Hallo Harser,
Dein Eingangseinwand wirft ein Licht auf die Frage, inwieweit Ergebnisse aus Rückführungen und ähnlichem (Channelings) überhaupt in die Geschichtsforschung einbezogen werden dürfen. Ich würde das einmal so formulieren: Es gibt zwei Arten von Geschichtswissenschaft - einmal mit und einmal ohne die Verwendung von Channel-Wissen. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese beiden Arten der Geschichtsschreibung ohne weiteres in Einklang zu bringen sind, denn sie unterscheiden sich gravierend. Das Channelwissen hat definitiv seine Eigenheiten: es stellt meist eine sehr subjektive Sichtweise auf das Geschehen dar, außerdem ist dieses Wissen zweifach verbogen, einmal durch die falschen Projektionen der Person, die in der Vergangenheit etwas wahrgenommen hat, und dann durch die falschen Projektionen der Person, die das Channeling durchführt, wobei bei der Aufzeichnung und Interpretation ebenfalls noch Fehler gemacht werden können.
das sehe ich in jedem Fall ganz genau so. Ich bin ja eigentlich ausgebildete Historikerin, verfüge aber auch über schamanische Erfahrungen. Bisher in zwei Fällen habe ich versucht, sozusagen aus der anderen Wirklichkeit stammendes Wissen in der hiesigen wiederzufinden.
Fall 1 war ein Kunde, der mir erklärte, bei einer Session mit Geistern - welcher Art auch immer - sei ihm erklärt worden, ein Vorfahre habe einen Verwandten (ich glaube Bruder) gehabt, der bei einem Unfall ums Leben gekommen sei. Details weiß ich nicht mehr, weil das ungefähr zehn Jahre her ist. Jedenfalls waren die Angaben zu diesem ums Leben gekommenen Verwandten sehr spezifisch, inclusive ungefährem Todeszeitpunkt und - in der Genealogie unverzichtbar - Todesort. Tja; in den Kirchenbüchern und sonstigen Quellen konnte nicht einmal die Existenz dieses Bruders belegt werden, geschweige denn sein Tod. Und da wir uns für diesen Fall in der Zeit um 1900 bewegt haben, sollte im Prinzip von einer Vollständigkeit der Quellen zunächst ausgegangen werden können.
Fall 2 war erst kürzlich. In einem großen, von mir intensiv bearbeiteten Fall ging es u.a. um den Verbleib einer bestimmten Person - wiederum in der Zeit um 1900, was also kein Problem hätte sein sollen, was aber eins war, weil die Meldeunterlagen offensichtlich nicht vollständig waren. Ich träumte also - einen Ortsnamen und eine Jahreszahl, und war mir sicher, es wäre der Tod der Person gemeint. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, bei der schamanischen Praxis eine besondere Qualität der Ein-Gebungen wahrzunehmen, und dieser Traum war ganz genauso. Hinzu kam, dass es zwei Orte dieses Namens gab und der eine in der richtigen Gegend lag und der andere von der beruflichen Struktur zu dem Gesuchten passte. Ich also Anfragen an die Standes- und Einwohnermeldeämter geschickt (natürlich ohne Quellenangabe ...) - und rein gar nichts war über ihn zu finden.
Wenn ich also auch keine grundsätzlichen Einwände gegen die Möglichkeit habe, dass sich "Fakten"-Erkenntnisse aus der anderen Wirklichkeit hierher übertragen lassen, so ist mir persönlich bisher noch kein schlagender Beweis gelungen.
Aber auch das Vorgehen der "normalen" Geschichtswissenschaft hat seine Eigenheiten: zum ersten ist das das Paradigma, das als nicht existent angenommen wird, was nicht belegt wurde. Zweitens ist sie extrem anfällig gegenüber gefälschten oder fehlinterpretierten Belegen, denn ein als gesichert angenommener Beleg wird als Bezugspunkt für die Interpretation vieler anderer Belege herangezogen, also kann z.B. eine einzige irreführende Behauptung in einem historischen Dokument eine völlig abwegige Sichtweise einer ganzen Epoche bewirken. Zum dritten ist die Auswahl einander widersprechender Belege sehr subjektiv, und führt zu ausgeprägten Grabenkämpfen der Geschichtswissenschaftler.
Ich denke eigentlich schon, dass die Historiker sich heute der Bedingtheit ihrer Quellen und auch ihres eigenen Tuns bewusst sind - das Rankesche Wort von "dem, was gewesen" funktioniert schon lange nicht mehr.
Gerade in der Frage der Hexenverfolgung wundern mich differierende Standpunkte wenig, denn dieses Forschungsobjekt ist hochpolitisch bis heute. Bei der Channel-Geschichtsschreibung sind durch die Emotionalität des Themas Verbiegungen wahrscheinlicher als bei "ruhigen/friedlichen" Epochen.
Gerade deshalb wäre ja ein Beleg durch schriftliche Quellen so interessant dabei!
Bei der Nicht-Channel-Geschichtsschreibung stehen z.B. die politischen Interessen der katholischen Kirche deren Gegnern entgegen, wobei erstere die Verbrechen tendenziell verharmlosen, letztere überbetonen möchten. In der Mitte stehen die um Objektivität bemühten Historiker, die von beiden Seiten mit zwielichtigen Belegen gefüttert werden.
Im Prinzip ja. Allerdings ergibt sich dabei die Frage, mit was für Quellengattungen man es eigentlich zu tun hat. Ich meine, wir wollen ja nicht anfangen wie Heinsohn/Steiger, die in ihrem Vorwort zur "Vernichtung der weisen Frauen" so niedlich geschrieben haben, es hätte gar keinen Sinn, die eigentlichen Prozessakten zu studieren, weil eh immer nur dasselbe drin stehen würde. In gewisser Weise haben sie zwar recht - es steht in den Grundstrukturen immer nur dasselbe drin -, aber gerade diese Masse an Quellen - gerade im Fall der Hexenprozesse - ermöglicht auch, zwischen den Zeilen zu lesen und die Besonderheiten jedes einzelnen Falles herauszustellen. Man könnte auch sagen, die Prozessakten selbst sind nicht mit einer bestimmten (propagandistischen) Absicht geschrieben worden, sondern im Rahmen und als Protokollierung eines legalen Gerichtsverfahrens. Wenn ich mich recht entsinne, gab es bei irgendeinem historiographischen Theoretiker die Unterscheidung zwischen "Überresten" und "Tradition" - ersteres eher zufällig entstandene Zeugnisse des Verwaltungshandelns, zweiteres absichtlich zusammengestellte Texte.
Wenn ich also beispielsweise im Geständnis einer Hexe lese, sie hätte sich mit dem Teufel verbündet, weil der in einer Situation persönlichen Unglücks zu ihr kam, und diese Situation vielleicht etwas genauer geschildert wird, so kann ich davon ausgehen, dass diese Hexe diese Situation in der Tat so erlebt hat - und dann eben in der Verhörsituation aus lauter Verzweiflung, weil sie den Verhörern ja irgendetwas bieten musste, was deren Schema entsprach, den Teufel dazu gedichtet hat. Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass die geschilderten Schadenzauberfälle (diese Kuh, jener Hagel, etc.) ursprünglich auf Zeugenaussagen der Bevölkerung beruhen. Wenn in einer Prozessakte (Freiburger Raum, um 1600) davon die Rede ist, dass buchstäblich alle Beteiligten - bis auf die Hexe - gezaubert haben, vorwiegend zum Schutz vor und zur Entdeckung von Hexen, kann ich davon ausgehen, dass dem in der Tat so war. Ähnlich lassen Schilderungen des Sabbats üblicherweise keine Rückschlüsse auf die Realität des Sabbats zu, wohl aber auf die sozialen Strukturen im Ort, wenn beispielsweise die ärmeren Hexen auch auf dem Sabbat bedienen mussten, während die anderen sich amüsierten. Wir haben also ein Schema, das grundsätzlich von allen Hexen abgefragt wurde - Pakt, Buhlschaft, Sabbat ggf. mit Flug, Schadenzauber -, das aber von jeder einzelnen Hexe sehr individuell ausgefüllt wurde.
Besonderes Highlight sind dann natürlich diejenigen Fälle, in denen die Angeklagten trotz Folter und allem auf Dingen bestanden, die eigentlich nicht in das Glaubens- und Verhör-Schema der Prozessführenden hineinpassten. Extrem spannend, durchaus auch aus schamanischer oder meinetwegen auch kelto-germanischer Sicht, ist hier die Veröffentlichung von Wolfgang Behringer über "Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar", über einen Prozess im Raum Oberstdorf. Das ist aber ein einsamer Einzelfall auf weiter Flur, sonst nur noch vergleichbar mit Carlo Ginzburgs Funden in Oberitalien. (Behringer ist einer derjenigen, die die Hexenforschung in den vergangenen Jahren weit vorangebracht haben, und meines Erachtens einer der schlauesten Köpfe in diesem Zusammenhang.)
Ich meine:
- dass die meisten Gebiete in dieser Zeit christianisiert waren, was bedeutet, dass die meisten Menschen in die Kirche gingen, und die anderen sozial isoliert waren
- dass die meisten Menschen mit der täglichen Arbeit ausgelastet waren, und sich mit der Ausnahme der Predigt in der Kirche wenig Gedanken um Religiöses machten
- dass die Priester aus der Bibel predigten, was auch immer der genaue Wortlaut war, der religiöse Alleinvertretungsanspruch, die Ablehnung der Götzendienerschaft waren ein Bestandteil davon
- dass die Arbeit der Kräuterfrauen auf der Grundlage des keltisch-germanischen religiösen Weltbilds geschah
- dass dieses Weltbild im Widerspruch zum christlichen Weltbild stand
- dass also das Verfolgungsbegehren zwar an der Oberfläche aus "der Bevölkerung" kam, aber das geistige Fundament dahinter die christliche Religion ist.
Ja, ja, schon - cum grano salis, denn wie oben gezeigt, haben sie ja alle gezaubert, Christen hin oder her. Die Verfolgungsbegehren beruhten allerdings nicht darauf, dass plötzlich alle so große Angst vor dem Teufel hatten, sondern darauf, dass ihnen die Ernte und die Viecher kaputt gegangen sind. Das zeitliche Zusammentreffen der Hauptphase der Hexenverfolgungen im deutschsprachigen Raum - 1570-1630 - mit der Hauptphase der "Kleinen Eiszeit" ist inzwischen ziemlich unbestritten, und auch das Aufleben einer ersten Prozesswelle um und kurz nach 1480 ist offensichtlich begleitet von einer Witterungskrise mit allen damit verbundenen Folgen. Natürlich war gerade in dieser Welle dann auch der gewisse Herr Kramer unterwegs, der seinerseits die Prozesse massiv zu fördern versucht hat - aber es ging los damit, dass das Wetter extrem unvorteilhaft war. Kürzlich stieß ich auch auf Hinweise auf eine Pest- oder Seuchenwelle in einer der Regionen, die gleichzeitig oder kurz darauf massive Prozesse sahen - die dann wiederum im Hexenhammer zitiert werden.
Ich bin noch dabei, die Quellen für diese frühe Welle, in diesem Fall beispielhaft für einen Ort im Veltlin, zu sammeln. Aber ungefähr lief es so ab: ab 1481: katastrophale Sommer, Teuerung, Seuche (den Beleg für die Seuche muss ich noch verifizieren); Sommer 1483: Gemeindeversammlung schickt jemanden, den Inquisitor aus Como zu holen (wir haben es hier im Gegensatz zu später noch mit Inquisitionsprozessen zu tun); Oktober 1483: fünf Verbrennungen; Dezember 1483: Bevölkerung trifft sich zu Gemeindeversammlung, um das (weitere) Vorgehen gegen die Hexen zu beraten. Weitere Prozesse bis 1485. Mehrere Beschuldigte fliehen Richtung Innsbruck, wo sie Kramer in die Finger laufen, der sich aber mit seinem Verfolgungsbegehren im Herbst dieses Jahres beim Brixener Bischof nicht durchsetzen kann. (Folge: Kramer schreibt den Hexenhammer, weil er mit seinen eigenen Prozessen gescheitert ist.)
So; glaube, das reicht erstmal als Stoff ...
Gruß
Sabine