Verlassenheitstrauma als Massenphänomen?

also ich bin jahrgang 67 und war mit acht eine woche im krankenhaus. war gräßlich, nicht auf kinderstation,weils das da nicht gab, sondern neben ner sterbenskranken oma gelegen. meine eltern kamen sehr selten, weil sie nicht durften, ich hab mich jeden abend in den schlaf geweint, alleine...es war gräßlich. als meine tochter selbst mal eine woche im krankenhaus war, bin ich mit, ich hätte nie und nimmer dieses kind allein dort gelassen...ich mache meinen eltern keinen vorwurf, aber dem ganzen system damals. wie kann man so bescheuert sein?
abends haben meine eltern mich nicht allein gelassen mit meiner schwester, wenn, dann war klar, die nachbarn, zu denen wir viel vertrauen hatten, sind da für notfälle.ich war aber eins der schlüsselkinder. schlüssel um den hals, weil beide arbeiteten und ich war dann tagsüber oft allein in nem alter, wo ich das meinen kindern nicht zugemutet hätte...ich habe große verlassensängste, aber auch aus anderen gründen...bins bis jetzt gewöhnt, viel allein zu schaffen,das hat nichtn nur nachteile, aber dahinter sitzt ein tiefer schmerz.bin überzeugt, dass es heut immer noch vielen kindern so geht...ich kenne in meinem nahen umfeld viele, die von babysitter zu babysitter geschoben werden, weil die eltern auf nem selbstfindungstrip sind. heut ists das, früher wars der überlebenskampf der nachkriegsgeneration unserer eltern.
 
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wenn du deinen Eltern etwas vorzuwerfen hast dann würde ich in die Emotionen direkt reinsteigen
das ist vielleicht der kürzere Weg

Ja Schooko, da hast du sicher Recht. Meine Frage hier gehört aber zu diesem Prozeß dazu. Ich habe meinen Eltern das niemals bewußt vorgeworfen, denn "es sind ja schließlich auch nur Menschen" und was immer sie taten, es geschah bestimmt nicht mit bewußt böser Absicht. Nur ist mein Programmsatz "Ich darf niemals meine Kinder im Stich lassen" schon lästig und knebelt mich und ich habe mich gefragt, ob ich mir nicht dochmal das Recht nehmen sollte, auf meine Eltern auch wütend zu sein. Zu der Emotion Traurigkeit habe ich guten Zugang, aber Wut?

Was übrigens das Alleine-lassen von Kindern betrifft, so denke ich, dass es ideal ist, wenn man sich da - dem Entwicklungsstand der Kinder gemäß - vorsichtig herantastet. Und das ist ganz individuell. Solange Kinder Angst haben, darf man sie nicht völlig alleine lassen. Aber man kann das vorsichtig steigern mit Hinterlassen der Handynummer, so dass es für die Kinder - und damit auch die Eltern okay ist.
Meine Aversion gegen "Kinder in ärztlicher Obhut" ist allerdings ungebrochen. Niemals habe ich eines auch nur eine Minute irgendwo mit einem Arzt alleine gelassen und bei früheren kurzen Krankenhausaufenthalten wachte ich jede Minute wie eine Löwin neben ihnen:D.

Tanita
 
Ich halte dieses angebliche aber in Wahrheit nichtexistente Verlassenheitstrauma als Massenphänomen eher für ein Verlassenheitstrauma als Kassenphänomen. Mir fiel auf dass sehr viele Menschen sich in der Warteschlange an den Konsumkassen verlassen und alleine fühlen!
dich auch hier zu finden, wundert mich nicht....nun endlich raus damit:wie rettest du die welt?
 
... mit den Maßstäben von heute???
(sie schrieb doch, daß ihre Eltern selbst verwundert über ihr damaliges Verhalten waren)

Das ist wirklich ein guter Einwand, weil genau der mich nämlich völlig blockt. Ich kann doch nicht jemanden etwas vorwerfen, was alle so taten, was völlig normal war und was ihm heute selbst leid tut. So mein Kopf!
Aber mein Gefühl schert sich einen Teufel um meinen Kopf. Allerdings habe ich inzwischen für mich herausgefunden, dass die damaligen Mechanismen zwischen meinen Eltern und mir auch heute noch wirksám sind. Glaub`mal nicht, dass ich mich an meine Eltern wenden würde, wenn`s mir schlecht geht (obwohl ich sie sehr mag), denn "alleine ist schließlich alleine". Ich kann da also auch in der Gegenwart rangehen.

Tanita
 
Ja Schooko, da hast du sicher Recht. Meine Frage hier gehört aber zu diesem Prozeß dazu. Ich habe meinen Eltern das niemals bewußt vorgeworfen, denn "es sind ja schließlich auch nur Menschen" und was immer sie taten, es geschah bestimmt nicht mit bewußt böser Absicht. Nur ist mein Programmsatz "Ich darf niemals meine Kinder im Stich lassen" schon lästig und knebelt mich und ich habe mich gefragt, ob ich mir nicht dochmal das Recht nehmen sollte, auf meine Eltern auch wütend zu sein. Zu der Emotion Traurigkeit habe ich guten Zugang, aber Wut?

Was übrigens das Alleine-lassen von Kindern betrifft, so denke ich, dass es ideal ist, wenn man sich da - dem Entwicklungsstand der Kinder gemäß - vorsichtig herantastet. Und das ist ganz individuell. Solange Kinder Angst haben, darf man sie nicht völlig alleine lassen. Aber man kann das vorsichtig steigern mit Hinterlassen der Handynummer, so dass es für die Kinder - und damit auch die Eltern okay ist.
Meine Aversion gegen "Kinder in ärztlicher Obhut" ist allerdings ungebrochen. Niemals habe ich eines auch nur eine Minute irgendwo mit einem Arzt alleine gelassen und bei früheren kurzen Krankenhausaufenthalten wachte ich jede Minute wie eine Löwin neben ihnen:D.

Tanita
woher kommt die Angst der Kinder vorm alleinsein?
 
Ich war zweieinhalb als meine Eltern mit mir nach Graz fuhren - ich wusste eigentlich gar nicht warum und wieso. Wir gingen da in ein Krankenhaus, ich wurde untersucht und meine Eltern waren plötzlich nicht mehr da. Aber sie haben mich nach zehn Tagen oder so wieder abgeholt.
Ich kann mich noch ganz dunkel daran erinnern, dass da im Krankenhaus die Schwester aber sehr nett war und uns abends immer eine Geschichte vorgelesen hat. Ansonsten kann ich mich aber wirklich kaum daran erinnern.

Ja das war früher so - aber ich hab da keinen Schaden erlitten und ich hab auch keine Verlustängste oder ähnliches.

Aber abends weggegangen und mich allein gelassen ... nö das hätten meine Eltern eigentlich nie gemacht.


:)
Mandy
 
ja, das kenne ich auch, hab als kind (1965 geboren) die "bettenpolitik" in österreichischen kh's über sehr viele monate maßgeblich unterstützt. unfreiwillig natürlich.

heute denke ich mir in diesem zusammenhang: wenn es wenigstens ein handy gegeben hätte...

besuchszeit war mittwoch und sonntag von 14 - 16 uhr.
wenn man nicht "brav", zu aufmüpfig oder zu krank war, dann gabs besuchsverbot.

ich erinnere mich an kinder, die nie (oder so gut wie nie) besuch bekamen.
ich erinnere mich an lehrerInnen, die ans krankenbett kamen, die ihren beruf mit großer liebe und mit viel kreativität ausübten, - menschen mit vorbild-charakter. heute noch prägend. wie nannte man das damals: heilstättenschule?

alleinsein geübt, aber nicht gelernt, - das verbinde ich mit kinderklinikaufenthalten.
lange her. ewig. noch immer nicht vergessen, vieles nicht. aber verziehen, letztlich alles, wenn auch mit großer mühe. und gesehen, dass ich dabei manches erfahren konnte, was sonst nicht möglich gewesen wäre.

ich glaube, dass es die generation vor uns diesbezüglich noch viel schwerer hatte.
ja, und nun sind wir - einem himmel sei dank - so weit, dass kinder in den kliniken überhaupt nicht mehr alleine gelassen werden müssen.
 
Tanita, was genau meinst Du mit "Heim"???
Wenn es das typische Kinderheim sein sollte, ist das natürlich schon ein anderes Kaliber.

Das war irgendein katholisches Nonnenheim im oberbayrischen Land, in das wir für mehrere Wochen gegeben wurden, damit sich meine psychisch angeschlagene Mutter wieder erholen konnte. Ich kann mich auch an fast nichts erinnern (war schließlich erst 2 Jahre alt), aber überleg`mal, wir waren da in einem Alter (meine Schwester war 1 Jahr alt), wo wir doch gar nicht verstehen konnten, dass wir irgendwann wieder abgeholt werden.

Tanita
 
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Aber du weißt nicht ob was gutes daraus hervorgegangen ist oder was schlechtes. Du weißt ja nicht wie es wäre, wie es/was gekommen wäre, wenn man euch dort nicht hingebracht hätte.
Ich denke, Tanita, dass dich aktuell etwas ganz konkret stört - - und eine direktere Annäherung würde da vielleicht schneller zu einer Erleichterung/Ziel führen.
 
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