Jetzt will ich euch mal eine Denkaufgabe stellen.
Als Juraabsolvent der obersten Schicht kann man, wenn man möchte, im ersten Jahr über 100 000 EUR brutto verdienen. Klingt das unfair?
Jetzt stellt euch vor ihr seid smarte Jugendliche, so 18 etwa. Ihr habt euer Abi mit nem 1komma-Schnitt bestanden. So, dann müsst ihr jetzt erstmal etwa 5 Jahre lang studieren, erstes uns zweites Staatsexamen machen. Ihr müsst für jede Prüfung bis zum Erbrechen lernen - denn wenn ihr am Ende nicht zu den besten 10-20% gehört, kriegt ihr kein Prädikatsexamen, und von denen braucht ihr gleich zwei Stück, um in ner hochrangigen Kanzlei genommen zu werden. Also, ihr müsst euch gegenüber tausenden anderen Studenten beweisen, und am Ende müsst ihr eine Leistung abliefern, die nur 10-20% der Leute hinkriegen, obwohl bis dahin eh nur noch die besten drin sind. Das reicht aber nicht. In euren "Ferien" (ihr habt ja einige Monate vorlesungsfreie Zeit) solltet ihr Praktika absolvieren, möglichst wertvolle Praktika, und auch hier müsst ihr euch gegen tausende andere Bewerber durchsetzen. Ihr arbeitet also 5 Jahre lang teilweise einen zweistelligen Stundenbetrag pro Tag und der Clou? Ihr kriegt dafür kein Geld - ihr zahlt sogar noch (zum. im Süden Deutschlands). Danach dürft ihr anfangen zu arbeiten, aber nicht vergessen, dass ihr irgendwann ein Doktorat nachschieben müsst, denn sonst is nicht mit aufsteigen zum Partner.
So, jetzt gehört ihr zu den besten 10% eures Jahrganges, ihr habt euch erfolgreich gegen all die anderen durchgesetzt, ihr hattet gute Praktika, euer CV glänzt vor lauter Erfolg, ihr werdet bei Taylor Wessing oder Gleiss Lutz eingestellt. Geil, erstes Jahr gleich mal ne Zehntelmillion verdienen. Aber nicht vergessen: Dafür müsst ihr 60 Stunden und oft mehr pro Woche arbeiten. Und zwar hart. Viel Urlaub is auch nich. Dauernd bereit sein. Wenn man um 9 Uhr Abends in ne bekannte Großkanzlei reingeht, wird man sich wundern, weil da noch Lichter brennen - du hast nen Auftrag und der muss bis da und da fertig sein, und ob du Zuhause Frau und Kind hast oder mit Freunden morgen Nachmittag Tennisspielen gehen willst ist scheißegal, wenns hier um nen zweistelligen Millionenbetrag geht. Und nein - das hört nicht auf.
Um so einen Job zu kriegen, müsst ihr leben, um zu arbeiten. Ihr gebt einen Großteil eures Lebens - vor allem eurer Jugend! - dafür her, dieses Geld zu verdienen, und die wenigsten machen's nur wegen dem Geld. Denn Geld allein macht einen nicht glücklich, wenn man keine Zeit hat, es auszugeben.
So, und nach diesen Ausführungen: Findet ihr die Idee, im ersten Jahr nach der Ausbildung 100 K zu verdienen, noch immer so beneidenswert? So toll? Würdet ihr's machen, wenn ihr könntet? Euer Leben und eure Jugend opfern für ein paar Millionen? Oder hättet ihr lieber ein einfaches Leben, mit genug Geld zum Leben, aber viel Zeit für Freunde und Familie, viel Freiheit, viel Möglichkeit, auf andere Weise Glück zu finden?
Denkt mal drüber nach, bevor ihr hier immer eure saublöden Klischees hochfährt.