Adam und Eva I
Nebel. Nichts als Nebel. Ist es Tag, ist es Nacht? Das zählt schon so lange nicht mehr. Eine unbedeutende Veränderung der Helligkeit, nicht der Mühe wert, genauer hinzusehen.
Gott brüstete sich vor langer Zeit damit, dass für ihn tausend Jahre wie ein Tag seien. Mag sein, dass der Allwissende die Stunden nicht zählt. Für mich gibt es nur Nebel und Zeit, die nicht vergeht. Für immer.
Täusche ich mich? Nein, die Schleier haben sich bewegt, werden leichter und durchlässiger. Etwas wie Wind weht. Schatten tauchen auf. Oh, mein Gott, es ist wieder so weit!
Ich habe mich verirrt, ich kann es kaum glauben. Seit achtzig Jahren kenne ich diesen Park, und jetzt muss ich alter Narr mich im Nebel verirren. Die Kinder werden mich auslachen und sagen, dass ich alt werde. Wie peinlich. Wo bin ich nur? Jeder Knochen tut mir weh. Ich sollte längst daheim sein. Tee, meine Zeitung, Wärme.
Da vorne ist eine Parkbank. Ich werde mich ein bisschen ausruhen. Da sitzt jemand. Eine Frau. Wunderschön ist sie. Wie man bei dieser Kälte so gerade und steif sitzen kann. Ich friere beim Gehen.
Merkwürdig, sie kommt mir so bekannt vor. Als hätte ich sie irgendwann einmal gekannt. Sehr gut gekannt.
Aber dieses Gesicht
Nein, so etwas vergisst man nicht. Niemals. Ich werde alt und wunderlich. Ob ich sie nach dem Weg fragen kann? Sie wirkt so unnahbar.
Nein, gar nicht unnahbar. Sie wirkt vertraut und einladend. Sicher habe ich bloß ihren Namen vergessen. Wer ist sie nur? Gleich fällt es mir wieder ein.
Der Nebel hat ihn ausgespuckt. Er ist neben mir gestrandet, ein alter Narr der sich verirrt hat und sich ausruhen muss. Er erkennt mich nicht wieder. Jedes mal hoffe ich erneut, jedes mal werde ich enttäuscht.
Oh Gott, ich habe doch nichts getan, gar nichts! Warum muss ich diese unmenschliche Strafe erdulden, warum muss ich mich erinnern wo er vergessen darf?
Warum starrt sie mich so an? Gewiss kennt sie mich und ist beleidigt weil ich nicht gegrüßt habe.
Diese Augen
als hätte sie alles Leid dieser Welt gesehen und erlebt, verstanden und überwunden.
Was sind das nur für fremde Gedanken? So fremd, als hätte sie ein anderer Kopf gedacht.
Sie gehört nicht hierher. Sie sollte an einem warmen, freundlichen Ort sein, umgeben von Liebe und Licht. Man sollte sie als Eva im Paradies malen. Ja, das wäre das Richtige für sie.
Du kannst dich nicht erinnern, nicht wahr, Liebster? Du durftest vergessen. Und ich werde nicht reden, ich werde der Versuchung widerstehen., ich werde nicht zulassen, dass auch du leidest. Obwohl es deine Schuld ist. Ich habe dir vor langer Zeit vergeben. Ist es nicht furchtbar genug, wenn der verzauberte Prinz nicht fähig ist, die Prinzessin zu erkennen?
Es ist kalt. Ich sollte gehen. Was ist das für ein seltsames Band das auf dem Kies liegt? Es scheint sich um meinen Knöchel zu winden und um ihren! Einbildung! Habe ich heute meine Tabletten genommen? Ich bin so erschöpft. Eine Weile noch, eine kleine Weile noch, will ich hier sitzen.
Die Erinnerung. Unsere Zeit. Unsere kurze, gemeinsame Zeit. Das Paradies. Adam und Eva im Paradies.
Von diesem Baum dürft ihr nicht essen! Ich habe mich daran gehalten. Er nicht. Der Tag, an dem er bleich zu mir kam. Ich habe es getan. Seine letzten Worte an mich. Ein grollender Gott voller Zorn, ein flammender Engel. Geh! Ein barmherziger Engel, der niederkniete und meinen Knöchel mit einem roten Faden an seinen band, damit wir uns nicht verlieren können. Jenes Band, das ihn heute zurückzog, wie es ihn alle tausend Jahre zu mir bringt. Vielleicht kommt daher die Legende mit der Schlange.
Adam, der sich mit letzter Kraft die Rippe aus dem Leib riss und sie zu meinem Ebenbild formte. Er gab ihr meinen Namen, und diese beiden verließen das Paradies. Die Erinnerung schwand, kaum, dass er die Erde betreten hatte.
Und das Paradies verwandelte sich in diesen Nebelort, dieses Nichts, nachdem er fort war.
Aus.
Vorbei.
Ich werde ihn jetzt fortschicken.
Warum sieht sie mich so an als wollte sie mir etwas sagen? Mir ist, als müsste ich wissen, was sie erzählen möchte. Eigenartig. Warum zieht sie die Handschuhe aus? Was soll das?
Nein! Sie hat keine Hände! Sie hat bloß Fetzen von faulendem, verwesendem Fleisch auf den blanken Knochen. Ich halluziniere! Ich werde verrückt. Ich muss heim.
Fort, nur fort.
Er ist weg. Die Nebel werden schon wieder dichter. Meine Hände faulen wie seine Welt. Bald wird mein ganzer Körper erfasst sein. Dann, erst dann, wird es vorbei sein. Mein Martyrium, seines, das eines jeden. Das Ende der Zeit, ich werde erlöst sein.
Ich sehne und fürchte diesen Moment herbei.
Ich habe widerstanden. Er ist fort. Warum bin ich darüber so traurig, warum weine ich Aschetränen um ihn?
Einsam vom Anfang der Welt bis an ihr Ende, das ist mein Schicksal.