Knochen waren zu sehen, ich konnte meine Beine nicht mehr übereinander legen, weil die Sehnen heraustraten.
Alkohol und Drogen machen einen schon fertig, da gibt es kein Zweifel.
In der Zeit dieser Exesse, habe ich viele Dinge getan, die mich heute noch den Kopf schütteln lassen. Also das erste was ich morgens bei Aufwachen haben musste, war Alkohol. Zuerst habe ich immer Bier getrunken und gleich wieder erbrochen, das machte ich solange, bis der erste Schluck Bier im Magen blieb und dann habe ich mir das Hochprozentige reingepfiffen. Ich stand immer mit irgendwas unter Strom.
Ich lebte, oder lieber gesagt ich vegetierte in einer Dachgeschosswohnung 1 Zimmer ca. 20 qm. Der Boden war nahezu mit Schnapsflaschen, Bierflaschen bedeckt.
Das laufen viel mir schwer und ich musste die Treppen hinunter, um auf die Toilette zu kommen, Pustekuchen, dass ging irgendwann nicht mehr. Also pinkelte ich in die Flaschen die da rum standen. Ich habe eine ganze Menge Flaschen gefüllt, kann ich dir sagen.
Es kommt wie es kommen muss, als ich eines Morgens wiederaufwachte, suchte ich im Halbschlaf nach einer Flasche und erwischte die mit Urin, na ja, das war nicht schwer, es standen ja genug Vollgepinkelte Flaschen herum. Ich nahm einen großen Schluck und dachte, man schmeckt das komisch und nahm noch ein Schluck, erst als ich die Hälfte davon getrunken hatte, merkte ich, das es Urin war und in der Flasche steckten auch noch Zigarettenkippen, eine ekelhafte Mischung, kann ich niemanden empfehlen.
Und ich kotzte alles wieder aus, mitten auf dem Teppich, das fiel nicht mehr auf, weil der Teppich von Exkrementen eh verschmutzt war, der Teppich schwamm regelrecht in dieser Brühe. Ekelhaft ich weiß.
Dann bin ich losgegangen in einen Supermarkt und habe mich dort vollaufen lassen, ohne zu bezahlen. Ich habe mich nicht mehr gewaschen, ich habe gestunken wie ein Iltis, nach Erbrochenen, Urin und Alkohol, ich glaube, jetzt tu ich einem Iltis unrecht. Und das ging über Jahre.
Dann geschah eines Tages etwas merkwürdiges, für einen Augenblick sah ich mein Elend, plötzlich sah ich mich selbst, ich sah was ich aus mir gemacht habe, es war so schrecklich. Von da an, habe ich ununterbrochen stundenlang nur geweint, ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen.
Ich habe in den Spiegel geschaut, ich sah mein Gesicht, ich sah aus, wie einer der gerade aus einem Sarg gestiegen ist, mein ganzer Körper war geschunden. Das war für mich der Augenblick zu sagen entweder oder.
Also was machen, zum Arzt gehen, eine Therapie machen, mich von Idioten voll quatschen lassen, was tun. Ich entschloss mich, es alleine zu tun, entweder sterbe ich dabei, oder ich gewinne mich zurück. Ich wollte mir nicht mehr so wehtun, mein Elend war so groß, das ich lieber sterben wollte, als so weiter zu Leben. Und doch Trieb mich mein Kampfgeist voran. Seit dem habe ich in meinen Bekanntenkreis, den Spitznamen Großer Krieger, Der Unbeugsame.
Der Entschluss stand fest, ich mache es alleine, also habe ich meine Zimmertür abgeschlossen, verrammelt und verriegelt.
Was ich da, in den darauf folgenden Tagen erlebte, war die Hölle und die Hölle war in mir. Die körperlichen Schmerzen waren groß, unerträglich, ich weiß nicht, wie ich das ausgehalten habe. Ich hatte nur ein Ziel, ich wollte aus diesem Elend heraus.
Ich fiel ins Delirium, ein kleines Männchen lief in meiner Wohnung rum, ich habe mich köstlich mit ihm unterhalten, dann waren da Käfer an meinen Beinen, die an mir hoch krappelten usw.
Am dritten Tag, packte mich der Verfolgungswahn. Morgens um ca. 6 Uhr lief ich aus meiner Wohnung, ich hatte Angst, eine Stimme in mir sagte Du kannst nicht weglaufen ich bin in dir, umso mehr die Stimme auf mich einredete umso mehr lief ich im wahrsten sinne des Wortes über Stock und Stein. Ich kletterte über eine Zaun und landetet in einem Hundezwinger, ich hatte Glück, der Hund war nicht im Zwinger. Selbst wenn er im Zwinger gewesen wäre, ich glaube der Köter wäre vor mir geflüchtet, bei meinem Gestank.
Am 4. Tag glätteten sich die Wogen, es kehrte Ruhe in mir ein, die Halluzinationen waren verschwunden. In den nächsten Tagen sah ich immer klarer.
Und jetzt stehe ich da und manchmal Blicke ich zurück, so wie jetzt.
Aber ich werde mir niemals wieder so wehtun, wie ich es getan habe. Ich habe Respekt vor mir, vor dem Leben und voller Stolz schaue ich heute in den Spiegel mit der Gewissheit, dass es möglich ist, sich selbst zu lieben und den Pfad der Selbstzerstörung verlassen, zu können.
Ich könnte noch mehr erzählen, aber das würde den Rahmen sprengen.
Gruß
Reini