Kvatar
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Aus: Brave New World, Aldous Huxley
Jeden zweiten Donnerstagabend hatte Sigmund zur Eintrachtsandacht zu gehen. "Verflucht, ich komme spät!" sagte er zu sich. Doch Ford sei Dank - er war nicht der letzte! Drei von den zwölf Stühlen um den kreisrunden Tisch standen noch leer. Möglichst unauffällig schlüpfte er auf den nächsten Platz, bereit, jeden noch später Kommenden mit Stirnrunzeln zu empfangen.
Das Mädchen zu seiner Linken wandte sich ihm zu. "Was haben Sie heute nachmittag gespielt? Hindernis oder Elektromagnetisches?"
Sigmund blickte auf. Allmächtiger Ford, es war Morgana Rothschild! Errötend gestand er: Keines von beiden. Es herrschte beklommenes Schweigen zwischen ihnen. "Ein schöner Anfang für eine Eintrachtsandacht", dachte Sigmund todunglücklich; er sah voraus, daß es ihm wieder einmal nicht gelingen würde, die höchste Ekstase zu erreichen. Wenn er sich nur Zeit gelassen hätte, in Ruhe einen Platz zu wählen, statt sich auf den nächstbesten Stuhl zu drücken!
Als letzte kam Sarojini Engels. Die Gruppe war vollzählig, der Eintrachtskreis geschlossen. Mann, Frau, Mann, ein endlos wechselnder Ring. Zwölf Menschen, bereit, eins zu werden, zu verschmelzen, ihre zwölf Einzeldasein an ein größeres Sein zu verlieren.
Der Vorsänger erhob sich, schlug ein T und drehte die synthetische Musik an: leise, endlose Trommelschläge. Wieder und wieder nicht mehr das Trommelfell fing den pochenden Rhythmus auf, sondern das Zwerchfell. Das Drängen und Schmachten der Harmonien erregten nicht das Gemüt, sondern die Eingeweide, den Unterleib. Abermals schlug der Vorsänger ein T und setzte sich. Die Andacht hatte begonnen. Die diesem Zweck geweihten Somatabletten wurden in die Mitte des Tisches gelegt. Der Eintrachtskelch, gefüllt mit Erdbeereiscremesoma, ging von Hand zu Hand, und zwölfmal wurde mit dem Spruch "Ich trinke auf meine Auflösung" daraus getrunken. Dann sang man zu synthetischer Orchesterbegleitung die erste Eintrachtshymne. Der Kelch machte zum zweitenmal die Runde. "Ich trinke auf das Größere Sein" lautete jetzt der Spruch. Alle tranken. Unermüdlich spielte die Musik. Die Trommeln dröhnten. Das Aufschreien und Aufeinanderprallen der Harmonien wurde zur Besessenheit in den hinschmelzenden Eingeweiden. Unterdessen begann das Soma seine Wirkung zu tun. Die Augen glänzten, die Wangen glühten, das inwendige Leuchten einer alles umfassenden Güte offenbarte sich auf jedem Gesicht durch ein glückseliges, einladendes Lächeln. Sogar Sigmund fühlte sich ein wenig hinschmelzen. Als sich Morgana Rothschild ihm strahlend zuwandte, gab er sich die größte Mühe, zurückzustrahlen. Aber ihre zusammengewachsenen Augenbraue, diese schwarze Einswerdung, ließ sich nicht wegleugnen, so sehr er sich auch anstrengte. Er war noch nicht genügend hingeschmolzen. Ja, wenn er zwischen Monisma und Drahtleite gesessen hätte... Wieder kreiste der Kelch. "Ich trinke auf Sein Nahen", rief Morgana Rothschild, bei der diesmal zufällig die Zeremonie begann. Ihre Stimme war laut und überschwenglich. Sie trank und reichte Sigmund den Kelch. "Ich trinke auf Sein Nahen", wiederholte er bei dem ehrlichen Versuch, das Nahen zu spüren. Doch der Gedanke an die Augenbraue verfolgte ihn, und das Nahen lag für ihn noch in grauenhafter Ferne. Er trank und reichte Marlene Deterding den Kelch.
"Es wird wieder ein Mißerfolg", sagte er sich. "Ich weiß es." Aber er tat sein möglichstes, um zu strahlen. Der Vorsänger gab ein Zeichen, man stimmte die Hymne an:
Oh, freuet euch voll Überschwang:
Das Allerhöchste nahet sich.
Schmelzt hin bei dieser Trommeln Klang,
Denn ich bin du, und du bist ich!
Von Strophe zu Strophe stieg die Erregung der bebenden Stimmen. Das Nahen des Allerhöchsten lag wie eine elektrische Spannung in der Luft. Der Vorsänger schaltete die Musik ab; als der letzte Ton der letzten Strophe verklungen war, trat lautlose Stille ein, die kribbelnde, bebende Stille gespannter Erwartung. Plötzlich sprach über ihnen eine Stimme; eine tiefe, kraftvolle Stimme, melodischer als die irgendeines Menschen, voller, wärmer, beschwingt von Liebe und Sehnsucht und Hingabe: "Horcht! Horcht!" Sie horchten. Nach einer Pause flüsterte sie nur noch, aber ihr Flüstern war durchdringender als der lauteste Schrei: "Die Schritte des Allerhöchsten!" Wieder Schweigen. Die Schritte des Allerhöchsten oh, sie hörten sie, sie hörten, wie sie leicht über die Stufen sich ihnen näherten! Die Erwartung, einen Augenblick lang gelöst, spannte sich abermals, straffer und straffer, fast bis zum Reißen. Und plötzlich war der Augenblick des Reißens da.
"Er naht!", schrie Sarojini Engels.
"Ja, er naht, ich höre es!" Monisma Haeckel und Bosch Kawaguchi erhoben sich gleichzeitig.
"Oh, oh, oh!" Drahtleite legte unartikuliert Zeugnis ab.
"Er naht!" gellte Bernard Bokanowsky.
"Oh, er naht!" kreischte Marlene Deterding. "Aie!" Es klang, als würde ihr die Kehle durchgeschnitten.
Sigmund fühlte, daß es höchste Zeit für ihn war, etwas zu tun; er sprang auf und brüllte: "Ich höre ihn. Er naht!" Es war eine glatte Lüge. Er hörte nichts, gar nichts, trotz Musik und steigender Erregung. Aber er gab den anderen an Armeschwenken und Gebrüll nichts nach, und als sie zu hopsen und zu stampfen und sich zu mischen begannen, hopste und schlitterte er mit.
Rund um den Tisch zogen sie, eine Tanzprozession im Kreis, jeder die Hände auf den Hüften des vor ihm Tanzenden, immer herum, immer herum; alle brüllten wie aus einer Kehle, stampften im Rhythmus der Musik, schlugen den Takt auf dem Hinterbackenpaar vor sich, zwölf Paar Hände bewegten sich wie eines, von zwölf Paar Backen kam, wie von einem, ein lautes Klatschen. Zwölf-in-Einem, Zwölf-in-Einem. "Ich höre ihn, ich höre ihn nahen!" Die Musik wurde schneller; hurtiger stampften die Füße, rascher, immer rascher klatschten die Hände. Und auf einmal verkündete ein mächtiger synthetischer Baß die nahende Entsühnung und höchste Erfüllung aller Vergemeinschaftung, das Kommen des Zwölf-in-Einem, die Fleischwerdung des Größeren Seins. "Rutschiputschi", sang die Stimme, während die Tamtams ununterbrochen in einem fieberhaften Zapfenstreich dröhnten:
Rutschiputschi, welch ein Fordsspaß,
Mann und Weib Befreiung findet
Durch die Allmacht Seines Worts, das,
Rutschiputschi, euch verbindet.
"Rutschiputschi." Die Tänzer wiederholten den liturgischen Kehrreim.
Während sie sangen, verblaßten die Lichter, sie verblaßten und wurden zugleich wärmer, strahlender, röter, bis die zwölf Tänzer sich schließlich im Purpurdunkel eines Embryonendepots bewegten. "Rutschiputschi..." In blutroter Finsternis kreisten sie noch eine Weile, klopften immerzu den endlosen Rhythmus, dann ging ein Schwanken durch den Reigen, der Kreis riß, löste sich, und seine Teile sanken paarweise auf die Sofas, die als äußerster Kreis den runden Tisch und seine Stuhlplaneten umgaben. "Rutschiputschi...." Zärtlich gurrte und girrte der tiefe Baß. Im rötlichen Dunkel schien es, als schwebe eine riesige Negertaube voller Wohlwollen über den nun bäuchlings oder rücklings hingelagerten Tänzern.
Jeden zweiten Donnerstagabend hatte Sigmund zur Eintrachtsandacht zu gehen. "Verflucht, ich komme spät!" sagte er zu sich. Doch Ford sei Dank - er war nicht der letzte! Drei von den zwölf Stühlen um den kreisrunden Tisch standen noch leer. Möglichst unauffällig schlüpfte er auf den nächsten Platz, bereit, jeden noch später Kommenden mit Stirnrunzeln zu empfangen.
Das Mädchen zu seiner Linken wandte sich ihm zu. "Was haben Sie heute nachmittag gespielt? Hindernis oder Elektromagnetisches?"
Sigmund blickte auf. Allmächtiger Ford, es war Morgana Rothschild! Errötend gestand er: Keines von beiden. Es herrschte beklommenes Schweigen zwischen ihnen. "Ein schöner Anfang für eine Eintrachtsandacht", dachte Sigmund todunglücklich; er sah voraus, daß es ihm wieder einmal nicht gelingen würde, die höchste Ekstase zu erreichen. Wenn er sich nur Zeit gelassen hätte, in Ruhe einen Platz zu wählen, statt sich auf den nächstbesten Stuhl zu drücken!
Als letzte kam Sarojini Engels. Die Gruppe war vollzählig, der Eintrachtskreis geschlossen. Mann, Frau, Mann, ein endlos wechselnder Ring. Zwölf Menschen, bereit, eins zu werden, zu verschmelzen, ihre zwölf Einzeldasein an ein größeres Sein zu verlieren.
Der Vorsänger erhob sich, schlug ein T und drehte die synthetische Musik an: leise, endlose Trommelschläge. Wieder und wieder nicht mehr das Trommelfell fing den pochenden Rhythmus auf, sondern das Zwerchfell. Das Drängen und Schmachten der Harmonien erregten nicht das Gemüt, sondern die Eingeweide, den Unterleib. Abermals schlug der Vorsänger ein T und setzte sich. Die Andacht hatte begonnen. Die diesem Zweck geweihten Somatabletten wurden in die Mitte des Tisches gelegt. Der Eintrachtskelch, gefüllt mit Erdbeereiscremesoma, ging von Hand zu Hand, und zwölfmal wurde mit dem Spruch "Ich trinke auf meine Auflösung" daraus getrunken. Dann sang man zu synthetischer Orchesterbegleitung die erste Eintrachtshymne. Der Kelch machte zum zweitenmal die Runde. "Ich trinke auf das Größere Sein" lautete jetzt der Spruch. Alle tranken. Unermüdlich spielte die Musik. Die Trommeln dröhnten. Das Aufschreien und Aufeinanderprallen der Harmonien wurde zur Besessenheit in den hinschmelzenden Eingeweiden. Unterdessen begann das Soma seine Wirkung zu tun. Die Augen glänzten, die Wangen glühten, das inwendige Leuchten einer alles umfassenden Güte offenbarte sich auf jedem Gesicht durch ein glückseliges, einladendes Lächeln. Sogar Sigmund fühlte sich ein wenig hinschmelzen. Als sich Morgana Rothschild ihm strahlend zuwandte, gab er sich die größte Mühe, zurückzustrahlen. Aber ihre zusammengewachsenen Augenbraue, diese schwarze Einswerdung, ließ sich nicht wegleugnen, so sehr er sich auch anstrengte. Er war noch nicht genügend hingeschmolzen. Ja, wenn er zwischen Monisma und Drahtleite gesessen hätte... Wieder kreiste der Kelch. "Ich trinke auf Sein Nahen", rief Morgana Rothschild, bei der diesmal zufällig die Zeremonie begann. Ihre Stimme war laut und überschwenglich. Sie trank und reichte Sigmund den Kelch. "Ich trinke auf Sein Nahen", wiederholte er bei dem ehrlichen Versuch, das Nahen zu spüren. Doch der Gedanke an die Augenbraue verfolgte ihn, und das Nahen lag für ihn noch in grauenhafter Ferne. Er trank und reichte Marlene Deterding den Kelch.
"Es wird wieder ein Mißerfolg", sagte er sich. "Ich weiß es." Aber er tat sein möglichstes, um zu strahlen. Der Vorsänger gab ein Zeichen, man stimmte die Hymne an:
Oh, freuet euch voll Überschwang:
Das Allerhöchste nahet sich.
Schmelzt hin bei dieser Trommeln Klang,
Denn ich bin du, und du bist ich!
Von Strophe zu Strophe stieg die Erregung der bebenden Stimmen. Das Nahen des Allerhöchsten lag wie eine elektrische Spannung in der Luft. Der Vorsänger schaltete die Musik ab; als der letzte Ton der letzten Strophe verklungen war, trat lautlose Stille ein, die kribbelnde, bebende Stille gespannter Erwartung. Plötzlich sprach über ihnen eine Stimme; eine tiefe, kraftvolle Stimme, melodischer als die irgendeines Menschen, voller, wärmer, beschwingt von Liebe und Sehnsucht und Hingabe: "Horcht! Horcht!" Sie horchten. Nach einer Pause flüsterte sie nur noch, aber ihr Flüstern war durchdringender als der lauteste Schrei: "Die Schritte des Allerhöchsten!" Wieder Schweigen. Die Schritte des Allerhöchsten oh, sie hörten sie, sie hörten, wie sie leicht über die Stufen sich ihnen näherten! Die Erwartung, einen Augenblick lang gelöst, spannte sich abermals, straffer und straffer, fast bis zum Reißen. Und plötzlich war der Augenblick des Reißens da.
"Er naht!", schrie Sarojini Engels.
"Ja, er naht, ich höre es!" Monisma Haeckel und Bosch Kawaguchi erhoben sich gleichzeitig.
"Oh, oh, oh!" Drahtleite legte unartikuliert Zeugnis ab.
"Er naht!" gellte Bernard Bokanowsky.
"Oh, er naht!" kreischte Marlene Deterding. "Aie!" Es klang, als würde ihr die Kehle durchgeschnitten.
Sigmund fühlte, daß es höchste Zeit für ihn war, etwas zu tun; er sprang auf und brüllte: "Ich höre ihn. Er naht!" Es war eine glatte Lüge. Er hörte nichts, gar nichts, trotz Musik und steigender Erregung. Aber er gab den anderen an Armeschwenken und Gebrüll nichts nach, und als sie zu hopsen und zu stampfen und sich zu mischen begannen, hopste und schlitterte er mit.
Rund um den Tisch zogen sie, eine Tanzprozession im Kreis, jeder die Hände auf den Hüften des vor ihm Tanzenden, immer herum, immer herum; alle brüllten wie aus einer Kehle, stampften im Rhythmus der Musik, schlugen den Takt auf dem Hinterbackenpaar vor sich, zwölf Paar Hände bewegten sich wie eines, von zwölf Paar Backen kam, wie von einem, ein lautes Klatschen. Zwölf-in-Einem, Zwölf-in-Einem. "Ich höre ihn, ich höre ihn nahen!" Die Musik wurde schneller; hurtiger stampften die Füße, rascher, immer rascher klatschten die Hände. Und auf einmal verkündete ein mächtiger synthetischer Baß die nahende Entsühnung und höchste Erfüllung aller Vergemeinschaftung, das Kommen des Zwölf-in-Einem, die Fleischwerdung des Größeren Seins. "Rutschiputschi", sang die Stimme, während die Tamtams ununterbrochen in einem fieberhaften Zapfenstreich dröhnten:
Rutschiputschi, welch ein Fordsspaß,
Mann und Weib Befreiung findet
Durch die Allmacht Seines Worts, das,
Rutschiputschi, euch verbindet.
"Rutschiputschi." Die Tänzer wiederholten den liturgischen Kehrreim.
Während sie sangen, verblaßten die Lichter, sie verblaßten und wurden zugleich wärmer, strahlender, röter, bis die zwölf Tänzer sich schließlich im Purpurdunkel eines Embryonendepots bewegten. "Rutschiputschi..." In blutroter Finsternis kreisten sie noch eine Weile, klopften immerzu den endlosen Rhythmus, dann ging ein Schwanken durch den Reigen, der Kreis riß, löste sich, und seine Teile sanken paarweise auf die Sofas, die als äußerster Kreis den runden Tisch und seine Stuhlplaneten umgaben. "Rutschiputschi...." Zärtlich gurrte und girrte der tiefe Baß. Im rötlichen Dunkel schien es, als schwebe eine riesige Negertaube voller Wohlwollen über den nun bäuchlings oder rücklings hingelagerten Tänzern.