Man hört und liest heute viel von Christenverfolgung in vielen Ländern der Welt. Doch wie viel Verfolgung geschieht wirklich um des Glaubens und der Nachfolge Christi willen? Oder ist der Grund vielleicht vorwiegend in der Einmischung der Kirchen in die Politik zu finden? Wenn es den Kirchen mehr um den eigenen Einfluss und um politisch-gesellschaftliche Veränderungen geht und nicht um
das geistliche Anliegen. kann man im Grunde genommen nicht von Verfolgung um Jesu willen sprechen.
Vor einigen Tagen aus Indien zurückgekehrt. konnte ich dort die so genannten Massenbekehrungen der «Dalits» zum Buddhismus aus nächster Nähe verfolgen. Auch die christlichen Kirchen bemühen sich, unter
den Stammesvölkern Anhänger zu gewinnen. Die Hinwendung ganzer Dorfgemeinschaften der Bergvölker zur «christlichen Religion» (besonders in den Staaten Orissa, Gujarat und Andhra Pradesh) erzeugt eine starke Opposition der hinduistischen Landbesitzer, Geldverleiher und Beamten, welche diese Völker wirtschaftlich ausnützen und versklaven. Das führt zu grossen Spannungen. Allgemein bekannt ist allerdings, dass diese «Christen» nicht wirklich bekehrt sind und in den meisten Fällen trotz eines «Religionswechsels» weiterhin ihren überlieferten Glaubenstraditionen verbunden bleiben (Ahnenkult, Animismus, Fetischismus, die Beachtung von Omina und Tabus, magisches Denken, Schamanismus, usw.).
Ein Religionswechsel zum «Christentum» aus praktischen Gründen ist etwas anderes als eine biblische Bekehrung und Wiedergeburt. Ich kenne seit 1964 durch viele Reisen und Dienste in Indien eine grosse Anzahl von gläubigen Gemeinden, die auf das Wirken von Bakht Singh und seiner Mitarbeiter zurückgehen. Aus allen diesen Gemeinden ist bisher kein Gläubiger zu Schaden gekommen. Diese einheimischen Christen, die vom Westen völlig unabhängig sind, werden in der Regel in ihrer Umgebung sogar geachtet und geschätzt. Sie haben immer noch völlige Freiheit zum Versammeln und zum öffentlichen Evangelisieren und halten jedes Jahr Konferenzen mit bis zu 5000 Teilnehmern ab. Sie mischen sich in keine Politik ein und haben kein Streben nach Macht und Ansehen. Und diese Gemeinden wachsen ständig und missionieren ihr eigenes Volk.
'So arbeiten z. B. seit einigen Jahren einheimische Gläubige aus der Gemeinde «Hebron» in Hyderabad unter dem Stamm der Koya in den Dschungelgebieten von Andrah Pradesh. Die ersten Kontakte mit diesen noch in
der Steinzeit lebenden Menschen geschahen dadurch, dass diese ihre handgefertigten Körbe in den Randgebieten zum Verkauf anboten. Dabei lernten sie, sich in der Landessprache zu verständigen. Gläubige indische Geschwister gingen mit ihnen in den Dschungel und konnten ihnen nach kurzer Zeit die Frohe Botschaft verkündigen Hier geht es nicht um
«Christianisierung», sondern um echte Bekehrungen.
Durch indische Christen sind bereits ca. 12 Gemeinden im Dschungel entstanden, von denen die grösste 1000 Glieder hat. Manche davon wer- den bereits von Stammesangehörigen geleitet. Hier geht es nicht in erster Li- nie um einer Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung, sondern um Errettung von Sünde und Verlorenheit. Wo das geistliche Anliegen im Zentrum steht, verändert sich auch -so- zusagen als Nebeneffekt -das äusserliche Leben.
Andererseits darf es uns nicht wundern, dass Christen der Welt verfolgt werden. Jesus Christus sprach mehrere Male davon, dass Verfolgung für gläubige Christen nichts Ungewöhnliches ist: «Haben sie mich ver- folgt, sie werden euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so wer- den sie eures auch halten» (Joh.
15,20). Der Apostel Paulus schrieb: «Denn euch ist gegeben, um Christi willen zu tun, dass ihr nicht allein an ihn glaubet, sondern auch um seinet- willen leidet» (Phil. 1,29), «Und alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, müssen Verfolgung leiden
(2. Tim. 3, 12). Auch die Gläubigen in Indien wissen etwas von Verfolgung,
die sich jedoch vorwiegend in den Familien abspielt.
Indische Brüder versicherten mir, lass sie in der «westlichen» christlichen Religion in Indien nur sehr wenig von wirklichem Christentum sehen und dass der biblische Missionsauftrag am wirksamsten durch die einheimischen Gläubigen erfüllt wird. Sie sind vertraut mit der Kultur, dem Klima, der Mentalität der Menschen, und ihnen fällt es leicht, sich ohne langwierige sprachliche Ausbildung mit den Menschen zu verständigen. Der vor einem Jahr heimgegangene Gemeindegründer Bakht Singh erkannte schon frühzeitig das Ende der westlichen Missionstätigkeit in Indien und bereitete die durch seinen Dienst entstandenen über tausend Gemeinden auf ihre Verantwortung gegenüber ihrem eigenen Volk zu. Diese Gemeinden üben nach wie vor eine rege Missionstätigkeit unter ihrem eigenen Volk aus und führen Menschen zum lebendigen Glauben.
Werner Tietze, DE-Stein