Als wilder Tourist in Sibirien

Waldbaum

Neues Mitglied
Registriert
15. April 2007
Beiträge
1.189
Ort
Schwarzwald
Zuerst möchte ich einmal den vielleicht etwas merkwürdigen Titel erklären.

Es war so:

Schon seit vielen Jahren war ich von einer Deutsch-Lehrerin aus Perm zu einem Besuch nach Rußland eingeladen.

Und dann 2003 hab ich es endlich gepackt und bin per Lufthansa hingeflogen.

Meine Gastgeberin Nina hatte einige Ausflüge geplant.

Doch als wir die beim Städtischen Reisebüro buchen wollten, da erfuhren wir, daß es immer noch sowjetische Sitten gab:

Nur ganze Firmen und Behörden konnten Reisen buchen, aber keine Einzelpersonen so wie wir.

Nur an einem Tag im Monat wurde eine Ausnahme gemacht, immerhin ein Zeichen des Fortschritts!

Und für diese Reisenden, die nicht zu einer Gruppe gehörten, prägte Nina den treffenden Ausdruck: "Wilde Touristen."

So war ich auch ein "wilder Tourist".


------------------------------------------------

Und nun entsteht hier nach und nach eine neue Fortsetzungs-Geschichte ...
 
Werbung:
In Sibirien war ich eigentlich nicht, aber knapp davor.

Perm liegt auf der westlichen und europäischen Seite des Ural-Gebirges.

Doch scherzhaft sagte ich in jenem Jahr gerne: "Diesen Sommer mach ich Urlaub in Sibirien!"

Und so ganz falsch war das nicht!


~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


Nun, über meine Zeit in Perm könnte ich so viel erzählen, daß ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Aber irgendwo muß ich ja anfangen.

Ich erzähle jetzt mal von meiner Reise innerhalb der Reise, von meinem Tagesausflug in die Stadt Kungur.
 
Das kam so:

Nina hatte mich für eine Zeit eingeladen, von der sie annahm, daß sie da wenig Arbeit haben würde und sich um mich kümmern könnte, mir also Stadt und Land zeigen.

Doch wie so oft:

Irgendjemand im fernen Moskau hatte plötzlich die Idee, daß an Ninas Hochschule alle einen ewig langen Bericht abgeben müßen.

Das bedeutet drei Tage Extra-Arbeit, in der sich Nina also keine Zeit für mich nehmen konnte.

Doch fand sie gute Alternativen.

1. Eine schöne Schiffs-Fahrt auf dem Fluß Kama mit ihrer Tochter.

2. Eine Stadt-Führung mit ihrer Schwägerin

3. Kungur - eine Reise für mich allein.
 
Nina hatte große Bedenken, mich alleine nach Kungur reisen zu lassen.

Sie wollte unbedingt, daß ich da mit einer Reisegesellschaft in einem Reisebus fahren sollte.

Doch den gab es nicht für mich, ich war ja ein "wilder Tourist", wie ihr nun wißt! großes Grinsen

So blieb der Zug.

Nina sagte, die internationalen Fernzüge seien ja OK, aber in einem lokalen Zug könnte ich womöglich überfallen werden, falls Kriminelle mich als Westler erkannten, bei dem sie Geld und Wertsachen vermuteten.

"Vor-ort-zug" sagte sie immer, obwohl die Fahrt ja zwei Stunden dauerte.

Die Entfernungen in Rußland sind eben andere.

Doch ich hatte keine Bedenken.

Ich würde mich eben etwas abgerissen kleiden, und meine Kamera und mein leuchtend-gelbes deutsch-russisches Wörterbuch (Langenscheidt!) in einer gebrauchten russischen Plastiktasche verstecken.

Schließlich war ich ja schon mal als undercover agent des nord-norwegischen Geheimdienstes im südlichen Süd-Schwarzwald auch nicht aufgefallen.

Es würde also schon klappen, dachte ich!
 
Ich bin allerdings nicht vom Hauptbahnof in Perm abgefahren, sondern unterwegs an einer kleinen Vor-Ort-Station zugestiegen.

Das war schon etwas aufregend.

Es war nämlich lange nicht klar, ob der Zug überhaupt kommen würde.

So stand ich in leichtem Niesel-Regen auf dem sehr einfachen oder eher primitiven Bahnsteig, und suchte mich mühsam unter einer hölzernen Gleisbrücke vor dem Regen zu schützen.

Das wollten aber auch andere ...

Und einige sahen so verdächtig aus, als könnte ich schon überfallen werden, bevor ich die Reise überhaupt begonnen hatte. *ggg*

Vielleicht war ich aber auch nur durch Ninas ständige eindringliche Warnungen etwas übervorsichtig geworden.

Doch weiß ich noch, daß ich abwägte, was unangenehmer sei:

Draußen außerhalb der Überführung im Nieselregen zu warten, oder unterhalb der Holzbrücke mal eben so ein bißchen überfallen zu werden.

Wofür hättet ihr euch entschieden? *ggg*

:)
 
Ich habe es abwechselnd gemacht ...

So kam ich in den Genuß von beidem:

In den Genuß des Regens, und in den Genuß der Nachbarschaft zu den etwas zwielichtigen Gestalten. *ggg*

Aber schließlich und endlich kam dann doch der Zug, und ich bin unversehrt eingestiegen.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


Die Leute im Abteil machten mir alle keinen schlechten Eindruck. Ich fühlte mich da nicht bedroht.

Und außerdem dachte ich, daß man mir den Tourist nicht ansehen würde, in meinem etwas abgerissenen Anorak und einer Plastiktasche als einzigem "Gepäck".

Eine russiscche Studentin, die ich im Sommer 2004 zu Besuch hatte, versicherte mir aber, daß Russen einen Ausländer immer irgendwie "wittern" würden.

Ich fragte, ob ich denn nicht vielleicht doch von meinen Mitreisenden als Russe hätte angesehen werden können?

Sie überlegte ....

Dann sagte sie: "Ja, vielleicht schon ... Aber dann eben für einen seeehr ordentlichen und anständigen Russen ...."

Ich nahm das dann mal als Kompliment ....


:)
 
Die Zugfahrt nach Kungur hab ich noch als sehr abwechslungsreich in Erinnerung.

Ich schaue mir ja beim Zug-Fahren immer gern die Landschaft an, und hier gab es viel Neues und anderes zu sehen.

Alles war sehr grün, und dazwischen die traditionellen russischen Holzhäuser.

In der Jahreszeit war ich ja etwas in der Zeit zurückgereist und konnte so im Juni den deutschen Mai noch einmal erleben.

Das ganze Land war voll mit blühendem Flieder und blühenden Pfingstrosen.

.......

Und dann schließlich hieß es:

Kungur!
 
Ich war also am Bahnhof angekommen.

Es war der erste russische Bahnhof, den ich je von innen gesehen hatte, und so schaute ich in mir genau an.

Eine Weile war ich auch im großen Wartesaal, den es da noch gab.

Die Deutsche Bahn hat solche Säle, die früher auch recht schön sein konnten ja meist wegrationalisiert .....

Im Wartesaal war eine bunte Mischung von Leuten, teilweise auch asiatisch aussehend.

Mehrheitlich waren es "Babuschkas", die tüchtigen Großmütter.

Überhaupt hatte ich in Rußland den Eindruck, daß es die Frauen sind, die das Land zusammenhalten.

Sie sind in allen Berufen zu finden, auch im Straßenbau und im Fassaden-Verputzen, nur mal so als zwei Beispiele, die mir aufgefallen waren.

Die Männer sind mir eher dadurch aufgefallen, daß sie in Gruppen durch die Straßen gehen und im Gehen ständig aus einer Bierflasche trinken.

Ein ganz normales Bild.

Dann versuchte ich herauszubekommen, wann ein Zug zurückfahren würde.

Dabei gab es ein kleines Problem ...


More later ...


:winken5:
 
Das Problem war nicht, daß kein Zug fuhr, sondern mit Sicherheit herauszufinden, wann er denn fuhr.

Denn in Rußland gibt es mehrere Zeit-Zonen.

Damit es im Zugverkehr keine Verwirrung über die Zeit geben soll, gilt in diesem Bereich aber im ganzen Land die gleiche Zeit, die sogenannte "Eisenbahnzeit", die auch gleich der Moskauer Zeit ist.

Dennoch aber mußte ich wissen, ob die Abfahrtszeit meines gewünschten Zuges nun in lokaler Permer Zeit oder in "Eisenbahnzeit" gemeint war.

Darüber hatte ich ein längeres "Gespräch" mit einer Frau am Schalter.

Meine Russisch-Kenntnisse sind aber etwas ...nun, sagen wir mal ... spärlich ..... *ggg*

Aber ich schließlich dachte ich doch, ich wüßte, wann mein Zug zurückfährt ...

Dachte ich .... .
 
Werbung:
Dann verließ ich den Bahnhof, um mich auf den Weg nach Kungur zu machen.

Und schon hatte ich das Problem, das ihr schon von meiner Mittwochsgeschichte her kennt.

Wo war denn dieses Kungur?

Weit und breit war keine Stadt zu sehen.

Auf dem Bahnhofsvorplatz nur eine dieser illegalen, aber doch geduldeten Märkte.

Sonst nur Wälder und ein See.

Und eine große Lenin-Statue, die pathetisch in eine ungewisse Richtung zeigte.

Vielleicht in Richtung Kungur .....?
 
Zurück
Oben