"Lüge" ist eine moralische Komponente, die in diesem Zusammenhang nix bringt außer ein wenig manipulative Färbung in der Argumentation. Aber wir sind da genau am Punkt: Wissenschaft basiert auf Hypothesen (wie die Astrologie auch). Die Hypothesen werden als gültig betrachtet, solange sie nicht falsifiziert sind - das wär dann quasi eine Wahrheit mit Vorbehalt!? Da erscheint es mir doch deutlich sinnvoller, eine Hypothese als brauchbar, nützlich etc. anzusehen und nicht als "wahr".Wissenschaft arbeitet mit Annahmen, um neue Theorien aufzustellen. Die Annahmen gelten als wahr- man gründet ja keine Theorie auf Lügen.
Nein. Theoretisch sehe ich keine Notwendigkeit, und praktisch sehe ich die Geschichte von Konstrukten, die ein Absolutes postulieren, vorwiegend als eine Geschichte von hierarchischen Instrumentalisierungen, von fundamentalistischen und oft auch imperialistischen Ideologien der verschiedensten Prägungen. Sehnsucht wär ja eher eine Dimension von Spiritualität, und da könnte die Vorstellung eines All-Einen, in dem wir alle verbunden sind, wie die Vorstellung von einem Absoluten aussehen. Da bin ich jedoch Fisch genug, um einerseits nicht das Bedürfnis zu haben, Transzendentes in nichttranszendente Begrifflichkeit einsperren zu wollen und andererseits ganz sucht-frei mich gut aufgehoben zu fühlen in dem, was auch in der phänomenologischen Unbestimmtheit der Vielfalt des Hier & Jetzt schon Ausdruck des All-Einen ist.Hast du keine Sehnsucht, kein Bedürfnis nach dem Absoluten? Nicht mal theoretisch?
Eben. Kannst Du mir einen guten Grund sagen, warum ich ein Absolutes als Hypothese annehmen sollte? Ich geh da sogar noch weit hinter Einstein zurück und lande bei Thomas von Aquin, der das Paradoxon eines Absoluten so beschrieb: "Wenn Gott allmächtig wäre, könnte er einen Stein erschaffen, der so schwer wäre, dass auch er ihn nicht aufheben könnte..." ... Auf der Basis des kritischen Rationalismus nach Popper würde sich die Hypothese eines Absoluten also quasi selbst aushebeln und ad acta legen.Einstein zum jungen Heisenberg: "Erst die Theorie entscheidet darüber, was man wahrnehmen kann." Was nichts anderes heisst als: wer nicht das Absolute als Theorie annimmt, wird es auch nicht wahrnehmen können.
Nun bin ich ja gar keiner, der widerspruchsfreie "Wahrheit" als Bedingung einer gültigen Weltsicht benötigt - ich liebe die Paradoxien, jene Hinweise darauf, dass unsere Begrifflichkeit nicht das Sein der Welt umfasst, sondern lediglich die Beschränktheit unseres Horizonts bzw. der Methode, das Sein in Formeln zu fassen. Die Freiheiten, die sich daraus ergeben, hat Steve de Shazer in einem für mich faszinierend einfachen Satz auf den Punkt gebracht: "Ich muss nicht wissen, was gut ist, um zu wissen, was besser ist."
Mit großem Interesse hab ich auch gelesen, wie die Adepten der "konkreten Prognose" begründen, so einfach aus dem Horoskop heraus nun doch nicht sagen zu können, was sich "konkret" ereignet. Damit relativiert sich dann doch die Diffamierung der "psychologischen Astrologie" ziemlich deutlich, und wenn ich erst in der individuellen Vorgeschichte des Nativen grundeln muss, damit ich in der Deutung seines Horoskops aus dem Verwaschenen rauskomme, dann ist das de facto angewandte psychologische Astrologie... wobei mir eh all diese Kategorisierungen nicht schmecken und ich eher für eine "astrologische Astrologie" eintrete, die einen enormen Werkzeugkasten bietet, der für verschiedene Begabungen, verschiedene Ausgangshypothesen und verschiedene Anwendungsbereiche eine reiche Auswahl bietet. Und es wird eher lächerlich, wenn dann der Hammer der Zange vorwirft, dass sie zu gelenkig wäre...
Alles Liebe,
Jake