Kameltreiber Ali beim Psychiater

34.

„Oh Allah!“, bekundete Kapitän Allmalah hocherfreut. „Heute hat unser begnadeter Küchenchef Mustafa erneut Musakka für uns zubereitet.“

Ali und der Shrenk nickten dem Kapitän wohlwollend zu und begannen sich an dem Gericht zu laben.

„Ich war heute unten in der Küche, nach Mustafa schauen, aber er machte gar keinen guten Eindruck. Er beklagte sich über starke Kopfschmerzen und auch Magenprobleme. Mustafa glaubt, dies könne an dem Tief über der Biskaya liegen. Aber der Magendruck?“, fragte der Kapitän besorgt. „Doch Allah unser Allmächtiger ist voller Barmherzigkeit und Güte. Mustafa hat nämlich trotz seiner Kopfschmerzen, darauf bestanden, für uns heute Abend zu kochen, und vor allem seine neueste Kreation: Musakka!“

Ja, überlegte Ali. Musakka gibt es seit der Kamelstampede im Kühlhaus fast jeden Tag, und das weil der Kapitän ganz versessen darauf ist.

„Auberginen sollen sehr gesund sein“, meinte der Shrenk zum Kapitän. „Aber ich wollte euch gerne eine ganz andere Frage stellen, wenn ihr erlaubt.“

„Nur zu, fragt ruhig.“

„Ich wollte gerne wissen, was so ein Schiff kostet.“

„Oh, das kann ich euch in etwa sagen: unsere gute Ramlah würde auf dem heutigen Markt 130 Millionen Dollar erzielen, obwohl sie second hand Ware wäre.“

„Aha.“ Der Shrenk verstand das nicht so richtig und dachte nach.

„Es war in den letzten Jahren ein rapider Preisanstieg in der VLCC Klasse zu verzeichnen“, fuhr der Kapitän fort. „Da die Nachfrage auf dem Markt nach Supertankern sehr hoch ist. Ein fünf Jahre alter VLCC kostet so viel wie ein neuer. Die Preise für second hand Supertanker befinden sich immer noch auf einem hohen Niveau.“

„Aber woran liegt das?“, wollte der Doktor nun doch wissen.

„Unsere Ramlah besitzt wie alle VLCC Tanker, eine Doppelhülle, und ab 2010 darf es keine Einhüllentanker mehr geben.“

Der Kellner räumte die Teller ab und erhielt ein freundliches Nicken des Kapitäns. So ein Musakka ist etwas ganz besonderes dachte der Kapitän zufrieden. Da kann kein Scheikh Al-Mahschid mehr mithalten.

„Doppelhülle?“, fragte der Shrenk misstrauisch. „Eine Doppelhülle habe ich bisher nicht gesehen. Wo genau ist sie, diese Doppelhülle?“

„An den Schiffseiten ist zum Schutz der Ladetanks eine Doppelhülle mit einer Breite von 3,50 Metern und ein durchgehender Doppelboden von 3 Metern, der die Ladetanks schützt und sich vom Vorpiek bis zum Maschinenraum erstreckt.“

„Damit das Öl nicht ausläuft.“

„Genau.“

„Und was sind Sloptanks?“

„Sloptanks dienen der Aufnahme von Schmutzwasser und Rückständen vom Tankwaschen.“

„Waschen der Tanks?“

„Das nennt man Crude Oil Washing. Mittels Düsen wird während des Entladevorganges Öl mit hohem Druck auf die Tankwände gespritzt, um so den Ölschlamm und feste Bestandteile des Öles zu lösen. Die Sloptanks werden im Hafen gelöscht.“

Ja, dachte der Shrenk. In den Sloptanks hätten wir unsere Kamele nie und nimmer gefunden. Ali schwieg und konzentrierte sich auf die Nachspeise, die gerade serviert wurde.

„Gazellenknöchelchen“, sagte der Kellner und stellte jedem seiner Gäste einen Teller des wohlriechenden Gebäcks hin. Es waren kleine Halbmonde aus Mandelteig, gefüllt mit Datteln und gemahlenen Mandeln, mit Puderzucker bestäubt und nach Rosenwasser duftend.

Ali nahm sich eines dieser knusprigen, noch leicht warmen Gebäckstückchen und schob es sich in den Mund.

Mustafa braucht halt seinen Fernet Branca. Die erlesenen Kräuter müssen es sein, die ihn täglich zu diesen Höchstleistungen kulinarischen Genusses anfeuern.

„Ali, wo sind wir eigentlich?“, erkundigte sich der Shrenk.

Drauβen an Deck war es recht ungemütlich geworden, aber nach den Mahlzeiten, zog es Ali und den Shrenk hinaus an die frische Luft. Sie hatten sich in eine windstille Nische geflüchtet und beobachteten die Wellen, mit denen die Ramlah zu kämpfen hatte.

„So wie ich es sehe, müssten wir uns auf der Höhe von Le Havre befinden.“

„Was ist mit Le Havre und warum diese sorgenvolle Miene?“

„Ach Doktor, weil wir bald in Rotterdam sind und unsere Reise sich dem Ende nähert.“

„Dem Ende? Unsere Reise ist in Rotterdam noch nicht zu Ende, werter Ali.“

„Darum geht es ja. Wie wird es weitergehen, frage ich mich.“

„Karim hat für uns den Frachter reserviert.“

„Nein, eben nicht. So wie der Kapitän mir vorhin sagte, geht unsere Reise von Rotterdam mit einem Luxus Cruiser von der Holland-Amerika Linie, nach Lissabon.“

„Luxus Cruiser?“

„Das Schiff heiβt Westerdam.“

„Westerdam? Hm. Und unsere Kamele?“

„Karim sendet herzliche Grüβe und schenkt uns drei Tage auf einem Luxusliner. So lieβ es Kapitän Allmalah ausrichten. Mit Kamelen natürlich, und gerade das macht mir Sorgen.“

„Oh, werter Ali. Ich mache mir da vielmehr Sorgen, ob ich euch werter Ali, oder werte Ali an Bord dieser, wie heiβt das Schiff?“

„Westerdam.“

„Also wie soll ich euch dort nennen, werter Ali? Wir fallen in unseren arabischen Thoben, verkleidet als Wüstenscheiche und mit falschem Prophetenbart, so auf, wie Auβerirdische auf dem Marktplatz von Antwerpen.“

„Wie kommt ihr auf Antwerpen?“

„Hm.“

In diesem Augenblick legte sich die Ramlah in eine besonders hohe Welle und musste dabei über den Shrenk lachen. Der Shrenk dagegen klammerte sich an der Reling fest und wurde blass.

„Was heiβt hier hm?“, fragte Ali und hielt sich auch an der Reling fest. „Wer von uns macht sich denn mehr Sorgen?“

„Ich muss in mein Bett“, meinte der Shrenk matt. Ali nickte. Sorgen mache ich mir inzwischen schon zur Genüge, da kommt es auf einen seekranken Shrenk auch nicht mehr darauf an. Und die Kamele? Allah wird es hoffentlich gut mit uns und den Kamelen meinen, wenn ich das nicht wüsste, würde ich glatt durchdrehen.
 
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35.

Es war genau fünf Uhr Nachmittags, als der Luxus Passagierliner Westerdam, die Leinen los machte und vom Kai ablegte. Der Shrenk war ein wenig durcheinander über die elf Stockwerke des Schiffes. So wie er es verstanden hatte, befand er sich mit Ali auf dem Observation Deck im zehnten Stockwerk.

Vor dem Bug befand sich ein Schlepper, der die Westerdam nun sicher aus dem Hafen von Rotterdam hinaus manövrieren würde. In drei Tagen laufen wir in Lissabon ein, dachte er erleichtert. Die Abenteuer mit Ali waren mehr als turbulent. Vor allem bin ich noch völlig im Zweifel darüber ob Ali nun eher zum Narzissmus neigt oder einer tendenziösen hedonistischen Wunscherfüllung erliegt, welche ja bekanntlich eine besondere psychische Leistung der Evokation hedonischen Erlebens darstellt. Alis unerschöpfliches Phantasiereservoir, könnte darauf hindeuten. Zusätzlich zu unserer abenteuerlichen Reise muss ich noch Alis Ausgestaltungen eines wunscherfüllenden Szenarios dazu zählen, angefangen von kosmischen Drachen bis hin zu auβerirdischen Göttern, wie die fünfzig Annunaki und der Stern Sirius A und B.

Das deutet auf eine regelrechte Inszenierung des Vorfindlichen.“ Die Abenteuer mit Ali handeln oft von Leben und Tod und beginnen meistens harmlos.

Zerstreut winkte er mit Ali, den Menschen unten an der Pier zu. Der Shrenk war mit ihr übereingekommen, diese letzten drei Tage in saudischer Landestracht gekleidet zu bleiben. Das sorgte ein wenig für Aufsehen. So wie die Blicke der Passagiere immer wieder auf ihnen ruhten, schien es, dass man sie für saudische Scheichs hielt. Ali sonnte sich in ihrer Rolle. Der Shrenk lächelte. Wollte er ihr diese drei Tage bis Lissabon gönnen, in ihrem Abenteuer weiter zu leben.

Der Shrenk erinnerte sich nochmals an die Ereignisse von heute Vormittag:

Der Kapitän der Ramlah umarmte uns zum Abschied und wie ich bemerken konnte, war die Erleichterung auf seinem Gesicht geschrieben, seine wertvolle Ladung, nämlich die Kamele, endlich von Bord zu haben. Die Mannschaft war rührend und verabschiedete sich herzlich. Küchenchef Mustafa lachte und wischte sich dabei eine Träne aus dem Auge. Unsere Kamele waren bereits frühmorgens an Bord der Westerdam gebracht worden. Noch eine wilde Stampede, hätte keiner der Mannschaft nervlich überstanden. Die Hafengebühren sind so teuer, dass die Ramlah, sobald das Öl gelöscht ist, morgen erneut Fahrt aufnimmt in Richtung Saudi Arabien. Und wie wir bereits nachgeprüft hatten, sind Akhbar, Miriam, Suleika und Omar in einem weiträumigen Stall unter Deck untergebracht. Ja, der Einfluss von Karim, reicht bis auf die Westerdam. Ein Taxi brachte uns zum Schiff. Karim hatte eine Veranda Suite für uns reservieren lassen. Nun gelangt die Reise in ihre letzte Phase, wo wir drei Tage im Luxus schwelgen werden und uns endlich erholen, von den Strapazen der ereignisreichen Zeit, die endlich hinter uns liegt.

Die Westerdam hatte sich mehr und mehr von der Pier entfernt. Gemächlich führte die Fahrt an den unzähligen anderen Schiffen vorbei, bis sie in offenes Gewässer gelangten.

„Doktor, warum seid ihr so schweigsam?“

Es wehte eine steife Brise und der Wind begann an ihren Thoben zu zerren.

„Es wird kalt, Doktor, wir sollten hinein gehen.“

„Ich gestehe, dass mich diese vielen Stockwerke verwirren“, versuchte der Shrenk mit seiner Stimme gegen den Wind anzugehen.

„Kommen sie Doktor, wir wollen besser hinein gehen. Europa ist um diese Jahreszeit einfach zu kalt. Sollten wir uns nicht erneut in wärmere Gewässer begeben?“

„Ihr beliebt gerne zu scherzen, werter Ali.“

„Ach ja, da sind wir ja.“

„In der Tat.“ Der Shrenk deute auf den Deck-Plan. „Das Crows Nest, dort sollten wir einkehren und den Ausblick genieβen.“

Beide machten sich auf den Weg.

„Linkerhand befindet sich die Panorama Bar und nach Rechts geht es zu den Lifts. Ob ich mir das wohl alles merke, Ali?“ Der Doktor betrat mit Ali, die Crows Nest Lounge.

„Unsere Kabine ist auf Deck Acht und die Kabinennummer ist 8080, Doktor. Das sollten wir uns unbedingt merken.“

Die Crows Nest Lounge offenbarte sich als eine Oase der Gemütlichkeit. Die wahre Attraktion aber waren die groβen Glasfenster, welche die gesamte Vorderfront des Schiffes einnahmen.

Ali und der Shrenk steuerten auf einen Zweiertisch zu und nahmen Platz auf Pinkfarbenen Drehsesseln.

„Bei Allah, Shrenk!“ Ali deutete hinaus auf die stürmische See.

„Dank Allah bin ich nicht mehr seekrank, werter Ali.“

Der Kellner brachte die Karte.

„Wenn ich mir so die dunklen Wolken da drauβen betrachte, Shrenk.“

„Ihr sollt die Karte betrachten und nicht die Wolken, Ali.“

„Wäre mir eigentlich nach etwas Alkoholischem“, fuhr Ali unbeeindruckt fort und blickte den Shrenk verschwörerisch an. Der Shrenk aber schüttelte den Kopf.

„Wir kommen gerade von der Hadj. Auβerdem sind wir immer noch saudische Scheichs und sollten uns entsprechend vorbildlich verhalten. Alkohol können wir uns auf keinem Fall erlauben!“

„Ihr habt Recht, Shrenk. Gut ich trinke einen Kakao.“ 126

„Zwei mal Kakao“, bestellte der Shrenk.
 
36.

„Allahu Akhbar!“, sangen der Shrenk und Ali. Sie hatten sich auf die Suche nach ihrer Kabine aufgemacht und waren den Gang bereits zwei Mal hin und zurück gegangen. Vergeblich! Die Kabine war spurlos verschwunden. Beide schwankten ein wenig. Es musste am Seegang liegen. Oder lag es am Abendessen?

Der Vista Dining Room auf der Westerdam, war genauso beeindruckend wie das Restaurant im Intercontinental Hotel in Dschidda. Nur schenkten die Kellner hier an Bord Weiβwein und entsprechend der Essensgänge, auch Rotwein in ihre Gläser. Vor ihrem Platz befanden sich ganze Batterien von Besteck, die nach ihrem langen Wüstenaufenthalt oder dem Besuch eines Gefängnisses in Al-Madina, ein wenig einschüchternd auf sie wirkten. Genau wie die Blicke der Passagiere von den Nebentischen, die sie neugierig streiften. So waren Ali und der Shrenk mehr oder weniger dazu gezwungen ihre Gläser auszutrinken. Kaum war das Glas leer, wurde es von Kellnern erneut gefüllt.

„Allahu Akhbar!“, sprach Ali in feierlichem Ton und prostete dem Shrenk zu.

„Allahu Akhbar!“, antwortete der Shrenk, das ging so eine ganze Weile. Bei jedem Zuprosten wurde das Allahu Akhbar ein wenig lebhafter, ein wenig fröhlicher und auch ein wenig lauter ausgesprochen.

Ali zwinkerte bereits der jungen Dame im schwarzen Cocktailkleid vom Nebentisch zu. Worauf die Dame schüchtern lächelte, dabei ein wenig errötete und den Blick schnell ihrem Teller widmete. Inzwischen waren sie beim Fleischgang angelangt, und dazu schenkten die Kellner Rotwein in ihre Gläser. Der Shrenk sog prüfend das Bouquet ein und blickte verklärt nach oben. „Ein Château Margaux, Jahrgang 1999“, flüsterte er ehrfürchtig.

„Karim übernimmt alle Kosten an Bord, sagte uns Kapitän Allmalah. Das wurde uns bei unserer Begrüssung an Bord ausdrücklich mitgeteilt.“

Ali prostete dem Doktor zu: „Allahu Akhbar!“

„Doktor, wir könnten es wagen, unser Gespräch über ihr Lieblingsthema fortzuführen. Der Wein wird uns befeuern die richtigen Worte zu wählen um so zu einfach illustren
Ergebnissen, was die Psychoanalyse betrifft zu gelangen. Was haltet ihr davon, verehrter Doktor Shrenk und was könnt ihr mir dazu sagen?“

„Oh“, kam es ein wenig zögernd.

Des Shrenks Gesicht war inzwischen von einer gesunden, leicht geröteten Farbe überzogen und er brauchte nicht lange zu überlegen:

„Die ursprüngliche Auffassung, dass Handeln neben der kognitiven Organisierung vor allem trieb- und affektbestimmt beim Kind, bleibt selbstverständlich bedeutsam. Jedoch sollten wir die Auffassung, dass Triebwünsche und Emotionen im Verlauf der Sozialisation in unterschiedlicher Intensität aufgrund von familial vermittelten Lernprozessen sublimiert, oder unterdrückt werden müssen, revidieren!“

Ali blickte den Shrenk an und schwieg lieber. Nahm sich dafür nochmals einen groβzügigen Schluck von dem Roten, wie hieβ der Wein noch mal? Irgendetwas mit Chatêau und Hemingways Tochter.

„Ich möchte dazu erklärend sagen, dass, das Freudsche triebtheoretische Paradigma den

Menschen als ein Wesen betrachtet, dessen Erleben und Handlungen von seinen psychosexuellen, narzisstischen und aggressiven Wünschen bestimmt ist. Versteht ihr mich, Ali?“ Ali hielt ihr Weinglas betrachtend in der Hand und nickte stumm.

„Es geht, so wie ich es heute sehe darum, dass Persönlichkeitszüge nicht irgendwelche statische Traits sind oder etwa von Konditionierungen herrührende Einstellungen, sondern Kompromissbildungen aus einem drangvollen Begehren, einschüchternden Verboten,

schrecklichen Ängsten und schamvollen Erlebnissen sowie einer immer wieder erlebten Frustration von elementaren Bedürfnissen.“

„Es reicht Doktor! Glaubt ihr wirklich unser Menschsein in den Griff zu bekommen wie einen räudigen Straβenköter den man zu Versuchen in den Zwinger sperrt?“

„Gerade darum geht es ja, werter Ali.“

„Was?“

„Es geht darum, dass eine Weiterentwicklung der Psychoanalyse nach Freuds Tod in einer Auseinandersetzung mit seinem Triebkonzept und mit der Auffassung von Libido und Aggression als die zentralen Stimuli menschlichen Erlebens und Handelns postuliert wurde.“

Allahu Akhbar!“, prostete Ali dem Doktor zu.

„Allahu Akhbar! Die von Freud behauptete primär sinnlich sexuelle Lustsuche des Kleinkindes wird hinfällig und durch eine primäre Liebe und einen Bindungstrieb ausgetauscht“, fuhr der Shrenk mit einem gewissen Pathos fort und blickte Ali erwartungsvoll an.

„Ach, und das soll ich groβartig finden?“

Alis Tonlage hatte sich verschärft, was die Blicke der anwesenden Gäste noch mehr auf sich zog.

„Ich habe euch zwar aufgefordert mir euer Lieblingsthema zu unterbreiten, aber es ist einfach nicht auszuhalten und das Ergebnis ist unübersehbar. Da brauche ich euch nur anzusehen. Eure kleinen Glubschaugen hinter der Nickelbrille. Nur so ein verrücktes Hirn wie eures ist überhaupt in der Lage, so etwas auszubrüten!“

„Ali!“

„Was Ali?“

„Ihr werdet beleidigend!“

„Beleidigend ist, wie ihr euch über den Menschen äuβert.“

Der Kellner brachte das Dessert. Ali stellte beruhigt fest, dass das Besteck auf ihren Plätzen deutlich abgenommen hatte. Es lagen nur noch ein kleiner Löffel und eine Dessertgabel vor ihnen, die sie nahm und damit gefährlich vor dem Shrenks Nase herumfuchtelte.

„Erinnert ihr euch an den kosmischen Drachen, Shrenk?“

Der Doktor schwieg, er schien zu überlegen. Ali nahm ihre Stoffserviette und faltete diese zu einer Art länglichem Ungetüm, um damit vor dem Shrenk seinem Gesicht hin und her zu wedeln. In dem Versuch den Drachen zu veranschaulichen, gab sie seltsame Zischlaute von sich. Dann besann sich Ali ihrer bedeutsamen Pflicht, ihre geistigen Werte zu verteidigen:

„Das Erwachen des Menschen ist ein Erwachen Gottes und das Erwachen der Menschheit

ist ein Erwachen Gottes in der Menschheit. Das Erwachen des Kosmos ist ein Erwachen Gottes in der Evolution und ihr redet weiterhin über die Auseinandersetzung von Triebgesetzen?“, fauchte Ali den Shrenk an.

Ihr Fauchen klang dem erwachenden Drachen auf irgendeine Art und Weise ähnlich. Die junge Dame im schwarzen Cocktailkleid fuhr erschrocken zusammen. Worauf Ali ihr Glas hob und ihr mit Allahu Akhbar zuprostete. Der Shrenk bekam einen Hustenanfall. Sie kannte dies zur Genüge, denn während ihrer Reise hustete der Shrenk mindestens einmal am Tag intensiv. Ali schloss daraus, dass es sich bei ihm dabei um eine so genannte Katharsis handeln musste. Denn wie sie sich erinnerte, hustete der Shrenk in der heiligen Moschee in Makka, und er hustete im Gefängnis, und er hustete auch im Kamelstall. Ali erhob sich, ein wenig unsicher auf den Beinen zwar, aber es gelang ihr, dem Shrenk kräftig auf den Rücken zu klopfen, was sie wiederum zur eigenen Katharsis nützte. So war beiden gleichermaβen geholfen. Des Shrenk sein Hustenanfall würde sich beruhigen und sie Ali konnte ihren Ärger an ihm ein bisschen auslassen. Den übrigen Gästen im Dining Salon war der Vorfall keineswegs entgangen. Aber was sollte man dazu auch sagen? Zwei verwöhnte Ölscheichs, so was kannte man ja aus den Medien. Nur so etwas einmal Live und in Farbe zu erleben, das war eine besondere Attraktion.

„Allahu Akhbar“, sangen Ali und der Shrenk.

Wie sie aus dem Vista Dining Room herausfanden, wussten sie nicht mehr genau. Es war einfach zu viel Wein gewesen. Und es waren die Kellner, die dafür die volle Verantwortung trugen, darüber waren Ali und der Shrenk endlich einmal einer Meinung. Aber dann führte ihr Weg noch am Northern Lights Night Club vorbei, wo sie sich einen Whisky als Night Cup genehmigten. Einen schottischen natürlich, denn die Schotten sind als geizig bekannt. So folgerten Ali und der Doktor, dass die Portion auch eine geizig kleine sei, die ihnen so gut wie nichts anhaben könnte.

„Shrenk wo sind wir? Wir gehen schon zum dritten Mal auf diesem Gang auf und ab und finden unsere Kabine nicht!“

Der Shrenk wusste es auch nicht wo er war. Auf Deck Acht, aber ihre Kabine hatte man womöglich versteckt?

Da war Kabine 8081 da und war Kabine 8079, aber 8080 war wie vom Erdboden verschluckt. Nun, da brauchte man sich nicht zu wundern. Heutzutage spricht man von Antimaterie und schwarzen Löchern und von Teilchenbeschleunigern, da passiert so was schon mal. „Allahu Akhbar!“
 
37.

„Shrenk?“, hörte man ein leises Rufen, aber keine Antwort. „Oh wie mir der Kopf brummt“, murmelte Ali und erhob sich vorsichtig aus ihrem Bett. „Shrenk jetzt wacht doch endlich auf, oder wollt ihr bis Abends schlafen?“

„Oh, werter Ali. Ich glaube, ich bin ernsthaft erkrankt und habe beschlossen bis Lissabon im Bett zu verbringen. Ich glaube mich hat die Malaria erwischt. Ich werde mich im Süden des Oman an Malaria infiziert haben.“

„Ach was.“

Ali öffnete die Tür zur Terrasse und setzte sich drauβen auf einen Korbsessel.

„Ist das kalt geworden!“ Ali floh in die Kabine zurück.

„Shrenk, es ist merklich abgekühlt“, rief sie und schloss die Tür zur Terrasse. „Stellt euch vor, beim Ausatmen erschienen Nebelschwaden. Ich fasse es nicht, wie unser Wetter durcheinander gekommen ist. Solch eine Kälte schon Ende September!“

Aber der Shrenk antwortete nicht. Er war erneut eingeschlafen.

„Wisst ihr eigentlich wie spät es ist?“

„Au“, das war alles, gefolgt von einem leisen Stöhnen.

„Es ist fünf Uhr Nachmittags. Wir sind genau vierundzwanzig Stunden auf See und ich denke, wir sollten Frühstücken gehen.“ Ali setzte sich zum Shrenk auf die Bettkante. „Das wird schon wieder. Erinnert ihr euch noch an Gestern? Wie fanden wir eigentlich unsere Kabine?“

„Wir gingen auf die Brücke und fragten den Kapitän.“

„Was?“

„Die Kommandobrücke befindet sich auf unserem Deck und auf einmal waren wir da.“

„Und dann?“

„Erst mal groβer Aufruhr. Die Offiziere blickten uns sehr merkwürdig an.“

„Wirklich?“

„Ja, erinnert ihr euch nicht?“ Ali schüttelte den Kopf.

„Als sie merkten, dass wir nur harmlose Betrunkene seien, waren sie erleichtert. Es waren unsere Fahnen die ihnen ohne Worte alles erklärten.“

„Trugen wir etwa die saudische Fahne bei uns, Shrenk?“

„Unsere Alkoholfahnen!“

„Ach so. - Und dann?“

„Dann brachten sie uns zu unserer Kabine.“

„Wo war die überhaupt?

„Wer?“

„Die Kabine. Unsere Kabine, die 8080?“

„Wir suchten unsere Kabine im falschen Gang.“

Der Doktor hatte sich inzwischen aufgerichtet und hielt sich den Kopf.

„Auf der einen Seite vom Schiff befinden sich die Kabinennummern mit den geraden Zahlen und auf der anderen die Ungeraden.“

„Nein! - Wie konntet ihr nur so dumm sein, warum seid ihr nicht darauf gekommen?“

„Ihr habt es ja auch nicht bemerkt. Ich werde den Rest der Reise in Abstinenz verbringen.“

„Aber ein Kaffee wäre jetzt nicht verkehrt. Steht endlich auf, dann wird es euch gleich besser gehen. Eure Malaria kuriert man mit starkem Kaffee, Shrenk.“

„Ich dachte mit Chinin Tabletten.“

„Eure Art von Malaria kuriert man am Besten mit Kaffee. Wir sollten die Cafeteria aufsuchen und uns stärken und nicht wehleidig im Bett rum liegen. Bedenkt, dass unser Abenteuer fast zu Ende ist. Wenn Allah, der Allmächtige es will, laufen wir übermorgen in Lissabon ein.“

„Wir scheinen nicht die Einzigen zu sein, die um diese Uhrzeit frühstücken, Ali.“

Der Shrenk knabberte ohne Appetit an einem Tost.

Drauβen war es bereits dunkel geworden. Eigentlich wäre es angemessener ein frühes Abendessen einzunehmen, dachte er missmutig. Ein leichtes Abendessen mit Kamillentee und daran anschlieβend sofort das Bett aufsuchen und schlafen. Nur so wäre man am nächsten Tag einigermaβen…

„Shrenk, trinkt den Orangensaft. Warum macht ihr so ein verkniffenes Gesicht?“

Der Shrenk trank und blieb stumm. Ali blickte auf ihre Uhr. Also, so wie ich das sehe haben wir Ärmelkanalzeit.“

„Ärmelkanalzeit gibt es nicht, Ali.“

„Es kommt darauf an, Doktor. Entweder wir haben Westeuropäische, oder Mitteleuropäische Zeit. Und im Ärmelkanal weiβ man das nicht so genau. Ist ja auch egal. Es ist sechs Uhr und in drei Stunden haben wir bestimmt wieder Hunger. Heute könnten wir dem Pinnacle Grill
einen Besuch abstatten.“ Worauf sie aufstand. „Ihr trinkt den Saft aus, ich bin gleich wieder da“, sagte sie und eilte von dannen.

Was hat sie nur schon wieder vor? fragte sich der Shrenk und ahnte nichts Gutes, aber zu spät. Ali war einfach auf und davon und so trank er seinen Orangensaft aus.

Keine zehn Minuten waren vergangen, da erschien Ali mit zwei TassenKaffee.

„Also, Shrenk ich habe unser Abendprogramm bereits gestaltet. Wir werden um Neun in aller Ruhe im Pinnacle Grill speisen.“

„Ich hoffe nur, dass die Kellner dort verantwortungsvoller mit uns umgehen.“

„Das liegt an uns. Wenn wir nur Wasser bestellen, dann füllen die Kellner nur Wasser nach, wenn wir aber Wein bestellen, füllen sie Wein nach. Wir könnten auch Milch trinken, dann füllen sie nur Milch nach. Es ist bekannt, dass arabische Scheichs gerne groβe Mengen Milch konsumieren.“ Ali trank von ihrem Kaffee und blickte den Shrenk unternehmungslustig an. „Nun zurück zu unserem Programm: Um Elf Uhr beginnt die Las Vegas Show in der Vista Lounge. Habe alles bereits reserviert.“

„Oh Ali. Wie soll ich so ein abendfüllendes Programm nur überleben? Ich bin von einer anscheinend schweren Malariaattacke heimgesucht worden, erinnert ihr euch?“ Worauf der Doktor sich demonstrativ an den Kopf fasste und leise stöhnte.

„Shrenk, wir sollten unbedingt das reichhaltige Programm an Bord nutzen.“

„Hm.“

„So etwas erleben wir so schnell nicht mehr. Wie ihr wisst, gibt es bei uns auf dem Dorf keine Vegas Show. Als arabische Ölscheichs werden wir dem Bild, was man sich über diese macht, hier an Bord auch nicht gerecht, wenn wir uns nicht zeigen. Denkt an die Ölscheichs in Paris oder Bangkok, was die alles treiben. Wir vergnügen uns in der Öffentlichkeit, das erwartet man von uns. Aber wir aber trinken brav Milch, Shrenk, wir trinken Milch. Na was sagt ihr?“

„Ich bin glaube ich noch nicht in der Lage, so einen Abend zu bewältigen.“

„Wir sollten eine kleine Runde auf dem Promenadendeck drehen. Frische Luft wird euch wieder ins Lot bringen. Kommen sie, das können wir beide gut gebrauchen. Danach schlage ich vor, noch ein wenig in der Kabine ausruhen und ein zu Bad nehmen. Ihr werdet sehen, wir sind dann erneut fit für den Abend.“
 
38.

„Oh Ali, ich gestehe, dass ich erneut einen Brummschädel habe“, rief der Shrenk in Richtung Alis Bett, aber keine Antwort. Ali schlief tief und fest.

Der Shrenk machte sich munter an seinem Köfferchen zu schaffen und sah auf die Uhr. Es war sechs Uhr morgens und in ungefähr einer Stunde würden sie in Lissabon einlaufen.

„Ali, wacht endlich auf! - Kein Wunder! - Wir haben die letzten drei Tage die Nacht zum Tag gemacht. Um Mitternacht, als wir im Crows Nest ein paar Cocktails kippten, sichteten wir die Lichter von La Coruña und freuten uns. Lissabon ist nah, sehr nah und ich werde dich aufwecken, werter Ali!“, sprach der Shrenk nun mit inzwischen lauter Stimme, worauf Ali sich ruckartig aufsetzte und fragte, was los sei.

„Wir laufen in einer Stunde in Lissabon ein. Es ist noch dunkel drauβen und nichts zu sehen, aber ich schlage vor, dass wir frühstücken gehen.“

„Ich habe keinen Hunger und bin müde.“ Ali gähnte. „Wenn das um Mitternacht La Coruña war, sind wir noch lange nicht in Lissabon.“ Worauf Ali sich hinlegte und zur Wand drehte.

„Gut Ali. Ich habe Hunger und gehe schon mal vor. Und ihr könnt nachkommen, wann ihr wollt.“

„Wartet“, rief Ali und stieg aus dem Bett. „Womöglich laufen wir wirklich gleich in Lissabon ein und ich bin im Pyjama. Ali öffnete die Tür zur Veranda und ging hinaus um ein paar Atemübungen zu machen, aber sie flüchtete schnell zurück in die Kabine. „Es ist noch kälter geworden, Shrenk.“

„Ihr habt einen Kater, ich nehme an, euer Kreislauf muss erst mal in Schwung kommen.“

„Ach ja? Ich gehe ins Bad mich kurz erfrischen und schlage euch vor, einmal selbst hinaus zu gehen um die Temperatur zu überprüfen. Ich bin es nämlich leid, eure ewige kontroverse Einstellung mir gegenüber ertragen zu müssen.“

Als Ali aus dem Bad zurückkehrte stand da ein sich schüttelnder Shrenk.

„Was habt ihr?“, fragte Ali, inzwischen geduscht und fertig angezogen.

„Ach, es ist seltsam. Die Kälte drauβen ist unnatürlich.“

„Sag ich doch die ganze Zeit. - Kommt Doktor, wir wollen uns am Frühstücksbuffet stärken und dann den Sonnenaufgang auf dem Promenadendeck beobachten. Die letzten drei Tage haben wir alle Sonnenaufgänge verschlafen.“

„Wir haben nicht nur den Sonnenaufgang verschlafen, sondern den ganzen Tag.“

„Bei Allah, unserem Schöpfer! Seit Tagen haben wir kein Tageslicht mehr erblickt.“

„Schaut!“, rief Ali und deutete nach Osten. „Es wird langsam heller. Seht ihr die dunklen Felsen der Steilküste? Die Sonne muss jeden Augenblick aufgehen.“

„In der Tat, werter Ali. Die klaren Farben des Wassers und die Küste von Portugal!“ Der Shrenk schüttelte sich und bemerkte verwirrt: „Nur ist es zu kalt für den ersten Oktober.“

„Doktor. Wir sind verwöhnt von den Temperaturen in Saudi Arabien.“

Angekommen im Crows Nest, wo die Kellner ihnen wie Bekannte zuwinkten, nahmen Ali und der Shrenk, Platz.

„Wir trinken Kakao“, bestellte der Doktor.

„Schaut einmal dort!“ Ali zeigte zu einem der Glasfenster, wo gerade etwas weiβes auf dem Wasser vorbeischwamm. Was ist das wohl?“

„Das sah aus wie ein kleiner Eisberg. Unser Wetter wird immer verrückter. In dem Film «The day after tomorrow», gab es einen plötzlichen Temperatursturz auf der nördlichen Erdhalbkugel.“

„Ja, ich erinnere mich, aber hier ist kein Hurrikan, der Himmel ist klar.“

„Hm.“

„Was meint ihr mit hm, Shrenk?“ Inzwischen wurde der Kakao serviert, dampfend heiβ und Wärme spendend.

„Wenn die Sonne im Osten steht.“

„Warum sollte die Sonne auf einmal nicht mehr im Osten stehen?“

„In der Tat, werter Ali. Da die Sonne im Osten steht, müsste unser Schiff, gen Süden fahren, oder irre ich mich?“

„Warum muss alles bei euch immer hoch kompliziert sein, Doktor? Könnt ihr nicht einmal einfach euren Kakao trinken und dabei schlicht und ergreifend den Sonnenaufgang über der Küste betrachten?“

„Die Frage ist, welche Küste?“

„Welche Küste?“, äffte Ali ihn nach. Der Doktor schlürfte seinen Kakao. Sein Gesicht zusehends beunruhigt.

„Welche Küste soll es denn sonst sein, werter Shrenk?“

Nachdem der Shrenk seine Tasse abgesetzt hatte, seufzte er laut. So laut, dass ein Kellner sich sofort näherte und vor ihrem Tisch stehen blieb.

„Wenn sie schon hier sind, so können sie uns vielleicht sagen, wann wir genau in Lissabon einlaufen?“, fragte ein verwirrter Shrenk.

„Lissabon?“, Der Kellner schaute genauso verwirrt.

„Lissabon!“

„Lissabon, warum Lissabon?“

„Wir laufen doch in Lissabon ein.“

„Oh nein.“

„Nein?“

„Nein!“

„Sondern? Welche Küste sollte das sonst sein?“

Der Kellner überlegte nicht lange und sah auf die Uhr. „In genau einer Stunde laufen wir in Reykjavik ein.“

„Reykjavik?“, fragten Ali und der Shrenk wie aus einem Mund.

„Ist das nicht in Island?“

Der Kellner nickte und blickte seine Gäste mit unverhohlener Neugierde an.
 
38.

„Oh Ali, ich gestehe, dass ich erneut einen Brummschädel habe“, rief der Shrenk in Richtung Alis Bett, aber keine Antwort. Ali schlief tief und fest.

Der Shrenk machte sich munter an seinem Köfferchen zu schaffen und sah auf die Uhr. Es war sechs Uhr morgens und in ungefähr einer Stunde würden sie in Lissabon einlaufen.

„Ali, wacht endlich auf! - Kein Wunder! - Wir haben die letzten drei Tage die Nacht zum Tag gemacht. Um Mitternacht, als wir im Crows Nest ein paar Cocktails kippten, sichteten wir die Lichter von La Coruña und freuten uns. Lissabon ist nah, sehr nah und ich werde dich aufwecken, werter Ali!“, sprach der Shrenk nun mit inzwischen lauter Stimme, worauf Ali sich ruckartig aufsetzte und fragte, was los sei.

„Wir laufen in einer Stunde in Lissabon ein. Es ist noch dunkel drauβen und nichts zu sehen, aber ich schlage vor, dass wir frühstücken gehen.“

„Ich habe keinen Hunger und bin müde.“ Ali gähnte. „Wenn das um Mitternacht La Coruña war, sind wir noch lange nicht in Lissabon.“ Worauf Ali sich hinlegte und zur Wand drehte.

„Gut Ali. Ich habe Hunger und gehe schon mal vor. Und ihr könnt nachkommen, wann ihr wollt.“

„Wartet“, rief Ali und stieg aus dem Bett. „Womöglich laufen wir wirklich gleich in Lissabon ein und ich bin im Pyjama. Ali öffnete die Tür zur Veranda und ging hinaus um ein paar Atemübungen zu machen, aber sie flüchtete schnell zurück in die Kabine. „Es ist noch kälter geworden, Shrenk.“

„Ihr habt einen Kater, ich nehme an, euer Kreislauf muss erst mal in Schwung kommen.“

„Ach ja? Ich gehe ins Bad mich kurz erfrischen und schlage euch vor, einmal selbst hinaus zu gehen um die Temperatur zu überprüfen. Ich bin es nämlich leid, eure ewige kontroverse Einstellung mir gegenüber ertragen zu müssen.“

Als Ali aus dem Bad zurückkehrte stand da ein sich schüttelnder Shrenk.

„Was habt ihr?“, fragte Ali, inzwischen geduscht und fertig angezogen.

„Ach, es ist seltsam. Die Kälte drauβen ist unnatürlich.“

„Sag ich doch die ganze Zeit. - Kommt Doktor, wir wollen uns am Frühstücksbuffet stärken und dann den Sonnenaufgang auf dem Promenadendeck beobachten. Die letzten drei Tage haben wir alle Sonnenaufgänge verschlafen.“

„Wir haben nicht nur den Sonnenaufgang verschlafen, sondern den ganzen Tag.“

„Bei Allah, unserem Schöpfer! Seit Tagen haben wir kein Tageslicht mehr erblickt.“

„Schaut!“, rief Ali und deutete nach Osten. „Es wird langsam heller. Seht ihr die dunklen Felsen der Steilküste? Die Sonne muss jeden Augenblick aufgehen.“

„In der Tat, werter Ali. Die klaren Farben des Wassers und die Küste von Portugal!“ Der Shrenk schüttelte sich und bemerkte verwirrt: „Nur ist es zu kalt für den ersten Oktober.“

„Doktor. Wir sind verwöhnt von den Temperaturen in Saudi Arabien.“

Angekommen im Crows Nest, wo die Kellner ihnen wie Bekannte zuwinkten, nahmen Ali und der Shrenk, Platz.

„Wir trinken Kakao“, bestellte der Doktor.

„Schaut einmal dort!“ Ali zeigte zu einem der Glasfenster, wo gerade etwas weiβes auf dem Wasser vorbeischwamm. Was ist das wohl?“

„Das sah aus wie ein kleiner Eisberg. Unser Wetter wird immer verrückter. In dem Film «The day after tomorrow», gab es einen plötzlichen Temperatursturz auf der nördlichen Erdhalbkugel.“

„Ja, ich erinnere mich, aber hier ist kein Hurrikan, der Himmel ist klar.“

„Hm.“

„Was meint ihr mit hm, Shrenk?“ Inzwischen wurde der Kakao serviert, dampfend heiβ und Wärme spendend.

„Wenn die Sonne im Osten steht.“

„Warum sollte die Sonne auf einmal nicht mehr im Osten stehen?“

„In der Tat, werter Ali. Da die Sonne im Osten steht, müsste unser Schiff, gen Süden fahren, oder irre ich mich?“

„Warum muss alles bei euch immer hoch kompliziert sein, Doktor? Könnt ihr nicht einmal einfach euren Kakao trinken und dabei schlicht und ergreifend den Sonnenaufgang über der Küste betrachten?“

„Die Frage ist, welche Küste?“

„Welche Küste?“, äffte Ali ihn nach. Der Doktor schlürfte seinen Kakao. Sein Gesicht zusehends beunruhigt.

„Welche Küste soll es denn sonst sein, werter Shrenk?“

Nachdem der Shrenk seine Tasse abgesetzt hatte, seufzte er laut. So laut, dass ein Kellner sich sofort näherte und vor ihrem Tisch stehen blieb.

„Wenn sie schon hier sind, so können sie uns vielleicht sagen, wann wir genau in Lissabon einlaufen?“, fragte ein verwirrter Shrenk.

„Lissabon?“, Der Kellner schaute genauso verwirrt.

„Lissabon!“

„Lissabon, warum Lissabon?“

„Wir laufen doch in Lissabon ein.“

„Oh nein.“

„Nein?“

„Nein!“

„Sondern? Welche Küste sollte das sonst sein?“

Der Kellner überlegte nicht lange und sah auf die Uhr. „In genau einer Stunde laufen wir in Reykjavik ein.“

„Reykjavik?“, fragten Ali und der Shrenk wie aus einem Mund.

„Ist das nicht in Island?“

Der Kellner nickte und blickte seine Gäste mit unverhohlener Neugierde an.

Tja, man weiss nie, wo man ankommt, wenn man beginnt :D
 
39.

„Bei Allah, dem Allmächtigen! Die Lage ist ernst und sollte gründlich durchgesprochen werden. Eine Lagebesprechung, eine ernsthafte Lagebesprechung und diesmal ohne eure Einlagen der Psychoanalyse von Freud, sonst werde ich euch über Bord werfen!“ Ali saβ auf ihrem Bett und hielt das Fax der Bin Awad Group in der Hand.

„Das kann nur an unsere Hadj liegen, wertester Ali. Die heiligen Orte des Propheten Mohammed haben unseren Geist vollkommen gereinigt und uns von jeglichem Misstrauen befreit.“

„Das ist alles was euch dazu einfällt?“ Ali war aufgesprungen und hielt das Fax vor des Shrenks Nase. „Wir haben uns auf das Programm verlassen, über das uns der Kapitän der Ramlah unterrichtet, ohne irgendetwas hier an Bord zu hinterfragen. Und jetzt ist es zu spät, wir sind auf dem Weg nach New York!“

„So beruhigt euch doch endlich, Ali. Bin Awads Leute haben es gut mit uns gemeint. Wir werden mit der Westerdam bis Portimão fahren. Das erleichtert den Transport der Kamele.“

„Oh ja! Gewiss werden wir so Allah es will, mit der Westerdam in Portimão einlaufen, aber erst in sechzehn Tagen. Versteht ihr nicht, Doktor? Wir sind gerade vor Neufundland. Versteht ihr nicht, oder wollt ihr nicht verstehen?“

Der Shrenk hatte auf dem Sofa Platzt genommen und bewunderte abwechselnd Ali, die vor ihm auf und ablief und die Eisberge, die drauβen vorbeischwammen und freundlich grüßten. Immerhin hatten die Eisberge mit dem ganzen Aufruhr von Ali und dem Shrenk nichts zu tun. Der Shrenk seufzte.

„Allah hat das so gewollt.“

„Das hat Allah so gewollt? Ab heute Nacht werden die Kamele an die frische Luft gebracht, sonst werden sie krank.“

„Man hat es uns aber verboten.“

„Akhbar braucht dringend frische Luft, habt ihr nicht bemerkt, wie blass Akhbar ausschaut?“

„Ja, Ali. In der Tat ist Akhbar etwas blass.“

„Ja, Ali, in der Tat ist Akhbar etwas blass! Ist das alles, was ihr dazu zu sagen habt?“

Der Doktor nickte unbehaglich.

„Ich befürchte, wenn Akhbar die Eisberge zu Gesicht bekommt, wird er durchdrehen.“ Ali seufzte inzwischen genauso laut wie sonst der Shrenk. „Wir wissen was alles eintreten kann, wenn die Kamele uns auf diesem Dampfer entkommen.

Ali hielt vor der Terrassentür und betrachtet die Eisberge auf dem Wasser, die auch ihr freundlich zuwinkten, aber Ali ignorierte sie ärgerlich.

„Hm.“

„Was sollen wir tun, Doktor? - Ich weiβ nur, dass wir in sechs Tagen in New York sind.“

„Ich schlage vor, die Kamele erst nach Auslaufen von Fort Lauderdale an Deck zu holen.“

„Und New York?“

„Was ist mit New York?“

„Wollen wir New York nicht einen Besuch abstatten?“

„Ich schlage weiterhin vor“, hüstelte der Doktor. „Dass weder wir, noch die Kamele sich New York ansehen, wegen der Quarantäne.“

„Wir brauchen doch keine Quarantäne, nur ein Visum, Shrenk!“

„Kamele aber.“

„Hm.“

„Ich habe einen vollen Terminkalender und Patienten, die mich dringend brauchen, und kann meinen Patienten auch nicht helfen. Wir sollten uns jetzt in Geduld fassen und der Dinge harren, die da auf uns zu kommen. New York sollten wir vermeiden, das ist für meine Phantasie und Einbildungskraft zu gewaltig. So eine riesige Metropole. Nein, Ali! Wir würden uns dort verlaufen oder entführt werden.“

„Entführt?“ Ali lachte schallend.

Die nächsten Tage werde ich nutzen um Alis Kamele ganz vorsichtig zu therapieren. Wenn es die Zeit noch erlaubt, auch noch Ali selbst. Es ist nicht auszuhalten, wie sie in diesem dominanten Ton mit mir redet. Ich sollte natürlich in Betracht ziehen, dass Ali bestimmte, zumeist für sie unerträgliche Selbstanteile projiziert und erreichen möchte, dass ich mich so fühle, wie sie mich sehen will. Sich sofort davon zu befreien, bringt nichts.

„Shrenk, es steht in eurem Gesicht geschrieben, dass ihr euch mit der Psychoanalyse von Freud befasst. Stattdessen sollten wir besser daran denken, uns mit westlicher Kleidung einzudecken. Ich bin eine Frau, falls ihr das vergessen habt und bin es leid wie ein arabischer Wüstenscheich herumzulaufen. Und obendrein noch mit angeklebten Prophetenbart.“

„Seit Monaten reise ich als arabischer Wüstenscheich und nun soll das plötzlich aufhören? Nein Ali, nein oh nein. Ich kann doch nicht die Identitäten einfach so wechseln.“

„Hören sie, Doktor. Auf dem Dampfer fahren mehr als zweitausend Passagiere. Kein Mensch bemerkt, wenn wir die Identität wechseln. Außerdem möchte ich gerne wieder eine Frau sein.“

„Könnt ihr nicht sechzehn Tage warten, mit eurer Metamorphose zur Frau?“

„Nein! Ich habe den falschen Prophetenbart satt und allzu lange wird er auch nicht mehr halten, dann werden ihm die Haare ausgehen.“

„Haare ausgehen? Ihr gefallt mir ehrlich gesagt ohne Bart auch besser. Aber warum können wir nicht als Araber angezogen bleiben und ihr werter Ali, ohne Bart?“

„Wir sollten etwas unauffälliger auftreten. Was genau ist daran so schwer zu verstehen, Shrenk? Inzwischen habe ich mich schlau gemacht und erfahren, dass in New York für die meisten die Reise auf dem Dampfer zu Ende ist und neue Passagiere an Bord kommen. Ab New York werden wir normal gekleidet und als unauffällige Passagiere reisen.“

„Ich fühle mich inzwischen als Araber.“, hauchte der Doktor. „Ich bin nun ein Muslim und bin Allah auf dieser Reise begegnet.“

„So etwas bezeichnet Freud als Fixation!“

„Hm. Wollten wir nicht die Psychoanalyse drauβen lassen?“

„Ach, hört doch auf. An Boutiquen mangelt es nicht an Bord. Was haltet ihr davon, wenn wir mal so richtig power shoppen gehen?“

„Power shoppen?“

„Ja, Shrenk. Wir brauchen Anoraks und Schals, Handschuhe.“

„Anoraks?“

„Ja, Parker mit Pelzkragen. An Deck sind Minusgrade!“

„Hm.“

„Ich denke da auch an warme Decken für unsere Kamele, eine Mütze für Akhbar.“

„Und eine Mütze für Miriam.“

„Auch für Suleika und Omar.“

„Einen Smoking“, rief der Shrenk freudig aus. „Und weiße Hemden, für unsere festlichen Dinner.“

„Ich werde mich mit ein paar Cocktailkleidern eindecken und Abendkleidern, und passende Schuhe mit hohen Bleistiftabsätzen.“

„Hm. – In der Tat wird das ein Erlebnis sein, euch endlich als Frau bewundern zu dürfen.“ Des Doktors Augen bekamen einen seltsamen Glanz.

„Na wer sagt„s denn, Doktorchen. Vorerst habe ich genug von der Kameltreiber Maskerade!“
 
40.


„Akhbar, mein geliebter Akhbar, ich habe mich mit dem Programm unserer Reise vertan, es wird noch einige Tage dauern. Nein, Akhbar, der Shrenk hat sich vertan, verstehst du?“ Ali

hatte eine Jeans und ein Blaukariertes Hemd an und saβ im Stroh neben Akhbar. Sie kraulte ihn hinter den Ohren, was ihn meistens beruhigte.

„Akhbar, es wird noch ein paar Tage dauern mit unserer Reise und an Deck kann ich dich unmöglich bringen. Das würde einen Riesenaufruhr geben.“ Ali atmete einmal kräftig ein und aus. „Zumal es uns strikt verboten wurde.“

Akhbar setzte als Antwort den erprobten Akhbar Blick auf: seine Augen wurden besonders groβ und es war, als füllten sie sich mit Tränen.

„Akhbar, wenn du mir versprichst, dich wie ein Kamelgentleman zu benehmen, bringe ich dich in der Nacht, wenn alle schlafen, hinauf auf das Sportdeck. Nur müssen wir bis zu Deck Zehn hinauf. Natürlich kommt deine Miriam, Suleika und Omar auch mit. Die Frage ist, ob wir den Aufzug benutzen können, ohne aufzufallen.“

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür. Ali erhob sich und ging nachschauen.

„Guten Morgen“, begrüβten sie zwei junge Männer in dunkelblauem Monteuranzug. „Sie haben angerufen?“, fragte einer der beiden und blickte neugierig Ali an. „Wir kommen wegen der Klimaanlage.“

Ali nickte. „Es war die letzten Tage zu kalt im Raum.“

Er ging zur Klima Anlage. Während er sich an den Schaltern zu schaffen machte, rief er zu seinem Arbeitskollegen:

„Não achas os camelos lindos, Pedro?“

„Sim, os bichsos são giros!”

Jetzt begriff Ali und sagte zu demjenigen, der Miguel hieβ: “Ihr seid Portugiesen? Das ist aber eine Überraschung! Ich lebe in Portugal!“

„Wo leben sie dort?“, fragte Miguel.

„An der Algarve, und ihr?“

„Wir sind aus Braga.“

„Braga ist im Norden, an der Grenze zu Spanien, nicht wahr?“ Miguel nickte. „Fertig, jetzt werden die guten Tiere unter keiner Kälte mehr zu leiden haben. Ab New York wird‟s erneut warm.“ Miguel klappte den durchsichtigen Deckel der Armatur herunter und gesellte sich zu Ali und Pedro.

„Das ist Pedro, mein jüngerer Bruder“, stellte ihn Miguel vor.

Pedro lächelte schüchtern zu Ali. „Begleiten sie die Kamele zum Zoo nach Lissabon?“

„Das sind sehr spezielle Kamele, wir fahren bis Portimão.“

„Aha.“

Wie viele Portugiesen sind an Bord?“

„Wir sind zwanzig, die meisten arbeiten im Service.“

„Service?“

„In den Restaurants, als Kellner oder Barkeeper, aber auch für die Kabinen.“

„Dann fühlt ihr euch sicher nicht allein?“

„Nein.“ Miguel strahlte und auch über Pedros Gesicht huschte ein Lächeln. „Heute Abend haben wir einen Treff, da kommen so drei vier Freunde auf unsere Kabine.“

„Wunderbar, mir fehlen die Gespräche mit Portugiesen. Weiβt du Miguel, ich bin seit Monaten zusammen mit dem Doktor und den Kamelen unterwegs. Wir können es kaum noch erwarten, endlich unser geliebtes Portugal wiederzusehen.“

„Wo ward ihr denn?“

„In Saudi Arabien.“

„Das klingt abenteuerlich! Ich kann verstehen, dass ihr Heimweh nach Portugal habt. Warum kommt ihr nicht mit eurem Freund zu uns heute Abend und erzählt von eurer Reise?“, fragte Miguel spontan, wurde dann aber gleich ein bisschen verlegen, ob er nicht zu weit gegangen sei, was die Etikette Regeln an Bord betrafen.

„Oh Danke, natürlich kommen wir gerne.“

„Unsere Kabinen sind nochmals zwei Decks tiefer.“

„Aha. Das hier ist Deck C, richtig?“ Miguel nickte.

„Unsere Kabine ist auf Deck E und die Kabinennummer ist die 372. Nach dem Abendessen, gegen Zehn Uhr?“

„Danke für die Einladung und bis später.“
 
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41.

Die Kabinentür Nummer 372, öffnete sich, als Ali und der Shrenk anklopften. Miguel begrüβte sie und stellte seine Freunde vor:

„Das sind Manuel und Isabel. Pedro kennst du schon.“

Die Kabine war winzig klein, als Ehrengäste wurde Ali und dem Shrenk die kleine Sitzbank zugewiesen, es gab noch zwei Hocker. Isabel hatte zusammen mit Miguel auf der unteren Koje Platz genommen. Pedro kam mit einer Flasche Portwein und schenkte in die Gläser ein. Sie prosteten sich zu: „Viva Portugal.“ Im Hintergrund spielte Fado Musik.

Isabel, eine brünette Enddreiβigerin mit dunklen Augen und ein wenig mollig, wurde gesprächig. Sie erzählte von ihrer Heimat, den Bergen im Norden, Trás-dos–Montes, und dass sie Gouvernante sei.

„Gouvernante?“

„Ich bin verantwortlich für die Koordination des Reinigungspersonals der Kabinen.

Miguel ist mein Freund, wir haben uns auf der Westerdam kennengelernt. – Und das ist Manuel, er ist Maschineningenieur.“ Isabel deutete auf einen Mann mit schmalem Gesicht und hellen Augen.

Manuel lächelte zurückhaltend. „Ich fahre seit zwei Jahren auf der Westerdam. Normalerweise darf kein Passagier hier runter, nur ausnahmsweise nach Deck A, in die Krankenstation. Durch eure Kamele habt ihr eine Sondergenehmigung.“

„Und weil ihr Portugiesisch sprecht“, mischte sich Miguel ein und prostet in die Runde: „Viva Portugal!“

„Viva Portugal!“ riefen auch der Shrenk und Ali.

„Wir haben uns die Reise über gefragt, was es mit den Kamelen auf sich hat und gerätselt wer ihr seid“, sagte Miguel zu Ali gewandt. „Bis Neufundland kamen da zwei Männer in arabischer Kleidung mit Bart zum Stall. Heute dagegen sehe ich euch zusammen mit dem Doktor und das erste Mal in normalen Kleidern und als Frau. Rätsel über Rätsel.“

„Wenn ich euch erzähle, dass wir Monatelang in Saudi Arabien unterwegs waren, zur Pilgerfahrt nach Mekka, und als Mann verkleidet, dann glaubt ihr es mir wahrscheinlich nicht. Nur wegen unserer Kamele und unserer Stallbesuche, kamt ihr als einzige hinter unser Geheimnis.“

Manuel schaltete die Musik leiser und Ali begann von ihrer Reise in den Oman und die Rub-Al-Khali zu erzählen. Der Shrenk hörte schweigend zu, denn all zu gut war sein Portugiesisch nicht. Aber er hörte zu und erschrak selbst darüber, in welche Gefahren sie da hinein geraten waren.

In der Tat ist psychisches Leiden eine Form der Selbstentfremdung, begann der Shrenk zu sinnieren. Selbstdistanzierung im Dienst defizitärer Stabilisierung. Seufzend folgerte er, dass zur defizitären Stabilisierung, Eindrücke, Erfahrungen und Vorstellungen, die für das
Selbstgefühl unannehmbar sind, eben unbewusst werden. Der Shrenk seufzte erneut und alle wendeten neugierig ihren Blick auf ihn. Nur Ali nicht.

„Lasst ihn mal“, klärte sie ihre neuen Freunde auf. „Doktor Shrenk ist ein berühmter Psychiater aus London und pausenlos damit beschäftigt, über die Psychoanalyse von Freud nachzudenken.“

Der Shrenk war viel zu sehr vertieft in seine Gedanken, als dass er noch etwas von den Gesprächen der anderen um sich wahrnahm. In der Tat! Folgerte er. Es kann sich nur um eine Strategie der Nicht-Anerkennung des eigenen Erlebens, Empfindens und Handelns im Dienst der Selbststabilisierung handeln. Worauf er müde wurde und einschlief. Er träumte von den unendlichen Weiten der Rub-Al-Khali und seinen Gesprächen mit Suleika. Suleika, seine Lieblingskameldame. Sie verstand ihn besser als Ali. Ali die wie immer seine Thesen mit Antithesen abschmetterte. Suleika aber war besonders zuvorkommend und verständnisvoll. Wie oft saβ er abends bei ihr und beide blickten hinauf zu den Sternen. Das waren Momente einer heiligen Stille, die sich in einem ausbreitete und sich vertiefte. So tief, bis das ganze Universum davon ausgefüllt war.

Pedro schenkte Portwein nach, die Musik war längst verstummt und alle lauschten Alis Geschichten.

„Und das ist noch nicht alles, aber ausreichend, um euch ein Bild zu machen von unseren Abenteuern in Saudi Arabien“, schloss Ali.

Sie blickte auf die Uhr, es war zwei Uhr Morgens. Der Shrenk schnarchte leise vor sich hin. Ali weckte ihn, so dass der Doktor verwirrt auffuhr und fragte was los sei. Alle kicherten.

„Wir sehen uns sicher bald. Morgens um sieben bin ich immer bei unseren Kamelen“, sagte Ali zum Abschied. Dann hängte sie sich beim Shrenk ein und beide suchten ihre Kabine auf.
 
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