Lieber Zamorra,
jeden Tag, seit dem ich deine Seite zum ersten Mal gesehen habe, denke ich über das ein oder andere von dir angeschnittene Thema nach. Hätte ich dabei immer notieren können, was ich alles gedacht und empfunden habe, so wären jetzt ein paar hundert Seiten beschrieben.
Ich glaube, selbst wenn man darüber mehrere Doktorarbeiten schreiben würde, käme man nicht zur allumfassenden und endgültigen/allgemeingültigen Wahrheit.
Ich möchte mich daher auf mein persönliches Empfinden und meinen mehr persönlichen und temporären Denkbeitrag beschränken. Auch wenn darin Formulierungen vorkommen sollten, die für sich genommen als absolut klingen (z.B. das Wort allein
), dann ist das doch immer nur meine zur Zeit bestmögliche Aussage und erhebt keinen Anspruch auf Vollkommenheit oder gar darauf eine absolute und ewig gültige Wahrheit zu sein.
Da ich mich als Mensch auch bei noch so guter und gewissenhafter Prüfung irren kann, halte ich es auch bei jedem anderen Menschen für selbstverständlich (zumindest, solange er kein Gott ist, was ich z.Z. nur Jesus Christus zugestehe). Daraus ergibt sich für mich, dass ich nicht nur meine eigenen Gedanken, Ansichten und Gefühle und Willensentschlüsse immer wieder neu anschauen und überprüfen muss, sondern ich auch dafür verantwortlich bin, wem ich wann und wie Vertrauen schenke (oder nicht) und welcher Art von Prüfung oder Vorbehalt ich für angemessen halte.
Und das gilt nicht nur für Fragen heutiger Esoterik. Das gilt gegenüber allen verbalen und nonverbalen Mitteilungen von Menschen. Die Werbung und die Medien (bzw. Wirtschaft und Politik) machen es einem da meist noch relativ leicht. Differenzierter wird es bei der Wissenschaft. Insbesondere solange sie nicht populärwissenschaftlich aufbereitet ist.
In meiner Jugend hatte ich eine Zeit, da habe ich grundsätzlich erstmal alles in Zweifel gezogen. Ich kam heftig ins Schwimmen. Zum Glück merkte ich irgendwann, dass das, woran ich mich hielt, mein Zweifel war. Er war das einzige, was ich noch nicht bezweifelt hatte. Nun spielte ich durch, was wäre, wenn ich nun auch allen meinen Zweifel anzweifeln würde....
...letztendlich bleibt die Entscheidung bei mir. Egal wie vollkommen oder unvollkommen ich noch bin und egal ob einer versucht unangemessen zu manipulieren oder ob es nur so scheint.
Und wenn ich mich geirrt habe und das irgendwann merke, dann fasse ich mir zuallererst an meine eigene Nase und lerne so gut wie mir grad möglich daraus.
Ohne Fehler zu machen könnten wir nicht selbständig und frei lernen. Wenn alles Wissen uns perfekt und vollkommen vermittelt würde, dann blieben wir geistig in einem infantilem Säuglingszustand. Auch wenn wir dann alle Wahrheiten aufgenommen hätten.
Wenn der Irrtum nicht allein an mir lag (z.B. an meiner Selbstbezogenheit oder an meinem schwach ausgebildetem Wahrheitsgefühl oder/und anderem), dann trägt der andere natürlich auch seine Verantwortung. Und es wäre unverantwortlich von mir ihm diese nehmen zu wollen. Aber indem ich auf seine Verantwortung mit dem Finger zeige und aller Welt zurufen möchte: Hütet euch vor seinen Manipulationsbestrebungen!!! wird meine eigene Verantwortung für meinen einstmals (unangemessenen?) Umgang vielleicht in den Hintergrund gedrängt und leicht übersehen aber um keinen Deut kleiner (unberührt davon bin ich jetzt verantwortlich dafür, ob und wie ich meinen Irrtum und meinen Umgang damit für andere sinnvoll umsetze).
Fehler und Irrtümer bekommen im großen Ganzen um so mehr ihren guten Sinn, je besser sie im Sinne der Entwicklung aller (betroffenen) Menschen in weiterführende Erkenntnis und in wachsende Fähigkeiten und die dazu notwendigen Kräfte umgewandelt werden.
Ein Fehler ist manchmal im Nachhinein gar kein Fehler in dem Sinne, wie ich es bisher gewohnt war/bin aufzufassen: etwas, was man am allerbesten zu 99,999% vermeiden und verhindern sollte. Was es eigentlich nicht geben dürfte. Und da mir täglich Fehler passieren kann/könnte ich täglich lernen.
Eines habe ich in den letzen Jahren in Internetforen gründlich gelernt: exakt ein und denselben Text fassen 50 Menschen auf mindestens 50 wenn nicht gar 100 verschiedene Arten auf. Und oft bleibt das Gefühl: je genauer und je gewissenhafter und unmissverständlicher ich zu formulieren suche, um so weniger wird das daraus gelesen, was ich mühsam hineingedacht habe.
Allein, das ich vom Selbstverständnis ausging: wir sprechen eine Sprache, war schon ein grundlegender Irrtum. Da nicht jeder zu denselben Worten und Wortkombinationen auch automatisch dieselben Begriffe benutzt ist, es manchmal eher wie beim Turmbau zu Babel.
Manipulation hat z.B. nicht per se einen nur negativen Begriff (auch wenn dies Wort heutzutage meist nur im negativen Sinn benutzt wird). Auch halte ich vieles, was heute unter Esoterik gerechnet wird für so öffentlich und so jenseits jedes Fachwissens, dass damit die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Esoterik stellenweise ins Gegenteil verkehrt wird.
Auch hier habe ich mir selbst gegenüber eine Verantwortung: in Ruhe - und möglichst zu Ende denkend - meine Begrifflichkeit zu einzelnen Worten durchzuarbeiten und differenzierter durchzuplastizieren. D.h. ich bin für die Qualität und Fertigkeiten meiner denkerischen Handgriffe (ab einem gewissen Alter/Reife) selbst verantwortlich.
Ich muss mich nicht von jedem Wort und von jeder Phrase wie ein Kind an die Hand nehmen lassen. Ich kann es versuchsweise tun, um dann anschließend noch mal auf meine Weise denselben Wort-Weg zu gehen. Aufschlussreich ist dann meist der Unterschied, die Intervalle zwischen dem einen Gedankengang und dem anderen. Und das um so mehr, je besser es mir gelingt die beiden Vorgehensweisen sauber zu trennen!
D.h. ein Mal so mitdenken, als ob ich selbst nicht anders denken könnte (was gerade dann nicht leicht ist, wenn man gewohnt ist selbständig und vielleicht etwas eigen zu denken), und das andere Mal ganz eigen zu denken und sich so wenig wie gerade noch sinnvoll an die Hand nehmen zu lassen. Dann aber fängt für mich das eigentliche in die Zukunft führende Denken erst an. Denn meine Art zu denken kenne ich schon und die des anderen ist meist auch eine (für ihn) der Vergangenheit zugehörige Denkweise. Zwischen beiden Denkweisen kann nun das eigentlich Interessante und für beide weiterführende/anregende und beide bereichernde entstehen.
Auf Erkenntnisebene (nicht ausschließlich denkerisch gemeint) kann auf solche Weise etwas vom Weg zur Wahrheit entstehen, lebendig werden, kann neues Licht in die Angelegenheit kommen. Im Idealfall wird dann Wirklichkeit, dass, wenn zwei oder drei im Namen der Wahrheit, des Lebens, des Lichtes und der Liebe beisammen sind, Christus mitten unter/zwischen/in diesen Menschen ist. Dabei ist es meiner Auffassung nach unerheblich, ob sich diese Menschen Christ nennen oder nicht. Als wesentlicher sehe ich an, ob ihnen Wahrheit, Liebe und Freiheit in dieser Situation das allerwesentlichste ist, auch wenn es damit (hoffentlich) über aller Religion steht.
In ähnlichem Sinne religionsunabhängig ist auch folgendes gemeint: vieles in der heutigen Esoterik steuert auf antichristliche Qualitäten zu. Leider reicht hier zum Unterscheiden das alte Muster von Gut und Böse nicht mehr aus. Vieles erscheint selbst bei etwas näherer Betrachtung als gut (oder sogar besser wie Jesus Christus, wobei ich hier die z.T. unchristlichen Mängel der Amtskirchen deutlich außen vor lassen möchte).
Ich habe nicht die Fähigkeit zu beurteilen wer in seinem Kern ein Christ ist/wird und wer nicht (mich eingeschlossen, auch wenn ich vermeine einige erste Schritte von Myriaden noch zukünftigen getan zu haben).
Um beurteilen zu können, wie schmutzig oder/und verzerrend das Fenster meines Nachbarn ist, muss ich erst mal mein eigenes Fenster von außen und von innen gründlichst gereinigt und auf seine optischen Eigenarten hin untersucht haben. Anders gesagt: ich glaube, dass wir selbst oft mindestens so viel/oft dasjenige manipulieren/verändern was andere Ausdrücken, wie dieses Ausdrücken von ihnen manipuliert/verändert wurde.
Um an einem, mich und dich betreffenden Beispiel das etwas konkreter werden zu lassen:
Du hast meine folgenden Worte zum Teil wörtlich, zum Teil zusammengefasst zitiert : Ich kenne das aus eigener, bitterer Erfahrung: auch mit einer wirklichen Wahrheit kann ich Schaden anrichten. Z. B. wenn ich sie einem mitteile, der nicht die Frage gestellt hat oder sie nicht zumindest nonverbal stellt. Meine Wahrheit ist dann vergleichbar mit einem sehr hellen Licht, dass ich auf jemanden richte, der nach langem Schlaf gerade die Augen öffnen wollte. Selbst wenn er sie daraufhin nicht instinktiv erst recht schließt, sondern versucht zu öffnen, wird er nichts von dem sehen können, was ich ihm durch das Licht sichtbar machen wollte. Dass ich es sehen kann und es im Idealfall auch keine Täuschung ist, hilft überhaupt nix. Ich habe einfach meinen kleinen Vorsprung übersehen: meine Augen konnten sich schon an das Licht gewöhnen....
Ich habe mir dabei bewusst Mühe gegeben, einen erhobenen moralischen Zeigefinger weg zu lassen. Dass das bei dir dann ins Gegenteil umschlägt und du erlebst, dieses Bild würde suggerieren, dass das keine ethische Frage wäre, kann ich nur sehr mühsam und nur sehr spärlich nachvollziehen. Da erlebe ich die Veränderung meines Inhaltes durch deine Vorstellungen/deine Art zu Denken bzw. zu Empfinden.
Oder wenn du das Wort allein mit nur gleichsetzt, merke ich, dass ich das zwar allgemein und auf den ersten Blick so nachvollziehen kann, ich das Wort allein aber keineswegs nur im Sinne von nur benutzt habe. Ich für diese 2 Worte also auch zwei sich unterscheidende Denk-Begriffe anwende.
Eine (hier) unbeweisbare Annahme als Anregung: Wenn dein Freund den Satz zum anthroposophischen Weg nicht negativ sondern positiv formuliert hätte, wäre er selbst einen anderen Weg mit/zur Anthroposophie gegangen.
Ich glaube, dass wir mit jedem Gedanken uns selbst und unsere Zukunft manipulieren je nach dem was und vor allem wie wir denken: mehr zum Guten oder mehr zum Schlechten.
Um dabei meiner eigenen Freiheit und der mit ihr verbundenen Verantwortung gerecht werden zu können, muss ich mir aber erst Mal selbst auf die Schliche kommen! Und da das Leben (zum Glück!) sehr komplex ist, geht das nicht von heute auf morgen.
Ich erlebe hier bei dir die Frage der Ablösung von deinen gelebten Wegen und die Beschäftigung mit der Manipulation als aktuell und virulent. Wie lange währt das schon? Und in welchen Abständen hast du dich seit deiner Jugend mit jeweils neuen/anderen Richtungen beschäftigt? Falls du da einen Rhythmus (oder mehre Rhythmen) entdecken kannst, wäre vielleicht die Frage: bist du zeitlich mit dieser akuten Manipulations/Esoterikfrage über deine
Rhythmus(-men) schon hinaus?
Ich danke dir für die vielen Anregungen sehr. Ich habe den Eindruck, mehr mitzunehmen als dir (zurück)geben zu können.
Annähernd im Sinne von Paul Celans Gedicht möchte ich dich zu den Mandeln zählen...
(Aber: pass auf! Lass dich nicht kandieren!). ChriMo.
Zähle die Mandeln,
zähle, was bitter war und dich wachhielt,
zähle mich dazu:
Ich suchte dein Aug, als du´s aufschlugst und niemand dich ansah,
ich spann jenen heimlichen Faden,
an dem der Tau, den du dachtest
hinunterglitt zu den Krügen,
die ein Spruch, der niemandes Herz fand, behütet.
Dort tratest du ganz in den Namen, der dein ist,
schrittest du sicheren Fußes zu dir,
schwangen die Hämmer frei im Glockenstuhl deines Schweigens,
stieß das Erlauschte zu dir,
legte das Tote den Arm auch um dich
und ihr ginget selbdritt durch den Abend.
Mache mich bitter.
Zähle mich zu den Mandeln.
(Paul Celan)