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Fortsetzung 2

Die traditionelle christliche Übungspraxis

Die Esoterik kennt bestimmte Grundstrukturen, die allen Religionen gemeinsam sind. Das Christentum macht dabei keine Ausnahme. Entweder sie empfehlen eine Sammlung des Bewusstseins an einem Bild, Ton, Wort, Atem, Licht, also einem Inhalt, an dem das Bewusstsein vereinheitlicht wird oder sie halten das Bewusstsein frei von jedem Inhalt und von jeder Struktur, sei sie materiell, psychisch oder intellektuell. Im Folgenden werden diese beiden Formen bei den christlichen Mystikern aufgezeigt.

Die Übung mit dem Atem
Die christliche Mönchstradition kennt schon immer das Eintreten in die Versenkung mit Hilfe des Atems. Aus der Philokalia, einem Buch, das vom Gebetsleben der Mönche der Ostkirche berichtet, seien einige Beispiele genannt.

"Dir ist ja bekannt, Bruder, wie wir atmen: Wir atmen ein und aus. Ohne das ist Leben unmöglich. Wenn Du dich also in Deiner Zelle niederlässt, sammle Deinen Geist, binde ihn an den Atem, durch den die Luft in Dich einströmt, zwinge ihn durch Dein Einatmen in Deine Mitte und lasse ihn dort. Lass ihn dort, aber nicht still und müßig, sondern mit folgendem Gebet: 'Herr Jesus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner'. Das soll ihn immer beschäftigen, nie soll er damit aufhören". (Philokalia S. 192).

"Ein Mensch, der das lernen möchte, sollte wissen, dass, wenn man den Geist daran gewöhnt hat, durch das Einatmen in die innere Mitte zu kommen, man auch praktisch gelernt hat, ihn in dem Augenblick, in dem er sich anschickt in die innere Mitte zu gelangen, von jeglichem Gedanken zu befreien, so dass er einfach wird und bloß, frei von allen Erinnerungen, außer jenem Ruf zum Herrn Jesus Christus". (Philokalia S. 193).

"Dein Denken an Jesus verbinde sich mit deinem Atem, dann erst wirst Du den Sinn des Schweigens verstehen. Hesychius lehrt: 'Möchtest Du wirklich Schweigen bewahren, wie Du eigentlich solltest, und ohne Anstrengung wachen Herzens sein, dann binde das Jesus-Gebet an Deinen Atem'." (Philokalia S. 192).

Der Atem ist auch heute noch für viele Menschen der Einstieg in das kontemplative Gebet.

Langes ruhiges Sitzen
Das lange, ruhige Sitzen wird von jeher als wichtig angesehen. Man kann sich in einer Kirchenbank niederlassen oder zu Hause auf einem Stuhl, auf einem niedrigen Bänkchen oder auf den Fersen. Schon die christlichen Mönche der Thebaiis und Skytis kannten das lange Sitzen. "Der Mönch hockte in seiner Zelle auf einer Matte oder einem niedrigen Papyrusbündel - es mögen zehn Stunden oder mehr des Tages gewesen sein" (v. Nagel S.140). Die Philokalia schreibt: "Nach Sonnenuntergang setze dich auf einen niedrigen Stuhl in deiner ruhigen Zelle bei gedämpftem Licht und sammle deinen Geist von seinem gewöhnlichen Herumschweifen und draußen Herumwandern, und geleite ihn ruhig in dein Herz auf dem Weg des Atems." (Philokalia S. 195)

Die Übung mit dem Wort
Cassian, ein Mönch, der uns vom Gebetsleben der Eremiten und Zönobiten in der Wüste berichtet hat, beschreibt die Einübung des kontemplativen Betens mit einem Wort bzw. mit einem kurzen Satz wie folgt. Nachdem er die Formel: 'O Gott, komm mir zu Hilfe, Herr, eile mir zu helfen' empfohlen hat, fährt er fort: "Das Gebet dieses Verses soll also mit unablässiger Stete gepflegt werden bei Widrigem, damit wir errettet werden, bei Günstigem, damit wir bewahrt werden und uns nicht überheben. Die Anwendung dieses Verses, sage ich, soll ununterbrochen in deinem Herzen erwogen werden. Lass nicht ab, ihn bei jeglichem Werk oder Dienst und auch auf dem Wege zu beten. Pflege ihn beim Schlafen und Essen und in der äußersten Notdurft des Leibes. Dieses Erwägen im Herzen wird dir wie eine heilsmächtige Formel sein und dich auch zu der unsagbaren und nur von wenigen erfahrenen Glut des Gebetes hinreißen. Wenn du diesen Vers im Innern pflegst, mag dich der Schlaf überkommen, wenn du nur am Ende, durch seine unaussprechliche Übung geformt, ihn auch im Schlafe zu beten gewöhnt bist. Er soll dir beim Gewecktwerden zuerst begegnen, beim Erwachen nehme er alle Gedanken vorweg. Bist du vom Lager aufgestanden, so mag er dich zur Kniebeugung geleiten und von da zu allem Werk und Tun. Er begleite dich zu jeder Zeit. Ihn sollst du auf Schwelle und Tür deines Mundes schreiben. Ihn schreibe an die Wände deines Hauses und in das Innere deines Herzens, so dass, wenn du zum Gebete niederfällst, er dein Aufgesang sei, und stehst du sodann auf und begibst dich zu allen notwendigen Lebensbeschäftigungen, so werde er dir das aufrechte und stete Gebet". (Collationes X).

Das 'immerwährende Gebet', das von Jesus empfohlen wird (Lk 18,1), kann sich nur auf der kontemplativen Ebene ereignen, wenn es nach langer Übung 'im Menschen betet' und in der Seele ein Habitus entstanden ist, der von selber immer wieder in die Gebetserfahrung führt.

Der Verfasser der "Wolke des Nichtwissens" gibt in den Kapiteln 7, 36, 37, 39 Anleitungen zum Gebrauch des Wortes in der Kontemplation: " ... nimm ein kurzes einsilbiges Wort, eines mit einer Silbe ist besser als eines mit zwei Silben, und je kürzer es ist, um so mehr hilft es dir auf deinem geistlichen Weg. Ein solches Wort ist z. B. 'Gott' oder 'Liebe'. Wähle davon, welches du willst, oder ein anderes. Achte aber darauf, dass es eine Silbe hat. Verankere dieses Wort fest in deinem Herzen, damit es bei dir ist, was immer auch kommen mag. ... Wehre ab mit ihm jede Art von Gedanken und stoße ihn unter die Wolke des Vergessens. Und sollte ein Gedanke dich verfolgen und fragen, was du tust, dann antworte ihm nur mit diesem Wort. Solltest du aber versucht sein, dieses Wort zu zerlegen, dann erinnere dich, dass du es ganz und nicht entfaltet haben möchtest."

Fortsetzung 3
 
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Fortsetzung 3

Hingabe und Liebe
Christliche Kontemplation ist immer auch begleitet von Hingabe und Liebe. Der Schreiber der "Wolke des Nichtwissens" rät, das Wort aufzuladen mit Hingabe, mit Liebe und mit Vertrauen. Dies widerspricht nur scheinbar der Anweisung, dass man nicht an Gefühlen hängen soll.

Liebe, Hingabe, Sehnsucht sind Grundbewegungen unserer Seele, die das Wort durchaus begleiten können. Sie richten aus und dienen zur Sammlung. Jemand, der Durst hat, braucht nicht an Wasser zu denken. Die Sehnsucht nach Wasser steckt ihm im Leib. So ist es auch mit der Liebe. Wer wirklich liebt, wer Sehnsucht hat, wer sich hingibt, der ist nicht zerstreut. Die Übung der Kontemplation wird einem solchen Menschen eher gelingen.

Einige Texte aus der 'Wolke des Nichtwissens' verdeutlichen dies: "Vernachlässige diese schweigende Hingabe der Liebe nicht. Beachte ihren unsagbaren Einfluss auf deine eigene Seele. Ist ihre Liebe echt, zeigt sie sich in einer spontanen Regung, die Gott plötzlich wie ein Funke entgegenspringt. Es ist erstaunlich, wie viele solcher Funken aus der Seele eines Menschen zu Gott aufglühen, wenn er in dieser Übung fortgeschritten ist." (Wolke, S. 55). "Was ist das Wesen höchster menschlicher Vollendung, und was erwächst daraus? Ich will für dich antworten. Die höchste menschliche Vollendung ist die Vereinigung mit Gott kraft einer Liebe, die sich völlig hingibt. Diese hohe und edle Berufung ist dem Denken so fern, dass das, was sie wirklich ist, weder vorgestellt noch gedacht werden kann." (Wolke, S 72).

Man darf jedoch nicht verwundert sein, wenn Hingabe und Liebe plötzlich fehlen. Der Weg führt über lange Strecken der Trockenheit, er führt durch Wüste und Nacht, wie die Mystiker sagen. Es ist dann von größter Bedeutung weiter zu üben, gerade dann, wenn frustrierende Trockenheit einkehrt. Trockenheit liegt auf der affektiv-personalen Ebene. Das Ich fühlt sich frustriert, denn es fühlt sich auf dem Weg zurückgelassen. Trockenheit ist daher für die Mystik ein Instrument und eine Hilfe im Prozess der Loslösung.

Fortsetzung 4
 
Fortsetzung 4

Wahrnehmung des eigenen Seins
Der Schreiber der ‚Wolke des Nichtwissens' kennt neben der Bewusstseinssammlung an einem Wort auch den Weg der Bewusstseinsentleerung (Weg des Schweigens). Er spricht oft von der Wahrnehmung des eigenen Seins. Im Laufe der Übung wird ein Hintergrund wahrnehmbar, der mit dem diskursiven Denken nichts zu tun hat. Selbst Gedanken und Gefühle kommen von dort. Die "Wolke des Nichtwissens" nennt diese Ebene den Grund des Seins.

Das Schauen ins Sein ist die andere Übung, in die der Schreiber der ‚Wolke des Nichtwissens’ führen will. Das Ziel ist die Bewusstseinsleere, aber nicht um der Leerheit willen, sondern weil nur in der Leerheit die Fülle des Göttlichen unverfälscht aufscheinen kann. Das Auge muss farblos sein, damit es Farbe unverfälscht schauen kann, meint Eckhart dazu. Gedanken, Gefühle, Willensimpulse werden nicht festgehalten.

Der Mensch gleicht einem Spiegel, der alles reflektiert, sich aber mit nichts identifiziert. Texte aus der 'Wolke' und dem 'Weg' zeigen das: "Nichts ist jetzt wichtiger, außer dem einen, dass du jetzt Gott in freudiger Liebe die dunkle Wahrnehmung deines reinen Seins hinhältst, damit er dich mit seiner Gnade an sich ziehen und dich im Innersten mit sich einen kann, dein Sein mit seinem Sein". (Weg, S. 40). "Du siehst also, dein nacktes Sein ist der wesentliche Grund all deiner anderen Entfaltungen. Alle hängen davon ab. Nun bis du an einen Punkt gekommen, wo es dir nicht länger nützt, dich mit einzelnen deiner Fähigkeiten zu beschäftigen und deine Aufmerksamkeit auf sie zu richten". (Weg, S. 46). "Du bist nun soweit, dass dein Wachstum verlangt, den Verstand nicht länger mit Nachdenken über die vielfältigen und vielfachen Ausfaltungen deines Wesens zu beschäftigen. Früher verhalfen dir diese Übungen zur Erkenntnis Gottes. Sie erfüllten dein Herz mit wohltuender, froher Zuneigung zu ihm und geistigen Dingen und schenkten dir große geistliche Einsicht. Jetzt aber ist es an der Zeit, dich zu bemühen, ständig in der innersten Mitte deiner Seele zu bleiben, um Gott die dunkle Wahrnehmung deines Seins als Erstlingsfrucht anzubieten." (Weg, S. 49).

In diesem Zustand gibt es immer noch zwei, ein Ich, das erfährt, und das, was erfahren wird. Von hier aus weiterzukommen ist sehr schwer. Das Ziel ist, auch noch dieses Ich hinter sich zu lassen, um das Sein Gottes zu erfahren. Das kann aber nicht mit einem Willensakt erreicht werden. Es bleibt nichts übrig, vertrauensvoll weiter zu üben. Die Anweisungen lauten nach wie vor: Fahre mit der Gebetsübung fort! Fließe ganz in sie hinein! Dann kann dir die Erfahrung geschenkt werden. Eine wirkliche mystische Erfahrung ist ein Widerfahren, sie lässt sich nicht machen. So gehen die Anweisungen weiter.

"Wo immer du bist, was du auch tust und wie du es versuchen wirst, die elementare Wahrnehmung deines nackten Seins steht zwischen dir und deinem Gott. Natürlich mag Gott gelegentlich eingreifen und dich mit einer flüchtigen Erfahrung seines Seins beglücken. Von diesen Augenblicken jedoch abgesehen wird die dunkle Wahrnehmung deines eigenen nackten Seins dein Bewusstsein erfüllen und wie eine Mauer stehen zwischen dir und Gott. Ähnlich war es zu Beginn dieser Übung, als die Aufmerksamkeit auf Einzelheiten deines Seins wie eine Mauer stand vor der direkten Wahrnehmung deines Seins. Bald wirst du spüren, welch schwere und schmerzhafte Last dein eigenes Selbst ist. Möge dir Jesus in jener Stunde helfen, du wirst ihn dringend brauchen. .... Du siehst also, es ist notwendig, das schmerzhafte Kreuz des eigenen Selbst zu tragen. Dies allein wird dich vorbereiten auf die alles übersteigende Erfahrung Gottes, wie er ist, und auf die Vereinigung mit ihm in verzehrender Liebe." (Weg, S. 81).

"Zu Anfang sagte ich: Vergesse alles und blicke nur in das bildlose Dunkel deines nackten Seins. Meine Absicht war jedoch, dich zu dem Punkt zu führen, wo du auch dieses noch aufgibst, um nur noch das Sein Gottes zu erfahren. Diese allertiefste Erfahrung hatte ich im Auge, als ich dir anfangs sagte: Gott ist dein Sein. Es war damals noch zu früh, von dir zu erwarten, dass du ohne Übergang in diese hohe Schau des Seins Gottes eintreten würdest. So habe ich dich Stufe um Stufe weitergeführt. Zunächst riet ich dir, in der unverdeckten bildlosen Schau deines Seins zu ruhen, bis dir durch ausdauerndes geistiges Bemühen die Übung der Versunkenheit leicht fällt. Ich wusste, sie würde dich für das innerste Erkennen des göttlichen Seins vorbereiten. Das Wichtigste dieser Übung war, dass in dir eine alles umfassende Sehnsucht wuchs, ein Verlangen, nur Gott zu erkennen, und sonst nichts. Ich sagte zwar anfangs: Hülle die Wahrnehmung Gottes ein mit der Wahrnehmung deines eigenen Seins. Du warst eben damals noch geistig ungeübt und unentwickelt. Ich hoffte, es würde dir durch geduldiges Üben zunehmend leichter fallen, bis du schließlich fähig wärest, dein Bewusstsein selbst von der elementaren Wahrnehmung deines eigenen Seins frei zu machen, und dann in einer dir bisher völlig unbekannten Weise zu erfahren, wie Gott, so wie er in sich ist, dich voll Liebe umfängt." (Weg, S. 77).

In diesen Erfahrungen und Anweisungen trifft sich der 'Weg' mit den Erfahrungen und Anweisungen eines Johannes vom Kreuz. Dieser spricht nicht vom Schauen ins nackte Sein, sondern vom 'liebenden Aufmerken', was der oben genannten Übung sehr nahe kommt. In beiden Fällen handelt es sich um eine Aufmerksamkeit, die sich auf das Bewusstsein selbst richtet und nicht auf ein Objekt wie Atem, Wort, psychische oder körperliche Vorgänge. Der undifferenzierte Hintergrund selbst dient als Punkt der Sammlung. Diese Übung verlangt einen höheren Grad der Bewusstseinssammlung, weil sich das Bewusstsein nirgendwo festmachen kann.

Fortsetzung 5
 
Im tibetischen Buddhismus, bekannt als "The Great Retreat", dauert die Grosse Meditation 3 Jahre, 3 Monate, 3 Wochen und 3 Tage. Während dieser Zeit lebt der Mönch oder die Nonne von der Aussenwelt vollkommen abgeschieden. Der Tagesablauf ist geprägt von Meditation und geistigen Übungen. Die Nacht dauert nur wenige Stunden, sie wird sitzend verbracht.

Das Ziel: Das unablässige Kreisen der Gedanken wird zum Stillstand gebracht. Dadurch wendet sich der Geist (engl. mind, der Denkapparat) vom Veränderlichen ab, hin zum Unveränderlichen, zum Absoluten – oder in religiösen Worten: zu Gott.

Welche Übungen gemacht werden und welche Hindernisse zu überwinden sind, darüber gibt es im Internet nur sehr wenig zu erfahren. Warum? Weil es nichts zu tun gibt; und es nichts zu verlieren gibt. Alles dreht sich um das Gewahrsein.
(https://www.eremo.ch/de/klausur-retreat/)

Leben in Stille - Der Einsiedlermönch in Wallis

alles Liebe
 
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