Als wilder Tourist in Sibirien

Wo waren wir stehen geblieben?

Richtig, vor dem Bahnhof von Kungur.

Aber weit und breit war keine dazu passende Stadt zu sehen.

Ich sagte also fragend "Kungur?" zu einem der Händler und Bauern des illegalen Marktes am Bahnhofsplatz - und er wies mir mit einer Handbewegung die Richtung.

Ganz wie es die alte Frau in "Mittwoch" getan hatte.

Ich marschierte los .......

Ab und zu überholten mich Busse, aber ich wollte ganz absichtlich keinen Bus, sondern ruhig den Weg zu Fuß gehen, um all das Neue ruhig und langsam in mich aufnehmen zu können.

Es sollte ja mein erster Tag in einer russischen Provinzstadt sein.

Perm dagegen, was bei uns kaum jemand kennt, ist eine nicht unwichtige Millionenstadt.

Der Weg gefiel mir. Ein schöner grüner Wald, ein See, und immer wieder diese traditionellen russischen Holzhäuser, teils verfallen, teils liebevoll geschmückt.

Doch der Weg zog sich ....und immer noch kein Anzeichen einer Stadt.

Auch das ganz wie bei "Mittwoch".

Doch im Unterschied dazu tauchte auf einmal ein ultra-modernes Bankgebäude in dieser Wildnis auf, das ganz isoliert für sich stand.

Hier wollte ich mich noch mal rückversichern, daß ich auf dem richtigen Weg sei.

Denn so sehr mir die kleine Wanderung auch gefiel, ich wollte nicht etwa aus Versehen kilometerlang in die falsche Richtung gehen.

In der Bank würe ja sicher jemand englisch reden, so nahm ich an, so daß die Unterhaltung ausführlicher sein könte als ein fragendes "Kungur?" und eine Handbewegung als Antwort ....

Nun, die Unterhaltung wurde auch ausführlicher ... ausführlicher als ich je gedacht hätte .. aber auf andere Art ...
 
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Bitteschön! :)

Und es geht weiter .... :)



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In dieser modernen Bank in der sibirischen Wildnis verbrachte ich dann längere Zeit ...

Beim Hereinkommen schon sah ich eine ganze Reihe moderner junger Damen - die Bankangestellten.

Ich fragte: "Do you speak English?" in der Sicherheit, daß jemand das schon tun würde.

Doch außer freundlichem Lächeln kam keine Antwort.

Dafür kam ein Wächter in Uniform und fragte auf Russisch, was ich wollte.

In einer Mischung von Russisch und Englisch gab ich zur Antwort, ich suchte jemand, der Englisch könnte.

Der Wächter verstand und verschwand.

Dann kam er wieder mit einem sehr jungen Mann, der wie ein Schuljunge wirkte und sehr aufgeregt und nervös war.

Er hatte wohl Englisch gelernt, es aber anscheinend noch nie zum Reden verwendet - schon gar nicht mit einem leibhaftigen Ausländer!

Weil er nicht so recht verstand, was ich wollte, fragte ich ihn dann auf Russisch nach Kungur!

Es war paradox.

Daraufhin bat er mich , mitzukommen in sein Büro. Er hatte ein eigenes Zimmer mit Computer.

Dort suchte er fieberhaft nach einem Übersetzungsprogramm.

Aber der Computer tat, was er immer tut, wenn man ihn am nötigsten braucht: Er verweigerte sich .....

Der junge Mann telefonierte daraufhin hilfesuchend in der Gegend herum.

Langsam wurde mir klar, daß er glaubte, ich wünschte ein Taxi.

Denn soviel wußte er wohl von Ausländern: Daß die immer mit einem schweren Mercedes oder einem luxuriösen Taxi durch die Gegend fahren.

Ein Ausländer, der zu Fuß durch den Wald nach Kungur wollte, war ihm noch nicht vorgekommen.

Später meinte Nina, daß ich vielleicht überhaupt der erste Ausländer gewesen sein könnte, der je diese Bank betreten hatte.

Es war wie eine Patt-Situation.

Der junge Mann wollte mir unbedingt helfen, aber er wußte nicht wie.

Und ich wollte nicht so unhöflich sein und gleich "Do swidanja = auf Wiedersehen!" sagen und gehen, was ich eigentlich wollte.

Da kam mir eine Idee ....
 
Neben dem Computer lag einiges an leerem Papier.

Und so ergriff ich einen Stift und malte einen Pfeil und ein Fragezeichen auf ein weißes Blatt, und schrieb dazu: KUNGUR?

Ich schrieb natürlich mit kyrillischen Buchstaben.

Obwohl ich die nicht auf der Tastatur hier habe, kann ich sie in diesem Fall einigermaßen nachahmen.

KYH1YP

So ähnlich sieht das aus. Nur die 1 zeigt nach rechts, etwa so wie ein Galgen beim Galgen-Männchen. Das ist das kyrillische G.

Es freut mich immer, wenn ich mal etwas auf Kyrillsch schreiben kann, es ist eine Abwechslung.

Meine Briefe nach Russland schreibe ich außen auf Kyrillisch, innen dann auf Deutsch oder Englisch.

Und in Rußland hat es mir oft geholfen, daß ich die Schrift lesen kann. Denn viele Wörter, die international gleich oder ähnlich sind, tauchen bei Inschriften auf, und so konnte ich mir manches zusammenreimen.

Und es war immer ein ein freudiger Aha-Effekt für mich, wenn ich mal wieder was entziffert hatte.


:)
 
Es geht weiter ....


Der junge Mann verstand.

Er begann, mir den Weg nach Kungur auf das Blatt zu skizzieren.

Nervös und unsicher wie er war, rief er aber fast bei jeder Wegbiegung jemand an und fragte telefonisch um Rat!

So dauerte es einige Zeit, bis die Skizze fertig war.

Ich glaube, ich habe mehr Zeit in jener Bank zugebracht, wo ich nur kurz mal nach dem Weg fragen wollte, als ich für den Weg dann auch gebraucht habe!

Aber freundlich war man zu mir - das habe ich immer wieder erlebt. Keine Selbstverständlichkeit gegenüber einem Deutschen, sollte man meinen.

Ich wurde dann auch nett verabschiedet, sowohl von dem jungen Mann, von dem Wächter, und von den jungen Frauen im Kunden-Raum.


Und so machte ich mich weiter auf den Weg nach Kungur, das auch bald am Horizont auftauchte.


:)
 
Dieses Kungur ist berühmt für seine vielen wunderschönen Kirchen.

Ich konnte die goldenen Kuppeln auch schon von weitem sehen.

Doch hat es eine traurige Bewandtnis mit diesen Kirchen: Sie wurden nach der Revolution in Gefängnisse umgewandelt. Das hatte mir Nina schon erzählt, so daß ich nicht verwundert war.

Doch ist der Anblick dann doch eine Art Schock:

Wunderschöne Kirchen, reichverziert und mit goldenen Kuppeln.

Doch drumherum Stacheldraht, eiserne Tore, Wachtürme und Wachsoldaten mit Gewehren. Ein böser Kontrast!

Ich habe diese Kirchen dann auch fotografiert.

BTW: Als ich auf dem Rückweg später dann wieder an diesen Kirchen vorbeikam, war gerade einer ganzer Trupp von russischen Soldaten am Eingang.

Gerne hätte ich auch dieses Bild festgehalten, habe es aber dann doch gelassen.

Am Abend habe ich dann von Ninas Computer aus diese Nachricht nach Deutschland geschickt.

"Ich habe das Bild dann doch lieber nicht gemacht. Sonst säße ich jetzt vielleicht nicht hier am Computer, sondern in der Kirche ...."


;)
 

Boh!
Das ist ja faszinierend!
k020.gif
 
Es geht weiter .....


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Thema: "Mittagessen in Kungur".

In ehemals sozialistischen Ländern ist es oft nicht leicht, ein Restaurant zu finde, wie ich mehrmals erfahren habe.

Offensichtlich haben die Herren Funktionäre Restaurants gern als "bürgerlich dekadent" abgeschafft.

Nun ja, für die Funktionäre selbst war ja bestens gesorgt. Was braucht der normale Arbeiter denn auch ein Restaurant? Der soll was schaffen! So wohl der Gedankengang im Paradies der Arbeiter und Bauern. *ggg*

Doch das nur nebenbei ....

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Jedenfalls: Ähnlich wie in der schlesischen Stadt Mittwoch war weit und breit nichts auch nur entfernt Restaurant-Ähnliches zu finden.

Im örtlichen Kulturpalast gab es interessante Filmplakate zu "Garry Potter", wie der junge Zauberer auf russisch heißt, da es dort kein "H" gibt. Alternativ könnte er nur noch "Chchcharry Potter" heißen ...

BTW: Ich selbst wurde ja bei meinem Flug auch auf russisch an Bord der "Luftgansa" begrüßt, und nicht etwa der "Lufthansa", was ich irgendwie erheiternd fand. *ggg*

Sonst hätte es im Kulturpalast eventuell nur etwas zu trinken gegeben, aber auch diese Bar war heute zu ....

Also suchte ich weiter ...
 
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Und wie in Schlesien hatte ich auch in Kungur wieder Glück.

Ich fand etwas abseits von der Hauptstraße das möglicherweise einzige Restaraunt von Kungur.

Ich weiß seinen Namen nicht mehr genau, entweder hieß es "Paradies" oder "Traum".

Für mich war es beides!

Ein großer Saal, der auf altmodische Art gemütlich war.

Eine echt nette Bedienung, die nicht etwas verschreckt oder muffig war, weil da unerwartet ein Ausländer hereingeschneit kam, der eher wenig Russisch konnte.

Sie kümmerte sich rührend freundlich um mich, und ich fand mich mit Hilfe meines Wörtebuchs auch gut auf der Speisekarte zurecht.

Ich weiß nicht mehr im einzelnen, was ich gegessen habe, aber daß alles sehr gut und etwas anders als gewohnt geschmeckt hat, das weiß ich noch.



Und dazu trank ich russisches Bier (Baltika) und georgischen Rotwein, das weiß ich noch ganz genau!




Im übrigen war ich lange Zeit der einzige Gast im Saale, bis schließlich eine Gruppe von Frauen erschien mit einem riesigen Rosenstrauß.

Offenbar eine Feier aus einem besonderen Anlaß.

Einfach nur eben so ging da wohl niemand in dieses Restaurant ....
 
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