EINLEITUNG
Das Wort suññata - hat seit der Zeit des Buddha eine bunte Geschichte der Interpretation und der Erklärung. Heute, da es von buddhistischen Büchern nur so wimmelt und die unterschiedlichsten Lehren und Auslegungen als buddhistisch angeboten werden, ist es notwendig, die Lehre von
suññata auf
ihren angemessenen Platz im Zentrum des buddhistischen Studiums und der buddhistischen Übung zu bringen. Das kann nur geschehen, wenn wir die Bedeutung und die Wichtigkeit von
suññata richtig verstehen. Wir hoffen, dass dieses kleine Buch dabei helfen wird. Hier wollen wir den Begriff
suññata ergründen, wie er in den Pali-Texten des Theravada-Buddhismus vorkommt.
Im südlichen Thailand, wo Buddhadasa Bhikkhu Anfang des Jahrhunderts aufwuchs, war der Buddhismus untrennbar mit der Kultur verbunden. Dieser traditionelle Buddhismus der Landbevölkerung lieferte das Glaubenssystem, das dem bewussten Leben zugrundelag, die moralische Struktur, die den
Leitfaden für soziale Beziehungen und stellte die Antworten auf die schwierigen Fragen des Lebens dar. Die Ankunft der Gummibaumplantagen, der Marktwirtschaft, der ausländischen Experten, des Tourismus und der Modernisierung veränderte dies alles. Die sich daraus ergebende Kapitalisierung und Verstädterung hat das alte soziale Gefüge und das moralische Glaubenssystem, auf dem es basierte, fast völlig zerstört. Die alten Glaubenssätze sind nicht mehr vereinbar mit dem, was in den Schulen
unterrichtet, im Fernsehen gezeigt und in der Regierungspolitik praktiziert wird. Der Thai-Buddhismus hat seitdem damit gekämpft, seinen tiefsten spirituellen Wurzeln treu zu bleiben und sich trotzdem als für diese modernen Wirklichkeiten relevant zu beweisen. Sogar jetzt erkennen bei weitem nicht genug Menschen, wie es Ajahn Buddhadasa schon vor Jahren tat, dass nur das zeitlose Dhamma von
suññata (und seiner Schwesterprinzipien) der Wissenschaft standhalten, und die Menschheit in einer Zeit grossen materiellen und technologischen Fortschritts leiten kann. In den dreissiger Jahren, als Buddhadasa Bhikkhu ein junger Mönch war, hielten die älteren Mönche nichts von Vorträgen über Prinzipien und Lehren, die sich mit Nicht-Selbst, Bedingter Entstehung, Soheit und Leerheit (
anatta - ,
pat . icca-samuppada, tathata und suññata ) befassten. Angeblich waren diese Themen für gewöhnliche Leute zu schwierig zu verstehen. (Anm.:

) Für die breite Masse wurden moralische Lehren, die auf alten - und nicht besonders buddhistischen - Glaubensvorstellungen über
karma, Wiedergeburt, Verdienst, Himmel und Hölle basierten, als angemessen und ausreichend betrachtet. Dadurch wurden die tiefgründigsten Lehren des Buddha aus öffentlichen Vorträgen herausgelassen, und wenige Mönche schenkten ihnen viel Beachtung, obwohl diese Wörter regelmässig in ihren Rezitationen
und Studien auftauchten. Nur ein paar freie Denker und wissbegierige junge Mönche widmeten diesen Begriffen ihre Aufmerksamkeit.
In seinem ersten Mönchsjahr sprach Buddhadasa Bhikkhu in seinen Vorträgen über
suññata, weil es in seinen Studien erwähnt wurde, aber er erfasste seine Bedeutung nicht völlig. Zu dieser Zeit wurde
suññata gewöhnlich als "Leere, Vakuum, Verschwinden, Nichts" erklärt, und es gab viele abergläubische Ansichten, die damit verbunden wurden. Erst nachdem er auf viele Hinweise und klare Erklärungen des Buddha über die Leerheit gestossen war, fing Buddhadasa Bhikkhu an, ihre Bedeutung und Wichtigkeit zu verstehen. Er bezog sich in Vorträgen immer öfter darauf, obwohl ihn ältere Mönche darum baten aufzuhören, über
anatta, suññata und andere "zu tiefgründige Dhammas" zu sprechen. In einem Gespräch, das 1991 stattfand, wurde Ajahn Buddhadasa gefragt, warum er es für nötig hielt, gegen die Wünsche von älteren Mönchen anzugehen und
suññata zu lehren. Er antwortete: "Weil dies das Herz oder der Kern des Buddhismus ist: Leerheit von Selbst (
atta). Es ist das Wesentliche, die Quintessenz des Buddhismus, denn die meisten anderen Lehren sprechen von
atta. Der Buddhismus lehrt, dass es nichts gibt, das als
atta angesehen werden sollte."
Gefragt, ob irgend jemand etwas über
suññata wusste, antwortete er: "Wir sind da nicht sicher; die Begriffe wurden falsch verwendet.
Suññata wurde oft als "
suñ plao" (Nichtigkeit, Null, Nichts, Leere) ins Thailändische übersetzt. Gewöhnliche Leute und Freunde des Abhidhamma übersetzten es gerne als "Leere Null", als wertlos oder nutzlos. Es wurde falsch übersetzt, weil es falsch verstanden wurde. Und weil es missverstanden wurde, konnte niemand daraus Nutzen ziehen. Das Dhamma dieses Wortes war verlorengegangen. Es sollte einfach als "leer von einem Selbst, frei von einem Selbst" verstanden werden.
In diesem Buch weist Buddhadasa Bhikkhu darauf hin, dass das "Kernholz", das Herz, die Essenz der buddhistischen Lehre die Übung des Nicht-Anhaftens ist. Das heisst mit einem Geist zu leben, der leer von "Ich-" und "Mein-" Gefühlen ist. Er zeigt uns meisterhaft, wie man diese Übung entwickelt und wie wir Leerheit zu unserem Grundprinzip machen können. Wenn wir das tun, haben wir ein wunderbares Werkzeug, um jedes einzelne der vielen Konzepte und der geschickt anzuwendenden Mittel, die in der
buddhistischen Tradition enthalten sind, zu verstehen und zu benutzen. Dieses Werkzeug erlaubt es uns auch, jene Dinge zu erkennen, die dem Buddhismus fremd sind. Indem er sich ausgiebig auf das Material des Pali-Kanons stützt, gelingt es Ajahn Buddhadasa, Begriffe und Konzepte, die oft entmutigend abstrakt erscheinen, unmittelbar einsichtig und praktisch anwendbar zu machen.
Der hier übersetzte Text stellt das erste Mal dar, bei dem er
suññata als ausschliessliches Thema einer Vortragsreihe nahm und darüber sehr detailliert sprach. Anfänglich gab es keine Kontroverse. Später begann er dann,
suññata in Begriffen zu erklären, von denen er glaubte, jeder könne sie verstehen; er begann von
chit wang, dem "leeren Geist" (oder "freien Geist") zu sprechen. Viele Traditionalisten, Scholastiker, und Advokaten einer Entwicklung im westlichen Stil nahmen daran Anstoss. Wie bereits früher geschehen, wurde Buddhadasa Bhikkhu in den Zeitungen kritisiert
und von den Kanzeln geschmäht. "Das ist Mahayana, das ist kein Buddhismus". Schlussendlich jedoch wurden die Begriffe
suññata - und
chit wang sehr bekannt und in vielen Fällen auch zum ersten Mal richtig verstanden.