Schweigen
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Die ersten Sonnenstrahlen schienen. Geduldig stauten sie sich hinter dem Berggipfel, und schütteten sich nun auf der grünen Wiese aus, auf der meine Weggefährten und ich uns niederließen. Hinter uns war das Meer, sanft erklang sein Wellenspiel. „Wie spät ist es?“, wurde ich gefragt. Langsam konnte ich mich nur von diesem hübschen Schauspiel trennen. Ich hatte keine Uhr und wusste es nicht so recht und sprach: „Der Sonne nach viertel nach fünf Uhr, ungefähr“. Es war außergewöhnlich mild für den frühen Morgen. „Es ist so schön hier“, sprach eine meiner Weggefährtinnen vor sich hin, auf eine Antwort wartend. Ich liebte jeden meiner Weggefährten, und besonders jene, die neu dazu kamen. Doch darauf fand ich keine Antwort. Also schwieg ich. Ob es schön war, das war mir nicht Wichtig.
Doch ich alter Hasengeist, ich wusste es. Ja, eine meiner lieben Weggefährtinnen, wollte sich unterhalten, hatte aber nichts zu Erzählen. Sie lernte zu Sprechen, aber nicht zu Reden und zu Schweigen. Wo sie herkam, da war zu Schweigen ein Zeichen von Schwäche. Das wusste ich wohl. Hier aber, war zu Schweigen das Zeichen des Lernens. Und jeder wusste es. Hier war das Reden von Allen nur geduldet, wenn es echt war. Wenn es nicht einer Laune, sondern einer Erkenntnis entsprang. Wenn es dem Geiste entsprang war es abgöttisch geliebt. Wenn ein Gedanke dem Unbehagen der Seele entsprang oder einer Selbstbesessenen Absicht, so war zu Reden eine grausame Ablenkung und zu Schweigen das Heilmittel der verworrenen, plagenden Gedanken. Ihr Fremden, ihr kennt es doch auch, das Gespräch aus unbehaglichen Launen, böse stimmenden Gedanken, und rächenden Absichten. Oh ihr Fremden, es verwundet all zu sehr, verstimmt den Geist so böse, ist ein erbärmliches behagen und zerstreut rascher als der Wind den Weizen im Sturm. Wenn man zu Schweigen gelernt hat, und gemeinsam zu Schweigen auch, so bekommt das Gespräch einen neuen Wert. Dann wird das Reden heilig, dann wird es echt. Man muss vergessen können um das Schweigen zu begreifen. Die Vergangenheit, den Augenblick und die Zukunft, sie alle muss man vergessen können. Einer Quelle gleich, sind auch die Gedanken, sie entspringen für immer. Der Geist selbst erschafft sie und man kann den Geist nicht davon abhalten, das er sie erschafft. Einer Quelle gleich fließen die Gedanken immer weiter und werden dabei immer reissender, immer tiefer wollen sie des Geistes Aufmerksamkeit. Was machen schon ein paar tropfen dieser Quelle, denke ich mir, man muss auch die Gedanken vergessen können um das Schweigen zu begreifen. Wann immer sie aufblitzen und zu fließen beginnen, muss man sie lächelnd vorbei ziehen lassen. Immer wieder aber, steigt man Nass aus reissenden Strömen dieser einst so kleinen Quelle.
Das Gespräch, welches meine Weggefährten früher lernten, das entsprang immer dem nicht-Interesse. Sie wurden gerade zum Gespräch gezwungen, die armen lieben. „Wie ist deine Meinung?“ wurden sie gefragt, als müssten sie zu allem oder etwas eine Meinung haben. Erst recht in diesen Wirtschaftsreife-Anlagen die heutzutage bedenkenlos Schulen genannt werden.
Doch zu Schweigen, war eine Schwäche und verursachte misstrauen. So begannen meinen Weggefährten zu verlernen wie man schweige und rede. Sie sollten reden, wo es nichts zu erzählen gab, bloß damit kein Schweigen herrsche und der Geist nicht zur Ruhe komme. Nun, die Sprache war ein Mittel und Werkzeug, für meine armen, lieben Weggefährten, ein langweiliges Spiel mit dem man Absichten versteckte. Wer damals nicht viel redete, der galt als verschlossen. Und wahrlich, ich lache gerade. Verschlossen! War etwa Fragen zustellen und Antworten zugeben, nur um des Gespräches wegen etwa Offenheit? Gab es nicht eine große Absicht dahinter, eine verborgene, eine aus Tausend Gedanken entsprungene Absicht? Die Menschen wollten interessant sein und nicht als verschlossen gelten. Ein Schauspiel waren diese Gespräche meiner Weggefährten.
Ja, leider lernten meine Weggefährten das Schweigen nicht. Ich übte mich damals, in dieser Gesellschaft, das nun sich viele wundern und denken: „Ah, der Stumme schreibt viel.“
Schweigen ist heiliger als ein unnützes Gespräch. Schweigen ist heiliger als ein gelerntes Gespräch. Und wie oft war ein Gespräch schon das größte aller verschlossenen Versteckspiele? Aber meine Weggefährten sollen noch die Wahrheit erkennen. Sie sollen noch das heiligste erblicken, ohne Gedanken sich in den Kopf zu quetschen. Schweigen ist auch Respekt. Nicht durch mich können meine Weggefährten das Schweigen begreifen, wie sollte ich dazu imstande sein, aber in unserem Stamm, wo das Unwichtige, unwichtig sein darf! Wo das Egal sein darf, was Egal ist! Da können sie es lernen! Da geht’s fast wie von alleine!
Keine bessere Schule kann ich mir wünschen, als dem Mensch seinen eigenen Geist zu lehren, damit er sich selbst als Mensch und alle Menschen verstehe und begreife und aus dieser Schule eine erst menschliche Wirtschaft und menschlichen Wohlstand erfinde und erschaffe.
Die Sonnenstrahlen fluteten nun die Wiese. Nach Herzenslust, besangen unzählige Vöglein den Sommermorgen. Ich stand auf, denn ein Impuls bewegte mich spazieren zu gehen. „Wohin gehst du?“, fragte mich meine Weggefährtin. Es war nicht Wichtig, wo ich hin wollte. „Ich weiß es nicht,“ antwortete ich. Ich wusste es schließlich wirklich nicht. Ich hätte auch sagen können, `in diese Richtung` oder `in jene Richtung` aber einzig war mir bewusst, dass ich unbeirrt in eine Richtung gehen würde, die mich anzog. „Darf ich mitkommen, oder willst du alleine sein?“, fragte sie mich. Ob ich alleine sein wollte oder nicht, das war mir nicht wichtig. Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, wie etwas sein müsste oder ob ich allein sein wollte oder zu zweien. Ich hatte mir nicht einmal Gedanken darüber gemacht, weshalb ich überhaupt aufstand und spazieren wollte. Ich war im Augenblick, ohne Gedanken, nur der Zufall und mein Geist bewegten mich aus einem friedlichen Zustand. Doch immer wieder, hämmerten ein paar Sätze, ein paar nichts sagende Worte gegen diesen Zustand und wollten meine Aufmerksamkeit in Gedanken verwickeln die mir im Augenblick unwichtig waren. Wie sollte ich dies nun alles erklären, wir Weggefährten spüren für gewöhnlich intuitiv was im anderen vor sich geht. Wie sollte ich dies nun alles erklären, das es mir gleich war, alleine oder zu zweien zu sein? Und was passierte wohl und was passiert immer und jedes mal, wenn man einem Menschen einen Satz in das Ohr spricht hinter dem sich eine Million Sturmwellen einer Gedankenflut austoben. Wird da nicht jeder Satz, gewaltig aufgeschäumt und schleudernd missverstanden?
Ich antwortete diplomatisch: „Wie es dir dein Herz befiehlt, so sollst du mitkommen oder bleiben.“ Ich wartete, sie lachte. „Da muss ich eben überlegen“ saget sie. Ich musste lächeln, und hoffte, dass sie nun bemerkte, wie unwichtig ihr Unbehagen war, wenn sie es nur vergessen könnte. Einige Zeit verging, und schließlich sagte sie: „Ich komme mit.“
Ich alter Hasengeist, ich wusste es, sie hat nicht einen laut von ihrem Herz vernommen, aber ihre Gedanken tobten, und so hörte sie auf einen tobenden Gedanken der sprach: „Soll ich? Wenn ich gehe, wird es vielleicht Langweilig, außerdem was soll ich sagen? Soll ich nicht? Dann langweile ich mir hier. Vielleicht wird es lustig. Ich gehe.“ Mit einem Unbehagen stand sie also auf. Oh weh, wie mich dieses Unbehagen, diese Zweifel in ihrem Lächeln anblickten. Doch was war das Unbehagen und der Zweifel meiner Weggefährtin, auf der grünen Wiese am Meer? War es so etwas, das man gegebene Wahrheit nennt, oder war es etwa ein Gedanke? Zehn Gedanken? Hundert Gedanken? Ich hatte nicht einen, so sah ich die ganze Welt meines Augenblicks. Sie aber, sie hatte nur ihre Gedanken und sah deshalb nur ihre Gedanken und nicht das kleinste Stück der unschuldigen Welt. Wie sollte ich ihr nur sagen, dass wir niemals am gleichen Ort sein werden, wenn sie nur auf ihre Gedanken reagierte, aber nicht ihren Geist frei ließ. Gedanken sind nur teil des Geistes. Und warum einem Geist, der größer ist als das Universum, in einen Nussschalen-Großen-Gedanken einsperren. Meine liebe Weggefährtin, handelte von nun an nach ihren Gedanken. Sie lernte nicht das Schweigen, sie lernte nie die Ruhe des gedankenlosen Geistes. Wie schwer lastete heute, die Liebe zu meiner Weggefährtin.
Mein Herz sprach heute, was meine Weggefährten nicht hören konnten. Es sprach: “Schweigen lernen, gedankenlose Ruhe lernen, offenen Blickes sehen lernen.“ Wundervolle Welt, befreie meine Weggefährten. Zum Schluss werden sonst ihre Gedanken, gegen mich sich wenden, nachdem sie schon lange zuvor und zulange andauernd gegen sich selbst sich wendeten.