Hallo!
Ich gehe jede Woche auf den Friedhof und sehe da oft alte Grabsteine, um die sich niemand mehr kümmert, wo der letzte Mensch vor zig Jahren gestorben ist. Auf manchen ist bereits das Schild, daß man sich melden soll, wenn noch Interesse am Grab besteht, auf einigen ist schon das Zeichen fürs Auflassen.
Ich denke oft an die Leute, die in diesen Gräbern liegen, erinnert sich noch jemand an sie, oder sind sie vergessen? Keine Nachkommen und Verwandten, in denen ein Stück von ihnen lebendig bleibt.
Es waren Menschen, die mal genauso gelebt haben wir wir, die fröhlich waren, traurig, und jetzt sind ihre Spuren im Leben verschwunden. Es ist nichts von ihnen übrig geblieben, nur ein Grabstein mit ihrem Namen.
Es heißt, solange ein Mensch in den Herzen von anderen weiterlebt, ist er nicht tot, sind diese Leute in den vergessenen Gräbern jetzt wirklich tot? Endgültig fort?
Ramakrishna lag im Sterben. Kurz vor seinem Tod, als der Arzt sagte: „Jetzt ist es vorbei!“, brach Ramakrishnas Frau Sharda in Tränen aus. Hier seine letzten Worte, er sagte: „Weine nicht, denn ich werde nicht sterben. Was die Ärzte sagen, betrifft nur meine Kleider.“ Er starb an Krebs, und Ramakrishna schloss: “ Soviel ich weiß, ist kein Krebs in mir. Der Krebs betrifft nur meine Kleider. Vergiss das bitte nicht! Wenn die Ärzte behaupten, ich sei tot: Glaub ihnen nicht. Glaub mir – ich lebe.
Und Sharda war die einzige Witwe in Indien, ja in der ganzen indischen Geschichte, die sich weigerte, Witwe zu werden. Denn indische Witwen müssen ihre Lebensweise, sobald ihre Gatten tot sind, völlig umstellen. Sie dürfen keine bunten Kleider mehr tragen, denn ihr Leben ist farblos geworden. Sie dürfen keinen Schmuck mehr tragen – für wen auch? Sharda aber lebte einfach so weiter wie vorher, als Ramakrishna noch lebte. Und alle dachten, sie wäre verrückt geworden, und sie lagen ihr in den Ohren: „Wirf jetzt deinen Schmuck weg, vor allem die bangles, deine Armbänder. Zerbrich sie! Du bist jetzt Witwe!“ Sie jedoch lachte nur und sagte: „Wem soll ich glauben – euch oder Ramakrishna? Denn er hat gesagt: ‚Jetzt sterben nur meine Kleider, nicht ich.‘ Und ich war mit ihm verheiratet, nicht mit seinen Kleidern. Soll ich also auf euch hören – oder auf ihn?“
Sie hörte auf Ramakrishna und sie blieb bis zum letzten Atemzug mit ihm verheiratet. Und genau das versetzte sie in eine ungeheure Ekstase – genau das führte zu ihrer Transformation. Ihr wurde bewusst, dass der Körper nicht das Wirkliche ist. Sie lebte einfach so weiter wie früher – so verrückt das auch wirken mochte. Denn in dieser Welt voller Verrückter, die die Kleider für wirklich halten, muss einfach jeder, der so aus der Reihe tanzt, verrückt wirken. Sie machte abends immer erst Ramakrishnas Bett, ging dann in sein Zimmer und sagte: „Paramahansadev, komm jetzt, es ist Zeit schlafen zu gehen.“ –Dabei war niemand da! Und wenn sie Ramakrishnas Mahlzeiten zubereitete, sang sie fröhlich wie eh und je und rief dann: „Komm, Paramahansadev, dein Essen ist fertig!“ Ihr musste ein Licht aufgegangen sein. Und dabei blieb es – nicht nur ein paar Tage, sondern jahrelang. Diese wenigen einfachen letzten Worte Ramakrishnas – „Nur meine Kleider werden sterben, nicht ich!“ – hatten genügt, um sie zu einer Heiligen zu machen, zu einer Erleuchteten.
aus: Osho, „Weder leicht noch schwer“