2.) Die Verwendung von Ayahuasca bei dem Stamm der Shuar
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a.) Allgemeine Angaben zu den Shuar-Indianern
Die Shuar sind ein indigenes Volk, das im westlichen Stromgebiet des Amazonas
hauptsächlich entlang der östlich der Anden gelegenen Cutucu-Bergkette im Grenzgebiet
von Ecuador und Peru lebt. Die Shuar waren wegen ihrer Wildheit und ihrer
Schrumpfköpfe bekannt. Das brachte ihnen die in der Literatur vielfach anzutreffende
Bezeichnung Jivaro ein, was soviel wie wild oder primitiv bedeutet, und daher ein
pejorativer Begriff ist, den ich hier nicht weiter verwenden werde (Perkins, 1995:229;
Harner,1972: 14).
b.) Der Schamanismus der Shuar
Bei den Shuar gibt es im wesentlichen zwei Klassen von Schamanen, Heiler und Hexer.
Der behexende Schamane wird yahauci uwisin, der heilende pener uwisin genannt.
Die ersteren gewinnen ihren sozialen Einfluß hauptsächlich aus der ihnen von ihren
Stammesgenossen entgegengebrachten Furcht, während der Heiler seine soziale
Macht daher bezieht, daß er als für das Wohlergehen des Stammes notwendig betrachtet
wird (Harner,1972:117).
Die Schamanen sind die Personen mit dem größten Wohlstand in der Gesellschaft
der Shuar, laut Harner gestehen sie freimütig ein, daß sie ihre Dienste hauptsächlich zur
Verfügung stellen, um mit materiellen Gütern belohnt zu werden(1972: 117). Für Heilungen
oder die Verhexung von Feinden erwarten die Schamanen eine hohe Bezahlung im
voraus. Die Schamanen der Shuar nutzen ihren Reichtum und sozialen Einfluß häufig,
um bestimmte Dienste von ihren Nachbarn zu erhalten.
Der Status des Schamanen wird bei den Shuar zu einem Gutteil käuflich erworben.
Um Schamane zu werden, wird einem etablierten Schamanen ein beachtliches Geschenk
gemacht. Dafür wird der Aspirant in seinem neuem Beruf instruiert, und wird
vom Schamanen mit magischer Kraft in der Form von Hilfsgeistern (tsentsak) ausgestattet.
Diese Hilfsgeister sind die Essenz der schamanischen Macht, und sie treten in
einer äußerst vielfältigen Form auf. Häufig manifestieren sie sich in der Form unsichtbarer
Flugobjekte, den magischen Pfeilen, die der Schamane aussendet, um Schaden
zuzufügen, oder die er aus dem Körper eines Kranken saugt, um ihn zu heilen. In der
Betrachtungsweise der Shuar residieren diese Hilfsgeister im Körper des Schamanen,
und während der Ausbildung eines Lehrlings gibt der Schamane einen Teil seiner magischen
Kraft an diesen weiter. Dabei wird eine strenge Hierarchie in der Rangfolge der
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Schamanen aufrechterhalten, und der ausbildende Schamane ist jederzeit in der Lage,
seine Kraft zurück zu fordern, wenn er in Streitigkeiten mit dem Rezipienten seiner
Macht gerät, oder durch einen Feind des niederen Schamanen bestochen wird (Harner,
1972:121).
Um einen plötzlichen Verlust seiner Macht zu verhindern, ist der niedere Schamane
ständig
bemüht, durch Geschenke ein gutes Verhältnis zu seinem ehemaligen Lehrer aufrecht
zu er-halten. Harner schätzt, daß jeder vierte Shuar ein Schamane ist, und diese somit
einen signifikanten Anteil der männlichen Bevölkerung der Shuar ausmachen (Harner,
1972:154).
c.) Die Bedeutung von Ayahuasca bei den Shuar
Die Shuar glauben, daß die wahren Determinanten von Leben und Tod unsichtbare
Kräfte sind, die nur mit Hilfe von entheogenen Pflanzen erkannt und beeinflußt werden
können. Das alltägliche Wachbewußtsein wird als Lüge oder Illusion bezeichnet, und
die Ursachen für die Manifestationen und Ereignisse des normalen Lebens werden in
einer übernatürlichen Welt vermutet, die für die Shuar die reale Welt darstellt11 (Harner,
1972:134).
Die Verwendung von entheogenen Substanzen hat eine zentrale Bedeutung in der
Kultur der Shuar. So wird zum Beispiel neugeborenen Babys ein paar Tage nach ihrer
Geburt eine halluzinogene
Substanz verabreicht, um ihnen den Übergang aus der überirdischen realen
Welt in die irdische zu erleichtern, und um Hilfe durch Geistwesen bei der Bewältigung
der Widrigkeiten der frühen Kindheit zu erhalten. Ältere Kindern müssen im Falle eines
Fehlverhaltens eine Droge konsumieren, die sie befähigen soll, die Wirklichkeit zu sehen,
auf der die Erwachsenen ihre Autorität und ihr Wissen gründen. Selbst Jagdhunde
werden mit einer speziellen Substanz gefüttert, um ihnen den essentiellen Kontakt mit
der anderen Welt zu ermöglichen (Harner, 1972:134-35).
Die Shuar verwenden eine Vielzahl von psychoaktiven Pflanzen. In ihrer Pharmakopoeia
wird ein Halluzinogen namens Maikua (Datura arborea) als das Machtvollste aber
auch Gefährlichste angesehen (Harner, 1972: 137ff.). Im schamanistischen Kontext wird
11 Diese Vorstellung vom illusionären Charakter der Alltagswelt findet sich bspw. auch bei den Stämmen
der Yagua und Siona (Luna,1991:13).
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Ayahuasca dem Maikua vorgezogen, weil es leichter zu kontrollieren ist. Die Shuar
nennen das Getränk Natema. Von Datura sagen die Schamanen, daß zu häufiger Genuß
krank macht. Es induziert einen delirienhaften Zustand, der das agieren in Trance,
bspw. singen und behandeln von Kranken, ferner auch das Interagieren mit Patienten
unmöglich macht.
Die Benutzung von Ayahuasca macht es für fast jeden Stammesangehörigen möglich,
den für die Praktizierung schamanistischer Handlungen notwendigen Trancezustand zu
erreichen. Wie bereits im vorigen Abschnitt beschrieben, überträgt ein Schamane gegen
ein entsprechendes Präsent einen Teil seiner Hilfsgeister auf den Schamanenanwärter.
Dies geschieht im Trance mittels der Hilfe von Ayahuasca. Um den Novizen mit
Tsentsak, dem Machtprinzip der Schamanen zu versorgen, erbricht der agierende
Schamane eine schillernde Substanz, die nur unter der Wirkung der Droge sichtbar ist,
in der die Hilfsgeister (Tsentsak) enthalten sind. Der Schamane schneidet mit einer
Machete einen Teil davon ab, und der Novize schluckt diesen Teil hinunter. Der erfährt
nach der Einnahme dieser Substanz Schmerzen und bleibt für etwa zehn Tage in seinem
Bett, während dessen er immer wieder Ayahuasca trinkt. Der auszubildende
Schamane muß für mehrere Monate inaktiv bleiben, und sich des Geschlechtsverkehrs
enthalten (Harner,1972: 155). Am Ende des ersten Monats entspringt ein Tsentsak seinem
Mund. Die Shuar sagen, dieser dem neuen Schamanen zur Verfügung stehende
magische Pfeil löse ein starkes Verlangen aus, jemanden zu verhexen. An diesem
Punkt der Schamanenlehre entscheidet sich, ob der Novize zu einem behexenden
Schamanen wird, was der Fall wäre, sollte er dem Verlangen nachgeben. Kann er aber
seine Lust zu verhexen kontrollieren und bringt seinen Tsentsak in seinen Körper zurück,
wird er ein heilender Schamane (Harner, 1972:156).
In der Vorstellung der Shuar haben die Tsentsak, die magischen Pfeile, einen natürlichen
und einen übernatürlichen Aspekt. Einerseits sind es materielle Objekte, wie
bspw.Pflanzen und Insekten, die von jedem auch im nicht berauschtem Zustand gesehen
werden können. Als der wahre Aspekt eines Tsentsak wird aber die Form angesehen,
die unter dem Einfluß von Ayahuasca wahrgenommen wird. Die materiellen Objekte
erscheinen dann als Hilfsgeister in verschiedenen Formen, wie riesige Schmetterlinge,
Jaguare oder Affen, die dem Schamanen in der Ausführung seiner magischen
Handlungen assistieren.
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Ayahuasca hat bei den Shuar primär eine Bedeutung, um Heilungen auszuführen oder
im Bereich der Hexerei. Es ist das wesentliche Instrument, welches der Schamane benutzt
um in Kontakt mit der Geisterwelt zu gelangen. Zwar finden sich in der Literatur
auch Angaben über die Nutzung von Ayahuasca bei den Shuar um die Zukunft vorauszusehen
(Dobkin de Rios, 1972: 46), oder im Verlauf des Tsantsa Festes, bei dem es
um die Erlangung der Arutam Seele geht, die den einzelnen Shuar vor Angriffen seiner
Feinde schützt (Dobkin de Rios, 1972: 46; Harner, 1972: 135ff.), ich konnte jedoch keine
Hinweise auf kollektive religiöse Zeremonien in Zusammenhang mit Ayahuasca finden.
d.) Heilungen mit Ayahuasca bei den Shuar
Wenn bei den Shuar ein Heiler gerufen wird, um einen Patienten zu behandeln, stellt er
als erstes fest, ob die Krankheit durch Hexerei verursacht wurde. Um die Diagnose zu
stellen, trinkt der Schamane Ayahuasca und Tabakwasser. Diese Substanzen ermöglichen
es ihm, in den Körper des Patienten hineinzusehen. Ist die Krankheit die Folge
einer Verhexung, so sieht der Heiler ein pathogenes Objekt, und er kann dann entscheiden
ob seine Macht ausreicht, um zu helfen (Harner,1972:160).
Nach Sonnenuntergang beginnt der Schamane Heillieder zu pfeifen, die seine Tsentsak
er-wecken sollen. Später fängt er an zu singen. Laut Harner tendieren diese Lieder
dazu, Selbst-ermunterungen des Schamanen zu sein. Er intoniert etwa in der folgenden
Weise: My tsentsak are like birds and the wings and bodies are dreams. With these I
am now ready. My tsentsak are sitting all over me and as I become cold I shall have
power. I can easily suck out Tsentsak. I, I, I, I. (Harner,1972: 162).
Wenn der Heiler bereit ist, seine Behandlung zu beginnen, würgt er zwei Tsentsak in
seine Kehle und in seinen Mund. Diese müssen identisch mit denen sein, die er im Körper
des Patienten wahrgenommen hat. Die Tsentsak werden im Mund aufbewahrt, damit
sie den übernatürlichen
Aspekt der pathogenen Objekte auffangen, die der Schamane aus dem
kranken Körper heraus saugt. Sollte die spirituelle Essenz der krankheitsverursachenden
Objekte in den Körper des Heilers gelangen, so glaubt er, würde das ihn töten. So
aber wird diese Essenz in die materielle Entsprechung der Tsentsak des Schamanen
aufgenommen, die er dann dem Patienten und seiner Familie präsentiert. Harner gibt
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an, das die Nicht-Schamanen daran glauben, das der Heiler tatsächlich dieses
materielle Objekt aus dem Körper des Kranken hervorgeholt hat. Die Schamanen aber
wissen, daß nur der spirituelle Aspekt der Tsentsak aus dem Körper befreit wurde, und
nur dieses für die Behandlung relevant war. Die als Beweis der Heilung ausgewiesenen
Objekte positioniert der Heiler heimlich vorher in seinem Mund (Harner, 1972: 162ff.).
e.) Ayahuasca und Hexerei bei den Shuar
Um einen magischen Angriff auf eine Person auszuführen, trinkt der Schamane Ayahuasca
und begibt sich dann heimlich in die Nähe des Opfers. Dort trinkt er Tabakwasser,
was ihn befähigt seine Tsentsak aus dem Körper zu holen. Diese werden dann in Richtung
des Opfers geschleudert, wo sie innerhalb weniger Tage oder Wochen Tod oder
Krankheit auslösen, abhängig von der Stärke der Tsentsak des Hexers (Harner, 1972:
157).
Charakteristisch ist die Heimlichkeit, mit der die Shuar magische Angriffe vornehmen.
Das Opfer soll nach Möglichkeit nichts von der Attacke auf seine Gesundheit erfahren,
um nicht frühzeitig Hilfe bei einem Heiler suchen zu können12.
Den Schamanen der Shuar stehen unter Einfluß von Ayahuasca zahlreiche weiter
Maß-nahmen zur Verfügung, um ihren Opfern zususetzen. So kann er speziellen Hilfsgeistern
befehlen,
nach einem Angriff in der Form eines Insekts oder Tieres in der Nähe eines Verhexten
zu verweilen. Sollte das Opfer von einem Heiler geheilt werden, so kann dieser
Hilfsgeist selbstständig pathogene Objekte aussenden, die das Opfer unmittelbar wieder
krank werden lassen (Harner,1972:158).
Bei den Schamanen der Shuar existiert ein ausgefeiltes System von Magie und Gegenmagie.
Sowohl den Heilern als auch den Hexern stehen zahlreiche Möglichkeiten zur
Verfügung, den Handlungen des anderen entgegenzuwirken. Dabei steht das Konzept
der Tsentsak, d.h. Hilfsgeister
im Mittelpunkt, die unter dem Einfluß entheogener Substanzen sichtbar und kontrol-
lierbar werden.