Liebe Sunnygirl!
Sorry, wenns vorhin unfreundlich rüberkam, ich konnte nur nicht mehr schreiben, weil Kundschaft da war, jetzt gehts wieder.
Vorerst: Eine der schmerzhaftesten Erkenntnisse, durch die man gehen kann ist die, dass man als Opfer auch Täter ist - hier gibt es naturgemäß die größte Abwehrhaltung überhaupt. In keinem Thema in der Esoszene wird mehr hin- und hergehackt als beim Thema "Schuld".
Darum denke ich, müssen wir sehr, sehr behutsam mit dem Thema umgehen, sonst rutscht dieser Thread schnell in die Polemik ab.
Darum auch gleich mal eine (vorläufige) Absage an die 3. Punkte, die Du aufgeführt hast:
1.) Ein Kind muss gleich funktionieren wie ein Erwachsener
2.) Lichtleins Thread
3.) Das Mordopfer ist selbst schuld
Denn da müsste ich nun 15 Seiten schreiben, um diese 3 Punkte, die an sich jeder ein eigenständiges Thema wären, zu beantworten, weil sie hier von Dir verknüpft wurden.
Dann wären wir bei der Aussage "Burli, wennst Dei Erbsensuppe net isst, verhungert in Afrika a Kind wegen Dir".
Man KANN natürlich alles miteinander verknüpfen - die Reaktion des Kindes, Lichtleins Thread, das "schuldige" Mordopfer - aber dann sind wir bei der Erbsensuppe.
Und mir liegt dieses Thema viel zu sehr am Herzen, als dass ich es so oberflächlich behandeln möchte.
Wenn es Dir recht ist, möchte ich mit dem Thema "Schuld" beginnen (und bitte, auch wenns schwer fällt, klammern wir Kinder aus, es wird noch klarer werden, warum ich diese Dinge nicht vermengen möchte.)
Vor einigen Jahren gab es in unserer Gemeinde einen Mordfall. Ein Mann hatte seine Frau ermordet.
Als er verhaftet wurde, weinte er ununterbrochen und sagte, "er hätte seine Frau so sehr geliebt, er hätte gar nicht anders handeln können, denn sie wollte ihn verlassen"...
Für ihn war SIE die Täterin und ER das Opfer.
Dieses Phänomen fällt immer wieder auf. Ein Täter fühlt sich als Opfer.
Ist das nicht immer so? Wenn die Nachbarn miteinander streiten, frag sie mal. Da ist IMMER der andere der Täter.
Kennst Du das Lied von Elvis Presley "In the Ghetto"?
Es gibt einen indianischen Spruch, der heißt: "Verurteile niemals einen Menschen, bevor Du nicht 14 Tage in seinen Mokassins gelaufen bist!".
In Presleys Lied kommt es sehr plastisch durch, dass JEDER Mensch nur genauso handeln KANN, wie er es gelernt hat.
Wer ist nun "schuld", wenn in diesem Lied ein Kind aus dem Ghetto zum Verbrecher wird - das Kind?
Oder fragen wir anders: Was meinst Du, wird sich dieses Kind, wenn es erwachsen geworden ist, in irgendeiner Weise "schuldig" fühlen? Oder glauben (so wie die zwei Nachbarn), selbst ok zu sein, aber die anderen wären schlecht?
JEDER Mensch glaubt von sich selbst, "gut" zu sein. Denn wenn man mal einen "Ausrutscher" hat (von der menschlich-sozialen Bewertung her gesehen), gabs ja dafür den "anderen", der Schuld hat.
Die Schuld liegt IMMER beim anderen.
Irgendetwas stimmt dabei nicht, oder?
Liebe Grüße
Reinfriede
Hallo Reinfriede
Dann geh ich mal näher auf Dein Beispiel ein:
Da ist auf der einen Seite die angebliche Schuld des Opfers, sie will von ihrem freien Willen Gebrauch machen und ihren Mann verlassen - dieser nun fühlt sich als Opfer und nimmt sich das Recht, seine Frau umzubringen.
Sich als Opfer fühlen und es wirklich sein sind zweierlei Dinge. Reales Opfer war hier die Frau, nicht der Mann, denn er hatte kein Recht, seiner Frau das Leben zu nehmen, sie jedoch durchaus, ihn zu verlassen.
Deshalb hinkt dieses Beispiel für mich an allen Ecken und Enden, es ist in keiner Weise plausibel für mich, es sei denn, man verzichte auf jegliche Logik und gebe sich einer esoterischen Idee hin, welche all das irgendwie in einen Zusammenhang bringt und den Täter als reales Opfer sieht, so meine Meinung.
Interessant ist, wie lückenlos der esoterische Hintergrund ist, der mir dazu bekannt ist. Denn da wird klar gesagt: Das Opfer hat sich sein Leben selbst ausgesucht, bevor es überhaupt auf die Welt kam. Der Mörder nimmt dabei freiwillig und nur ungern die Aufgabe des Mörders auf sich, das alles hat den Sinn, die Entwicklung des Opfers schneller voranzubringen. Je mehr Leid, desto schneller die Entwicklung. Die Seele kann sich aussuchen, welchen Stärkegrad an Leid sie sich zumuten will. Dies die eine Theorie, welche mir wenigstens ehrlich und einigermassen in sich geschlossen erscheint, auch wenn ich sie insgesamt als Religionssystem ablehne.
Ein anderer esoterischer Hintergrund wäre das Karma: Das Opfer hat in einem Vorleben etwas getan, was das jetzige Leid irgendwie erklärt und rechtfertigt. Kann ich auch nicht für mich übernehmen, wäre aber in sich ein relativ lückenloses Erklärungsmodell.
Und dann käme hinzu, dass wir alle in einem Vorleben mal Täter waren, sofern man daran glaubt. Dadurch entsteht natürlich mehr Verständnis für den Täter, warum eigentlich nicht für das Opfer?
Aber eine Theorie, welche nur auf Erwachsene anwendbar ist und sich nicht auf Kinder übertragen lässt, hat mir nun doch zu grosse Lücken.
Aber ich wette, Du willst das nur nicht zugeben, weil irgendwo in Dir doch auch Ablehnung zu diesem Gedankengang besteht.
Dass so viele sich schwertun, sich selbst in der Täterrolle zu sehen, könnte natürlich auch damit zu tun haben, dass es ihnen genauso unlogisch erscheint wie mir, zumindest so, wie Du es darstellst.
Täter im verbalen Sinne sind wir alle, das seh ich auch so, aber körperliche Übergriffe, Kindsmissbrauch und Mord sind schon etwas anderes. Klar, dass der Täter im Kontext seines psychischen Defizits gesehen werden muss, doch das erklärt nur, entschuldigt aber nichts und gibt dem Opfer in keiner Weise die Schuld.