märchen im schamanischen kontext

Lucia

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in rotkäppchen kann man, wenn man will sehr wohl einige schamanische elemente drin finden, auch wenn sie nicht auf eine person - initiand - beschränkt sind, sondern mehrere personen betroffen sind.
das verschlingen durch tiere(verbündete) ist im schamanischen weit verbreitet. in dem fall betrifft das großmutter und rotkäppchen.
das zerstückeln - auch weit verbreitet - trifft hier aber den wolf. genauso wie er dann in die unterwelt(brunnen) geschickt wird.
der kampf des jägers gegen den wolf ist auch eine übliche art, verbündete zu gewinnen. man beweist zuerst die stärke, indem man ein wesen(wolf) besiegt und dieses schließt sich dann dem sieger als verbündeter an.
spannend ist ja, dass die großmutter allein im wald wohnt. sie lebt nicht in der gemeinschaft, sondern außerhalb dieser. sie lebt im wald - in einem gefährlichen umfeld, jedoch auch dadurch in einem umfeld wo es wissen und erfahrungen zu machen gibt, die im normalen umfeld(gesellschaft) nicht machbar sind.
also ein umfeld in dem auch schamanInnen weltweit sich oft aufhalten.
dorthin geht rotkäppchen. sie trägt rot - farbe des lebens, ein besonderes gewand(initiationsgewand?) und bringt der großmutter(nennen wir sie doch dorfschamanin*ggg*) wein und kuchen. geschenke, bezahlung für die initiation oder ausbildung?
schon auf dem weg dorthin begegnet ihr der wolf.
im schamanischen bereich kenne ich es, dass rade bei initiationen in neue bereiche oft wächter auftauchen oder wesen, die irgendwann verbündet sind, in wächterfunktion.
der befragt das mädchen, was es vorhat.(ebenfalls eine übliche komponente bei eintritten in andere welten(wald) dass wächter die intention des initianden erfragen und nur die richtigen antworten den durchgang ermöglichen.
großmutter(schamanin) und rotkäppchen(schülerin? initiandin?) werden von wesen(wolf) der anderen welt(wald) verschlungen.
im bauch des wolfes läuft dann logischerweise ein verdauungsprozess - sie werden quasi von der anderen welt verdaut,in sich aufgenommen=angenommen.(das in dem fall die großmutter ja auch verschlungen wird, könnte man als hinweis nehmen, das die altschamanin die initiandin bei ihrer reise begleitet)
durch überwindung des wesens(wolf) der anderen welt(wald) kommen großmutter(schamanin) und rotkäppchen(intiandin) zurück in unsere welt.
der jäger, der dann die beiden aus dem wolfsbauch rausholt ... in vielen kulturen ist es so, daß schamanInnen abhängig sind von helfern, die sie durch bestimmte riten und handlungen wieder in unsere welt zurück holen.(wär ne mögliche erklärung).
das wesen(wolf) wird in die unterwelt(brunnen) geschickt.

das ist ein möglicher ansatz, dieses märchen schamanisch zu sehen. wobei ich eher dazu tendiere, die geschichte von fr. holle als schamanische geschichte zu sehen, weil dort viel mehr elemente wie "eingang zur unterwelt", "sprechende bäume, brote"(also animismus) drin vorkommen.
nichts desto trotz hat man immer die möglichkeit märchen - auch wenn sie nicht uralt sind(siehe woher die gebrüder grimm ihre märchen herhaben) aus verschiedenen gesichtspunkten anzusehen und auch fündig zu werden. sei es eben im schamanischen kontext oder auch im psychologischen und dies dann auch hilfreich sein kann bzw. zu persönlichen erkenntnissen führen kann.

jo - nu aber kurz zur quelle dieses märchens...
"Viele der gesammelten Märchen stammen von der ortsansässigen Märchenerzählerin Dorothea Viehmann, die keineswegs die alte Bäuerin war, als die die Grimms sie darstellten, sondern eine gebildete Frau,[1] sowie aus der Feder des französischen Kulturstaatssekretärs Charles Perrault[2], der seine Märchen ebenfalls nicht nur aus mündlicher Überlieferung, sondern auch von französischen und italienischen Märchensammlern, wie Straparola und vor allem Basile, übernahm. Bei anderen Märchen wird vermutet, dass sie aus der Feder der Grimms selbst stammten. Nach Ansicht vieler Forscher war die Pose der sorgfältigen Sammler alter Traditionen, die die Brüder einnahmen, weitgehend eine der Zeitstimmung der Romantik geschuldete Fiktion: Die Märchensammlung stellt vielmehr eine Mischung aus neuen Texten, Kunstmärchen und teils stark bearbeiteten und veränderten Volksmärchen dar"
quelle

persönlich sehe ich es eher, dass in sagen, legenden und mythen schamanische kerne zu finden sind. also in geschichten, die oft nur in bestimmten gegenden erzählt werden, die ortsabhängig sind und zumeist tatsächlich sehr alt.
wär auch interessant, da mal tiefer zu gehen.

:)
 
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für mich haben diese geschichten aber auch den zusammenhang,
von "neuem", das "altes archaisches" verdrängt

der jäger kann in meinen augen auch dieses symbolisien,
eine neue "befreiende christliche gesellschaftsordnung" und ihrer neuen "überlegenen"glaubenssätze.

eine christliche gesellschaft, die die alten archaischen glaubenssätze als "befreiender akt", gewaltsam ablöst.

das "befreiende" herausschneidens der protagonistin/initiandin und ihrer "schamanischen grossmutter"
aus dem bauch des wolfes und letztlich das tötens des "wolfes", der alten archaischen kraft,

sich somit neu darstellt und gewaltsam ihren platz in der gesellschaft einimmt,
um eine archaische gesellschaftsordnung und dessen "alten wissen"
zu verdrängen.

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das ist auch eine interessante sichtweise, die ich - imho - als "versteckte geschichtsschreibung" betrachten würde.
ähnlich wie die mythen um inanna oder auch sogar das alte testament(gibt noch mehr, die fallen mir grad net ein *g*), in denen der sturz bzw. die wandlung alter gottheiten beschrieben wird, was ja eigentlich den übergang von einem glaubenssystem zum anderen, einer kultur zur anderen, beschreibt.

:)
 
persönlich sehe ich es eher, dass in sagen, legenden und mythen schamanische kerne zu finden sind. also in geschichten, die oft nur in bestimmten gegenden erzählt werden, die ortsabhängig sind und zumeist tatsächlich sehr alt.
wär auch interessant, da mal tiefer zu gehen.

:)

ich beschäftige mich schon seit langem mit mythen und deren wahrem kern. dazu gehe ich gern an die regionale sagenwelt heran. in meinem fall der untersberg. wer da forschen möchte steht vor einem abgrund in doppelter hinsicht:
die mythen sind schier unermesslich - was einerseits mit jenem ausnahmeberg zusammenhängt - und andererseits gut zugedeckt durch verchristlichte botschaften.
ein beispiel:
wer sich orte mit teufelsnamen näher ansieht ist schon mal auf einem guten weg. hier sollte also etwas dämonisiert werden, was so gar nicht in den christlichen glauben paßte.
die sage vom teufelsloch im lattengebirge
hier gibt es mehrere varianten - alle berichten aber von einem sonnenphänomen, also einem sonnendurchgang durch ein felsloch.
was soll daran dämonisch sein?
nun kann man sich die umgebung um jenes teufelsloch (ein sonnenauge - so nenn ich jene teuflischen sonnendurchgangslöcher!) ansehen. da findet man knapp daneben oder darunter die teufelshörner und die teufelsschlucht und auf der anderen bergseite die steinerne agnes - wiederum mit verschiedenen sagenvarianten - eine davon stark moralisierend...
vor ein paar jahren habe ich zusammen mit freunden und bekannten jenes sonnenauge beobachtet und wir haben uns an ein paar terminliche hinweise gehalten. die sonnenwende soll irgendeine bedeutung in diesem zusammenhang haben.
und tatsächlich - zur wintersonnenwende kann man das phänomen beobachten und zur sommersonnenwende hat es auch noch eine interessante auswirkung auf einen potentiellen kultplatz.
dies naturphänomen war der einheimischen bevölkerung nicht mehr bekannt, auch ich wußte ja nur von jenen sagen.
vermutlich war dies ein vorgeschichtliches sonnenobservatorium und hatte bei den jahreskreisfesten seine bedeutung (die kelten haben die gegend insbesondere wegen dem weißen gold der alpen - dem salz schon sehr früh besiedelt).
dann wurde mir berichtet, dass in einer nahen klosterkirche auch ein sonnenphänomen zu beobachten ist. (dieses kloster gehörte zu den mächtigsten und reichsten klöster der region)
einst ging ich am 24.12. in diese kirche und sah das sonnenphänomen. echt beeindruckend: da wandert die sonne am heiligen abend gegend 15 uhr zum hauptaltar und hüllt ihn dann in goldenes licht. wenige momente später wird es dunkel - so als wenn jemand den schalter ausgeknipst hat - aber die sonne ist "nur" hinter dem nächsten berg verschwunden und geht dann ganz unter.
zusammenhänge?
der kirche waren naturphänomene immer ein dorn im auge, wenn daraus irgendwelche kulte oder feste erfolgten. so "nahm" sie sich einfach die natur in ihr haus und nach exakten berechnungen wurden sogar große klostermünster danach ausgerichtet. so holte man seine schäfchen wahrlich ins trockene.

also nicht nur schamanische kerne gibt es in den mythen zu entdecken, sondern ein verständnis für die zyklen der natur und ihren resonanzphänomene. man/frau lernt wieder zu staunen - und das kann in heutiger zeit nicht schaden.
 
ein kleines OT - und zwar ein dankeschön an die leuts, die die letzten tage am thema "märchen" - trotz aller widerstände *gg* - dran geblieben sind.
hat bei mir einen kleinen prozess ausgelöst. auch im zusammenhang damit, das einer meiner lehrer dieses thema öfters behandelt hat, ich jedoch nie so intensiv damit gearbeitet habe.
bis gestern abend - da ist mir rudimentär der eingangstext dieses threads durch den kopf gegangen, den ich eigentlich heut in den rotkäppchenthread stellen wollte. na, seis drum.
jedenfalls ist mir durch die beschäftigung da jetzt mit rotkäppchen und co. eine interessante idee für ein seminar gekommen.
dafür danngggääää (ich weiß, ihr lests hier rein, auch wenn keiner was sagt bisher *gg*) - und jetzt weiter im thema...

:)
 
Ich glaube sogar das ein Großteil der Märchen, genauer gesagt Fabeln eine Frühkonditionierung darstellen, und dafür verantwortlich sind , das manches Krafttier oder Totem bevorzugt wird.

Ich denke es wird vergleichbare Fabeln in allen Kulturen und Sprachen geben
 
Ich glaube sogar das ein Großteil der Märchen, genauer gesagt Fabeln eine Frühkonditionierung darstellen, und dafür verantwortlich sind , das manches Krafttier oder Totem bevorzugt wird.
höm höm ....
das ganze als konditionierung und deswegen bevorzugung eines krafttiers/totems zu sehen, ist allerdings rein eine psychologische sicht und deutung von "schamanismus".
also ein völlig anderes weltbild, als von weiten teilen des schamanismus.
natürlich kann man das so sehen, muß dann aber dazu "psychologie" sagen.
wobei totem ja auch eigentlich der ursprung der "familie" ist und - in den kulturen, die totemismus pflegen - nicht ausgesucht wird, gelle.
vom schamanischen aus, suchst du dir dein "krafttier", deinen verbündeten ja auch nicht unbedingt aus, weil du dieses tier bevorzugst - gibt da zwar möglichkeiten, aber die bring ich hier im forum sicher nicht ein und die sind auch nicht so "üblich"(kurz "ausnahmen bestätigen die regel") *gg* - sondern meistens sucht der verbündete dich aus. und dann ist es mehr wie oft der fall, dass an diesen verbündeten niemals gedacht wurde. (sollen schon kakerlaken vorgekommen sein. *g*)

ergo seh ich die konditionierung und bevorzugung von tieren durch märchen als eine psychologische sache, die mit schamanismus aber nix zu tun hat.

(eigentlich wollt ich grad los zum alex, aber ich mußte hier noch schnell was sagen, solang die möglichkeit besteht. wer weiß wie lang das teil offen ist.)

:)
 
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Liebe Lucia ...
Ich möcht mich auch herzlich bedanken für deine/eure Gedanken hier ...
ich finde es wichtig über dieses Kulturgut nachzudenken ...:):zauberer1
mlg die Fee :)
 
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