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Alicebergamo
Guest
Wir sind endlich in Kashgar, Shrenk! Seht nur diesen malerischen Markt. Ich glaube, das hier ist zeitlos, der Markt wird im Jahre 2010 auch nicht anders aus aussehen oder?
In der Tat, werte Ali. Ihr erinnert euch gewiss an die Erzählungen von Abdullah, als wir auf der Ramlah nach Rotterdam fuhren? Dieser Ingenieur, dem unsere Kamele das Leben schwer machten.
Selbstverständlich. Der kleine Wicht aus Kashgar, oh ja! Mit ein Grund, warum ich die Einladung von Dschingis Kahn annahm, Kashgar wollte ich immer schon einmal sehen.
Ugedai erzählte mir, dass die alte Oasenstadt Kashgar der wichtigste Ort an der Seidenstraβe sei. Schnittpunkt der nördlichen und südlichen Route und das Tor zu den Pässen nach Zentralasien, Indien und Persien. Vom Pamir und Karakorum her kommend werden hier, die robusten Yaks und erschöpften Packpferde gegen Kamele eingetauscht, um den Weg nach China fortsetzen zu können.
Dann sind wir auf jeden Fall mit unseren Kamelen genau richtig. Akhbar freut sich schon auf die Seidenstraβe.
Ali und der Doktor saβen im Schneidersitz auf seidenen Teppichen und tranken chinesischen Tee. Sie hatten auf dem schattigen Balkon eines Teehauses Platz genommen und beobachteten unten in der Gasse das brodelnde Treiben der Handwerker und laut rufenden Händler. Eselskarren, voll beladen mit Früchten und Gemüse, versuchen sich mit knarrenden Rädern ihren Weg durch das Wirrwarr zu bahnen. Laute Diskussionen der Kunden und Händler, über die Gerüchte und Neuigkeiten des Tages erfüllen den Raum. Auch der Name Dschingis Kahn, fällt immer wieder. Fliegende Händler bieten durch noch lauteres Schreien ihre Waren an.
Der Doktor nickte zustimmend und bestellte eine weitere Kanne Tee bei einem uigurischen Kellner.
Wir haben nur diesen Nachmittag, Werteste. Morgen früh wird es wieder ernst, dann werden wir diese furchterregende Wüste durchqueren.
Aber Doktor. Wir sind doch wohl bestens wüstenerprobt oder etwa nicht?
Die Taklamakkakan
Habt ihr euch immer noch nicht dieses Wort merken können? Diese Wüste heiβt Taklamakan!
Ja eben diese Wüste, wo schon viele Reisende drin verschwanden und nie mehr auftauchten. Es soll dort Geister geben, mit seltsamen pfeifenden Stimmen locken sie ganze Karawanen in diese Schreckenswüste. Auch wenn es Projektionen sind, Ali. Nicht auszudenken, wenn wir diesen Projektionen erliegen, kam es hustend vom Shrenk.
Ali klopfte ihm auf den Rücken, und da sie kräftig draufhieb, half das fast immer. Der Shrenk beruhigte sich endlich. Er schnupperte kurz und meinte dann:
Hm, hier riecht es gut.
Auch mir steigt dieser verlockende Duft nach gebratenem Hammel in die Nase. Und dazu ein frisch gebackenes Fladenbrot, schlug Ali sofort vor und winkte dem Uiguren. Der Doktor bestellte und seufzte dann schwer.
Aller Wahrscheinlichkeit unsere letzte vernünftige Mahlzeit. Ich will gar nicht wissen, was wir auf dem Feldzug durch Kasachstan und Persien, an Essbarem zu uns nehmen werden. Ich kann nicht nur von dieser mongolischen Pulversuppe leben.
Seid doch nicht so negativ, Doktor. Es sind noch 1200 Km bis zur Oase Turfan, danach sehen wir weiter. Und auβerdem schmeckte das Essen der Mongolen mir bisher.
Bisher, Ali. Bisher. Ihr glaubt doch nicht, dass es auf dem Feldzug noch was Vernünftiges zu essen geben wird, sagte der Shrenk düster. Vor allem interessiert mich, ob der Kahn überhaupt Zeit haben wird, mit uns zu philosophieren
Philosophieren? Ali lachte und klatschte sich dabei auf die Oberschenkel. Dann schüttelte sie betont langsam ihren Kopf. Nein, das glaube ich auch nicht. Ich bin gespannt auf seine Kriegstaktik. Er soll alleine tausend Krieger als Leibwache haben.
Seine psychologische Kriegsführung, dafür ist er berühmt. Ich werde auf jeden Fall unterwegs versuchen, ihn zu therapieren. Der Shrenk kratzte sich nachdenklich am Kopf.
Der Uigure erschien mit gebratenem Hammel und Fladenbrot. Ali und der Shrenk begannen sofort zu essen.
Ihr wollt Dschingis Kahn therapieren?, fragte Ali kauend.
Korrekt. Das was ich bisher über ihn gelesen habe, ist mir zu wenig. Ich muss ihn selbst erleben, um zu tieferen Eindrücken zu kommen, damit ich überhaupt weiβ wo ich ansetzen kann. Ich weiβ nur, dass er von kleiner Statur ist, so wie die meisten Despoten wie Cäsar oder Napoleon. Und dann dürfte es sich mit ziemlicher Sicherheit bei ihn um einen Psychopathen handeln.
Psychopath, wie kommt ihr denn da drauf?
Psychopathen, die keine oder kaum Gefühle empfinden, besitzen zum Ausgleich dieses Mangels, eine extrem ausgeprägte Fähigkeit, andere Menschen zu beobachten, zu durchschauen und für ihre Zwecke zu manipulieren.
Das trifft ja wohl auch auf Menschen zu, die keine Psychopathen sind!
Hm Was ein Psychopath nicht fühlen kann, gleicht er durch Intelligenz und besonders ausgeprägte schauspielerische Fähigkeiten aus. Sie besitzen perfekt erlernte Verhaltensweisen, mit denen sie die Menschen täuschen.
Hm. Das hört sich eindeutig nach einer fehlenden inneren Verbindung zwischen dem fühlenden Herz und dem denkenden Gehirn an, oder?
Ja, Ali.
Doktor, wisst ihr eigentlich, dass ihr da etwas Ungeheuerliches gesagt habt? Ali schob sich weitere Stücke Fleisch in den Mund und überlegte grinsend. Womöglich können wir die ganze Weltgeschichte dadurch verändern, wenn ihr Dschingis Kahn therapiert?
Ali! Das grenzt ja schon an Gröβenwahn. Im Gegensatz zu Dschingis Kahn, der seinen Gröβenwahn in die Realität herein manifestierte. Aber zu spät, das ist alles bereits passiert, werte Ali.
Seid doch nicht gleich so ungehalten. Einen Versuch ist es doch immerhin wert.