Die Mongolen hatten sich um einen groβen Küchenofen versammelt, ein dampfender Suppenkessel thronte obendrauf. Ugedai winkte Ali und dem Shrenk und machte ihnen Zeichen, sich zu ihm zu setzten.
Das sind Boten aus der Heimat, sie kommen vom Ordu, sagte Ugedai und zeigte auf fünf Männer. Nachdem Der Doktor und Ali mit Kemur versorgt worden waren, fuhr Ugedai fort:
Sie haben euch Geschenke mitgebracht.
Geschenke? Ali nahm sich eine Schüssel mit dampfender Nudelsuppe, in der Fleischstücke schwammen und begann hungrig zu essen. Was für Geschenke, lieber Ugedai, bringen uns die Boten?
Ugedai griff hinter sich und holte einen schweren Pelzmantel hervor. Das sind Dachas, doppelwändige Pelzmäntel. Der Winter kommt und ihr werdet sie brauchen. Auch Pelzmützen und Stiefel. Ihr werdet neu eingekleidet.
Oh, besten Dank, edler Ugedai. Der Shrenk befühlte den Mantel, er war von graubrauner, glänzender Farbe und besaβ langhaariges Fell. Wie weich sie sind. Was ist das für ein wunderbar geschmeidiger Pelz?
Das ist Zobel und ein Geschenk von Temudschin persönlich. Als Dank dafür, dass ihr diese weite Reise auf euch genommen habt.
Danke, Ugedai.
Solche Dachas, hat Temudschin an Dschebe und Dschutschi, schicken lassen. Und noch weitere zehntausend Reiter. Insgesamt zwanzigtausend Dachas aus Lammfell für seine Truppen denn Dschebe muss ab jetzt mit seinem Reiterregiment über die verschneiten Berge ziehen.
Wer ist Dschutschi?
Dschutschi ist Temudschins Sohn.
Ah. Und wer seid ihr, Ugedai?
Ich bin Ugedai, mehr nicht, lachte er schelmisch, dass seine Zähne blitzten.
Glaubt ihr, dass Dschebe es schaffen wird?
"Sage von einem Paß nie, er sei unüberwindlich! Wenn du nur hinaufsteigst und keine Anstrengung scheust, wirst du ihn überschreiten. Und sage auch nicht, es sei zu weit und ihr könntet es nicht schaffen! Wer geht, kommt schließlich auch an!"
Oh ist die schön, bedankte sich Ali, als Ugedai ihr eine Pelzmütze überreichte. Stolz setzte sie sie probehalber auf. Die Mütze war genauso wie die von Ugedai und den anderen Mongolen angefertigt: kapuzenartig und mit einem breiten Rand aus dickem Pelz der zu beiden Seiten nach hinten über die Schulter hinab fiel.
Damit ihr nicht friert, ab jetzt wird es von Tag zu Tag kälter werden.
Kökötschü hatte sich unbemerkt neben den Doktor gesetzt. Erst als der Shrenk lautes Schmatzen und schlürfende Geräusche neben sich vernahm, drehte er sich zu ihm hin. Kökötschü leerte gerade seine Suppenschale und wischte sich dann zufrieden mit dem Handrücken den Mund ab. Heute möchte ich euch etwas erzählen. Der Doktor nickte gespannt und lauschte aufmerksam Kökötschüs Erzählung:
Temudschins Urahnen stammen von einem Wolf und einer weiβen Hirschkuh ab.
Ach wie zauberhaft, edler Kökötschü.
Es war der graue Wolf Börtä-Tschino des Himmels und die weiβe strahlende Hirschkuh Maralghoa der Erde. Sie begründeten unser Volk, die Mongolen.
Ich verstehe, hm
ein Mythos aus Urzeiten, nehme ich mal an, um so dem Herrscher den Status eines Gottes zu verleihen. Ist ja durchaus üblich gewesen. Ali, die auch zugehört hatte stieβ den Doktor unwillig mit dem Ellbogen an und murmelte: Seid nicht so ungläubig, Doktor. Es kann ja wahr sein.
Kökötschü lächelte den Shrenk wohlwollend an und fuhr fort:
Der Wolf ist das Ebenbild des Kriegers und steht für unsere Kraft. Eine unerschöpfliche Kraft. Die Hirschkuh ist das Zeichen der Schamanen und der Stämme. Nach ihrer Heirat schwammen beide den Onon Fluss hinab und lieβen sich am heiligen Berg Burkahn-Khaldun nieder. Dort kam ihr erster Sohn Bataschian zur Welt.
In diesem Augenblick flog die Tür mit lautem Knall auf und jemand rief irgendetwas aufgeregt in den Raum. Ugedai wandte sich an Ali und den Shrenk:
Eure Kamele sind durchgebrannt und veranstalten ein Wettrennen in den Gängen der Karawanserei!
Ali erhob sich sofort und das Gleiche tat der Shrenk, gefolgt von einigen Mongolen aus der Karawane.
Wir müssen sie einfangen, Doktor. Was sollen wir nur tun? Aber da hatte Ugedai sie schon eingeholt und vekündete lachend, während er im Laufschritt neben ihnen herlief:
Vertraue Allah, aber binde dein Kamel gut fest!
Das ist bei Akhbar nicht möglich, der schafft es jeden Knoten zu öffnen, schnaufte Ali, die inzwischen ganz auβer Atem war, ihre Kamele durch den endlosen Kreuzgang zu verfolgen.
Die Karwanserei Tash Marab, am Rand der Oase Kutscha gelegen, war ein zweistöckiger, quadratischer Bau von mindestens fünfzig Metern an jeder Seite. Die Wände bestanden aus gebrannten Lehmziegeln, an jeder Ecke war auβen ein runder Wachturm mit Schieβscharten angebaut und in der Mitte befand sich ein Innenhof mit einem Brunnen. Im unteren Stock waren die Ställe untergebracht und in der oberen Etage die Zimmer für die Gäste, die Essensräume, Küchenstuben und Teestuben. Es gab auch eine kleine Moschee, ganz am einen Ende des Gangs.
Auβerdem sind meine Kamele, Meharis. Das sind Rennkamele und sie erreichen bis zu 45 Stundenkilometer, versteht ihr Ugedai?
Ja, natürlich.
Inzwischen waren einige Mongolen auf ihren Pferden in den Gängen unterwegs, auf der Jagt nach Alis Kamelen. Sie wollten Akhbar mit der Urga einzufangen. Aber vergeblich. Akhbar ritt so schnell wie der Teufel und Miriam hinterher. In der Taklamakan mussten sie langsam reiten, wegen dem Sand, dem Schotter, den Steigungen der Bergpässe und dem schweren Gepäck, was auf ihren Rücken aufgeschnürt war. Nicht hier in der Karawanserei. Die Gänge waren ebenerdig, ihre Rücken waren ohne leidige Gepäckstücke. Der Hafer und die Datteln die Ali ihnen vorhin verfütterte, tat sein Übriges. Alis Kamele fühlten sich voller Kraft und rannten in Hochstimmung durch die Gänge der Karawanserei. Um den Pferden mit ihren mongolischen Reitern zu entkommen, stiegen sie in Windeseile die Treppen hinauf in den oberen Stock und setzten ihre Rennen dort fort. Neugierig hatten die übrigen Gäste sich im Innenhof um den Brunnen geschart. Andere blieben vorsichtshalber an der Schwelle zu ihren Räumen stehen und blickten neugierig den wilden Mongolenreitern hinterher, die noch wildere Kamele verfolgten.
In Windeseile musste sich Kökötschü umgezogen haben, er hatte sich genau neben dem Brunnen im Hof hingestellt. Langsam begann er auf seiner Trommel zu schlagen, während er seinen Oberkörper zusammen mit der Trommel, vor und zurück warf. Bald glitt er hinüber in die andere Welt, und begann plötzlich laut zu knurren. Es schien, als trete er in Kontakt mit den Geistern von Akhbar, Miriam, Suleika und Omar, um sie zu besänftigen, was ihm anscheinend nicht so richtig gelingen wollte. Seine Knurrlaute wurden immer lauter, abwechselnd stieβ er grelle Schreie aus, dann wieder ein dröhnendes Knurren. Der weise Mann entschied sich zur Herrin der Tiere zu reisen um die Freigabe von Akhbars Geist zu erreichen und um eine gereinigte Atmosphäre in der Karawanserei herbeizuführen.
Etwas abseits vom Brunnen stand eine kleine Gruppe finsterer Gestalten. Sie waren in dunkle Mäntel gehüllt, auch ihre Turbane waren schwarz. Gesichter von sonnengegerbter Haut, geschmückt von langen Bärten, dunkle Augen, die aufmerksam die Situation musterten. Schweigend verfolgten die zehn Männer den wilden Aufruhr, bis endlich ihr Anführer Rashid, leise zu den anderen meinte: Solche verrückten Kamele, könnten unser Vorhaben vermasseln. Wir müssen vorsichtig sein.