Werkstatt-Text

P

Pelisa

Guest
Eigentlich müsste ich den Text verloren geben, er will nicht und nicht funktionieren. Aber ich will nicht!!! Inzwischen gibt es drei Versionen, keine wirklich gut, jede zu schade für den Papierkorb. Vielleicht könnt ihr mir weiter helfen?
 
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Adam und Eva I

Nebel. Nichts als Nebel. Ist es Tag, ist es Nacht? Das zählt schon so lange nicht mehr. Eine unbedeutende Veränderung der Helligkeit, nicht der Mühe wert, genauer hinzusehen.
Gott brüstete sich vor langer Zeit damit, dass für ihn tausend Jahre wie ein Tag seien. Mag sein, dass der Allwissende die Stunden nicht zählt. Für mich gibt es nur Nebel und Zeit, die nicht vergeht. Für immer.

Täusche ich mich? Nein, die Schleier haben sich bewegt, werden leichter und durchlässiger. Etwas wie Wind weht. Schatten tauchen auf. Oh, mein Gott, es ist wieder so weit!

Ich habe mich verirrt, ich kann es kaum glauben. Seit achtzig Jahren kenne ich diesen Park, und jetzt muss ich alter Narr mich im Nebel verirren. Die Kinder werden mich auslachen und sagen, dass ich alt werde. Wie peinlich. Wo bin ich nur? Jeder Knochen tut mir weh. Ich sollte längst daheim sein. Tee, meine Zeitung, Wärme.
Da vorne ist eine Parkbank. Ich werde mich ein bisschen ausruhen. Da sitzt jemand. Eine Frau. Wunderschön ist sie. Wie man bei dieser Kälte so gerade und steif sitzen kann. Ich friere beim Gehen.
Merkwürdig, sie kommt mir so bekannt vor. Als hätte ich sie irgendwann einmal gekannt. Sehr gut gekannt.
Aber dieses Gesicht… Nein, so etwas vergisst man nicht. Niemals. Ich werde alt und wunderlich. Ob ich sie nach dem Weg fragen kann? Sie wirkt so unnahbar.
Nein, gar nicht unnahbar. Sie wirkt vertraut und einladend. Sicher habe ich bloß ihren Namen vergessen. Wer ist sie nur? Gleich fällt es mir wieder ein.

Der Nebel hat ihn ausgespuckt. Er ist neben mir gestrandet, ein alter Narr der sich verirrt hat und sich ausruhen muss. Er erkennt mich nicht wieder. Jedes mal hoffe ich erneut, jedes mal werde ich enttäuscht.
Oh Gott, ich habe doch nichts getan, gar nichts! Warum muss ich diese unmenschliche Strafe erdulden, warum muss ich mich erinnern wo er vergessen darf?

Warum starrt sie mich so an? Gewiss kennt sie mich und ist beleidigt weil ich nicht gegrüßt habe.
Diese Augen… als hätte sie alles Leid dieser Welt gesehen und erlebt, verstanden und überwunden.
Was sind das nur für fremde Gedanken? So fremd, als hätte sie ein anderer Kopf gedacht.
Sie gehört nicht hierher. Sie sollte an einem warmen, freundlichen Ort sein, umgeben von Liebe und Licht. Man sollte sie als Eva im Paradies malen. Ja, das wäre das Richtige für sie.

Du kannst dich nicht erinnern, nicht wahr, Liebster? Du durftest vergessen. Und ich werde nicht reden, ich werde der Versuchung widerstehen., ich werde nicht zulassen, dass auch du leidest. Obwohl es deine Schuld ist. Ich habe dir vor langer Zeit vergeben. Ist es nicht furchtbar genug, wenn der verzauberte Prinz nicht fähig ist, die Prinzessin zu erkennen?

Es ist kalt. Ich sollte gehen. Was ist das für ein seltsames Band das auf dem Kies liegt? Es scheint sich um meinen Knöchel zu winden – und um ihren! Einbildung! Habe ich heute meine Tabletten genommen? Ich bin so erschöpft. Eine Weile noch, eine kleine Weile noch, will ich hier sitzen.

Die Erinnerung. Unsere Zeit. Unsere kurze, gemeinsame Zeit. Das Paradies. Adam und Eva im Paradies.
„Von diesem Baum dürft ihr nicht essen!“ Ich habe mich daran gehalten. Er nicht. Der Tag, an dem er bleich zu mir kam. „Ich habe es getan.“ Seine letzten Worte an mich. Ein grollender Gott voller Zorn, ein flammender Engel. „Geh!“ Ein barmherziger Engel, der niederkniete und meinen Knöchel mit einem roten Faden an seinen band, damit wir uns nicht verlieren können. Jenes Band, das ihn heute zurückzog, wie es ihn alle tausend Jahre zu mir bringt. Vielleicht kommt daher die Legende mit der Schlange.
Adam, der sich mit letzter Kraft die Rippe aus dem Leib riss und sie zu meinem Ebenbild formte. Er gab ihr meinen Namen, und diese beiden verließen das Paradies. Die Erinnerung schwand, kaum, dass er die Erde betreten hatte.
Und das Paradies verwandelte sich in diesen Nebelort, dieses Nichts, nachdem er fort war.
Aus.
Vorbei.
Ich werde ihn jetzt fortschicken.

Warum sieht sie mich so an als wollte sie mir etwas sagen? Mir ist, als müsste ich wissen, was sie erzählen möchte. Eigenartig. Warum zieht sie die Handschuhe aus? Was soll das?
Nein! Sie hat keine Hände! Sie hat bloß Fetzen von faulendem, verwesendem Fleisch auf den blanken Knochen. Ich halluziniere! Ich werde verrückt. Ich muss heim.
Fort, nur fort.

Er ist weg. Die Nebel werden schon wieder dichter. Meine Hände faulen wie seine Welt. Bald wird mein ganzer Körper erfasst sein. Dann, erst dann, wird es vorbei sein. Mein Martyrium, seines, das eines jeden. Das Ende der Zeit, ich werde erlöst sein.
Ich sehne und fürchte diesen Moment herbei.
Ich habe widerstanden. Er ist fort. Warum bin ich darüber so traurig, warum weine ich Aschetränen um ihn?

Einsam vom Anfang der Welt bis an ihr Ende, das ist mein Schicksal.
 
Adam und Eva II

Seit tausenden Jahren sitze ich hier. Ich zähle längst nicht mehr. Meine Hände verwesen, bald wird das letzte Fleisch von den Knochen fallen. Irgendwann wird es meinen ganzen Körper gefressen haben. Dann darf auch ich schlafen…

Eine Parkbank im Nebel und Zeit für immer. Das ist der klägliche Rest. Das ist aus dem Paradies geworden nachdem er gehen musste.

Habe ich mich damals richtig entschieden? Ich weiß es nicht. Ich werde es nie wissen. Die Geschichte wird unrichtig erzählt. Es stimmt nicht, dass ich ihm den Apfel schmackhaft gemacht habe und dass wir beide davon gegessen haben. Es war allein seine Idee. Vielleicht auch nur ein banales Versehen. Plötzlich stand er totenbleich vor mir und sagte, „Ich habe es getan.“ Dann ging alles sehr schnell. Gott war zornig und ein flammender Engel erschien. Bevor er ihn aber des Paradieses verwies, zeigte er eine kleine Geste des Mitleids, vielleicht war es auch die schlimmste Grausamkeit von allen. Er fesselte unsere Knöchel mit einem roten Band aneinander. So können wir uns nicht verlieren. Alle tausend Jahre lichten sich die Nebel ein wenig, das rote Band wird lebendig und führt ihn zu mir. Alle tausend Jahre einmal.

Dann kommt er, sterblich, verloren, meist ein alter Mann. Er setzt sich zu mir und fragt sich, was er hier tut. Er hat keine Erinnerung mehr an das was damals geschah. Ich erzähle ihm unsere Geschichte, er hört zu und begreift kein Wort. Nur in seinen Augen glimmt der winzige Funke von Ahnung. Meistens flüchtet er, entsetzt und verwirrt wenn ich ihm meine Hände zeige oder wenn er das rote Band sieht. Die Nebel schließen sich, und ich warte wieder tausend Jahre. Dies ist mein Teil der Strafe: warten, erzählen, warten. Die Erinnerung an das bewahren, was wir beide waren und was wir verloren haben.

Wenn er fort ist, weine ich eine Träne, eine einzige. Sie verwandelt sich in eine Perle und zerfällt, ehe sie den Boden erreicht, zu Staub.
 
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Adam und Eva III


Sie saß wie eine Statue auf ihrer Parkbank, starr und unbeweglich. Der dichte Nebel schien um sie herum noch eine Nuance undurchdringlicher zu werden. Trotzdem sah er, dass sie überirdisch schön war.

Irritiert blieb er stehen. Sie kam ihm bekannt vor. Ein Erinnerungsfetzen trieb wie Herbstlaub vor ihm her, doch er konnte ihn nicht fassen. Er stützte sich schwer auf seinen Stock. Es war keine gute Idee gewesen in dieser feuchten Kälte spazieren zu gehen. Seit Tagen quälte ihn eine unbestimmte Unruhe, die ihn unbarmherzig durch die Stadt trieb. Seine Glieder schmerzten, der rechte Knöchel juckte. Er musste sich ausruhen. Umständlich nahm er neben der Unbekannten Platz.

Sie war jung und schön wie eine griechische Göttin. Und noch etwas. Er suchte nach dem richtigen Begriff. Ehrfurchtgebietend? Majestätisch? Vielleicht nur unglücklich.

Sie wandte den Kopf um ihn anzusehen.

„Kannst du mich sehen?“, fragte sie leise. Er nickte. Bezaubert von ihrer Schönheit nahm er die Ungewöhnlichkeit ihrer Frage kaum wahr.
„Seit tausenden Jahren sitze ich hier“, fuhr sie fort. „Es ist mein Schicksal, auf dich zu warten.“
Eine Verrückte, sagte sein Verstand, sei vorsichtig. Aber eine tiefere, fast verschüttete Schicht in ihm wusste, dass sie Recht hatte. Sie sah in seine Augen und seufzte.
„Du hast es vergessen. Du hast alles vergessen.“
Was vergessen, wollte er fragen, aber er konnte nicht. Ihre Augen hielten ihn gefangen. Sie waren weise und alt und voller Liebe.
„Hast du den Apfel vergessen? Ich weiß, die Geschichte wird falsch erzählt, aber hast du den Apfel wirklich vergessen? Du warst es doch, der ihn unbedingt kosten und dann essen musste. Ich habe widerstanden, aber die Strafe tragen wir beide.“
Der treibende Erinnerungsfetzen wurde langsamer. Fast konnte er ihn berühren.

„Du hast auch den flammenden Engel vergessen“, fuhr sie fort. „Er hat unsere Knöchel mit einem roten Band aneinander gebunden damit wir uns nicht ganz verlieren. Er war der einzige, der Mitleid hatte. Schau zu Boden, wenn du mir nicht glaubst.“

Ein roter Faden wand sich um ihren Fuß, lag wie eine tote Schlange auf dem Kies und schlängelte sich um seinen Knöchel. Sie log nicht.

„Wie bist du hier hergekommen? Dies ist nicht deine Zeit und deine Welt. Das hier ist aus dem Paradies geworden nachdem du gehen musstest.“

Er weinte. Er wusste, sie erzählte seine Geschichte, aber er würde sich niemals erinnern können. Auch das war ein Teil der Strafe.

„Ist es eine Gnade oder eine Qual, dass du manchmal zu mir darfst, als alter Mann, sterblich und verloren, und ich dir die Geschichte erzähle, die du dir nie merken wirst?
Schau her!“

Sie zog ihre Handschuhe aus. Ihre Hände waren offene Wunden, schon in Verwesung übergegangen, doch ab dem Gelenk schimmerte weiße Haut.

„Wenn das hier meinen ganzen Körper erfasst hat, wird es vorbei sein. Erst dann.
Du musst jetzt gehen. Es ist Zeit.“

Er wollte sie zum Abschied küssen. Sei wehrte ab. „Nein. Auf deinen Lippen haftet immer noch der Geschmack des Apfels.“

Er stand mühsam auf. Es lang nicht in seiner Macht ihr zu widersprechen. Ohne einen Blick zurück ging er weiter.

Langsam rollte eine Träne über ihre Wange, verwandelte sich in eine Perle und zerfiel, ehe sie den Boden erreichte, zu Staub.
 
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