...hm, lustig (...-ich meine selbstverständlich nich deine Lage)... ;-)
Ich höre nämlich grad vor meinem geistigen...ähm, Ohr(?)...meine Schulfreundin Claudia reden, ihre Stimme.... -aber genau deine Situation.
Claudia "warf es aus der Spur" eines Tages ganz unvermittelt im vorletzten Jahr vor dem Abi (deshalb die Frage nach deinem Alter).
Nach außen schien sie nicht besonders gebrechlich und sensibel, sondern war ein witziger und zugänglicher Typ -wenn man an sie rantrat. Zu uns auf die Schule kam sie damals im Schlepptau ihrer besten Freundin, an der sie auch privat ziemlich emotional hing, aber nicht etwa so unnormal klettete. Bald waren wir also Teil einer kleinen eingeschwornen Clique von 5-6 Mädels.
Eines Tages im Spätwinter kam Claudi plötzlich nicht mehr zur Schule. Auch nicht am folgenden Tag...und so über sechs Wochen lang.
Niemand wußte was, -beziehungsweise jene die was wußten (Schulleitung, Lehrer, Claudis Eltern) wollten uns nix sagen.
Auch selber ans Telefon bekam keiner von uns sie ran. Alle schalteten auf stumm und es war als ob sie vollkommen vom Erdboden verschwunden wäre.
Nach einigen Wochen war sie eines morgens wieder da. Sichtlich verändert, -einige Kilo magerer, blasser Hautton, stumpf glanzlose Haare und die Augen warn auch irgendwie anders. Selbst ihr Auftreten war scheuer und zurückhaltender, -ja fast abwartend-, uns gegenüber. Natürlich drängten wir alle auf sie los mit "Wo?Wie?Was?Warum?"-Fragekanonade. Doch sie sagte nur vorerst sie wäre krank gewesen, weiter nichts.
Nach einer Weile öffnete sich uns, ihren Freunden, dann doch. ...Was also ist passiert mit Claudi?
Jeden morgen hatte Claudia eine ziemlich lange Anfahrt zur Schule zu bewältigen. Sie und Eva (so hieß das Mädel an dem sie hing) stammten aus einer Ortsgemeinde die eigentlich viel näher an einer anderen Stadt dran war als der unseren. Eva wurde hier eingeschrieben weil ihr Vater irgendsoein wichtiger Typ in der lokalen Bank war und die Schule so eine prestigeträchtige Einrichtung ist. Claudia wiederum wollte aus eigenen Stücken auch dort hin, weil sie sich einfach nicht von Eva loslösen mochte, -sie hatten wohl schon in der Grundschule geklickt. ...Claudi hatte demnach jeden morgen 20 Minuten Bus und nochmal 20 Minuten Straßenbahn, also jede Menge Zeit frei für Gedanken. (Eva wurde morgens gebracht.)
Eines Tages schaffte sie es nicht mehr mit dem Bus zu fahren. Sie stieg ein, fuhr zwei-drei Haltestellen, ...-und ihr ging es plötzlich so sauschlecht das sie aussteigen mußte. Beklemmung, Atemnot, Übelkeit, Schwindelattacken, alles solche Symptome die es ihr unmöglich machten physisch überhaupt im Bus zu bleiben. Später kamen akute Bauchschmerzen schon von alleine vom "ans Busfahrn denken" erzählte sie uns.
Also stieg sie jedesmal aus, schlich ein wenig durch den Ort und wartete bis ihre Familie zuhause ihrer Wege ging (Eltern zur Arbeit, kleiner Bruder zur Schule), -dann ging sie heim und legte sich heulend ins Bett.
Tagelang ging das so ...und wer weiß wie lange noch ginge. In der Oberstufe verständigt die Schulleitung die Eltern ja nicht mehr, wenn jemand schwänzt.
Die Sache flog auf, weil Claudi beim Rumschleichen zufällig "gespotted" wurde von ihrer Oma, die sich dann naher bei ihren Eltern erkundigte ob Claudi krank ist, da sie am Vormittag nich in der Schule ist.
Ausflüchte waren nicht mehr möglich, als ihre Eltern sie gezielt darauf ansprachen. Gottseidank waren Claudis Eltern allerdings vernünftige und einsichtige Menschen. Statt sie in Grund und Boden zu stampfen wegen ihrer Schwäche beschloßen sie lieber einen Jugendpsychologen aufzusuchen, der auch schon Claudis kleinen Bruder wegen Hyperaktivität in Behandlung hatte. ....
Also wurde Claudi dort erstmal zur Gesprächstherapie eingeordert, wo sie mit Hilfe der Psychologin ihre Innenwelt besser zu verstehn lernte. Der nächste Schritt war Verhaltenstherapie. Sie mußte lernen "neutral" buszufahren, ...lernen normale Alltagsdinge wieder von Angsterwarten abzukoppeln. Das sah dann unter anderem auch so aus, das sie am hellichten nachmittag -mit der Therapeutin an der Seite- genau die kritische Buslinie fahren mußte und Wort für Wort schildern, was sie grad körperlich fühlt (z.B. "mein herz rast", "mir ist flau im bauch") ...Sie hat mir erzählt, das sie sich dabei plötzlich selbst ein wenig lächerlich vorkam, als ihr auffiel wie überdimensioniert die Symptome waren.
Ihre Psychologin war kein Fan von Psychopharmakaanwendung bei Jugendlichen, vor allem bei möglichen Kontraindikationen. Vielleicht darum hat sie Claudis Eltern geraten, sie einem Facharzt für Endokrinologie vorzustellen. Das Ergebnis war erstaunlich. ...Claudias Schilddrüse war offensichtlich schon seit einiger Zeit vollkommen außer Kontrolle, hat ihren Hormonhaushalt -und damit die Biochemie in ihrem Hirn zerschossen!
Das und in Kombination mit übersteigertem Leistungsdruck führte schließlich zu diesen unbezwingbaren Panikattacken.
Erstaunlich war übrigens auch der Grund für den Leistungsdruck. Claudi war ansich keine schlechte Schülerin, eher normales Mittelmaß. Dennoch hatte sie stets den Eindruck den Erwartungen nicht gerecht werden zu können. ...Aber wessen Erwartungen? Ihre Eltern waren es nicht, die sie zu Erfolg zu peitschen gedachten. -Es waren die Eltern ihrer Freundin Eva. Sie haben Claudi stets von Anfang an abgelehnt als Umgang für ihre Tochter. Als Leute "besseren Standes" war ihnen eine Arbeitertochter einfach nicht fein und gut genug, die beste Freundin ihrer Tochter zu sein.
Also hat Claudi jeden morgen angefangen unterschwellig zu denken, ...<was wenn ich doch in der Schule versage?...-dann haben die Leute recht und ich bin wirklich nix wert>...also gar nicht erst hingehen.
Es hat wirklich einige Weile gedauert, aber Claudia hat die Kurve letzendlich doch gekriegt.
Das Jahr hat sie natürlich wiederholen müssen, es waren einfach zu viele Fehlzeiten. Mit ihr ist noch ein anderes Mädel aus unserer Clique hängengeblieben -während Eva, die anderen und ich den Sprung ins nächste Jahr (und einen anderen Gebäudeteil) schafften. Schon alleine deswegen war Claudi auch genötigt neue Freunde zu erschließen, was ihr sichtlich gut tat. Wir haben uns in den Pausen zuerst noch besucht, bald aber immer weniger als wir uns gegenseitig entwicklungsbedingt entfremdeten. Kurioserweise hatten Eva und Claudia auch außerhalb der Schule nicht mehr viel Kontakt, da Eva ihrerseits nun an mir hing. (Ihre Eltern waren von mir noch sehr viel weniger begeistert, da ich damals ein "Grunge/Punk-Girlie" war. *lol*)
Heute, -etliche Jahre danach-, könnte man von Claudi sagen <sie hat es zu was gebracht>. Sie lebt ein normales Leben mit Familie und Freunden, Haus und Hund. Und stell Dir vor...sie arbeitet in einer PR-Agentur.
Alles nicht übel, nich wahr?...wenn man bedenkt was aus ihr hätte werden können, hätte sie den Weg zum Psychotherapeuten und Endokrinologen gescheut.
Ich hoffe das Dich, liebe
@Naschkatze, diese Geschichte meiner Freundin inspiriert ebenfalls den Kampf aufzunehmen. Alleine ohne Hilfe vom Umfeld würdest Du es vermutlich nicht schaffen, aber den ersten Schritt -das Hervortreten und um Rat fragen hast Du doch schon hingekriegt. ...-Jetzt mach das ganze auch im RL
L.G., Leoni3