Die Rolle der IgA-Antikörper für die Ausbreitung des Virus
Das sind eben alles mathematische Verteilungen, die man sich da vorstellen muss. Und nicht nur einzelne Zahlenwerte. Diese Ränder werden abgeschnitten. Das heißt, nur von einer Vorstellung her, mit diesem Virus sind es auf einmal nicht mehr 30 Prozent, die ganz immun dagegen sind, sondern vielleicht nur noch 26 Prozent oder so etwas, also kleine Abstriche. Dann treten mit der Zeit auch Effekte des Immunverlustes auf. Ein Effekt ist: Insgesamt gehen die Antikörper langsam runter. Aber da kann man sich vielleicht vorstellen nach Daten, die jetzt insgesamt schon vorliegen, vielleicht so zehn Prozent Verlust pro Jahr beim IgG.
Aber es gibt andere Antikörper, das IgA beispielsweise. Das sollte man sich hier am stärksten vor Augen führen. Das ist ein Antikörper, der auch im Körper entsteht, der aber die Aufgabe hat, die Schleimhäute speziell zu schützen. Das haben wir auch in einer vergangenen Podcast-Folge schon ausführlich besprochen, was IgA ist. Wir können das im Serum messen und es wird aus dem Serum auf die Schleimhäute transportiert, dieses IgA. Also das finden wir tatsächlich in den Flüssigkeiten der Schleimhäute, im Speichel, im Sekret, in der Nase und so weiter.
Hennig: Wo man IgGs nicht findet.
Drosten: Genau oder nur in ganz geringem Maße. Es wird zusätzlich sogar noch von Plasmazellen lokal an der Schleimhaut produziert, das IgA, in verstärktem Maße.
Also wir haben eine direkte Schleimhautproduktion und ein Durchfiltrieren, ein Sezernieren aus dem Serum, aus dem Blutserum.
Und diese IgA-Antikörper, die sind speziell dafür gedacht, auf den Schleimhäuten Infektionsanfangsereignisse im Keim zu ersticken. Denn diese IgA-Antikörper, die haben auch neutralisierende Eigenschaften, das sind auch neutralisierender Antikörper. Ein Teil der Gesamtneutralisationsaktivität, die wir im Serum messen, wird also von IgA ausgemacht.
Neuerdings gibt es Studiendaten dafür. Da gibt es eine Arbeit aus China, die interessant ist, aus Wuhan. Aber man sieht das auch, wenn man selbst ein Labor betreibt und Studien begleitet, Impfstudien, Immunitätsstudien. Man sieht einfach, dieses IgA geht schneller wieder weg als das IgG. Wir sehen in manchen Kohorten, die wir hier bei uns begleiten, gerade bei mildinfizierten, natürlich infizierten Patienten - das wird die Mehrheit der Patienten in Indien gewesen sein - die Mehrheit hatte einen milden Verlauf gehabt und ist natürlich infiziert gewesen. Die verlieren ihr IgA schon nach zwei, drei Monaten. Die haben also kein messbares IgA mehr. Gerade dann nicht, wenn man im Speichel messen würde. Und bei Personen, die einen schwereren Verlauf hatten, da bleibt das IgA für deutlich längere Zeit, für viele Monate. Wir wissen noch nicht genau, wann Schluss damit ist, aber das bleibt sicherlich einige Monate bestehen.
Und die Gesamtheit so einer Bevölkerung in so einem Land wie Indien beispielsweise hat dann eben, nachdem die erste Durchseuchungswelle in diesem Fall im August, September in größerer Zahl begonnen hat und sich dann im Herbst viele milde Verläufe eingestellt haben und dann bis zum Winter hin 30 Prozent Immunität eingestellt haben, da sind die Ersten schon wieder so weit, dass das IgA verloren ist. Und das sind dann Personen, die tragen dann wieder zur Infektionsverbreitung bei, in dem Sinne, dass sie auf der Schleimhaut keinen Schutz mehr haben oder nur noch einen verringerten Schutz. Es sind keine Schwarzweiß-Effekte, das sind immer Graustufen. Und hier haben wir einfach einen verringerten Schutz über die Schleimhaut. Das heißt, das sind Patienten, die bekommen eine Zweitinfektion. Viele von denen werden keine schwere Zweitinfektion bekommen, denn sie haben im Hintergrund auch eine T-Zell-Immunität aufgebaut. Und die T-Zellen sind sehr robust gegen Immunescape. Die verhindern, dass es zu einem Übergreifen auf die Lunge oder zumindest zu einer Entwicklung einer Lungenentzündung, eines schweren Verlaufs kommt.