Durchbruch
Mühsam kletterten Elmer und Ahmed auf dem immer wieder nachgebenden Schutt nach oben in Richtung des Loches, welches einen Einblick in den dahinter liegenden Raum freigab.
Der zitternde Strahl der Taschenlampe des Amerikaners erfasste den Innenraum der Kammer. Staubpartikel schwirrten durch die Luft und gaben dem Anblick etwas Gespenstisches. Auch Elmer und Ahmed setzten nun ihre Stablampen ein, um den Raum besser auszuleuchten. Sie mussten sich eingestehen, dass sie mindestens so überrascht waren, wie der Amerikaner, denn dieser Raum war ihnen nicht bekannt!
Skulpturen säumten die Mitte der Halle, die sich nach Elmers Schätzung auf etwa zwanzig Meter Länge erstreckte, jedenfalls soweit er es bisher einsehen konnte. Die menschlichen Skulpturen wiesen bei genauerem Hinschauen Merkwürdigkeiten auf. Es waren Missbildungen. Schwänze, Hörner, deformierte Köpfe und Gliedmassen. Es sah so aus, als stünden sie Spalier bis zu einem Sockel, den sie noch nicht einsehen konnten.
Sidi al Shamad und Zach Weidmann waren am Fuss des Schuttberges erschienen und beorderten die drei Männer zurück. Sie ordneten an, den Eingang zunächst komplett freizulegen, um den Raum dahinter besser zugänglich zu machen und genau erforschen zu können. Elmer und Ahmed nutzten die Gelegenheit, um nach oben an die frische Luft zu gehen, bis die Arbeiten hier unten abgeschlossen waren.
Nachdem sie sich den Staub abgewaschen hatten, ruhten sie sich im Zelt bei einem Kaffee und Wasser aus und stärkten sich mit einem kleinen vorbereiteten Imbiss.
"Kannst Du Dir einen Reim darauf machen Elmer," fragte Ahmed.
"Ich bin mir nicht sicher, aber diese Skulpturen erinnern mich an Atlantis. Es gab eine Zeit, in der durch Vermischung göttlicher Kräfte mit den Menschen und Tieren Missbildungen entstanden waren. Man versuchte, sie mit Hilfe der Kristalle zu entfernen, um den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, da sie wegen ihrer Missbildungen als Geringwertige galten und zu Skavendiensten gezwungen wurden. Ich könnte mir vorstellen, dass es etwas damit zu tun hat."
"Wer diesen Raum wohl angelegt hat," sinnierte Ahmed.
"Es gab aber da auch eine Gegenbewegung. Eine Minderheit wandte sich gegen das Streben des altantischen Königs und wollte immer mehr Menschen unterjochen und die missgebildeten Wesen weiterhin für ihre Sklavendienste missbrauchen. Leider stieg die Anzahl ihrer Anhänger. Sie folgten nicht dem Weg des "Einen", sondern hatten einen anderen Gott."
"Ba-al!"
"Der Missbrauch der Kristalle für ihre niederen Absichten führte letztlich bei den gefährlichen Experimenten zum endgültigen Untergang von Atlantis und liess alles im Meer versinken. Nur wenige Menschen konnten sich bei dieser letzten Zerstörung retten."
Sidi al Shamad gesellte sich zu den beiden Männern.
"Nehmt euch noch frisches Wasser und neue Stablampen mit vollen Batterien mit. Die Jungs sind schnell und es geht gleich weiter."
Ahmed nickte ihm sein O.K. zu.
Ein paar Minuten später standen Elmer und Ahmed hinter den staunenden Amerikanern vor dem freigelegten Eingang zur neu entdeckten Halle. Nun konnten sie weiter hinein sehen. Auf dem Sockel am Ende des Spaliers der Skulpturen war ein Thron zu sehen, auf dem eine Gottheit sass. Ein übergrosses Monument mit hervortretenden Augen und einer hässlichen überdimensionalen Hakennase. In seiner linken ausgestreckten Hand, die nur drei Finger zählte, hielt er einen Kristall, gross wie ein Hühnerei.
Trotz des immer noch umher fliegenden Staubes war sein Leuchten deutlich zu sehen. Die Lichter der vielen Stablampen tanzten von einer Skulptur zur anderen und zum Thronsessel des Gottes.
Scheinwerfer wurden heran geschafft, um die Halle besser auszuleuchten. Elmer konzentrierte sich derweil auf die Aussenwände der Halle und richtete den Strahl seiner Lampe dorthin. Längliche Spalten in den Quaderwänden erregten seine Aufmerksamkeit. Was sollte das sein? Lüftungsschlitze?
"Geh' nicht hinein, Papa Elmer!, hörte er Insas Stimme in seinem Inneren. Geh' nicht hinein!" Auch Ahmed hatte ihre Stimme vernommen. Langsam traten sie ein paar Schritte zurück und liessen den hinter ihnen stehenden Neugierigen Blicken den Vortritt.
"Lasst uns hineingehen," sagte der Vorarbeiter des amerikanischen Trupps und bewegte sich durch den Eingang in die Halle. Vorsichtig, Schritt für Schritt näherte er sich dem Thron und beleuchtete dabei jede der Skulpturen.
Erst jetzt fiel Elmer die grosse Kugel auf, die in etwa drei Metern Höhe über dem Kopf der Gottheit zu schweben schien. Wie und wo war sie befestigt? Er konnte nichts erkennen.
"Schau die Kugel, Ahmed. Sie schwebt!"
Auch Ahmed suchte nach Befestigungen irgendwelcher Art, doch auch er konnte nicht entdecken. Sie schien tatsächlich zu schweben. Sämtliche Amerikaner, Sidi al Shamad und Zach Weidmann befanden sich im Innenraum der Halle. Nur Elmer und Ahmed verweilten noch im Eingangsbereich.
Elmer sah sich die Inschrift über dem vorderen Sims an und entdeckte eine weitere Inschrift an der Innenlaibung des Durchganges. Er beleuchtete die Inschrift mit seiner Stablampe.
"Kannst Du es entziffern?", fragte Ahmed.
"Scheisse!, raunte Elmer. Es ist Baltiri."
Er sah Ahmeds verständnislosen Blick.
"Baltar! Die Heimat von Ba-al, verstehst Du?"
"Oh!"
Als Elmer sich wieder der Inschrift zuwandte, hörte er abermals die Stimme seiner Tochter. Sie übersetzte für ihn:
Weh' euch ihr Eindringlinge!
Zu weit seid ihr
und ihr seid des Todes!
Sein Licht wird euch ins Dunkel stürzen!
"Welches Licht?", überlegte Ahmed.
Im gleichen Moment sah er, wie der amerikanische Vorarbeiter in Richtung der Hand der Thronfigur mit dem Kristall griff. Er wollte den Stein an sich nehmen.
"Nicht anfassen!", schrie Elmer.
Doch zu spät! Der Mann hatte den Kristall bereits in seiner Hand und rieb den Staub von seiner Oberfläche. Dann überschlugen sich die Ereignisse!
Noch in seiner Hand begann der Kristall zu leuchten und schien ein Feuer zu entfachen in der grossen Kugel, die über dem Thron in der Höhe schwebte und die bisher keinem der Amerikaner aufgefallen war. Erschrocken hielten die Männer inne.
"Alle raus hier!", schrie Elmer aus Leibeskräften. Doch für die Männer war es zu spät.
Die grosse Kugel war in eine Drehbewegung geraten und aus den Schlitzen in der Wand, die Elmer zunächst für Lüftungsschlitze gehalten hatte, ergoss sich etwas Gasförmiges, dass sich rasend schnell in der gesamten Halle ausbreitete.
Elmer riss an Ahmed's Arm und rannte mit ihm so schnell er konnte in Richtung Ausgang. Als sie das Tageslicht erreichten, lebte keiner der Männer in der Halle mehr. Sie hatten keine Chance gehabt. Das Gift hatte sie sofort gelähmt und ersticken lassen.
Weit weit entfernt zuckte Ba-al zusammen. Er hatte sofort gespürt, als die Kugel aktiviert wurde. So schnell hatte er die ungeahnte Hilfe nicht erwartet!....
Schon bald würde er auf der Erde wandeln.
