Jetzt so nach dem Lesen würde ich vorschlagen, nochmal zu einem anderen Neurologen zu gehen und eine zweite Meinung einzuholen (vielleicht eine geriatrische Fachpraxis?).
Was mir auch aufgefallen ist, das ist die mangelnde Selbstpflegefähigkeit Deiner Mutter. Sie erkennt Ihre Einschränkungen an (sie nennt es "genetisch"), wartet wie hierzulande üblich auf Verschlimmerung, weil "es nicht anders geht".
Aber: wenn über die gesundheitlichen Verhältnisse gelebt wird, dann zahlt sich das auch finanziell nicht aus. Deine Mutter wird nicht nur sich selber Leid antun, wenn sie sich nicht wieder aktiviert, sondern sie wird auch Euch durch Pflegebedürftigkeit jede Menge Geld kosten, wenn ihre Körperhälfte dann mal sensorisch und motorisch ausfallen sollte. Wenn da ein bisher undiagnostizierter schleichender Prozeß im Gehin geschieht, dann wird es ja vielleicht so weitergehen, wie es nach dem Verlassenwerden begonnen hat.
Das Trauma ist vielleicht nicht zu überwinden für die Mutter, wenn es schlimm kommt, muß man das verstehen lernen, ja. Schlimm ne, ich finde das schon sehr schlimm. Aber es ist wohl so. Das ist eben die andere Seite des Lebens, die inaktive, die zu Krankheit und Tod durch Krankheit führt und nicht zum Tod durch Alter. Das ist aber eben so und auch zu akzeptieren. Liebe ist eben nicht nur Geben, sondern auch Nehmen, nicht nur Leben, sondern auch Tod.
Man weiß übrigens, daß es überwiegend von der Sozialisation, der Bildung und dem aktuellen Lebensmilieu abhängig ist, ob sich ein Mensch nach einem existentiellen Trauma wie dem Geschilderten wieder aktivieren kann. Wenn man z.B. selber eine Mutter oder eine Großmutter hatte, die ein ähnliches Schicksal ("Opfer" einer Ehe) erleben mußte, dann ist dieses Verhaltensmuster im familiären Kommunikationsalltag oft so tief verhaftet, daß es sich auf das Kind überträgt. Wenn das Kind dann Ähnliches erlebt, gelingt ihm ein Aufschwingen gegen die internalisierten familiären Reden leider oft nicht, denn dafür muß man aus der Opferrolle (des Kindes) heraustreten und Liebe und damit auch die Quelle von Gesundheit neu definieren lernen. Und das gleiche gilt für gesundheitliche Verhaltensweisen und die Möglichkeit, sich nach Tiefschlägen zu aktivieren und vollständig zu rehabilitieren.
Mit 50 muß man schon das gesamte Leben umkrempeln, wenn man Gesundheit noch einmal neu definieren möchte, neue Ziele entwickeln will, Lebensmut und -freude täglich spüren will etc. Als Frau wie als Mann. Die Bewußtheit, daß das nötig ist, hat diese Generation der 50-jährigen zum Übergroßen Teil ja leider auch gar nicht, daher kann auch der gesundheitliche Unsinn und die Tragweite des "immer-weiter-machens" nicht eingesehen werden. Oder ggf. doch eingesehen werden, aber es kann keine Konsequenz gezogen werden. "Immer-weiter-machen-müssen" ist bezüglich des blinden Fleckens des Verhaltens der Spiegelbegriff von "Es-nicht-lassen-können". Man sieht: Sucht, soziale Abhängigkeit. Der Mensch verharrt in seiner Hormonstellung und so kann nichts Neues entstehen.
Wenn man mal gegenrechnet, was billiger ist: genau überlegen, wie man eine Berufsaufgabe zum jetzigen Zeitpunkt finanziert, dann die notwendigen Konsequenzen aus der gesundheitlichen Situation ziehen, ggf. Haus verkaufen, erkennen wo man leben muß um zu genesen, 3 Jahre Pause machen und danach gesünder in der Frührente jobben, oder jetzt Weiterarbeiten, in 2 Jahren vielleicht irgendwas Schlimmeres, dabei dann wegen der Depression keinen Mumm zur Genesung, vielleicht auch die Entwicklung einer Demenzform, eines Anfallsleidens mit Stürzen und die nächsten 30 Jahre pflegebedürftig- dann wird nicht nur klar, was billiger ist, sondern daß man um sein Leben wirklich zu verändern auch alle Hebel in Bewegung setzen muß.
Vor allem muß man es sein lassen, durch Geld motiviert zu sein, während man sich etwas verbietet. Man plant ja einen ungesunden Lebensweg für sich und damit Kosten Kosten Kosten. Wenn man einen gesunden Lebensweg für sich planen würde, käme es billiger. Daher sollte man eigentlich eher alles Geld nutzen, das man hat und es in das eigene Leben investieren, sonst geht es nämlich allzu rasch vorüber. Dafür muß man aber auch das Abhängen des körperlichen Leids vom biographischen Geschick annehmen können, also quasi daß man Alles in der Hand hat und nur beginnen muß.
Tja, aber ich weiß schon, daß Deine Mutter ihr Gehirn nicht vollständig aus den Zusammenhängen wird entfernen wollen, in denen es so geworden ist, wie es jetzt noch funktioniert. Vollkommen neue Umweltreize, vollkommen neue Gespräche, vielleicht sogar die Notwendigkeit, eine andere Sprache zu lernen--- man muß sein Gehirn eben auch herausnehmen aus gewohnten Denk- und Handlungsspielräumen, wenn man nicht einfach nur die gleiche Entwicklung im Leben haben will wie sie jetzt da ist, inhaltlich wie gesundheitlich. Vielleicht tut es ja auch Sudoku und Dr. Kawashiwas Gehirntraining. (gibt es als Spiel zu kaufen, das Zeug ist ganz gut, sagen die Hirnforscher, weil man damit unabhängig vom Alter sein Gehirn trainieren kann, was jeder Mensch täglich tun sollte, wie sie sagen (lernen) ).
Diese Generation der kurz nach oder zum Ende des Krieges geborenen, die hat gelernt, daß sie einen Job unbedingt halten müssen bis sie tot umfallen, weil die Eltern das so vorgemacht haben. Heute weiß man, daß gerade dieses stupide Dasein im Ewiggleichen Tun die Gehirnfunktion nicht fördert, sondern einschränkt. Lebenslanges Lernen (in diesem Falle bis ins hohe Alter) ist das Einzige, das ein Gehirn wirklich bis zum Ende des menschlichen Lebens intakt hält (das maximale unseres Genoms ist übrigens 130 Jahre, es bemerkt nur kaum einer, daß wir hierzulande so ungesund leben, daß wir nur um die 80 werden und mit 50 schon die Organe Anzeichen des Versagens zeigen.).
Nuja, Gesundheit lernen, das ist, nur ums mal unter uns Jüngeren daher zu sagen, Sich Selber kennenlernen. Aber unsere Eltern haben davon leider keine Ahnung und haben es uns ergo auch nicht zeigen können, dieses Loslassen von dem, was man nicht selber ist. Die meisten von ihnen stecken eben in Rollen und "müssen weitermachen" bis sie tot umfallen. Jetzt hat Eure Mutter das in ihrer Ehe praktiziert, jetzt führt sie dieses Verhalten im Beruf weiter.
Wir mußten auch erst in Bücher gucken und dann mußten wir feststellen, daß wir es nicht verstanden haben und haben uns Foren zugewandt, hier im Internet, um mal den Zusammenhang im Leben gänzlich zu raffen. btw: hat sie denn Internet? Auch das kann Menschen aktivieren. Weißt Du, es ist ganz allgemein ein Problem, seit dem Jahr 2001 wirklich zu verstehen, daß nur bei den meisten Krankheiten nur die Veranlagung in den Genen liegt. Aber ob die Krankheiten dann ausbrechen und sich quasi über die gesunden Anteile der Persönlichkeit in ihrem Körper hinausentwickeln, das entscheidet eben diese Kompetenz, mit existentiellen Erfahrungen im Leben kompetent umzugehen. Und eine Diagnosestellung ist eine solche existentielle Erfahrung. Wenn man die verdrängt, dann verdrängt man ein Trauma, das man erlitten hat. Man nennt es aber Diagnose. Das Trauma entsteht eigentlich nur dadurch, daß man über die Krankheit nicht umfassend gebildet ist und daß man dieses Wissen auch nicht von Einzelnen erlangen kann, eben weil es Traumaerfahrungen sind, die mit Erinnerungen zusammenhängen bzw. mit dem Erinnerungsvermögen.
Jeder muß ja selber auf die Suche gehen. Daher heißt es ja auch Selbst-Heilung. Und "Heilung" als solche gibt es bekanntlich nicht außer der, die immer schon da ist, die man sich aber nicht zu nehmen traut, weil "es weiter gehen muß". Dieses "Es-Muß-Weitergehen" ist ja gerade die Krankheit, gell?! Das ist das, was vom Bewußtsein über Gesundheit und wie man sie erlangt, abhält. Das ist die Krankheit. "Es darf weitergehen"--- das ist das Sätzchen nach festgestellter Genesung und ich wünsche Euch dieses Sätzchen!
So, jetzt hab ich mal geplaudert. T'schuldigung, falls es völlig am Thema vorbeigegangen sein sollte/wollte/mußte.