Ich verstehe nicht, warum so häufig der Vorwurf des Entweder-Oder kommt.
Wie genau würde es denn zur Verbesserung der Lage beitragen, wenn die "Glücklichen" nun alle in die Arbeitslosigkeit gingen und ebenfalls unglücklich und depressiv würden?
Wäre es nicht angebrachter, darüber nachzudenken, wie man die Lage der "Unglücklichen" verbessern könnte? Anstatt zu fordern, dass die "Glücklichen" jetzt gefälligst auch unglücklich zu sein haben?
Zwischen "unglücklich" und "tot" gibts auch nochmal einen Unterschied. Ich hab jetzt seit November 3 geglückte Suizide in meinem Bekannten- und Freundeskreis und die Oma von meinem Freund, die sich aufgegeben hat, also die Tabletten weggelassen hat, weil sie nicht mehr leben wollte. In meinem Bekanntenkreis gibt es noch mehr solcher Fälle, aber das sind jetzt erstmal die 4, die ich direkt erlebt habe. Und ich finde, genau diese Toten sollten genauso ein Platz in unserer Gesellschaft haben.
Bei dem Fall der Oma wird es sogar noch perverser. Wie gesagt sie wollte nicht mehr leben, weil und so sagt sie es auch, es nichts mehr gibt, was sich lohnt. Da war nur noch Schmerz und Einsamkeit. Das konnten wir nicht auffangen. Zumal wir am anfang sie nichtmal besuchen waren, um sie zu schützen, das hat alles noch schlimmer gemacht. Weil, sie hat es nicht verstehen können.
Aber mal zum Thema zurück. Sie hatte dann Multiorganversagen und kam in die Klinik. Die Geronto war gleichzeitig die Corona Station. Sie verstarb am nächsten Tag , aus allerlei Gründen. Der Corona Test war negativ. Was macht mein Schwiegervater aber daraus? -> er schlachtet öffentlich den Tod seiner Schwiegermutter auf der Corona Station aus und erfindet noch zusätzlich Geschichten von einer Schwester Sabine, die das und das gesagt hat und er hat die ganzen Menschen an den Schläuchen gesehen und jeder Querdenker sollte sich mal die Corona Station ansehen und und und ... Das hat ihm bei facebook sehr viele likes, teilen und neue Follower beschert. Er wurde sogar zitiert.
Da reichte nur zu sagen sie starb auf der Corona Station und da fragte noch nichtmal jemand nach "An was denn eigentlich?", so musste er in dem Fall schonmal nicht lügen. Gute Zeiten für Narzisten. Aber das zeigt einmal mehr, wie in diesem einen Punkt einfach alles völlig unreflektiert geglaubt wird, solange das Thema Corona lautet. Er hat seine Geschichten sogar selbst irgendwann geglaubt, aber das ist einfach auch typisch für ihn, bzw ein Symptom seiner "Erkrankung". Auf dem Weg zur Beerdigung hat er immer Auto wieder gegen Querdenker gewettert (obwohl er sich selbst an gar nichts hält) und fing dann seine Schwester Sabine Geschichten zu erzählen und glaubte auch immer noch dran, als mein Freund meinte "Vater, du bist doch überhaupt nicht rein gelassen worden", denn drinnen waren nur mein Freund und seine Mutter und mein Freund war praktisch illegal drin, weil eigentlich nur ein Besucher rein durfte. Aber dank der lieben Schwester, die nicht Sabine hiess, konnte er zumindest Abschied nehmen.
Aber ich frage mich ganz ehrlich und da muss man einfach mal offen genug sein, was derzeit keiner ist. Hätte er denn die gleiche Anerkennung und das gleiche Mitgefühl ausgesprochen bekommen, wenn es hiesse, meine Schwiegermutter hat sich aufgegeben, weil sie einsam war? Ganz ehrlich NEIN einfach NEIN. Und ich fordere da einfach, das man das zumindest offen eingesteht. Niemals wäre meine Schwiegervater so oft bei facebook zitiert und geteilt geworden, hätte er nicht so getan, als wäre unsere Oma an Corona gestorben.
Und das ist was ich einfach kritisieren muss, wir haben im Moment eine 2 Klassen Todesfallgesellschaft. Mein Freund und ich wir sind genauso traurig, egal was die Todesursache war. Weg ist weg und im Grunde schmerzen uns sogar noch die vielen Momente gerade, wo wir sie nicht besuchen waren, weil wir Angst hatten, das wir sie vielleicht anstecken (da gabs ja noch keine Schnelltest oder so) und sie war so schwerhörig, das sie telefonieren zb anstrengte.
Und bei meinen Suizidfreunden muss ich mir auch ständig anhören, jaa aber die waren doch bestimmt schon vorher depressiv oder jaa aber, die haben sich das selbst ausgesucht. JA ABER! Die haben auch Familien, einer hat sogar 2 kleine Kinder, aber wenn dein Hobby die Kunst ist und dein Job ebenfalls in dem Bereich und es keine Hilfe gibt, kommt mancher einfach nicht mehr klar und hier reden wir von Leben zwischen 30 und 50. Und ja natürlich, ich finde viele Künstler und Musiker sind sehr sensibel, aber darum machen sie auch Kunst, um sich auszudrücken und zu fühlen, das ist einfach nichts, was in irgendeiner Form ein Makel ist, sondern genau die Basis die dich zu dem macht was du bist und in welcher Form du dich ausdrückst.
Doch, es hätte eine Menge viel viel besser laufen können, gerade im psychosozialen Bereich und da können wir jetzt tausendmal schwadronieren, das wir jetzt die unglücklichen stärken müssen.. bla die bubb.. politisch wird da nichts passieren, menschlich wird da nichts passieren und die die ihre Umwelt unterstützen, tun es meist die ganze Zeit schon. Es wäre zumindest mal richtig und ein Anfang, wenn viel offener mit dem Thema Kollateralschaden, auch in Form von Menschenleben umgegangen werden würde und diese genauso, ohne Erklärungen, ohne Beschwichtigungen ihren Platz in unserer Gesellschaft bekommen und ein Gesicht.