und in meinen augen auch ein beispiel dafür, wie astrologie als fiktion schlimmstenfalls auch funktionieren kann: als scheinbarer beleg für ideologisch verfestigte glaubenssätze.la mer schrieb:eine bspl.-variante eine bestimmte religiöse richtung (hier: christlich) bzw. "verkörperung" in einem chart zu sehen.
Da wird suggeriert, Jung wäre genauso gescheit wie der Verfasser des obigen Zitats... ich hab ihn auch im Original gelesen und halte es für grob fahrlässig (und für ein fragwürdiges joviales Anbiedern), in dieser Weise "mit Jung zu sprechen". In diesem Text beschreibt Jung archetypische Komponenten der christlichen Kreuzes-Symbolik, und Archetypen im Jungschen Verständnis sind etwas ziemlich anderes als eine Projektion nach außen...Mit Jung zu sprechen, ist der Gottessohn oder Avatar eine Projektion des Gottesbildes in die Außenwelt.
Das ist nun schon nicht mehr mit Jung gesprochen, sondern Predigt des Interpreten des Christi-Geburts-Horoskops, das ist lupenreiner individueller Glaubenssatz eines, der weiß, wo Gott wohnt. Und hat mit christlicher Lehre nichts zu tun, die würde sich vehement dagegen wehren, dass Gott im Inneren der Seele wohnt, schon gar als "Selbst". Was unterscheidet eine solche Projektion nach innen von einer Projektion nach außen?Um zum wirklichen Gott zu finden, der doch als Selbst im Inneren der Seele wohnt, müssen wir diese "Hinausverlagerung" zurücknehmen, die Projektion von ihrem Objekt ablösen.
Bitte nicht missverstehen: Selbstverständlich halte ich einen solchen Glaubenssatz für legitim. Es geht gar nicht anders als dass jedeR eine individuelle Religio (als spirituelle Integration eines Holons in umgreifende Holarchien) entwickelt, auch Atheisten tun das, auch Materialisten tun das. Und darüber steht viel im Horoskop (nichts allerdings finde ich dort darüber, ob das nun eine mono- oder poly- oder atheistische Ausprägung findet, außer in der metagnostischen Interpretation). Mein kritischer Ansatz inklusive Widerborstigkeit beginnt dort, wo mir Glaubenssätze als Quasi-Fakten präsentiert werden. Egal, ob mir nun jemand den Wohnsitz Gottes verkaufen möchte oder Stammbuchverse über den freien Willen verkündet, als wär die Bibliotheken füllende Vielschichtigkeit der ernsthaften, engagierten philosophischen, psychologischen und neurologischen Diskussion dieses Themas mit einem Satz vom Tisch zu wischen.
Die Interpretation des "mystischen Jesus" lese ich als hübsches Beispiel für "Astrologie als Fiktion". Wenn ich vorher schon weiß, was ich mit einem Horoskop untermauern möchte, kann ich mir so ziemlich jedes hernehmen und das hinein- (statt heraus-)lesen, was mir am Herzen und auf der Zunge liegt. Das wäre dann die Analogie zur Projektion des Gottesbildes nach außen: die Projektion meines Gottesbildes auf ein Horoskop. Das - das Gottesbild - steht erst dann im Horoskop, wenn ich es vorher reingelegt habe... ein Glaubenssatz von mir ;-)
An sich sollte ich mich ja über ein solches Beispiel für konstruktivistischen Umgang mit Astrologie freuen ... würde diesem Beispiel bzw. dem Autor dieser Hau-Ruck-Verknüpfung von Astrologie ohne Ereignisdatum mit Jungschen Versatzstücken nicht eines fehlen: die Innensicht, dass es sich um ein Konstrukt handelt. Als solches hielte ich es für diskutierbar und interessant. Als Predigt, wo Gott wohnt, ist es mir ungenießbar.
...wobei ich annehme, dass sich der Meister Eckhart im Grabe umdrehen würde, wenn ihm jemand eine solche Ansicht unterstellte - was den Aspekt der Bewusstheit angeht, Eckhart himself: Willst du Gott auf göttliche Weise wissen, so muss dein Wissen zu einem reinen Unwissen und einem Vergessen deiner selbst und aller Kreaturen werden.Ist jener "Seelenfunke" (M. Eckhart) erst erweckt, d.h. bewusst, bedarf es keines äußeren, fernen Gottes mehr...
Welchen Stellenwert hat in diesem Kontext eine Astrologie, die als Instrument benutzt wird, immer mehr "wissen" zu wollen? Gibt es einen Unterschied zwischen einer Astrologie, die sich zum Werkzeug innerer Begründungszwänge macht, und einer Astrologie, die quasi als Brille für Konstrukte dient, die strukturelle und systemische Einsicht vermitteln? Bilder, die zum Schauenden auch in einer transverbalen Sprache sprechen? Für mich wäre ein solches Bild, wenn ich wissen wollte, wo ich im Horoskop etwas anfinde über das, was viele Gott nennen: nicht das 9. Haus und nicht das 12., sondern seine Mitte. Alles - und durch nichts von allem unterschieden. Ein weiterer Glaubenssatz von mir.
Alles Liebe,
Jake